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XVII

Die Krankheit Blaugasts war in diesen Tagen furchtbar zum Ausbruch gekommen. Sie begnügte sich nicht damit, sein körperliches Bild gewalttätig zu verändern, sie trübte die Spiegelfläche seiner verunstalteten Geistigkeit mit unschönen Sprüngen. Seine verhexten Beine hatten die Zugehörigkeit zum Erdboden verloren, glitscherten ungehorsam und taub aus der Richtung. Sein gedunsener Leib schob sich an Mauerkanten hintastend weiter, hing unförmig wie ein faltiger Sack in den Schultergelenken. Die Schmerzen, die krisenhaft kamen, Herzgrube und Rücken, Wadenmuskeln und Gürtel als unsichtbarer Schraubstock verzerrten, hatten ein unangenehmes Beigefühl, das die Welt satanisch und kraß auseinanderbog. In den Spiralen entarteter Nervenstränge, in den Reizbezirken seiner Gehirnhäute machte sich Unaussprechliches geltend. Tödliche Wirrnis der Psyche, Angstsignale der Paranoia weckten ihn aus der Erschöpfung, die der Schnaps ihm verschaffte, im Klosettraum verschrieener Kaffeehäuser verabreichtes Morphium, aus zerfaserten Papiertüten geschnupftes Kokain.

Zuerst stieg die Hetzjagd seiner Verfolger aus summenden Pausen auf, die über dem Bettgestell lärmten. Es waren Begleiter heimatloser Ideen, der Wartung entschlüpfter Gedanken. Die Besitztümer, wo sie tollten, hatte er lange als wertlos verschleudert. Stinktiere und Rüsselschweine beschnupperten das Laken, das der Urin durchfeuchtete, den er nicht mehr imstande war, zu behalten. Über giftgrün getünchte Wände wimmelte Ungeziefer. Käfer, scheußliche Asseln und Spinnen, deren geschwollene Bäuche auf dem gekörnten Mörtelgrund wäßrige Spuren nachzogen, Sendboten einer entzündeten Phantasie, die in die Knabenjahre zurückreichte. Oder das Seifentier scharrte am Fußabstreifer, der als zerknülltes Gerinnsel hinter der Türfuge lag, Restgut einer Vergangenheit, die sich nicht mehr zu ihm bekannte. Mit Zotteln bedeckt, duckte sich kantig der Schädel, Fiebergebilde aus einer Zeit, wo allerhand Mißgeburt in dem Brunnen der Kindheit hauste, verstümmelte und verrufene Nachtgeschlechter. Da war der Wolf mit dem gräßlichen Schlund, der Blatterndoktor und die Keuchhustentante. Da regierte Pompuwa in der braunen Zigarrenkiste, der Spielzeugkönig aus gedrechseltem Holz, der thronstreberische Edeldamen köpfte. Wenn der Petroleumdocht hinter dem Rundschirm blakte, die Mutter aus dem zerlesenen Gebetbuch die Abendandacht sprach, kam der schwarze Mann zu Besuch. Alles das lebte Blaugast noch einmal.

Und dann war es so, daß er am hellichten Tage, ausgeliefert dem Urteil eines tristen Vermächtnisses, ihre Gesichter erkannte. Im Wechselstrom des Verkehrs, zusammengedrängt auf den Fußgängerinseln der Übergänge, standen sie alle bereit, ihn zu greifen: Der Wolf, der hölzerne Prinz, das Seifentier aus der russischen Steppe. Allen voran Schobotzki. Das war der Feilste und Gemeinste von ihnen. Sein langgezähntes Gebiß grinste in jedes Schaufenster hinein, stak als Larve im Gewühl der elektrischen Bahnen, stöberte in der Einsamkeit, wenn in der Vorstadt die stille Laterne brannte. Er war der Leibhaftige, dem jedes Mittel paßte, der Widersacher, der Mensch aus der Tiefe. Grauenvoll war die Furcht, die diesem einen vorausging. Sie schälte das Mark aus den Knochen, daß sie mißtönend krachten, gerann als Speichel im Mund, fuhr ihm als Windsbraut über den Nacken. »Schobotzki« heulten die Hupen der Omnibusse. Lautsprecher trompeteten hohl seinen Namen. Das Läuten der Kirchenglocken, der Pfiff der Fabriksirenen rief ihm die Silben zu, denen er mühselig auswich, um ihnen dennoch zu begegnen.

