Alain René Lesage
Gil Blas von Santillana
Alain René Lesage

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Siebentes Kapitel.

Gil Blas lernt von seinen Ordensbrüdern das Geheimniß, mit wenigen Kosten für einen witzigen Kopf zu gelten; was für einen seltsamen Eid sie ihn schwören lassen.

Auf diese Art fuhren die vier Herren fort, sich so lange zu unterhalten, bis Don Mathias, den ich unter der Zelt ankleiden half, im Stande war, auszugehen. Hierauf befahl er mir, ihm zu folgen, und all' diese Stutzer nahmen den Weg nach dem Gasthofe, wohin 101 Don Fernando de Gamboa sie zu führen Willens war.

Sonach ging ich, sammt noch drey andern Kammerdienern – denn jeder Cavalier hatte den seinigen bey sich – hinter ihnen her. Mit Verwunderung bemerkt' ich, daß diese Domestiken ihre Herren copirten, und die nähmlichen Mienen und Bewegungen annahmen. Ich grüßte sie, als ihr neuer Kamerad, sie mich wieder, und einer von ihnen, der mich einige Augenblicke betrachtet hatte, sagte zu mir: Bruder, ich merke aus Deinem ganzen Wesen, daß Du noch nie einem jungen Cavalier mußt gedient haben. Das hab' ich auch noch nicht, antwortete ich. Ich bin noch nicht lange zu Madrid.

Das spürt man, erwiederte er. Man sieht Euch gleich den Provincialen an. Ihr thut so schüchtern, so verlegen. Ihr seyd noch gar nicht recht abgehobelt. Allein das macht nichts; auf mein Wort, in Kurzem wollen wir's mit Euch so weit gebracht haben. Ist das Ernst? sagt' ich zu ihm. Völliger! Gebt uns den dümmsten Dorfteufel, wir wollen ihn Euch zustutzen, Darauf könnt Ihr Euch sicher verlassen.

Mehr braucht' er mir nicht zu sagen, um einzusehen, daß meine Kameraden recht gute Jungen waren, und daß ich in keine bessere Hände hätte gerathen können, um ein rechter artiger Kerl zu werden. Wie wir in dem Wirthshause ankamen, fanden wir das 102 Mittagsbrot völlig fertig, weil Sennor Don Fernando es gleich Frühmorgens zu bestellen die Vorsicht gehabt hatte. Unsre Herren setzten sich zu Tische, und wir hielten uns bereit, sie zu bedienen.

Ihre Unterredung athmete nichts, als Lustigkeit. Ich hörte mit dem größten Vergnügen zu. Ihr Character, ihre Gedanken, ihre Ausdrücke, alles belustigte mich. Welch Feuer hatte ihre Fantasie! Ich glaubte mich unter eine ganz andere Gattung von Wesen versetzt. Als das Obst aufgetragen war, besorgten wir die Tafel mit einer ansehnlichen Menge Flaschen, worin sich die besten Spanischen Weine befanden, und begaben uns nach einem kleinen Saale, woselbst man für uns gedeckt hatte.

Ich ward bald gewahr, daß meine Gespanne, die Herren Ritter vom bunten Achselbande, noch mehr Geschicklichkeiten besaßen, als ich ihnen anfänglich zugetrauet hatte. Sie nahmen nicht nur die Manieren ihrer Herren an, sondern äfften sogar ihre Sprache nach, und das glückte diesen Schurken so wohl, daß schier Maus wie Mutter war. Ich bewunderte ihr freyes und ungezwungenes Betragen; noch entzückter aber machte mich ihr Witz. Ich gab alle Hoffnung auf, jemahls so unterhaltend zu werden.

Don Fernando's Bedienter machte, weil sein Herr unsere Herren bewirthete, die Honneurs von der Tafel, und da er's an nichts 103 wollte fehlen lassen, rief er dem Wirthe, und sagte zu ihm: Geben Sie uns zehn Bouteillen von Ihrem besten Weine, und schreiben Sie selbige, wie gewöhnlich, auf unsrer Herren Rechnung. Recht sehr gern, lieber Herr Gaspar, antwortete der Wirth. Sie wissen aber wohl, daß Sennor Don Fernando mir noch von verschiedenen Mahlzeiten ein gar art'ges Restchen schuldig ist, sollten Sie mir nicht zu etwas von dem Gelde behülflich seyn können? . . . . .

