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VII

Seit der Aussprache mit Johanna, als Blaugast vor der Erbärmlichkeit seiner mißlungenen Konstruktionen hysterisch zusammensackte, war das Verhältnis zwischen Wanda und ihm ein anderes geworden. Die Fürsorge, mit der sie das Gärtchen der Himmelssehnsucht im Bereich seiner Freuden mit Gelegenheiten düngte, war einer Abkehr gewichen, einer gleichgültigen Verstocktheit und dürren Gemeinschaft. Er hatte die Stelle in der Kanzlei, die ihm bisher eine auskömmliche Deckung gewesen, von Unlust und Ausschweifungen verärgert, gegen eine Abfertigung eingehandelt, die den ungeregelten Strom seiner Unkosten nicht allzulang schützte. Nun lungerte er müßig im Hause umher, schlief bis zum Mittag und drehte das Gesicht entkräftet zur Wand, wenn ihn die Forderungen unleidlich gewordener Lieferanten, die Unbotmäßigkeit wuchtender Zahltage im Bett überraschten.

Wanda trat der verwandelten Sachlage auf ihre Weise entgegen, besaß für die Passivität dieser Schwachheit handfeste Rezepte. Anfangs begleitete sie seinen Gleichmut, der widrige Umstände ohne Gegenmaßregeln herankommen ließ, mit unverhüllter Verachtung. Der Zorn über die Unzuverlässigkeit eines Asyls, das sie entschlossen war, keinesfalls preiszugeben, Enttäuschung über den unrühmlichen Zusammenbruch ihrer wirtschaftlichen Versorgung, ließen sie die Voraussetzung ihrer Wahlfreundschaft vergessen. Sie machte gar nicht erst den Versuch, den Lethargischen aufzurütteln, seinen Lebenswillen zu stützen und ihm die Richtung zu weisen. Unvermittelt und unzweideutig verweigerte sie ihm den Tribut, der die Rechtfertigung ihrer Bindung war. Ihr Körper, der ihn noch immer erhitzte, war nicht mehr in seinem Besitz. Unbekümmert um die Problematik des Physischen, die ihn zerstückte, wies sie ihn eigensinnig zurück, bis er im Trödelkram ihres Hausrats zum unnützen Esser wurde, zum Parasiten, den ihr Unmut bestrafte. Die Gefährtinnen ihres Berufes, die sie ehemals auf den Heischenden hetzte, blieben verängstigt aus, seit das Gerücht seines Niederbruches im Stadtviertel umging. Mit trübem Behagen, drohend und unerbittlich zugleich, bewachte sie seine Schwelle. Auch Johanna, die das kindliche Lächeln aufsteckte, das sie für Samariterdienste und Krankenbesuche verwahrte, mußte gedemütigt abziehen, als Wanda ohne ein Wort der Erklärung vor ihr den Riegel versperrte. Dafür, vereinzelt im Anbeginn, dann aber zahlreicher, kamen die Männer. Es war der Kundenkreis aus Wandas berüchtigter Praxis, der sie in ihrer Kammer besuchte, ein robustes Vergnügen mit dem Gelde bezahlte, von dem an ertragreichen Tagen auch der wertlos gewordene Wohnungsgenosse ein Almosen abbekam.

Blaugast empfand den Umschwung, dem sein Zustand entgegenstrebte, in mysteriöser Erstarrung. Das Leiden, dem er verfiel, das ihn mit ruchlosen Krämpfen peinigte, höhlte ihn aus, nahm ihm die Kraft, sich zu verteidigen. Ungeheuer, wie der Wolf in der Kinderfabel, erhob sich das Grauen, als ersticktes Geflüster, das schwüle Geheimnis im Nebenzimmer erstmalig Gestalt annahmen und ihn verdarbten. Schlaff und verwahrlost, von Schlafmitteln betäubt und mit ungekämmten Haaren, war er damals im Türrahmen der Stube erschienen, die ein aufdringlicher Duft nach Kölnischem Wasser und Schminke, gefältelte Papierblumen und ein rostroter Lampenschirm knallig verkitschten. Ein vierschrötiger Bursche, dem die genähte Krawatte über den Hemdkragen rutschte, stand breitbeinig da und knöpfte an seinen Hosenträgern.

