Alain René Lesage
Gil Blas von Santillana
Alain René Lesage

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Zweytes Kapitel.

Nicht länger als das Vorige.

Es war beynahe Komödienzeit. Meine Herrschaft sagte mir, ich möchte ihr sammt Lauren in's Theater folgen.. Wir gingen in ihre Loge, wo sie ihr gewöhnliches Kleid ablegte und ein anders, weit prächtigers anzog, um auf dem Theater zu erscheinen. Als das Stück angehen sollte, führte mich Laura an einen Ort. wo ich die Spielenden vollkommen hören und sehen konnte. Die meisten mißfielen mir, ohne Zweifel vermuthlich, weil ich durch den Don Pompejo gegen sie eingenommen war. Dessen ungeachtet wurden viele beklatscht, und bey einigen erinnert' ich mich der Fabel mit dem Ferkel.

Laura, die neben mir saß, sagte mir die Nahmen der Acteurs und Actrisen, so wie sie nach und nach zum Vorschein kamen. Doch ließ sie es beym bloßen Nahmen nicht bewenden, 168 sondern das Lästermaul machte gar artige Schilderungen von ihnen.

Dieser, sagte sie, ist ein wenig übergeschnappt, jener ein hochmüthiger Geck. Das allerliebste Püppchen, das Ihr dort hertrippeln seht, und die mehr Frechheit als Grazie hat, heißt Rosarde. An ihr hat unsre Truppe eine schlechte Eroberung gemacht, besser, sie käme zu dem Trupp, der jetzt auf Befehl des Vicekönigs in Neuspanien ausgehoben wird, und der unverzüglich nach Amerika abgehen soll. Seht doch, welch helleuchtendes Gestirn dort hervorbricht; diese schöne untergehende Sonne heißt Casilda. Hätte sie von der Zeit an, da sie Liebhaber gehabt, von einem jeden ein Werkstück verlangt, um davon, wie ehmahls eine Aegyptische Prinzeß, eine Pyramide zu erbauen, so würde sie eine haben können aufführen lassen, die bis in den dritten Himmel reichte.

Mit einem Worte, Laura riß mit ihrer Schmähzunge jedermann herunter; selbst ihre Frau ließ der kleine satyrische Teufel nicht undurchgehechelt. So wenig moralisch gut indeß der Character der Zofe war, so gefiel sie mir dennoch – ich gesteh meine Schwäche, ausserordentlich wohl. Ihr Lästern hatte so was Anmuthiges, das mir sogar ihre Bosheit liebenswerth machte. 169

Sie stand in den Zwischenacten auf, und ging zu Arsenie'n, um zu sehen, ob sie etwa ihrer Dienste bedürfe. Statt aber bald wieder zu kommen, und sich wieder neben mich zu setzen, hielt sie sich eine feine Weile hinterm Theater auf, und sammelte Liebkosungen und Süßigkeiten von den Mannspersonen ein. Ich folgte ihr das einemahl, um zu sehen, was sie machte, und ward gewahr, daß sie wacker Bekanntschaften hatte. Ich zählte an drey Komödianten, deren sie einer nach dem andern aufhielt, und mit ihr kos'te. Ihre Unterhaltung schien mir höchst vertraulich. Dieß gefiel mir gar nicht, und ich fühlte jetzt zu erstenmahl in meinem Leben, was das heißt, eifersüchtig seyn. Ich ging so nachdenkend und betrübt nach meinem Platze zurück, daß mir Laura bey ihrer Rückkunft es gleich anmerkte.

