Alain René Lesage
Gil Blas von Santillana
Alain René Lesage

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Zweytes Kapitel.

Gil Blas und sein Gefährte treffen auf einen Mann, der Brotrinden in einen Quell tunkte; wovon sie sich mit ihm unterhielten.

Sennor Diego de la Fuente erzählte mir noch mancherley Abenteuer, die ihm nachher aufgestoßen waren, die ich aber insgesammt mit Stillschweigen übergehen will, weil sie mir nicht von Belang scheinen. Ich indessen mußte bey deren Erzählung, die sich ziemlich in's Lange zog, Stand halten. Wir waren darüber bis nach Ponte de Duero gekommen, in welchem Flecken wir uns den Ueberrest des Tages aufhielten. Wir ließen uns im Wirthshause eine Kohlsuppe machen, und einen Hasen, den wir erst auf's sorgfältigste besichtigten, an den Spieß stecken. Mit grauendem Morgen setzten wir unsern Weg weiter fort, nachdem wir vorher unsern Schlauch mit ziemlich gutem Wein, und unsern Sack mit einigen Stücken Brot und dem halben Hasen, dem Ueberrest unsrer gestrigen Abendmahlzeit, angefüllt hatten.

Als wir ungefähr zwey Meilen gemacht hatten, meldete sich starke Eßlust bey uns, und da wir zweyhundert Schritte von der Landstraße verschiedene dicke Bäume gewahr wurden, die in's Feld einen gar angenehmen Schatten warfen, 44 gingen wir nach diesem Orte hin, um daselbst Halt zu machen. Wir fanden dort einen Mann von sieben bis acht und zwanzig Jahren, der Brotrinden in einen Quell tauchte. Neben ihm lag ein langer Raufer und sein eben abgeladener Schnappsack im Grase. Er schien uns wohlgewachsen und wohlgebildet, sein Anzug aber kläglich. Wir redeten ihn höflich an, er dankte uns auf eben die Art, hierauf both er uns seine Krusten an und fragte lachendes Mundes: ob wir seine Gäste seyn wollten? Wir gaben zur Antwort: Ja, wenn er erlauben wollte, daß wir, um das Mahl vollständiger zu machen, noch unser Frühstück dazu thun dürften. Er willigte hierein herzlich gern, und wir kramten sogleich unsre Victualien aus. Das mißfiel dem Unbekannten gar nicht.

Ha! rief er voller Entzücken, das nenn' ich doch Mundvorrath! Sie sind, merk' ich, sehr vorsichtig, meine Herren. Ich pfleg' es bey meinen Reisen nicht so zu halten; ich lass' es sehr auf's Glück ankommen. Gleichwohl mach' ich unterweilen, in so kläglichem Zustande Sie mich auch jetzt sehen, ohn' alle Ruhmredigkeit gesagt, eine ziemlich glänzende Figur. Wissen Sie wohl, daß man mich gewöhnlichermaßen Prinz zu tituliren pflegt, und daß ich eine Leibwache hinter mir habe? Ich verstehe, sagte Diego, Sie wollen uns dadurch einen Wink geben, daß Sie Komödiant sind. 45 Errathen! erwiederte jener, und das wenigstens seit funfzehn Jahren. Ich war noch ein Kind, als ich bereits in Knabenrollen auf der Bühne erschien. Kann's, die Wahrheit zu sagen, kaum glauben, sagte der Barbier kopfschüttelnd. Ich kenne die Komödianten. Die Herren reisen nicht wie Sie, zu Fuße, und halten keine Sanct-Antoniusmahlzeiten. Ich glaube kaum, daß Sie Lichtputzer sind. Mögen Sie doch von mir denken, was Ihnen beliebt, antwortete der Schauspieler, ich mache demungeachtet die ersten Rollen; spiele die primo amoroso's. Wenn das ist, sagte mein Reisegefährte, so wünsch' ich Ihnen dazu Glück, und bin erfreut, daß Sennor Gil Blas und ich die Ehre haben mit einem Manne von solcher Bedeutung zu speisen.

Nunmehr hoben wir an unsre Krusten und die kostbaren Ueberbleibsel des Hasens aufzuschmausen, wobey wir unserm Schlauche so tapfer zusprachen, daß wir ihn in Kurzem ausgeleert hatten. Diese ganze Zeit über waren wir alle drey so beschäftigt, daß wir fast kein Wort aufbrachten. Sobald unser Mahl geendigt, nahmen wir folgendermaßen den Faden des Gesprächs wieder auf.

Ich wundre mich, sagte der Barbier zum Komödianten, daß Sie Sich nicht mehr in's Zeug geworfen haben. Für einen Theaterheld sehen Sie gar schofel aus! Verzeihen Sie mir's 46 daß ich so grade 'raus rede. So grad 'raus? rief der Acteur. Ah! wahrhaftig! da kennt Ihr den Melchior Zapata noch nicht. Der ist Gottlob! nicht so hitzig vor der Stirn. Mich freut's vielmehr, daß Sie so grade von der Leber wegreden, denn ich nehm' auch nicht gern ein Blatt vor den Mund. Reich bin ich nicht, das gesteh' ich ganz treuherzig. Sehen Sie, sagt' er, und wies uns das Innere seines Wamses, das mit Komödienzetteln ausgeschlagen war, das ist mein gewöhnliches Unterfutter, und haben Sie Lust und Belieben, meine Garderobe zu sehen, so will ich sie Ihnen produciren.