O! unterbrach ihn der Kammerdiener, nur ganz unbesorgt wegen Ihrer Forderungen, dafür steh' ich Ihnen. Meines Herrn Schulden sind so gut, wie bar Geld. Wohl wahr, daß einige unhöfliche Gläubiger unsere Einkünfte haben mit Arrest belegen lassen; allein ehester Tage wird er aufgehoben, und dann bezahlen wir unsere Rechnung, sobald Sie sie uns geben, ohne sie weiter anzusehen.

Der Wirth brachte uns Wein, Trotz des Beschlages, und wir tranken auf dessen Aufhebung immer los. Alle Augenblicke ward eine Gesundheit ausgebracht, indem wir einander die Beynahmen unsrer Herren gaben Don Antonio's Bedienter nannte den von Don Fernando Gamboa, und Don Fernando's Bedienter den vom Don Antonio Centelles. Mich nannten sie ebenfalls Sylva, und in Kurzem hatten wir uns unter diesen 104 geborgten Nahmen so berauscht, als die Herren, die sie wirklich trugen.

Ob ich gleich nicht so hervorstach, wie meine Kameraden, so bezeigten sie sich dennoch mit mir zufrieden. Sylva, lieber Sylva, sagte einer von den dreyhärigsten zu mir, wir werden noch was aus Dir machen. Ich merke, Du hast viel Kopf, Du weißt das aber nur nicht recht zu zeigen. Aus Besorgniß, schlecht zu sprechen, schwatzest Du nicht in's Gelag hinein, und ich muß Dir sagen, viele Tausende erwerben sich heut zu Tage den Nahmen, schöner Geist, bloß dadurch, daß sie dreist in den Tag hinein plaudern. Willst Du brilliren, so mußt Du Dich ganz Deiner Lebhaftigkeit überlassen, und mit allem herausplatzen, was Dir vor'n Schnabel kommt. Deine Unbesonnenheit wird man für eine edle Dreistigkeit halten. Und bringst Du auch unter hundert albernen Einfällen nur einen einzigen gescheidten zu Markte, so vergißt man darüber all' das andere dumme Zeug, behält bloß den letzten, und faßt von Deiner Geschicklichkeit einen hohen Begriff. Den Weg schlagen unsre Herren ein, und mit Glück ein, und Jedweder, der sich nur einigermaßen als Kopf zeigen will, muß es eben so machen.

Ausserdem, daß ich gern für einen witzigen Menschen wollte gehalten seyn, schien mir das Kunststückchen, wodurch man es werden konnte, so kinderleicht, daß ich es auf der Stelle zu 105 probieren beschloß. Die Probe fiel – dem Weine sey's Dank – recht glücklich aus. Ich schwatzte in die Kreuz und in die Quer, nichts gehauenes, nichts gestochenes, und war so glücklich, unter ein Schock Albernheiten etliche witzige Einfälle zu mischen, die gar mächtiglich beklatscht wurden. Dies Probstück gab mir Muth. Meine gewöhnliche Munterkeit stieg, ich brachte noch einige Schwänke hervor, und das Ungefähr fügte es, daß sie gut geriethen.

Nun, sagte derjenige von meinen Mitbrüdern zu mir, der mich auf der Straße zuerst angeredet hatte, fängst Du nicht an, Dich auszumausten? Bist noch keine zwey Stunden bey uns, und schon ein ganz ander Geschöpf, als zuvor. Du wirst Dich täglich zusehens ändern. Du siehst nun, was das sagen will, bey Standespersonen dienen. Das witzigt. Beym Philisterkrope bleibt man stumm und dumm. Richtig, so ist es, antwortete ich; auch will ich mich hinfüro ganz allein dem Dienste des Adels widmen. Sehr gut gesagt! rief Don Fernando's Bedienter, der bereits einen kleinen Hieb weg hatte. Solche Genies, wie uns, in Diensten zu haben, muß das Philisterzeug sich gar nicht einfallen lassen. Kommen Sie, meine Herren, lassen Sie uns schwören, nie diesen Schuften zu dienen. Lassen Sie uns beym Styx schwören. Wir klatschten ihm Beyfall 106 zu, und mit dem Glase in der Hand thaten wir diesen drolligen Schwur.

