Alain René Lesage
Gil Blas von Santillana
Alain René Lesage

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Fünftes Kapitel.

Gil Blas stoßet, zu seinem größten Erstaunen, auf den Hauptmann Rolando; was für Wunderdinge ihm der erzählet.

Nachdem Don Bernard de Castil Blazo dem Corregidor das Geleit bis auf die Straße gegeben hatte, kehrte er auf's schnellste wieder zurück, um seinen Geldkasten, und die Thüren, die selbigen in Sicherheit setzten, zu verschliessen. Hierauf gingen wir beyde zufriedner aus einander, als zuvor. Er, weil er sich einen so mächtigen Freund erworben hatte, und ich, weil ich nun täglich auf meine sechs Realen richtig rechnen konnte.

Ich war zu voll, als daß ich nicht zum Melendez gehen und ihm dieß Abenteuer hätte erzählen sollen. Unfern seinem Hause aber stieß ich auf den Hauptmann Rolando. Ich erstaunte höchlich, ihn hier zu erblicken, und konnte nicht umhin, an jedem Gliede zu beben. Er erkannte mich gleichfalls, ging ganz gravitätisch auf mich zu, und befahl mir, indem er seine 74 ehemahlige Befehlshabermiene annahm, ihm zu folgen. Zitternd gehorcht' ich ihm, und sagte bey mir selbst: Ach! ohne Zweifel werd' ich meine alte Zeche bezahlen sollen. Wo wird er mich wohl hinführen. Gibt's vielleicht eine unterirdische Höhle in der Stadt? Verdammt! wenn ich das wüßte, ich wollte ihm gleich zeigen, daß ich nicht das Zipperlein habe. So ging ich denn hinter ihm her, und gab genau Obacht, an was für einem Orte wir würden Halt machen, fest entschlossen, über Hals über Kopf davon zu rennen, wenn er mir nur im geringsten verdächtig schiene.

Nicht lange, so schwand meine Furcht. Rolando ging in ein bekanntes Wirthshaus; ich folgte ihm. Er forderte vom besten Weine, und sagte zum Wirthe, er möchte Essen für uns besorgen. Unter der Zeit begaben wir uns in ein Zimmer, und der Hauptmann, als er sich mit mir allein sahe, fing folgendermaßen die Unterredung an: Du mußt Dich nicht wenig wundern, Gil Blas, Deinen ehemaligen Chef hier wieder zu sehen, und Du wirst noch verwunderter seyn, wenn du meine Erzählung wirst zu Ende gehöret haben.

An eben dem Tage, da ich Dich in der Höhle ließ, und mit allen meinen Rittern nach Manesilla ritt, um die des vorigen Abends erbeuteten Pferd' und Maulthiere zu verkaufen, stiessen wir auf den Sohn des Corregidor's von 75 Leon, dessen Wagen vier wohlberittene Männer begleiteten. Zwey von ihnen mußten in's Gras beißen, und die andern beyden gaben Reißaus. Nunmehr rief der Kutscher voller Angst wegen des Lebens von seinem Herrn, ganz de- und weh-müthig: Ach! meine liebe Gnädige Herren, bringen Sie doch den einzigen Sohn des Herrn Corregidor's von Leon nicht um's Leben. Diese Worte erweichten meine Ritter nicht, sondern erbitterten sie vielmehr auf's äußerste.

Meine Herren, sagte einer von ihnen, wir müssen den Sohn des Todfeindes von unsers Gleichen nicht entwischen lassen. Wieviel von unserm Metje sind nicht von seinem Vater ermordet worden. Diese können wir jetzt rächen, und ihren Seelen ein Sühnopfer schlachten. Meine übrigen Ritter traten dieser Meinung bey, und schon machte sich mein Lieutenant bereit, den Hohenpriester bey diesem Opfer abzugeben, als ich seinen Arm zurückhielt, und zu ihm sagte: Haltet ein! Wozu unnöthig Blutvergießen? Wir wollen uns mit der Geldbörse des jungen Mannes begnügen. Es wäre barbarisch, ihn zu ermorden, der keinen Widerstand leistet. Ueberdieß darf er nicht für die Handlungen seines Vaters haften, und sein Vater thut bloß seine Pflicht, wenn er uns zum Tode verdammt, so wie wir die unsrige, wenn wir die Reisenden rein ausschälen. 76