»Philister in Sicht! – Achtung! – Scho – botz – ki!« Es war nicht mehr das Kommando, das den Überfall ansagte, der Bericht aus der Ferne, den er apathisch überhörte, es war Fanfare und strikter Tumult in der Nähe. Er mußte alle Sinne zusammennehmen, ihm zu entkommen.

Was von den Bruchstücken des Zerfalls noch als Tagewerk frei blieb, Schaustellung schlimmer Gebärde und Straßenbettel, trat vor der Aufgabe zurück, die ihm plötzlich erwuchs. Blaugast mußte sich retten. Das Überbleibsel seines verschütteten Daseins war in Gefahr, das Elend eines gestrandeten Lebens wurde zum Einsatz. Aus Kellergrüften, grundlosen Durchfahrten kam der Anruf des Feindes. Es durfte nicht sein, daß er sich seiner bemächtigte, daß er ihm völlig anheimfiel. Er mußte Verschlagenheit gegen Verschlagenheit setzen, heute hier, morgen woanders am Platze sein, durch ausgewitzte Finten verblüffen, ein Kundschafter seiner Flucht, die man ihm auferlegte. Was lag daran, daß der Hunger ihn schnürte? – Jener, den er nicht nennen mochte, hatte ohnehin seinen Schlaf benutzt, die Siesta des Landstreichers, seine List zu erproben. Im Augenblick, wo seine Wachsamkeit nachließ, hatte er einen fressenden Wurm in seine Eingeweide gesetzt, der seine Säfte verbrauchte und gegen die Magenwand drückte. Oder war's eine Ratte, die durch den After in seine Gedärme gedrungen war, ein schleimiger Nager oder ein bluttolles Wiesel? –

»Schobotzki über dir! Rette dich, Blaugast!«

Was jetzt geschah, war fraglos das Ärgste, mit nichts vergleichbar, durch nichts mehr zu überbieten. Kein Rückzug, auf dem man sich seiner Habe entledigte, den Tornister ins Feld warf und seine Waffen im Stich ließ. Es war Panik, die in Granattrichtern strauchelte, kopfloser Alarm und plumpe Verzweiflung. Blaugast wagte es nicht, in seine Wohnung zurückzukehren. Das Nest seiner Armut war den Häschern bekannt, und es wäre sorglos getätigte Torheit gewesen, sein Heil einem rostigen Schließschloß zu überliefern. Was tat er, wenn eine Anwandlung ihn wehrlos machte? Wenn die Klaue Schobotzkis ihn faßte, um ihn zu würgen? War es nicht besser, im Malstrom der Stadt zu treiben, gehegt vom Gefunkel der Lichter, teilhaftig der Macht einer Obrigkeit, die auch den Geringsten in Obhut nahm?