Wir blieben so lang' an der Tafel, bis es unsern Herren gefiel, wegzugehen. Es war Mitternacht. Meine Kameraden wunderten sich über die übergroße Mäßigkeit nicht wenig. Allein diese Herren verliessen, die Wahrheit zu sagen, bloß darum den Gasthof so frühzeitig, um zu einer berühmten Kokette zu gehen, die unfern dem Schlosse wohnte, und deren Haus Tag und Nacht den Söhnen der Freude offen stand.

Sie war fünf und dreyßig bis vierzig Jahre alt, noch vollkommen schön, unterhaltend, und in der Kunst zu gefallen so wohl bewandert, daß sie – wie man sagte – den Ueberrest ihrer Reitze weit höher anschlug, als sie es mit deren Erstlingen gethan hatte. Es befanden sich stets zwey bis drey Koketten aus der ersten Classe bey ihr, die zu dem großen Zusammenflusse der dort hinströmenden Cavaliere nicht wenig beytrugen. Sie spielten den Nachmittag daselbst, soupirten den Abend allda zusammen, und brachten die Nacht in größter Fröhlichkeit und unter Zechen zu.

Unsre Herren blieben dort bis an den lichten Morgen, und wir auch, ohne daß uns die Zeit lang wurde. Denn indeß sie mit den Herrschaften waren, kurzweilten wir bey den Mädchen. Endlich schieden wir mit 107 anbrechender Morgenröthe insgesammt auseinander, und jeder ging seines Weges nach Hause und zur Ruhe.

Nachdem mein Herr, wie gewöhnlich zu Mittage aufgestanden war, ließ er sich durch mich ankleiden, und ging nebst mir aus. Er besuchte den Don Antonio Centelles, bey dem wir einen gewissen Don Alvaro de Acuna antrafen, einen graugewordenen Professor der Schwelgekunst, zu dessen Füssen alle junge Leute sitzen gingen, die guten Ton lernen wollten. Er schuf sie zu echten Kindern der Freude, lehrte ihnen in der Welt glänzen und ihr Vermögen in alle vier Winde zerstieben. Ihm durfte nicht bange seyn, daß das seinige eben den Weg gehen möchte; bey ihm war schon längst reine Bahn.

Nachdem sich diese drey Cavaliere umarmt hatten, sagte Centelles zu meinem Herrn: Du kommst recht à propos Don Mathias! Don Alvaro will mich zu einem Dinee mitnehmen, das ein gewisser Bürger dem Marques von Zeneta, und dem Don Juan von Moncade gibt. Du mußt beym Teufel mit von der Partie seyn. Wie heißt der Bürger? sagte Don Mathias.

Gregorio von Noriega, antwortete Don Alvaro. Mit zwey Worten sollt Ihr den ganzen Kerl kennen lernen. Sein Vater, ein reicher Juwelier, ist in ferne Lande gezogen, 108 Edelgesteine einzuschachern, und hat dem Knaben ansehnliche Einkünfte hinterlassen. Gregorio ist ein Gimpel, der sehr die Miene hat, sein Vermögen in Kurzem durch die Gurgel zu jagen, der den Petitmaitre, und der Natur zum Trotz den witzigen Kopf spielen will. Er hat mich gebethen, sein Führer zu seyn. Ich bin es geworden, und kann Ihnen versichern meine Herren, daß ich ihn auf den rechten Weg bringe. Sein Vermögen schmilzt bereits ziemlich zusammen.

Kein Zweifel! sagte Centelles. Ich sehe den Menschen schon im Armenhause. Kommt, Don Mathias, fuhr er fort, laßt uns mit dem Wichte Bekanntschaft machen, und zu seinem Ruine das Unsrige beytragen. Von ganzem Herzen, antwortete mein Herr. Auch lieb' ich nichts mehr, als das Glück jener junkerirenden Spießbürgerchen untergraben zu helfen, die sich einbilden, man verwechsle sie mit uns. Nichts z. B. erfreut mich mehr, als der Sturz jenes Zöllnersohns, den das Spiel und die Eitelkeit, neben Großen zu figuriren, so weit herunter gebracht haben, daß er sein Haus verkaufen müssen. O der ist nicht zu bedauren! erwiederte Don Antonio. Er ist jetzt im Elende noch so sehr Geck, als zuvor im Wohlstande.