Was fehlt Dir denn Gil Blas? sagte sie mit Erstaunen. So bewölkt, seit ich Dich verlassen habe? Siehst so traurig, so vor den Kopf geschlagen aus? Nicht ohne Ursache meine Prinzeß, antwortete ich, Sie gehen mir ein wenig zu rasch in's Zeug. Ich habe gesehen wie Sie mit den Komödianten – Närrchen, steckt Dir's da! fiel sie mir lachendes Mundes in die Rede. Wie, darüber grämst Du Dich, hängst so das Maul, Das ist wahrlich noch nicht der Mühe werth. Wirst noch ganz andre Dinge unter uns sehen. Du mußt unsre freye, ungezwungne 170 Lebensart gewohnt werden. Nicht eifersüchtig mein Kind! Kein lächerlichers Geschöpf bey dem komischen Volke als ein Eifersüchtiger. Auch giebt's deren fast gar nicht bey uns. Väter, Männer, Brüder, Oheime und Vettern, sind die gefälligsten, nachgiebigsten Leute von der Welt, und oft sind sie es, die den Ihrigen zu einem Stück Brot verhelfen.

Nachdem sie mich ermahnt hatte, mir über nichts arge Gedanken zu machen, und alles ganz ruhig anzusehen, entdeckte sie mir, daß ich der glückliche Sterbliche sey, der den Schlüssel zu ihrem Herzen gefunden habe, und versicherte mir hierauf, sie würde mich einzig und allein lieben. Nach dieser Versicherung, die ich bezweifeln konnte, ohne eben für ein mißtrauisches Geschöpf gehalten zu werden, versprach ich ihr, mich nicht mehr zu beunruhigen, und hielt Wort. Ich sahe sie noch denselbigen Abend mit Mannspersonen flistern und schäkern. Mit Endigung des Stücks kehrten wir mit unsrer Herrschaft nach Hause. Florimonde kam bald darauf mit drey alten Herren und einem Komödianten, um bey uns das Nachtessen zu nehmen.

Ausser Laure'n und mir waren noch folgende Domestiken im Hause, eine Köchinn, ein Kutscher und ein kleiner Bedienter. Wir legten alle Fünfe Hand an. Die Köchinn, die nicht weniger geschickt war, wie Jungfer Jacinte, bereitete sammt dem Kutscher die Speisen zu. 171 Das Kammermädchen und der Bube deckten die Tafel, und ich ordnete den Schenktisch, der aus den schönsten goldnen und silbernen Geschirren bestand; ebenfalls Opfergaben, die der Göttinn des Tempels waren geheiligt worden. Ich schmückte ihn mit Flaschen von verschiedenen Sorten Weins auf, und machte den Mundschenken, um meiner Herrschaft zu zeigen, daß ich in alle Sättel gerecht sey.

Ich bewunderte das Betragen der Komödiantinnen über Tafel. Sie machten die Damen vom Stande, und bildeten sich ein, Frauen vom ersten Range zu seyn. Statt ihre Gäste Excellenzen zu nennen, gaben sie ihnen nicht einmahl den Titel, Sennores, sondern nannten sie bloß bey ihren Nahmen. Es ist nicht zu läugnen, daß diese Herren durch den zu vertrauten Fuß, auf welchem sie mit diesen Weibern umgingen, sie verdarben, und so hochmüthig machten. Der Komödiant, seiner Seits, der immer Helden und edle Rollen zu spielen gewohnt war, machte gar keine Umstände mir diesen Cavalieren, trank auf ihre Gesundheit, und hatte, so zu sagen, die Oberstelle.

Laura, sagte ich bey mir selbst, hat mir vordemonstrirt, daß ein Marques und ein Komödiant einander den Tag über gleich sind, sie hätte aber hinzusetzen können, bey Nacht noch gleicher, weil sie die Nächte mit einander verzechen. 172

Arsenie und Florimonde waren von Natur aufgeweckt. Es entfuhren ihnen tausend dreiste Einfälle, die mit Liebäugeleyen und kleinen Gunstbezeigungen untermischt waren, woran die alten Sünder unendliches Labsal fanden. Während meine Frau dem Einen durch eine unschuldige Schäkerey die Zeit vertrieb, spielte ihre Freundinn, die zwischen den andern Beyden saß, eben nicht die keusche Susanne. Indeß, daß ich dieß Gemählde betrachtete, das für einen alten Junggesellen nur mehr als zu viel Reitze hatte, wurde das Obst aufgetragen. Sogleich setzt' ich Buteillen und Gläser auf den Tisch, und verschwand, um mit der auf mich wartenden Laura das Abendbrot zu nehmen.

