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VIII

In einer Nacht, die sich groß und erbarmungslos vor ihm öffnete, die heißer als sonst seinen Schlaf begrub und mit Signallichtern über Wolfsschluchten gaukelte, hatte Blaugast einen Traum. Es war ein Feld, das sich feierlich weitete, ein Himmel, der ungeheuer war, ein Horizont, den Tiefe verlöschte. Ganz fern, mit kohlenden Schatten und Gemurmel, war der Urwald. Blaugast erkannte ihn an der Furcht, die ihn anrührte, wenn er dem Worte in Knabenbüchern der Kindheit begegnete. Der Urwald war bös und geheimnisvoll. Angst brüllte aus Raubtierkehlen langgezogen im Finstern, Verlassenheit des Verirrten tappte nachtblind im Bogen, krallte Fingernägel in brechende Baumrinde. Mit Mißbehagen und Grauen hörte er sein Gemurr, in das sich ein Keuchen mischte, das ihm vertraut war. Keuchte nicht Brunst, wenn sie ihr Opfer überfiel, blutgeile Wut in der Gummizelle? Zutiefst entriegelt, zwiespältig und im Zweifel, verstand er jählings, was es bedeutete. Der Urwald marschierte. Wie Flut und Brandung tauchte es darin höher, Leiber schoben sich zudringlich vor, Gesichter, mit stechender Helle bemalt, verflammten feig im Gedränge. Mit Lastern und Flüchen, traumgelber Dämmerung, rückte es näher. Das war die Stunde am Rande der Zeit, wo tagscheuer Spuk wie ein Kadaver aufbrach, turbulente Narrheit, Gestank und Verzweiflung. Der Wald der Verurteilten war auf dem Wege. Unübersehbar trabte der Zug, quoll tückisch aus kreisrunder Ewigkeit. Da gingen Frauen, denen Schweiß die Schminke von den Lippen gewaschen hatte, Männer im zerknitterten Frackhemd, denen auf hündischer Larve ein Lächeln klebte. Unflat und Atem brodelten gemein, Schwachsinnige kicherten lumpig, Seufzer, von Unsagbarem unterhöhlt, hemmten die Füße der Schreitenden. – – – Allen voran lief ein Weib. Ihr Kleid, unsauber bizarr, schlampte wie eine Fahne um den dürren Körper. Die Brauen waren von übel gebrannten Locken vermummt, der Unterkiefer, zahnlos gelockert, schlotterte haltlos. Hinter ihr höhnte und hetzte es, Hände wuchsen aus dem Tumult, haschten die Fliehende. Und ein Geraune, undeutlich im Anfang, folgte ihr auf dem Fuße, schürfte in hastig vertretenen Schuhen den Knöchel wund, spritzte Pfützen nach zappelnden Dirnenbeinen. Es war ein Schrei, der hinter ihr aufstand, unerbittlich über den Acker stolperte, der sie nicht losließ: Du bist an der Reihe! Du mußt es bekennen! – – – Sturmlauf der Schadenfreude trampelte hinter ihr her, millionenfach überwölbt von betulichem Gewisper. Der Urwald hatte sich aufgemacht, Schande der Kreatur brach aus der Hürde, wieherndes Publikum trieb sie in seinen Bereich. – – – Hundsföttchen du, das so flink über Kotlachen turnt, bleib stehn und zeig uns dein Antlitz! – – – Glaubst du, daß du entläufst? – – – Hoho! – – – Hihi! – – – Du bist an der Reihe – – – – – – – – Mit einem Ruck, der Übereifrige taumeln machte, hielt plötzlich der Schwarm, hob Augen zu seiner Beute. Das Weib vor ihnen hatte kehrtgemacht, irgendwoher kam ein Lichtkegel aus grauem Gewölk und hüllte sie ganz in Feuer. Sie stand, ihr ausgemergeltes Gesicht versteinte, als ihre Stimme sich reckte:

Seid Ihr alle beisammen, die nach der Beichte gelüstet? Ist das Tribunal zur Stelle, das sich berufen fühlt, mich zu richten? O, habt keine Bange, daß es nicht ehrlich zugehn könnte! – – – Ich bin nicht wie Ihr, ich knausere nicht mit dem Schmutz. Seid Ihr bereit, ihn zu schmecken? Ich kenne Euch, Handlanger der Infamie, nichtswürdige Bediente Eurer verblasenen Wollust. Ihr habt mich erniedrigt, bespeichelt, entehrt, Ihr wart Mitmenschen in einer Welt, die mich verleugnete. Das war eine Welt, die Eurer würdig war. Wißt Ihr denn, wie so ein Leben verläuft, geknebelt, geplündert, immer im Kot, in der Kloake, im Dunkeln? O nein, Ihr wißt es nicht. Ihr seid in Euren Kontoren gesessen, habt Bäuche an wichtigen Schreibtischen gewetzt und Eure Gedanken waren geölt mit dem schmierigen Saft langer Weile. Aber meine Gedanken? – – – Immer zum Sprung bereit, am Unbegreiflichen rüttelnd, dem ich verfallen war. Das ist die Erde. Ausgeschlossen sein von allem, was leuchtet und brennt, in lauwarmen Gärten duftet, in Konzerten mitklingt. Immer zur Seite stehn, wenn Befugte die Feste feiern, von Sauberkeit dampfen, im Tempo erlernter Faxen schmarotzen. Kennt Ihr denn, was das ist, eine Hurengasse? Der Abend ist schwarz, von Geschwüren verglast, das Zimmer kalt mit rußtrüber Lampe. Da geht man im Schritt die Häuser entlang, Schnee tänzelt nüchtern zwischen frechen Laternen, Regen fällt in den Dreck, Dunstnebel lauert, Sturm fährt zwischen die Beine – – – Aber das ist es nicht, auch nicht der Hunger, auch nicht die Zeit, wo man im Frost unter dem Brückenpfeiler nächtigt. Aber, daß ich Euch feil war, armseligen Schleichern im Miste der Kümmernisse, ich, die aus Abgründen kam, das war furchtbar. Nicht, daß mich Sünde entsetzte. Da waren welche mit verdorbenem Blut, gestachelt, genarrt von uferlosem Drange. Ich nahm sie auf, verschwistert mit ihnen, erschüttert von ihrer Bürde. Da war einer, der mich an den Haaren über die Dielen schleifte, bevor er mich liebte, einer, der mein Gesicht mit Unrat befleckte, der Lust darin fand, zu beleidigen. Da war der Mann, der abends in meine Stube kam, um zu töten. Ich sah sein Gesicht, Wunschqual der Tat, Mitleid, irrblütiger Schmerz ließ mich erzittern: Tu's nicht, tu's nicht! – – – Du bist ja mein Bruder – – – Seht Ihr, so war der Mann, den ich liebte. Er kam aus der Nacht, Gespenster fielen ihn an, wenn er allein war. Wenn er mich küßte, rauschte Tod nebenan, er war ein Einsamer, einer, den die Welt verstieß, er gehörte zu uns, zu mir, zu der Gilde. Und Ihr? – – – Ihr habt unterdessen von Pflichten geschwatzt, Fibelworte geplappert und Eure Weiber beim Wohltätigkeitstee mit sozialen Fragen beschäftigt. Keiner von ihnen kannte, was mein tägliches Brot war, Marter des Geschlechts, Pulsschlag der Reue, Menschentum, das entwürdigt am Fußboden kriecht, Liebe, die vor die Hunde geht, Geruch der Mitternacht, Trunkenheit, die ohne Bewußtsein im Schlafe versandet, aber alle rafften die Röcke, wenn ich vorbeikam, edelsinnig und liberal in der Distanz, die mir