Wanda saß rücklings auf einem Stuhl vor dem Wandtisch und puderte ihre Brüste. Sie sah nicht auf, als er keuchend und leichenähnlich am Pfosten lehnte, unrasiert, mit geschwollenen Liderdeckeln und geöffneter Hemdbrust. Nur ihr derbes Gebiß nagte an ihrer Unterlippe, als sein entgeisterter Blick über die Szene schweifte, dem Imperativ ihrer Miene im Spiegelglase begegnete.

»Wer ist das?« – fragte der Kerl, plättete ein zerknittertes Tuch mit dem Daumen und schneuzte sich geräuschvoll.

»Das ist mein Vermieter, der mich bedient« – antwortete Wanda, ohne sich umzukehren.

»Er wird uns warmes Wasser aus der Küche holen –«

Als Blaugast immer noch stand, mit herabgesunkenen Schultern und versagendem Rückenwirbel, einfältig, unfähig, es zu begreifen, keifte sie unbändig los, bleckte die Zunge nach ihm, die mit Geifer bedeckt war.

»Hörst du nicht, Idiot? – Wasser für mich und den Herrn sollst du bringen –«

Blaugast nickte. Etwas, das riesenhaft vor ihm aufflog, garstig und fahl, wie die Staubwolke vor dem Gewitter, kam auf ihn zu, verdüsterte sein Bewußtsein. Er kapierte es endlich. Müde, mit eingeknickten Beinen, schlurfte er in die Küche. Aus dem Ofentopf füllte er das Geschirr, ein gehorsamer Automat, der dem Antrieb mechanischen Zwanges nachgab. Waschwasser, abgestanden und lau, rieselte ekelhaft über die Finger. Er beachtete es nicht. Mit dem Gefühl, als wäre sein Leib mit Scharnieren versehen, unbeholfen und hölzern, trug er den Krug und das Becken zurück in das Zimmer.

Das war der Beginn. Es war die Verwirrung, die sich ungebührlich und hämisch seiner Dienste bemächtigte, mit Zigarrenasche und Fusel, Nachtvisiten und verschwitzter Wäsche großspurig auf den Plan trat. Steuerlos, ein Schiff im toten Gewässer, wurde das Tagwerk gefördert, zu dem man ihn kommandierte. Die Nickelmünzen, die es belohnten, der lumpige Gegendank befriedigter Logierer, die in den Stunden nach einer verliebelten Nacht seiner Handreichungen bedurften, fühlten sich ölig an. Ihr Klingeln, ihr verschämtes Geklapper, wurde für Zigaretten eingetauscht, die er gierig verqualmte, für goldgelben Kognak, der wie unverlöschliche Schandbarkeit auf der Schleimhaut des Mundes brannte und den er nicht mehr entbehren konnte.

Wanda verstand ihr Geschäft. Sie kannte den Abhub proletarischer Wichte, der hier talentlos der Tiefe vertraut war, wo schlagende Wetter hinter Stützbalken glosten, Grubenlaternen einen Abstieg erhellten, der sich unterirdisch verirrte. Es kamen Kaufleute, denen ein gutgehender Handel die Speckschwarten eintrug, die ihren kurzgeschorenen Nacken verwulsteten, asthmatische Kellner und schäbig gewordene Intelligenzler, die sich im Bett ohne viel Aufhebens in die Manieren der Herkunft zurechtfanden. Blaugast nahm die Aufträge seiner Brotgeber mit der Selbstverständlichkeit entgegen, mit der sie erteilt wurden. Er rieb mit der Bürste den trockenen Straßenkot von den Kleidern, die sie ungeniert ablegten. Er machte Schokolade für Wanda, holte Bier aus dem nächsten Gasthaus. Er war mit Zündhölzchen versehen, die er den Ungeduldigen und Herrischen diskret durch die Türspalte reichte, brachte für Heikle ein frischgebügeltes Handtuch herbei. Ein krankhaftes Schielen, durch die Trunksucht beschleunigt, verunstaltete plötzlich seine Visage, machte sie unstet und lächerlich. Die Kenntnis der Dinge, die sich um ihn gruppierten, kam ihm abhanden. Er schlief, trank aus der Flasche, die neben der Nachtlampe stand, fuhr schnell in die Filzpantoffeln, wenn es so weit war, Wanda ihn rief oder ein Gast ihn benötigte. Unter der Haut, die das Ameisengewimmel zuchtloser Nadelstiche verheerte, hatte er oft das Empfinden, als ob sein Körper erlahme. Das Gedächtnis an Früheres, das Ringen um Gott und Berufung, waren stillegelegt. Er wußte nicht mehr, was mit der Welt geschah. Genug, wenn er Rauchtabak und seinen täglichen Kognak hatte. Er war der Golem, den der Spruch behexte, der ungefragt die Arbeit verrichtete.