Mit diesen Worten nahm er aus seinem Schnappsack ein Kleid mit unechten alten silbernen Borten besetzt, einen elenden Huth mit einigen alten Federn, seidene Strümpfe voller Löcher und herzlich abgetragene rothsaffianene Schuhe. Sie sehen wohl, fuhr er fort, daß ich so ziemlich Bettler bin. Worüber ich erstaune, erwiederte Diego Haben Sie denn keine Frau, keine Tochter? Ein junges, schönes Weibchen, versetzte Zapata, und ich bin deßhalb doch keinen Schritt weiter. Bewundern Sie mein unglückliches Verhängniß. Ich heirathe eine liebenswürdige Actrise, in der Hoffnung, sie werde mich nicht Hungers sterben lassen, zu meinem Unglück aber ist sie so keusch wie die Susanne. Wer Teufel hätte nicht so 47 gut können angeführt werden, wie ich? Unter den herumziehenden Truppen muß es ein tugendhaftes Mädchen geben, und die muß grade mir in die Hände kommen. Die Würfel fallen auch recht schlimm für Sie, sagte der Barbier. Allein, warum nahmen Sie denn nicht eine Actrise von der großen Madridter Truppe? Sie würden gewiß da eh'r Ihre Rechnung gefunden haben.

Zugegeben! erwiederte der Schauspieler. Aber verdammt! bis zu denen berühmten Heldinnen darf kein armer Schäcker von Provinzialkomödianten sein Haupt empor zu heben wagen. Das würde höchstens ein Mitglied der Prinzlichen Truppe thun dürfen. Auch sind diese noch oft genöthigt, sich was Liebes aus der Stadt zu hohlen; zu gutem Glücke hat man daselbst das Aussuchen, und findet Mädel darin, die wohl den Coulissenprinzessinnen gleich wiegen.

Haben Sie denn nie darauf gedacht, sagte mein Gefährte, bey dieser Truppe anzukommen? Muß man denn so ausserordentliche Verdienste haben, um dahin zu gelangen? Ausserordentliche Verdienste? antwortete Melchior. Hm! spassen Sie! Es gibt dort zwanzig Acteurs. Erkundigen Sie Sich mahl beym Publicum nach selbigen. Es wird ihnen ein gar art'ges Liedchen davon vorsingen. Mehr als die Hälfte derselben verdiente noch den Schnappsack zu tragen. Demungeachtet hält's nichts 48 destoweniger schwer, bey ihnen aufgenommen zu werden. Batzen, und mächtige Freunde gehören dazu, um mittelmässigem Talente emporzuhelfen. Ich muß das wissen, weil ich zu Madrid eben debütirt habe.

Ich bin dort ausgepfiffen und gepocht worden wie all' der Teufel, und hätte doch den lautesten Beyfall verdient, denn ich kreischte, nahm die unsinnigsten Töne an, und ging unzähligemahl aus der Natur; noch mehr, ich fuhr beym Declamiren meiner Prinzessinn mit der Faust unter die Nase; mit Einem Worte, ich spielte im Geschmacke der größten dortigen Acteurs. Und doch konnte eben das Publicum, das alles dieß bey jenen ungemein göttlich findet, es bey mir nicht leiden. Soviel vermag das Vorurtheil! Da ich also durch mein Spiel nicht gefallen können, und auch das nicht hatte, wodurch ich, trotz meiner Pfeifer und Pocher wäre aufgenommen worden, so kehr' ich wieder nach Zamora zurück, wo ich meine Frau und Kameraden hinterlassen habe, die dort gewiß keine Seide spinnen. Möchten wir doch daselbst nicht um einen Zehr- und Reisepfennig ansprechen dürfen, wie's uns schon mehr denn einmahl gegangen ist.

Mit diesen Worten stand der Tragödienprinz auf, nahm seinen Schnappsack und Degen wieder, und sagte, indem er uns verließ, mit gravitätischer Miene: Gehabt euch wohl, 49 meine Herren! möchten doch die Götter das ganze Füllhorn ihres Segens über Euch ausleeren! Und möchtet doch Ihr, antwortete Diego in gleichem Tone, zu Zamora Eure Frau finden, völlig verwandelt und wohlversorgt.

Sobald uns Sennor Zapata die Fersen zugewandt hatte, fing er an zu gesticuliren und zu declamiren. Gleich hoben wir, der Barbier und ich, an ihn auszupfeifen, um ihn an seinen Probeauftritt zu erinnern. Unser Pfeifen fiel ihm in's Ohr; er glaubte noch die Madridter Pfeifen zu hören. Er blickte um, und da er merkte, daß wir uns auf seine Kosten lustig machten, nahm er, statt über diese Schnurre böse zu werden, selbst Antheil an der Schäkerey, und wanderte unter dem herzlichsten Gelächter seines Weges. Wir unserer Seits schütteten uns aus, daß es eine Art hatte; hierauf schlugen wir uns wieder nach der Landstraße hin, und setzten unsern Weg fort.

 


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