Nun, Gil Blas, sagte sie zu mir, was hältst Du von denen Cavalieren, die Du eben gesehen hast? Vermuthlich sind es Anbether von Arsenie'n und Florimonde'n, antwortete ich. Behüthe und bewahre! versetzte sie; alte Wollüstlinge, die bald um dieß Mädchen flattern, bald um jenes; von ihnen nichts weiter verlangen, als ein wenig Gefälligkeit, und edeldenkend genug sind, die Kleinigkeiten, die man ihnen zugesteht, reichlich zu bezahlen. Dem Himmel sey Dank, vor der Hand hat weder meine Herrschaft, noch Florimonde Liebhaber. Ich meine solche, liebes Kind, die Ehemanns Rollen spielen, und alles Vergnügen einzig und allein in einem Hause geniessen 173 wollen, weil sie alle Ausgaben in selbigem bestreiten. Mir, meines Orts, ist das herzlich lieb, und ich bleibe dabey, ein gescheidtes Mädchen wird solche Verbindungen immer zu vermeiden suchen. Wozu sich solchen Kappzaum anlegen? Viel besser, man verdient sich Kutsch' und Pferde bey Heller und Pfennig, als daß man sie um einen solchen Preis auf einem Mahle bekommt.

Wenn Lauren's Zunge sich einmahl im Gange befand – und das war sie fast beständig – so konnte sie nicht wieder stille stehen; ein Wort jagte das andere. Sie erzählte mir tausenderley Abenteuer, die den Actrisen aus der Prinzlichen Truppe begegnet waren, und ich schloß daraus, daß ich nicht in bessere Hände hätte fallen können, um alle Untugenden vollkommen kennen zu lernen. Zum Unglücke befand ich mich in einem Alter, wo man keinen Abscheu vor selbigen empfindet, wozu noch kam, daß das Mädchen mir diese Zügellosigkeiten so schön abzumahlen wußte, daß ich davon nichts, als die lachende Seite sahe.

Sie hatte nicht Zeit, mir nur den zehnten Theil der ritterlichen Abenteuer der Komödiantinnen zu erzählen, weil sie nicht länger als drey Stunden davon hatte sprechen können. Die Cavalier' und der Komödiant begaben sich sammt Florimonde'n hinweg, die sie nach Hause brachten. 174

Als sie fort waren, ließ mich Arsenie zu sich kommen, und sagte zu mir, indem sie mir Geld gab: Da, Gil Blas, sind zehn Pistolen; dafür kauft morgen ein. Ich werde fünf bis sechs von unsern Herren und Damen zu Mittage bey mir haben. Daß es ja an nichts fehlt, Madam, antwortete ich, mit der Summe versprech' ich Ihnen so viel anzukaufen, daß Sie die ganze Bande sollen bewirthen können. Ich bitte Euch, mein Freund, versetzte Arsenie, bedient Euch besserer Ausdrücke. Wißt, daß man nicht sagen muß, Bande, sondern Gesellschaft. Man sagt wohl, eine Bande Straßenräuber, eine Bande Bettler, eine Bande Buchmachergesellen; aber merkt Euch, wenn Ihr von Schauspielern sprecht, daß ihr sagen müßt, eine Gesellschaft. Vor allen Dingen verdienen die Madrider Acteurs wohl eine Gesellschaft genannt zu werden.

Ich bath meine Herrschaft um Verzeihung, daß ich mich eines so wenig ehrerbiethigen Ausdrucks bedient hätte; bath de- und wehmüthigst, mir meine Unwissenheit zu Gute zu halten, und gelobte an, wenn ich hinfort die Herren Madrider Komödianten, in Bausch und Bogen genommen, nennen würde, so wollt' ich stets die Gesellschaft sagen. 175

 


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