Diese meine Fürbitte rettete den jungen Mann. Wir nahmen ihm bloß das Geld ab, das er bey sich hatte, und führten die Pferde der beyden Getödteten mit uns. Wir verkauften sie sammt den übrigen zu Manesilla; hierauf kehrten wir des folgenden Tages nach unserer unterirdischen Wohnung zurück, wo wir einige Augenblicke vor Tage anlangten. Wir erstaunten nicht wenig, die Fallthür geöffnet zu finden, und unser Erstaunen ward noch größer, als wir Leonarde'n in der Küche gebunden antrafen. Sie erzählte uns mit ein paar Worten die ganze Sache. Wir erinnerten uns Deiner Kolik, lachten herzlich darüber, und bewunderten es, wie Du uns hattest überlisten können. Wir hätten Dich nie fähig geglaubt, uns einen so artigen Streich zu spielen, und verziehen Dir der Erfindung halber.

Sobald wir die Köchinn losgebunden hatten, gab ich ihr Befehl, Essen für uns zurechte zu machen. Derweile gingen wir in den Stall, und besorgten unsere Pferde. Der alte Neger, der seit vierundzwanzig Stunden keine Hülfe bekommen hatte, lag jetzt in den letzten Zügen. Wie gern hätten wir ihm geholfen, allein er hatte bereits alle Besinnung verloren, und schien uns so schachmatt, daß wir, ungeachtet unsers guten Willens, den armen Teufel mit dem Tode ringend liegen liessen. Wir setzten 77 uns demungeachtet zu Tische, und liessen's uns herzlich wohl schmecken.

Nach verzehrtem Frühstücke begaben wir uns in unsere Stuben, wo wir uns den ganzen Tag ausruhten. Bey unserm Erwachen meldete uns Leonarde, daß Domingo nicht mehr lebe. Wir trugen ihn in den Keller, worin Du, wenn Du Dich noch erinnerst, geschlafen hast, und hielten ihm ein solches Leichenbegängniß, als wenn er zu unsern Gefährten zu gehören die Ehre gehabt.

Fünf oder sechs Tage nachher, als wir eines Morgens auf eine Streiferey ausgehen wollten, trafen wir am Ausgange des Holzes auf drey Brigaden von den Ausreitern der heiligen Hermandad, die zum Angriffe bereit schienen. Anfänglich gewahrten wir nur deren eine, die wir angriffen, so überlegen an Anzahl sie uns auch war; derweil wir uns aber mit dieser im Handgemenge befanden, brachen die beyden andern, die sich im Hinterhalte zu legen gewußt hatten, plötzlich hervor, und drangen auf uns ein. Nun half uns unsere Tapferkeit zu nichts mehr; wir mußten so vielen Feinden erliegen.

Unser Lieutenant und zwey von unsern Rittern kamen bey der Gelegenheit um; die beyden andern und ich waren dermaßen umzüngelt und eingeschlossen, daß alle Gegenwehr umsonst war. Indem uns nun zwey Brigaden nach Leon führten, begab sich die dritte nach 78 unserer Wohnung und zerstörte sie. Sie hatten selbige auf folgende Art ausgekundschaftet.

Ein Bauer von Luceno, der durch den Wald gehet, indem er nach Hause will, sieht von ungefähr die von Dir nicht heruntergelassene Fallthür von unserer Gruft offen stehen. Es war an eben dem Tage, da Du mit der Dame durchgegangen warst. Gleich schiest's ihm in die Gedanken, das müsse unsere Wohnung seyn; doch hatte er nicht das Herz hereinzugehen. Sonach ließ er's dabey bewenden, daß er die umliegenden Gegenden genau besichtigte, und um den Ort ja nicht zu verfehlen, streifte er mit seinem Messer von den nachstehenden Bäumen etwas Rinde ab. Das that er auch bey den ferner stehenden hin und wieder, und zwar so lange, bis er sich ganz außer dem Walde befand. Hierauf verfügte er sich nach Leon, um diese Entdeckung dem Corregidor mitzutheilen. Dieser war hierüber um so erfreuter, da unsere Gesellschaft unlängst seinen Sohn beraubet hatte. Er ließ demnach drey Brigaden gegen uns ausrücken, und der Bauer diente ihnen zum Wegweiser.

