Alain René Lesage
Gil Blas von Santillana
Alain René Lesage

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Drittes Kapitel.

In was für einem Zustand Diego seine Angehörigen findet, und nach was für Lustbarkeiten Gil Blas und er sich trennten.

Unser dießmahliges Nachtlager hielten wir zwischen Moyados und Valpuesta in einem 50 Dörfchen, dessen Nahmen mir entfallen ist; und den folgenden Tag um Eilf Uhr Morgens kamen wir in der Ebene vor Olmedo an. Hier sehen Sie meinen Geburtsort, Sennor Gil Blas, sagte mein Begleiter zu mir. Ich bin bey diesem Anblicke ganz ausser mir. O wie sehr liegt's nicht in der Natur, sein Vaterland zu lieben! Sennor Diego, antwortete ich, ein Mann, der so warm sein Vaterland liebt, sollte, däucht mich, vortheilhafter davon sprechen, als Sie gethan. Olmedo scheint mir eine Stadt, und Sie sagten, es sey ein Dorf. Wenigstens hätten Sie's einen Flecken nennen sollen. Ich thu' ihm feyerliche Abbitt' und Ehrenerklärung, antwortete der Barbier; Ich muß Ihnen aber sagen, nachdem ich auf meiner Wanderschaft durch Spanien, Madrid, Toledo, Saragossa und andere große Städte theils gesehen, theils dort conditionirt habe, so kommen mir die kleinen wie Dörfer vor.

Je weiter wir fortgingen, je mehr Volks glaubten wir bey Olmedo zu sehen, und je näher uns die Gegenstände rückten, je mehr Beschäftigung fanden wir für unsre Augen. Wir erblickten daselbst drey Zelte unfern von einander aufgeschlagen, und rund um Köch' und Küchenjungen in Menge, die zu einem Schmause Anstalten trafen. Einige deckten lange Tafeln, die unter den Zelten standen, andre füllten Wein in irdene Krüge. Etliche setzten Töpfe zum 51 Feuer, noch andre drehten Bratspieße, woran mancherley Fleisch steckte. Was aber meine größte Aufmerksamkeit auf sich zog, war ein daselbst aufgebautes Theater. Die Decorationen bestanden aus buntfarbiger Pappe, und waren mit Griechischen und Lateinischen Inschriften geziert.

Kaum hatte Diego diese Inschriften gesehen, als er zu mir sagte: Das Griechische da rührt gewiß von Onkel Thomsen her. Ich wittre so was, und wollte schier drauf wetten, denn unter uns: 's ist ein sehr geschickter Mann, der Schulbücher die Hüll' und die Fülle auswendig weiß. Nur das verdrießt mich an ihm, daß er im Diskurs ganze Stellen daraus anführt, und das steht just nicht jedermann an. Ueberdieß, fuhr er fort, hat mein Oheim Lateinische Poeten und Griech'sche Autoren übersetzt. Er versteht sich vollkommen auf die Alterthumskunde, wie solches aus seinen Anmerkungen zu ersehen ist. Ohne ihn würden wir nicht wissen, daß die Kinder in der Stadt Athen weinten, wenn man ihnen die Ruthe gab. Diese Entdeckung haben wir seiner Grundgelahrtheit zu danken.

Nachdem mein Reisegefährte und ich alles das Obbemeldte in Augenschein genommen hatten, hätten wir gern gewußt, wozu diese Anstalten getroffen würden. Eben wollten wir uns darnach erkundigen, als Diego in einem Manne, welcher der Anordner des Festes schien, den 52 Sennor Thomas de la Fuente, seinen Oheim, erkannte. Wir eilten auf ihn zu. Der Schulmeister konnte sich nicht sogleich auf den jungen Barbier besinnen, so verändert fand er ihn in den zehn Jahren. Als er sich aber wieder aller seiner Züge erinnert hatte, umarmt' er ihn auf's herzlichste, und sagte mit freundlichem Gesicht: Siehe da, lieber Vetter Diego, also kehrest Du nunmehro wieder in die Stadt zurück, die Dich hat sehen geboren werden! Kommst her, Deine Dii Penates wiederum zu sehen, und der Himmel schenkt Dich den Deinigen gesund und wohl wieder. Pugilice vales, wie ich sehe. O drey-vier-mahl glücklicher Tag! Albo dies notanda lapillo!

