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XII

Mit einer vom Deckel gelösten Kassette, die er im Ablagerungsschutt hinter den Friedhöfen gefunden hatte, schritt Blaugast die Sitzreihen der Parkanlagen ab und verkaufte Zündhölzchen. Sein Warenbestand, ein halbes Dutzend rissig gewordener Holzschachteln, wurde durch diese Beschäftigung nicht verringert. Die Pensionisten, die ihre gichtleidenden Glieder in der Sonne wärmten, die Abgebauten und Arbeitslosen, die hier neben Müttern und Kindermädchen ihren unfreiwilligen Urlaub vergeudeten, ließen das kümmerliche Lager wie auf Verabredung unangetastet. Die Kleingeldmünzen, die sich trotzdem auf dem Grund des Behälters einfanden, automatische Gewinste ohne merkbaren Gegendienst, waren die Einzahlung unbekannter Geschäftsfreunde und gutmütiger Spekulanten. Sein Äußeres, das Blaugast ohne Absicht vernachlässigte, bekam durch die Schweigsamkeit eine besondere Note, die stärker als Bittreden wirkte und zur Wohltätigkeit einlud. Die unnachahmliche Technik, mit der er kaum sichtbar die Lippen bewegte, die Augen auf Abwendiges lenkte, in den vom Speichel verglasten Mundwinkeln einen lautlosen Appell versteifte, war nutzbringendes Kapital, das Zinsen und Dividenden abwarf. Ein unzerstörbarer Schimmer von Eleganz und eitler Gebundenheit gab seiner Figur einen komischen Beigeschmack, der als bizarre Herausforderung die Spottlust der Straße mobilisierte. Der tabetische Stechschritt seiner unbeherrschten Beine, sein durch Pupillenstarre veränderter Blick, die gravitätischen Lumpen, die er als Garderobe bevorzugte, brachten das Wahlwort »Barönchen« in Umlauf, das ihm als Titel anhaftete, das er mit ungelenker Verbeugung entgegennahm. Den Kindern, die auf der Straße hinter ihm herliefen, war es geläufig, und die Besucher der Biergärten und Volkswirtshäuser, die den geduldigen Schnorrer mit Zurufen empfingen, trieben damit ihren Schabernack. Die Delikatessenhändler und Kaufleute, die ehrerbietig hinter dem Ladentisch standen und denen die Dienstfertigkeit vor den Kunden das Blut verdickte, reagierten den Machthunger verdrängter Despotengefühle vor seiner Bereitwilligkeit ab, den Bedingungen ihrer Gebelust zu entsprechen.

»Barönchen!« – rief man scharmant, wenn seine vornübergeneigte Gestalt demütig vornehm vor den Stammtischen der Tafelnden zauderte. Jetzt war der Moment gekommen, die Hochspannung unerträglich verbauter Sadismen an eine unschädliche Nebenleitung zu verlieren, vor den beschwipsten Damen mit Überlegenheit zu protzen. Man griff in die Tasche, ließ die Metallkronen allseits erkennbar im Licht der Deckenlampe funkeln. Orgasmus, der den Gesicherten und Starken allemal vor dem bresthaften Bilde des Tieferstehenden überfällt, elektrisierte den Humor.

»Barönchen, sei flott, und mach uns den Vogel!«

Dann faßte Blaugast mit den Fingern der linken Hand an seine Nase, steckte den rechten Arm wie einen Schnabel durch die Lücke des Ellenbogens, hüpfte auf einem Bein und kreischte. Es war ein dünngepreßter, lächerlicher Laut, ein kollerndes Gewimmer, das Angeheiterten den Abendschoppen würzte. Ein Schrei, der sich im Fluge an Gitterstäben und Hindernissen zerstieß, als Seufzer heiser vergurrte und vom Wiehern der Zuhörer zertrampelt wurde. Das war die Spezialität des »Barönchens«. Als Geflügelimitator von nachsichtigen Wirten geduldet, von Witzbolden geschätzt, passierte er zappelnd, ein Hausierer seiner Verkommenheit, jene Regionen, wo Langeweile auf der Lauer lag, die er berufen schien, zu ertöten.