Meine Ankunft in Leon machte bey den dortigen Einwohnern nicht wenig Aufsehen. Wär' ich ein Portugiesischer General gewesen, den man zum Kriegsgefangenen gemacht, so hätte sich das Volk nicht mehr nach mir drängen können. Da ist er, hieß es, der berüchtigte 79 Hauptmann, der Schrecken der ganzen Gegend. Er verdient' es, daß man ihn sammt seinen Kameraden mit glühenden Zangen zerrisse.

Man führte uns vor den Corregidor, der mich auf's rauhste anließ. Nun wohlan, Bösewicht, sagte er zu mir, der Himmel, Deines Lasterlebens überdrüssig, überantwortet Dich meinen Händen. Sennor, sagt' ich, so viele Verbrechen ich auch verübet habe, so hab' ich mir doch wenigstens nicht den Tod Ihres einzigen Sohnes vorzuwerfen. Ich habe sein Leben erhalten, und dafür sind Sie mir einige Erkenntlichkeit schuldig. Elender! rief er, Deines Gleichen verdienet es auch, daß man edel gegen sie verfährt. Und wollt' ich Dich auch retten, so erlaubet mir dieß mein tragendes Amt nicht.

Nachdem er das gesagt hatte, befahl er, uns in ein Loch zu werfen, worin er meine Kameraden nicht lange schmachten ließ. Binnen dreyen Tagen verliessen sie es, um auf dem Marktplatze eine tragische Rolle zu spielen. Was mich anbelangt, so blieb ich drey ganze Wochen im Gefängnisse. Ich glaubte, meine Strafe würde nur verschoben, um sie desto schrecklicher zu machen, und hielt mich auf eine ganz neue Todesart gefaßt, als ich endlich wieder vor den Corregidor gebracht wurde.

Vernimm Dein Urtheil, sagte er. Du bist frey. Ohne Dich hätte man meinen einzigen 80 Sohn jämmerlich auf der Landstraße hingerichtet. Als Vater wollt' ich für diesen Dienst erkenntlich seyn, und als Richter durft' ich Dich nicht lossprechen. Ich schrieb Deinethalben an den Hof, fleht' ihn um Deine Begnadigung an, und habe sie erhalten. Geh' also, wohin Dir's gefällt. Doch, setzte er hinzu, folge mir, und mach' Dir diesen glücklichen Ausgang zu Nutze. Geh' in Dich, und entsag' Deinem schändlichen Metje auf immer.

Diese Worte gingen mir durch Mark und Bein, und ich faßte den Entschluß, umzukehren von meinen bösen Wegen und ein Leben zu führen in aller Gottseligkeit und Ehrbarkeit. Zu dem Ende ging ich nach Madrid. Meine Aeltern fand ich bereits todt, und ihre Hinterlassenschaft in den Händen eines alten Vetters, der mir davon eine so richtige Rechnung ablegte, wie alle Vormünder zu thun pflegen. Ich konnte nicht mehr als drey tausend Ducaten von ihm herauspressen; vielleicht nicht den vierten Theil meines Vermögens. Was sollt' ich machen? Herausprozessiren konnt' ich doch das Uebrige nicht; drum ließ ich's gut seyn. Um nicht ganz auf der Bärenhaut zu liegen, kauft' ich mir eine Alguazilstelle, die ich so verwalte, als wenn ich Zeit meines Lebens nichts anders gethan hätte.