Eines Vormittags, nach einem panischen Nachtschlaf, wühlte Gemecker hinter der Zimmermauer tückisch in seinem Gehörgang. Ein Riß in der Herzgrube, wo ein mit Salz und Essig benäßtes Messer unaufhörlich und sinnlos eine unsichtbare Wunde erweiterte, warf ihn vom Lager, brachte ihn taumelnd hoch und stellte ihn auf die Beine. Er besann sich. Spät in der Nacht war noch ein Kunde gekommen, dem Wanda persönlich aufschließen mußte, weil ihn gerade der Hustenreiz festhielt. Das war das nervöse Schluchzen, das er nicht bändigen konnte, das sie erfolglos mit Schimpfreden dämpfte. Nun war es Zeit, das Frühstück zu bereiten. Die Unruhe nebenan signalisierte den Aufbruch.

Die Zwischentür tat sich gebieterisch auf, zwei Männerstiefel, die der Regen des Vortags verkrustete, klatschten vor seine Füße.

»Schuh putzen, Klaudius!« – erklang der Befehl.

Die Stimme Wandas war trocken und mißgelaunt, kalt und gefährlich.

Blaugast nahm die Blechbüchse und den Lappen. Er merkte zum ersten Male, wie seine Hände ins Ungeratene tappten, die Lähmung des Rückenmarks, die seinen unfreien Schritt verursachte, auch die Finger am Zugreifen hinderte. Zwischen verwilderten Ösen hing der abgeschabte Rest einer Schuhzunge heraus, und das von der Feuchtigkeit zerbissene Leder streckte sich schamlos wie ein steifes Geschlechtsteil. Blaugast entfernte den Schmutz mit dem Holz seiner Bürste. Er war noch ganz heiß von der Mühe, durch kundiges Reiben und Streichen den richtigen Glanz zu erzeugen, als ein Atemzug neben ihm schnaubte. Ungewaschene Heiterkeit beugte sich kichernd vor, ein haariger Arm stach nackt aus dem Hemd und berührte die Schulter.

»Bravo Schwachmathikus! – Siehst du, das ist dir geläufiger als Kosinus Alpha seligen Angedenkens. Das sind die Potenzen, die du begreifst. Dabei solltest du bleiben.« –

Blaugast hielt inne. Das Zimmer, die Möbel darin begannen schlotternd zu kreisen. Ein Rattenzahn, gefräßig, mit Aas verpestet, nagte an seinen Gedärmen. Er wischte den Schweiß von den Schläfen, strich mit der Hand, die die Schuhbürste hochhielt, beschwichtigend über die Augen. Wie die Großaufnahme im Film, von Erinnerungen überblendet, ging die Fratze Schobotzkis aus den Fugen der Dimensionen.

»Du bist es? – Du? –«

»Gewiß doch. Nimmt dich das wunder? – Ich hatte die Ehre, aus Gründen des Beischlafs hier vorzusprechen. Die Wanda ist eine Nummer. Du hast es prächtig getroffen.«

Er drehte die Schuhe, die Blaugast entfallen waren, mit Anerkennung in seinen Pranken.

»Fein sind sie geworden, die zwei. Eine Paradeleistung der humanistischen Bildung.«

Und als die Lache, die er versuchte, bei Blaugast kein Echo fand, langte er brüsk in die Tasche, zog eine abgegriffene Note hervor, spie kräftig darauf und pappte dem Reglosen das Papier auf die Stirne. Wohlgefällig staunte er einen Augenblick:

»Wundervoll in der Tat! – Weiland Zigeunerprimus im Lande der Aristokraten. Du kennst doch den Brauch aus zündenden Paprikaopern? – Der Mensch soll splendid sein. Und die Woche fängt üppig an. Servus, Kollega! – Vivant sequentes.«

Mit Zähnefletschen, spitzwinkligen Ellenbogen entschwand der Spuk in der Kammer. Geplätscher und Prusten, gemeiner Refrain eines Lieds, den Wanda lausbübisch mitsummte, krönten die Morgenwaschung.

Blaugast stand unbewegt. Der Geldschein Schobotzkis, dessen verschmutzter Rand sich widerspenstig rollte, hing ihm als Maskenscherz, ein Kainszeichen seiner Verfassung, über die eingefallene Nase.


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