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XV

Es begann mit den Schmierfinkereien, die grell und herausfordernd über den Rolladen gepinselt wurden, der den Trödlerspuk über Nacht abschloß. Brennrot und ungelenk waren die morschen Eisenrippen am Morgen mit Buchstaben besudelt. Aus dem Lacktopf eines Verschwörers entbunden, prangerten sie die Gesinnung demagogischer Ankläger an, gleißten kritisch im Frühnebel. »Schobotzki ist ein Esel« – behauptete sachlich die Schrift, und die Bewohner der Gasse hatten am aufreizenden Stil dieser Kunde ihr helles Vergnügen.

Als der Besitzer, ärgerlich über den Ausgang einer beim Kartentisch verzettelten Sitzung, um die Vormittagsstunden mit dem Schlüsselbund anrückte, stauten sich Schaulustige vor dem Geschäft, Straßenjugend und Weiber, die den famosen Jux der Reklame anerkennend beschnatterten.

Schobotzki stutzte, als er die Ansammlung sah, las und blähte die Nüstern. Krachend schnappte die Schutztüre in die Schienen, und der zaudernde Schwarm verlief sich. Spiritusflasche und Lappen beseitigten nachher das Übel.

Daran wäre nun weiterhin nichts Bemerkenswertes gewesen. Genietat und Rachewerk eines rotznasigen Lehrlings, dem die Existenz des Verulkten unbequem in die Quere trat, der nach verrichteter Arbeit geräuschlos verduftete. Aber es war nur der Auftakt einer Folge von Nichtswürdigkeiten, die planvoll entworfen zum Kesseltreiben entarteten, zum spitzfindigen Kleinkrieg unsichtbarer Bedränger. Lästiger Unfug, erfinderische Verhöhnung hörten nicht auf, mit ihrer Leistung zu trumpfen. Da hatte ein emsiges Messer auf dem Firmenschild neben dem Eingang das Fehdewort »Schweinkerl« verewigt, daß man genötigt war, die Tafel abzuschrauben, um den Schimpf zu vernichten. Da brachte der Postbote anonyme Karten und Briefe ins Haus, die mit ehrenrührigen Titeln gespickt waren. Eine Nachnahmesendung, gutgläubig ausgelöst, förderte aus der Umhüllung verlogener Seidenpapiere abgeschnittene Fingernägel und Schamhaare ans Licht. Oder ein Inserat in der Tagespresse nannte in eifrig gesperrten Lettern die Adresse Schobotzkis, der schadhaft gewordene Gummischläuche, Leibschüsseln und Klystierspritzen zu Phantasiepreisen kaufe. Das Resultat dieses Schachzugs war die Zusammenrottung erregter Verdienerinnen, die in Markttaschen und Handkoffern den Bodenkram anschleppten, der im Anzeigenteile des Sonntags so lebhaft begehrt wurde. Es kostete Mühe und strikte Zurechtweisung, den Entrüsteten klarzumachen, daß Angebote der bezüglichen Fechsung, auch wenn sie durch Druckerschwärze verbreitet werden, nicht allenfalls zur Erfüllung verpflichten. Der Tumult der Enttäuschten, der vor dem Lokal des Gefoppten rumorte, erzwang die Zwischenkunft der Behörde, die gekränkte Gemüter mit dem Knüppel kurierte.

Der Aufsitzer mit der Notiz, die ein Unbekannter ohne Anrecht und Auftrag ins Morgenblatt schmuggelte, blieb übrigens nicht vereinzelt. Bald waren es Katzenfelle, dann ausrangierte Gebisse, die Schobotzki erwerben wollte, oder er stellte entgeltliche Übernahme von Bruchbändern und abgelegten Bauchgürteln in Sicht. Als den kulantesten Zahlort für unverwendbaren Schund verriet der Werbeanhang der Zeitung seine genaueste Anschrift. Lebende Hunde ohne Rücksicht auf Größe, Rasse und Temperament wurden in seinem Namen gesucht. Kostenlose Verpflegung von Kindern, Umtausch abgespielter Grammophonplatten für neue, Verwertung alter Rasierklingen wurden ihm unterschoben. Unsinn und alberne Zänkerei, Lärm und Geschwätzigkeit raubten ihm plötzlich die Ruhe.