zukam. Nur Ehegatten, die sich in die Gasse verirrten, verloren im Lotterbett den honorigen Ernst ihrer Kreise. Sie zahlten Miete und Mittagbrot, und ich war die Frau ihrer Freuden. – – – – – – – – Dann kam der Tag, den Gott für mich aufgespart, weil ich ausspie vor seinen Bildern. Und die Erde öffnete nicht den Schlund, der Donner blieb stumm vor der Stunde. Es war der Tag, an dem ich mein Kind erdrosselte. Ja, ja, das gibt's, das geschieht in der Welt, das tun Menschen, Mütter mit ihren Händen. Ein Kind, nicht wahr, ist friedlich und süß, kann Rührung und Seligkeit bedeuten. Es wächst heran, ist braun oder blond, heißt Walter, Heinz oder Hanne. Geburtstage kommen, auf den Kuchenteller sind Kerzen gesteckt, der Puppenwagen hat Vorhänge aus blauem Batist, das Schaukelpferd rumort in der Kammer. Aber was soll ein Mädel wie ich mit dem Kinde? Soll es zusehn, was seine Mutter treibt, tagaus, tagein mit den Männern? Soll es mit frühreifen Augen grausam verstummen, wenn in der Schulbank Geflüster umgeht? Da hat man's zur Welt gebracht, allein, wie ein Tier, in der Nacht, ohne Hilfe. Da liegt es, noch blutig, dünn und verschrumpft, ganz winzig, ganz kläglich. Wo bin ich? – – – Wie ist mir? – – – Fort, fort damit, eh es der Hauswirt erfährt, nur hurtig, um Gotteswillen. Es hat ja nicht weh getan, meiner Seele, es hat nur ein bißchen geschluckt, wie ich das Hälslein zerdrückte. Dann hab ich's in die Klosettröhre gesteckt, dann war es vorbei und erledigt. Zuletzt war nur noch der Arm zu sehn, ein Kinderarm mit verkrampften Fäustchen. Ich hätt' es doch lieber Walter genannt, es war ja ein Bub, ein so schöner. Und vor der Schule hätt' ich auf ihn gewartet mit Butterbrot und rotbäckigem Apfel. Ich hab ihn umgebracht, es mußte ja sein, er war mir nicht böse, mein Walter. – – – Aber seht Ihr, seither hat alles um mich einen Sinn gehabt. Jeder Morgen, giftbitter und fahl, der nach Nächten graute, die Mörderin, Mörderin, Mörderin hinter mir heulten, hat mich an Menschheit erinnert, die so etwas zwischen sich duldet. Menschheit, die nicht erschauert, nicht wankt, nicht wehklagend niederstürzt, die Geschäfte abwickelt, in Vereinen sich brüstet, Schande verruchter Minuten mit bürgerseligen Sprüchen abtut. Da bin ich dem Pack in die Flanke gefahren, mit Kunst, die Unheil aus Schlupfwinkeln lockte. Da hab ich Flämmchen entzündet, Wünsche verpestet, hingebungsbeflissen mit Kanaillen geschnäbelt. Da hab ich ihr Blut mit der Seuche verludert, das Gruseln von scharrender Kette losgemacht. Habt Ihr es nicht gemerkt? – – – Wie Verderben aus meiner Gasse kam, glühend, schlammgrün, aus meinen Armen? Ich war auf dem Posten, Nacht für Nacht, in der Vorstadt, der Fuselkneipe, unter der Brücke. Ich hab Euch gedient, solange Mark in den Knochen war, Flitter und Dirnenvisage Euch reizten. Ich war nicht faul, hab' meine Arbeit getan. Mir war Gewalt gegeben, Gott zu besudeln, durch mein Gewerbe: Lichtrausch im Finstern, Stachel der Niedertracht, Glorie der Bettlerin – alles war mein. Da habt Ihr mein Leben. – –


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