Wär' meinen Collegen meine Lebensgeschichte bekannt gewesen, so würden sie sich gewiß 81 Wohlstands halber meiner Aufnahme widersetzet haben. So aber wissen sie selbige zum Glücke nicht, oder – was auf Eins herauskommt – stellen sich wenigstens so. Denn in diesem ehrwürdigen Collegio hat jeder seinen großen Vortheil dabey, wenn seine rühmliche Thaten vertuscht bleiben. Keiner hat, Gott Lob und Dank, dem andern was vorzuwerfen. Und eine Krähe pflegt bekanntermaßen der andern nicht die Augen auszuhacken.

Indeß, mein Freund, fuhr Rolando fort, ganz von Herzensgrund mit Dir zu reden, meine jetzt ergriffene Profession steht mir gar im geringsten nicht an. Man muß in selbiger immer so um den Brey herumschleichen, und alles, was man anfängt, verkappen und verlappen. Führt man 'nmal einen Streich aus, so ist das bloß durch Pfiff' und Kniffe, und immer so ganz im Stillen und Dunkeln.

O! wie bedaur' ich mein voriges Metje. Weit sichrer ist freylich das jetzige, allein das vorige hat mehr Annehmlichkeiten, und ich liebe die Freyheit. Ich bin nicht übel Willens mein Amt niederzulegen, und mich in die Gebirge zu machen, woselbst der Tajo entspringet. Ich weiß daselbst eine Gegend, wo sich eine zahlreiche Mannschaft befindet, die aus lauter Kataloniern bestehet. Das heißt mit Einem Worte alles zu ihrem Besten gesagt. Willst Du 82 mit, so wollen wir die Anzahl jener großen Männer vermehren.

Ich werde bey ihnen Unterhauptmann seyn, und damit sie dich mit größerm Vergnügen aufnehmen, will ich versichern, Du hab'st schon zehnmahl an meiner Seite gefochten, will Deine Tapferkeit bis an die Wolken erheben, und mehr Gutes von Dir sagen, als ein General von einem Officier, den er gern befördert haben möchte. Von dem uns gespielten Streiche werd' ich nichts erwähnen. Das würde Dich nur verdächtig machen, also kein Wort davon. Nu, setzte er hinzu, bist Du Willens mir zu folgen?

Der Geschmack, wissen Sie wohl, sagt' ich, ist verschieden. Sie sind für kühne Unternehmungen gemacht, ich für ein ruhiges, friedliches Leben. Ich verstehe, antwortete er, die Dame liegt Dir noch am Herzen, die Du aus Liebe entführtest, und mit der Du ohne Zweifel, das ruhige Leben führest, worauf Du soviel hältst. Gesteh'n Sie's nur, Herr Gil Blas, daß Sie Ihr feins Liebchen hier auf einer niedlichen Streu haben, und die Pistolen mit ihr durchbringen, die Sie aus der unterirdischen Höhle mitnahmen.

Ich sagte ihm, daß er sich irre, und versprach ihm, um ihm völlig aus dem Traume zu helfen, über Tische die Geschichte der Dame zu erzählen. Was ich nicht nur that, sondern ihm auch alles berichtete, was mir seit 83 Verlassung seiner Gesellschaft begegnet war. Wie wir bald abgegessen hatten, brachte Rolando die Katalonier nochmahls auf's Tapet; gestand mir sogar, er sey fest entschlossen, zu ihnen zu stossen, und machte einen neuen Versuch, mich auch dazu zu beschwatzen.

Da er merkte, daß ich nicht dazu lauten wollte, so änderte sich plötzlich Mien' und Sprache. Er warf einen finstern Blick auf mich, und sagte in sehr ernstem Tone: Da Du niederträchtig genug bist, Deine Knechtschaft der Ehre vorzuziehen, in die Gesellschaft braver Jungens zu treten, so überlaß ich Dich Deinen niedrigen Neigungen. Aber vernimm, was ich Dir sagen will, und laß diese Worte nie aus Deinem Gedächtniß kommen. Vergiß, daß Du mir heute begegnet bist, und erwähne nie meiner gegen irgend eine lebendige Seele; wenn ich erfahre, daß Du je ein Wort von mir gesprochen, so . . . . Du kennst mich; mehr brauch' ich nicht zu sagen. Mit diesen Worten rief er den Wirth, bezahlte die Zeche, und wir standen auf und gingen. 84

 


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