Centelles und mein Herr begaben sich also sammt dem Don Alvaro zum Gregorio von Noriega. Mogicon und ich 109 gingen auch mit, erfreut, dort für nichts und wieder nichts eine gute Schnabelweide zu finden, und zum Untergange des Bürgers das Unsrige beytragen zu können. Beym Eintritte wurden wir eine Menge Leute gewahr, die mit Zubereitung des Mittagsessens beschäftigt waren, und der Geruch, der aus den Speisen düftete, bestach im Voraus unsern Geschmack. Der Marques von Zeneta und Don Juan von Moncade waren eben angekommen. Der Herr vom Hause schien mir ein gewaltiger Pinsel zu seyn. Umsonst war er bemüht, sich gleich einem Petitmaitre zu benehmen. Er war eine herzlich elende Copie dieser vortrefflichen Originale, oder um ihn mit einem Worte ganz darzustellen, ein wahrer FoppFopp, ein Alt-Sächsisches Wort, das die Engländer aufbehalten haben, und das wegen seines Nachdrucks zur Wiederaufnahme empfohlen zu werden verdient; das Stammwort von foppen, Fopperey und Fopper, die seit einiger Zeit bey uns mit Recht wieder in Gang gebracht worden sind. Es bezeichnet einen albernen, läppischen, geschwätzigen Menschen, der entweder sich aufziehen läßt oder andre aufziehen will. S. Bremisch-Niedersächsisches Wörterbuch.. Denken Sie Sich ein solch Geschöpf mitten unter fünf Spöttern, die insgesammt die Absicht hatten, ihn zu schrauben und ihn in große Unkosten zu stürzen. 110

Nachdem die ersten Complimente gewechselt waren, sagte Don Alvaro: Ich stelle Ihnen meine Herren, hier in dem Sennor Gregorio von Noriega, einen der vollkommensten Cavaliere vor, einen Mann, der tausend schöne Eigenschaften besitzt; einen Geist hat, der nicht besser angebaut seyn könnte. Prüfen Sie ihn, worin Sie wollen. Er ist in allen Materien gleich stark; von der strengsten Logik an bis zur Orthographie herab. Zu viel Ehre, gnädiger Herr, zu viel Ehre! antwortete der Bürger mit einem freundlichgrinsenden Gesicht. Da kann ich Sie mit Ihrem eignen Fette beträufeln, das ist eigentlich auf Sie gemünzt, nicht auf mich, Sennor Don Alvaro. Sie sind das, was man einen Schöpfbrunnen der Gelehrsamkeit nennen kann. Ich war nicht gesonnen, versetzte Alvaro, mir einen so sinnreichen Lobspruch zuzuziehen; aber in Wahrheit, meine Herren, fuhr er fort, Sennor Gregorio wird sich unfehlbar einen Nahmen in der Welt machen.

Was mich, meiner Seits, sagte Don Antonio, am meisten an ihm entzückt, was ich sogar noch über seine orthographischen Kenntnisse setze, ist die Einsicht, mit welcher er seine Gesellschaften wählt. Sein Umgang schränkt sich nicht auf Personen bürgerlichen Standes ein, vielmehr will er statt deren bloß junge Cavaliere um sich haben, ohne sich darum zu kümmern, was ihm das mehr kostet. Dieß verräth eine 111 Erhabenheit in seinen Gesinnungen, die mich bezaubert, und das nennt man mit Geschmack und mit Besonnenheit Aufwand machen.

Diese ironische Reden waren bloß der Vortrab von unzählig andern. Der arme Gregorio ward gar jämmerlich herumgenommen; gar kläglich vom Witze seiner Gäste zerzaust. Jeder der jungen Herren gab ihm nach der Reihe einen tüchtigen Hieb, ohne daß der Dummkopf es fühlte. Er nahm vielmehr alles, was man ihm sagte, buchstäblich, und schien mit seinen Gästen höchst vergnügt. Er mochte sich wohl einbilden, durch dieß Aufziehen erzeigten sie ihm eine ungemeine Ehre. Kurz, sie spielten, so lange sie am Tische waren, Fangball mit ihm, und blieben den Ueberrest des Tages und die ganze Nacht hindurch da. Wir sowohl wie unsere Herren tranken, als befänden wir uns in Feindes Land, und waren gar artig zugedeckt, als wir den Bürger verließen.

 


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