Dann, als Gefahr im Verzuge war, ein Detektivbüro nach dem Störenfried schnüffelte, änderte dieser die Taktik. Die weithergeholten Umwege einer verdeckten Belagerung gaben handgreifliche Argumente frei. Pflastersteine, zersplitterndes Glas, bösartig gezielte Geschosse leiteten einen Überfall ein, dessen Urheber nicht zu erforschen waren, der ortskundig fortgesetzt wurde. Ein Patentgitter, mit erheblichen Kosten montiert, war ein spinnwebiger Wall vor den Schädlingen, die unverdrossen am Platz blieben, in unbewachten Minuten, geschützt durch die Mitwisserschaft der Gasse, gegen Schobotzki vorgingen. Dieser setzte der feindlichen Sturzflut, der Beschädigung seines Eigentums, dem Angriff imaginärer Schleudern kalte Verachtung entgegen. Die Parole, die gegen ihn wühlte, mit kleinlichen Stänkereien dem Vormarsch voraneilte, wurde an seinem Trotz zuschanden. Um so befremdlicher schien es, daß sein schweigsam gewahrtes Gesicht durch ein Mittel den Stoß erhielt, das nichtsnutzig, unschön und wenig rühmenswert vom Ungeist der Quäler ersonnen wurde.

Jedesmal, wenn er verkatert, den Belag seiner nächtlichen Trinkübungen auf der Zunge, vor der Tür innehielt, die den Unterschlupf seines Betriebes sperrte, war seine Schwelle widerwärtig besudelt. Vorsichtige Schelme, die das Erwischtwerden scheuten, Spione und Fahnder anstelliger Legionen vollzogen hier ihre Notdurft. Was die Manöver der Mißgunst, geschärfter Verstand und Harlekinskniffe nicht erzielten, gelang dem plumpen Trick eines Hassers, der auf bewährte Gepflogenheiten zurückgriff. Schobotzki schäumte. Sein Unmut, durch wochenlange Beherrschung gedämmt, entwich als Dampf und Raketengeprassel ins Freie. Das Lindenblatt, das den gehörnten Siegfried fällte, hatte ein Blindschuß gefunden. Die Drahtzieher der Geländespiele, die seine Einkreisung bezweckten, konnten den ersten Erfolg der Bemühung buchen.

Die Wirkung dieses Versuches erheischte die Wiederholung. Der Generalstab der Bündler, immer darauf erpicht, der Besonnenheit ihres Opfers das Wasser abzugraben, nützte den Vorteil in einer Weise, die von bürgerlichen Bedenken wenig beeinträchtigt wurde. Auf dem Gehsteig des Hauses, das den Verfemten beherbergte, wurde der Wust der Fäkalien eine ständige Einrichtung. Schobotzki nahm einen gefälligen Krüppel in Sold, der irgendwo in der Nachbarschaft als Mitmieter untergekrochen war und den die Gemeinde bei Schneefall und Kotplage als Straßenkehrer beschäftigte. Mit Schaufel, Besen und Sandbüchse versuchte der Einarm sein Bestes. Aber der Witz der Verfolger, die Bereitschaft der Unentwegten, waren flinker als seine Dienste.