Ich habe Dir, fuhr er fort, viele Novitaeten zu kommuniziren. Pedro, Deines Vaters Bruder, der witzige Kopf, ist ein Schlachtopfer Plutonis geworden. Es sind bereits drey Monden, daß er von hinnen geschieden ist. Während seines Lebens besorgte dieser Harpax, dieser Euclio, es möchte ihm dereinst an den nothwendigsten Dingen gebrechen. Argenti pallebat amore. Ausser den ansehnlichen Jahrgeldern, die er von einigen Großen zog, nahmen victus & amictus ihm keine zehn Pillen das ganze Jahr hindurch weg. Er hatte sogar einen Knecht, der ihm keinen Obol zu stehen kam. Dieser Thor, der noch weit unsinniger war, als der Grieche Aristippos, 53 welcher alle die Reichthümer, die seine leibeigene Knechte trugen, als eine Bürde, die ihnen auf dem Wege beschwerlich würde, mitten in Lydia hinwerfen ließ, häufte so viel Gold und Silber zusammen, als er nur aufzuscharren vermögend war. Und für wen das? Für Erben, die er nicht sehen wollte. Sein hinterlassenes Vermögen bestand in dreyßig tausend Ducaten, die Dein Vater, Dein Oheim Bertrand, und ich unter einander getheilt haben. Wir sind nunmehro im Stande, unsre Kinder wohl zu versorgen. Mein Bruder Klaas hat bereits über Deine Schwester Therese geschaltet und gebaret, und sie mit dem Sohne eines unsers AlcaldenAlcalde bezeichnet in Spanien auch einen Dorfschulzen. – D. Uebers. verehlicht. Connubio junxit stabili propriamque dicavit. Dieß Ehebündniß, das unter den glücklichsten Auspicien geknüpft wurde, feyern wir seit zwey Tagen mit so großen Zurüstungen. Wir haben in der Pläne diese Zelter errichten lassen. Ein jeder der drey Erben des Pedro hat das seinige, und bestreitet die Unkosten eines Tages. Ich wollte, daß Du eher angekommen wärst, um alle diese Ergetzlichkeiten von Anbeginn sehen zu können.

Vorgestern, als am Tage der Hochzeit trug Dein Vater die Kosten. Er gab einen gar 54 prächtigen Schmauß, worauf ein Ringelrennen folgte. Gestern ließ Dein Oheim, der Seidenhändler aufschüsseln, und bewirthete uns mit einem Pastorale. Er kleidete zehn der wohlgestaltesten Burschen, und zehn junge Dirnen, als Schäfer und Schäferinnen aus, und bediente sich aller Bänder und aller Nesteln aus seinem Laden, um sie auszuschmücken. Diese schimmernde und flimmernde Jugend hielt verschiedentliche Tänze, stimmte Gesänge an, sang tausend zärtliche und leichte Liederchen. Nichtsdestoweniger machte dieß, so galant es auch war, keinen großen Effect. Die dramatischen SchäfereyenSchäferey, der alte, im Munde eines Pedanten meines Bedünkens schickliche Ausdruck für Schäfergespräche. Mehr als Gespräche sind die Schäferspiele wohl nie gewesen. Ich nehme hievon nur Fletchers the faithful Shepherdess und unsers Kretschmans Gesetz der Diane aus. müssen heut zu Tage nicht mehr so beliebt seyn, als ehemahls.

