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XVIII

Im Bett der toten Maminka, hinten im Winkel, lag Blaugast und konnte es nicht mehr verlassen. Der Straßenunfall, dessen Opfer er wurde, hatte keine sichtbaren Folgen bewirkt. Aber eine Verletzung des Rückenmarks beraubte ihn des Gebrauches der ohnehin ungenügend beweglichen Glieder. Ohne Einspruch, ein von der Sense des Schnitters gemähtes Bündel, ließ er sich in das Flurkabinett tragen, das fortan die Heimstatt war, die man ihm spendete.

Johanna hatte den Erker, der den Gelähmten barg, von einem Tischler verschlagen lassen. Besucher, die bei ihr vorsprachen, um in der Umarmung der Willigen flüchtige Lüste zu büßen, hörten zuweilen das unterdrückte Geschwätz, das Geplapper eines verworrenen Traums hinter der Holzwand.

»Wer ist hier nebenan?« – fragten sie mißgestimmt, verärgert darüber, daß jemand das sorgsam behütete Ungefähr ihrer Entspannung belauschte.

»Das ist niemand, der stört« – besänftigte sie Johanna.

»Er ist ja ganz brav und braucht dich nicht zu bekümmern. Es ist nur mein kranker Bruder.«

Der Dienst, den sie auserwählte, wog zentnerschwer neben dem andern. Sie wusch und pflegte den Krüppel, benetzte die schweißkalte Haut mit Essig, wenn mit dem Wetterumschlag die Schmerzen kamen, um die Nacht zur Hölle zu wandeln. Sie saß bei ihm, wenn seine Delirien das Kruzifix beschimpften, das drüben am Wandnagel hing, legte den Finger auf seine Schläfen, streichelte seine Haare. Sie las aus der Bibel die Kapitel des Hiob vor, der mit Krusten bedeckt in der Asche hockte und seine Schwären mit einem Scherben schabte. Wie ihn die Freunde beschauten, bitterlich weinten und ihre Kleider zerrissen. Wie seine Klage den Tag verschwor, darin er geboren wurde, und die Nacht, welche meldete: Es ist ein Männlein empfangen! Ihre Stimme stockte vor der Botschaft der Psalmen und vor der Weisheit des Predigers. Ein Engel breitete seine Fittiche aus, und Blaugast entschlummerte.

Dann wieder war es das Untier im Unterleib, das sich dräuend verkrallte. Johanna mußte die Bettschüssel holen, schwesterlich einen Einlauf machen, seinen Rumpf aus den Kissen heben, mußte ihn wenden und säubern. Das Erbe, das sie bestellte, wurde durch solches Tun nicht verkleinert. Langsam, ohne daß sie es merkte, tauchten die Tage in einen Abschein hinein, nach dem sie zeitlebens hungrig gewesen.

Das Geld, das ihre Küsse belohnte, verlor seinen ungesegneten Ursprung. Sie brachte lindstillende Mittel ins Haus, Tabletten in goldgelb gefärbten Zylindern, die der Wattebausch vor den Dünsten der Zimmerluft schützte, die Blaugast gehorsam schluckte. Sie kaufte Delikatessen ein, Lockspeisen für seinen verwüsteten Appetit, gewürzte Fische und überseeische Früchte, deren Aroma ihn reizte. Aus der Markttasche, die der Kaufmann ihr füllte, lugten die rotgesiegelten Hälse der Melniker Schloßkellerei, rundleibige Fläschchen, die wie freundliche Tintenfässer auf dem gedeckten Tische standen, wenn sie ihn fütterte. Blaugast nahm eine Banane und enthäutete sie. Unter dem dicken, lederartig gefleckten Kleid kam der Kern zum Vorschein, der sich weich und bestrickend anbot, wie der Körper einer nackten Frau. Er fuhr mit der Zunge über das Fleisch und kostete. Jetzt war er geborgen. Was konnte ihm noch geschehn, und wo war Schobotzki? Seine Furcht zerging und zerfiel, wie das Medikament auf dem Löffel, tröstlich und allesversprechend. Nun war er sicher. In kleinen Schlucken trank er den duftenden Rotwein.

Von unten her, Brandung des Weltmeers gegen Korallensteine, drang das Murren der Straße. Es kam aus der Weite, endgültig abgetan, kraftlos und ohne Gefahren. Ein asthmatischer Motor bollerte hüstelnd, der Abend machte die Antrittsvisite, polierte die Bretter des einzigen Käfigs mit seinen Reflexen. Blaugast war viel allein. Er lag auf dem Rücken, hatte die Hände über der Brust gefaltet und wartete. Johanna mußte den Vorteil wahrnehmen, der ihren Profit verdoppelte. In den Soldatenkneipen, in den Herbergen unzweideutigen Rufs wehte lüstern ihr Röcklein. Der Umsatz, den sie erzielte, reichte für zwei.

Die Leidenschaft, mit der sie sich hingab, steigerte ihren Kurswert. Zwar war es Trugwerk, das sie den Männern bereitete. Ihr Herz ging abgestorben und friedlich einen vereinsamten Weg, aber die Feuerhitze des Blutes lief als ekstatische Welle über den Leib, der den Partner beglückte. Sie mußte nehmen, was das Leben ihr reichte. Unheilige Gegenwart, grenzenlose Verschenkung und das Gefängnis der Träume. Ein Wunder, das sie niemals verriet, wachte an seinem Steintor.

Wenn sie verfroren vom Wind, abgehetzt und ermüdet nach Hause kam, die tabakgebeizten Kleider über den Bügel schlichtete, war Blaugast meist ruhig. Die Zeit vor dem Morgenanbruch war seine bekömmlichste Stunde. Von der Erschöpfung gedämpft, die ihm sein Nachttrunk gewährte, rasselte steif sein Atem. Johanna lauschte ein wenig, hüpfte mädchenhaft in ihr Hemd und huschte unter die Decke. Dann geschah es zuweilen, daß Blaugast die Klage vernahm, mit der sie ihr Lämpchen verlöschte. Gestaltlos blies ihn ein Flüstern an, das Wort, mit dem sie den Schützling verteidigte, das er im Halbschlaf erhorchte.

»Johanna!« – rief er ins Finstre.

»Sag es noch einmal, Johanna! – Ich bitte dich, sag es mir. Bin ich dein kranker Bruder?« –

Überwältigend unbedingt, eingesargt in den Glanz des Gestirnes, der es niemals gewagt hatte, zur Liebe zu werden, kam ihre Antwort:

»Ja, Klaudius Blaugast, du bist es.«

 


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