Die Kontrolle der Polizei, die behutsame Kunst bezahlter Kriminalisten versagten vor diesem Ereignis. Achselzuckend die eine, ruhmrednerisch und gemächlich die zweite. Schobotzki verzichtete unverzüglich auf beide, um aus eigenem Ermessen zu handeln. Der Straßenladen, den er bisher als Erfüllungsort seiner Machenschaften und als Kanzleiraum benützt hatte, diente ihm nun als Schlafstatt. Auf einer Matratze, immer am Sprung, den Missetäter zu fassen, aufgerüttelt von jedem Geräusch, das draußen sich regte, verbrachte er angekleidet die Nächte. Schritte, halblaute Stimmen, das Gemurmel undeutlich geführter Beratungen hänselten seine Wachsamkeit. Der Spazierstock eines Bezechten schepperte über das Pflaster. Dann sprang er auf, warf die wollene Decke beiseite, ließ den Schließhahn knacken und öffnete. Die Nachtluft drang kühl und gefräßig in seine Klause, die Gasse war einsam und menschenleer. Strichregen kamen und näßten seine verwilderten Haare. Mit einem Schimpfwort sicherte er wieder den Riegel, stieg in den Fuchsbau zurück und wickelte sich in sein Bettzeug. Vor Unruhe schnaubend, die ihm die Atemnot eintrug, verfiel er in eine Betäubung, die bis zum Tageslicht dauerte. Wenn er dann steifgefroren durch den Kopfschmerz erwachte, aufgebracht durch die Versäumnis, die uneinbringlich vertan war, zog der Gestank der Bescherung schon durch die Ritzen der Rolltür.

Ob es ein Zufall sein konnte, der den Groll dieser Dinge auf Blaugast ablud, ein Mißgriff der Mächte, die an der Schwachheit des Wehrlosen ihr Mütchen kühlte, ist schwer zu ergründen. Es gibt Zusammenhänge, die der Betrachter nicht übersieht, Senkgruben der Bestimmung, duckmäuserische Verkettung des Weltlaufs und seiner Schablone. Vielleicht hatte die Ahnung des Furchtbaren seinen Schritt gelenkt, das ihn zum Spott der Gefallenen auslas. Vielleicht war er ausgedörrt und betrogen, verpestet vom Gram eines Augenblicks in die Gasse geraten, wo der Verbiesterte auf der Lauer lag, ein unpersönlicher Wicht eben sein Meisterstück lieferte.

Knatternd fuhr rostiges Eisenblech in die Höhe. Schobotzki, bissig und wüst stand groß vor dem Zitternden. Daß ein Enteilender um die Ecke bog, ein lästerndes Grußwort kläffte, kam für die Vollwertigkeit seiner Vergeltung kaum in Betracht. Die Freude an dem gelungenen Fang durfte ein Irrtum nicht vergällen. Hager, mit angestrafften Sehnen langte sein Geierarm nach dem Entsetzten.

»Hab ich dich endlich, du Schuft!«

Die Schläge, die hageldicht fielen, das mürbe Fleisch von den Knochen schlugen, mit Striemen und blutig geäderten Beulen befleckten, nahm Blaugast noch aufrecht entgegen. Wie der Gekreuzigte auf den Gemälden ekstatischer Niederländer hing sein zerknitterter Leib am Pfosten der Morgenfrühe. Schlaff und zerschunden baumelte der mißhandelte Kopf, bis er am Kinn eine Stütze fand, kraftlos verharrte. Der Zahn, den Schobotzki gegen ihn knirschte, seine wölfische Gurgel waren das Letzte, das ihn erschreckte, das er umsinkend wahrnahm. Ohnmacht umfing ihn, löste den Harn des Vertierten, den Schuldspruch der Einbekenntnisse, aus, die ihn zerstückten. War es ein Nordlicht, das prangend am Himmel erschien? – Ein Meteor, das verpuffte? – Das Antlitz Gottes hinter dem Dornbusch? –

Er wußte nicht mehr, wie der Gewaltige über ihm sein Genick umklammerte, sein willenlos aufgelöstes Gesicht in den Greuel hineinstieß, der Nasenlöcher und Gaumen verklebte, untilgbar aufquoll, schlammig verweste.


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