So versteckte sich Blaugast, dem von der Gesellschaft, in die er nicht taugte, das Übelste widerfahren war, hinter den Menschen. Die Zirkelbahn, deren angreifender Schwung von ihnen entfernte, brachte ihn wieder zurück. Als Vagabund, ein verschrumpfter Geselle, schlich er sich hinterdrein, wo der Trubel am dichtesten war, wo der monotone Singfall der Zeitungsverkäufer die Warnungen übertönte, die ihm die Fersen abtraten. Rücksichtslose stießen ihn an, der dem Gleichschritt der andern sich anglich. Eilige nahmen ihn mit in ihr Schlepptau. Die Speisedünste der Automaten, die er mit gespreizten Nasenflügeln in sich sog, bildeten seine Nahrung. Seine Entkräftung, quälend im Anfang, legte sich wie ein Tuch über ihn. Aber die billige Klugheit, die im Wellengange der Stadt seinem Henker entrinnen wollte, war ein durchlässiges Netz, dessen Tragseile schwankten. Taifune rasten aus Wetterecken, Windhosen der Bestürzung schwemmten die Sicherheit über Bord, in die er sich wiegte. Dann hielt er am Rande der Häuserzeilen, wo die fliegende Flammenschrift der Reklame über Fassaden kletterte, allein im Getümmel, entseelt und vernichtet. Aus dem verbindlichen Wachsgesicht einer Modellpuppe, die in der Auslage eines Konfektionärs einen Herrenpelz preisbot, starrte die Fratze des Mörders herüber, geisterhaft unrein und mit der Erbsünde verbündet. Die rotgrün lackierte Scheibe eines Jo-Jo-Spielers tanzte vor seinen Blicken. Das bewegliche Rad blieb im Geleise der Leine, wie es vom Schicksal bestimmt war.

Blaugast wandte sich mit erhobenen Armen. Der Wurm, der seinen Nabel benagte, reckte gierig das Maul und haschte nach seinem Herzen. Ungeheuer und wuchtend, ein Hohlweg des Todes im Gebell der Maschinengewehre, gleißte die Fahrbahn. Der behandschuhte Wink eines Polizisten, der als zürnender Fußsoldat sein jüngstes Gericht bewachte, wußte ihn nicht mehr zu halten. Der Atem, der ihm die Kehle kratzte, haftete sauer im Rachen, pumpte die röhrenden Lungen leer. Berghoch kam es gerollt, kreiste ihn ein, brachte ihn endlich zur Strecke. Seine bleiernen Sohlen rührten sich nicht, als das Automobil um die Ecke flitzte, bösegelaunte Glotzaugen stielte, eine Sekunde zu spät seine Handbremse anzog. Das Fluchwort des Lenkers zankte verderblich, als der Stoß ihn beiseite schlug, als er durch endlose Räume, sonderbar unbeschwert, in die letzte Station seines Purgatoriums fiel. Und es war niemand, der es ihm sagen konnte, daß hier ein Zufall das geheime Dekret vollstreckte, das sich sinngebend aufschloß, daß der Insasse des Wagens wirklich Schobotzki war, der unwillig über den Aufenthalt, eben am Schiebeglas kurbelte. Neben ihm in der Polsterecke lehnte Wanda im Fond, schaute gleichgültig zu, wie sich Passanten um den Unvorsichtigen scharten, ein Wachmann sein Lederbuch zückte und die Adressen der Zeugen einschrieb. Keiner von ihnen wußte, wer der Verunglückte war. Auch Schobotzki und Wanda erkannten ihn nicht im Gedränge.

Eine war es, die ungerufen gekommen war, Auskunft gab und ihr Anrecht bekannte. Sie schraubte am Glaskopf der Stöpselflasche, die sie im Schminktäschchen mittrug, rieb die Stirn des Bewußtlosen mit dem Wässerchen ein, stützte seinen erschlafften Kopf mit den Händen. Eine Ahnung hatte sie hergeweht, ein kleiner Instinkt, der ungestüm flatterte. Als Blaugast die Augen hob, verwundertes Wissen als Seufzerchen wiederkehrte, war es Johanna, die sich über ihn beugte. »Sind Sie beschädigt?« – fragte der Polizist.

»Können Sie aufstehn?«

Er wollte es. Aber die Absicht blieb ungetan, und er verneinte.

»Wo wohnt der Mensch?« – forschte der Mann in der Uniform und wandte sich barsch an das Mädchen.

»Bringt ihn zu mir. Ich sorge für ihn. Es ist ein Verwandter.«

Und ihr Gesicht, das der Weltschmerz entstellte, wurde hell wie ein Fenster.


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