Was den heutigen Tag anbelangt, fuhr er fort, da geht alles auf meine Rechnung, und ich muß den Bewohnern Olmedo's ein Schauspiel von meiner Erfindung liefern. Finis coronabit opus. Ich habe ein Theatrum errichten lassen, worauf ich juvante Deo durch meine Discipulos ein Stück werde representiren 55 lassen, welches ich selbst componiret habe. Es führet den Titul: Die Zeitvertreibe des Muley Bugentuf, Königes von Marocco. Die Aufführung desselben wird sehr gut ausfallen, alldieweil ich Schüler habe, die so gut declamiren, wie die Komödianten zu Madrid. Es sind Kinder aus vornehmen Pennafielschen und Segovischen Häusern, die bey mir sind in die Kost gethan worden. Gar treffliche Actores! Zwar hab' ich sie nicht wenig geübt. Ihre Declamation trägt, ut ita dicam, das Gepräge des Meisterhaften. Was aber das Stück anbelangt, so will ich Dir nichts von selbigem eröffnen, Dir das Vergnügen der Ueberraschung lassen. Bloß das will ich sagen, es wird alle Spectatores höchlich in Verwunderung setzen. Es ist einer von jenen tragischen Stoffen, die durch die Bilder des Todes, welche sie dem Gemüthe darstellen, Rührung in der menschlichen Seele produciren. Ich bin der Meinung des Aristoteles zugethan, daß man Schrecken erregen muß. Ha! wenn ich mich jemahls auf Theaterarbeiten beflissen gehabt hätte, so würd' ich nie jemand anders auf die Bühne gebracht haben, als blutdürstige Prinzen, mordgierige Helden; würde mich im Blute gebadet haben. Man würde in meinen Tragödien nicht nur die Hauptpersonen, sondern auch ihre Trabanten und Hatschiere haben umkommen sehen. Sogar den Einhelfer hätt' ich erwürgt. 56 Summa Summarum, ich liebe nur das Schreckliche. Das ist einmahl so mein Gusto. Auch reissen dergleichen Gedichte die Menge mit sich fort, unterstützen den Luxus der Komödianten, und verschaffen dem Dichter ein gar artiges Einkommen.

Kaum war das letzte Wort aus seinem Munde, als wir eine Menge Personen beyderley Geschlechts aus dem Dorfe in die Ebne strömen sahen. Es war das junge Ehepaar von allen Anverwandten und Freunden begleitet. Vor ihnen her gingen zehn bis zwölf Musikanten, die, auf verschiednen Instrumenten zugleich spielend, ein gar brausendes Concert machten. Wir gingen ihnen entgegen, und Diego gab sich ihnen zu erkennen. Sogleich brach die ganze Versammlung in das frohste Jubelgeschrey aus, und jeder drängte sich, zuerst bey ihm zu seyn. Er hatte nicht wenig zu thun, alle die Freundschaftsbezeigungen anzunehmen, die man gegen ihn äusserte. Nicht nur seine Familie, sondern auch alle Anwesende überhäuften ihn mit Umarmungen.

Nachher sagte sein Vater zu ihm: Willkommen Diego! 'S is Deinen Aeltern ein Klumpen Brey in die Butter gefallen; sie können nun mit fetterm Maule aus dem Fenster sehen. Mehr will ich Dir vor der Hand nicht sagen. Ein andermahl das Uebrige, un das ganz harklein. 57

Indessen kamen Alle in der Pläne an, gingen in die Zelte, und setzten sich um die daselbst aufgeschlagnen Tische. Ich verließ meinen Reisegefährten nicht, und wir speisten alle beyde mit dem neuen Paare, das mir ganz für einander geschaffen schien. Die Mahlzeit dauerte sehr lange, weil der Schulmeister aus Eitelkeit drey Gänge auftragen ließ, um seinen Brüdern, die es nicht so prächtig gemacht hatten, den Rang abzulaufen.

Nach diesem Festin äusserten die Gäste insgesammt eine große Ungeduld, das Stück des Sennor Thomas aufführen zu sehen. Denn sie zweifelten wie sie sagten, gar nicht, daß die Arbeit eines Mannes von so vielem Kopf, wie er wäre, nicht des Anhörens würdig sey. Wir näherten uns der Bühne, vor welcher sich die Musikanten bereits niedergelassen hatten, um in den Zwischenacten zu spielen.

Als jedermann im größten Stillschweigen den Anfang erwartete, erschienen die Schauspieler auf der Scene, und der Verfasser saß in der Coulisse, sein Gedicht in der Hand, damit er gleich einhelfen konnte. Er hatte es mit allem Recht ein tragisches Stück genannt, denn im ersten Act schoß der König von Marocco, zu seiner Belustigung, hundert Mohrensclaven mit Pfeilen todt; im zweyten hieb er dreyßig Portugiesischen Officieren, die einer seiner Hauptleute zu Kriegsgefangnen gewacht hatte, die 58 Köpfe ab, und endlich im dritten steckte dieser Monarch, seiner Weiber überdrüßig, einen freystehenden Palast, worin selbige eingeschlossen waren, in Brand, und verwandelte ihn und sie in Asche. Die Mohrensclaven sowohl als die Portugiesischen Officiere, waren ungemein künstlich verfertigte Figuren von Weidenreis, und der aus Pappe erbaute Pallast schien mittelst eines Feuerwerks in vollen Flammen zu stehen.

Diese Feuersbrunst, die durch ein Klaggeschrey begleitet wurde, das mitten aus den Flammen zu kommen schien, lößte den Knoten des Stücks auf eine sehr belustigende Weise. Die ganze Ebene hallte von dem Beyfallsgeklatsche wieder, das diesem schönen Trauerspiele gebracht ward. Hierdurch rechtfertigte sich denn des Dichters Geschmack hinlänglich, und es erhellte hieraus, daß er wohl verstand, was Waare für den Platz sey.

Ich bildete mir ein, nach den Zeitvertreiben des Mulei Bugentuf würd' es nichts mehr zu sehen geben, allein ich irrte mich. Pauken und Trompeten kündigten ein neues Schauspiel an; die Austheilung der Preise. Denn Thomas de la Fuente hatte, um das Fest noch feyerlicher zu machen, alle seine Schüler, sowohl Kostgänger als Nichtkostgänger, Ausarbeitungen verfertigen lassen, und am heutigen Tage sollten diejenigen, die es am besten gemacht, Bücher bekommen, die er für sein 59 eignes Geld in Segovien gekauft hatte. Sonach wurden plötzlich zwey lange Schulbänke auf's Theater gebracht, nebst einem Schrank, der mit saubergebundnen alten Knastern angefüllt war. Alsdann kamen alle Acteurs wieder auf die Bühne, und stellten sich um den Sennor Thomas, der sich ein recht feyerliches Rectorgesicht zu geben wußte. Er hatte einen Bogen Papier in der Hand, worauf die Nahmen derer standen, die Preise erhalten sollten. Er gab ihn dem Könige von Marocco, der ihn mit lauter Stimme ablas. Ein jeder Schüler, der genannt wurde, nahte sich ehrerbiethig dem Herrn Schulmonarchen, und empfing aus seinen Händen ein Buch; hierauf ward er mit Lorbeerzweigen gekrönt, und mußte sich auf eine von den beyden Bänken setzen, um der bewundernden Versammlung in den Augen zu seyn.

So begierig nun auch der Schulmeister war, seine Zuschauer befriedigt nach Hause zu senden, so konnt' er seinen Zweck doch nicht erreichen. Denn weil er die Preise fast alle an die Kostgänger ausgetheilt hatte, (wie dieß wohl zu geschehen pflegt) so geriethen die Mütter der übrigen Schüler hierüber in Feuer, und beschuldigten den Meister Schulfuchs der Partheylichkeit. So, daß dieß Fest, das bis diesen Augenblick so glorreich für ihn gewesen war, bey einem Haar einen so unglücklichen Ausgang genommen hätte, als das Fest der Lapithen. 60

 


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