In den Nachtstuben und abgesonderten Räumen der Weinzimmer und Animierhäuser trieb man es ärger. Hier war man der tragischen Bindung auf die Spur geraten, die den Gescheiterten, aussichtslos verfilzt, noch immer mit der verdorbenen Lust und dem Unband seines Geschlechtes verknüpfte. Während die Sektpfropfen knallten und die Scham im Gefängnishof der Trunkenheit den Torweg verfehlte, fing der Kellner, auf gefällige Leistung erpicht, den vagierenden Bettler vor der Tür des Lokales ab und brachte ihn zu den Gästen. Die halbnackten Weiber in den Armen der Kavaliere hatten an dem verdutzten »Barönchen« ihren Spaß. Da kam es vor, daß er nach dem Genuß von freigebig spendierten Schnäpsen gegen fixe Besoldung beauftragt wurde, in Anwesenheit der gesamten Runde seine Selbstbefriedigung auf einem Teller zu verüben. Sein Röcheln, seine Entladung dienten als kostbares Gaudium. Das war die zweite Spezialität, die Blaugast zu Ehren brachte, die beim Erwachen am anderen Morgen die dürftigsten Paradiese mit Stacheldrähten verrammelte, die Kummer und unentrinnbare Qualen erzeugte.

Unter der Verandadeckung einer beliebten Brauerei, wo die berußten Akazienbäume eines versandeten Hofes stadtferne Einsamkeit und naturnahe Frische vortäuschten, traf er eines Abends mit Wanda und ihren Spießgesellen zusammen. Es waren galante Ehemänner, Konfektionäre aus den Kaufgewölben der Altstadt, die in ihrer Gesellschaft die letzten Reste des Anstands verzettelten, die sie zur Pleite benötigten. Einer von ihnen, dem das körnige Starkbier einen Glimmspan der Selbsterkenntnis entfachte, hielt den Fliehenden am Rockschoße fest.

»Sag mir, daß ich ein Schweinehund bin, Barönchen!«

Blaugast wankte. Das mühsam erschlurfte Gleichgewicht seiner kranken Beine hielt dem Zugriff des Angetrunkenen nicht die Waage, und er stolperte gegen die Tischkante. Mit trotzig zerrauften Augenbrauen schielte er seinem Angreifer in die gedunsene Fresse.

»Sei keine Memme und bekenne es munter! Nicht wahr, Barönchen, ich bin doch ein Schweinehund?«

Blaugast biß mit den Zähnen auf seine Zunge. Im Angesichte Wandas, die ihn rachsüchtig musterte, stieg Tollwut gegen den Peiniger in seine Kehle. Mit aufgeknöpfter Weste flegelte dieser auf seinem Stuhl, fletschte die windschiefen Hauer, stank nach sauren Fischen und Rettich. Geringschätzung der Kritik, die er großmaulig ansprach, machte ihn unverletzbar.

»Laßt doch den Kerl« – zeterte Wanda gehässig, zerdrückte die Zigarette im Tümpel der Untertasse.

»Seit er sein bißchen Gehirn gegen bare Bezahlung verspritzt, ist mir der Dreckfink zu unappetitlich.«

Die Anspielung auf die Schmach, die ihn ins Grundlose zerrte, kam wie ein Peitschenhieb, scharf und gewalttätig. Ein Vorhang zerriß, Lichtgarben funkten, und Blaugast sah in die Helle.

»Natürlich bist du ein Schweinehund«, sagte er aufgewühlt zu dem Bezechten.

»Ihr alle seid Schweinepack, Hunde und Hündinnen.«

Beifallklatschen belohnte die Antwort. Aus aufgeschwemmten Bäuchen schnaufte Gelächter, brodelte Unrat herauf, war brühheiß und zähflüssig.

Nur Wanda blieb mißgelaunt, war empört und erboste sich.

»Wer bist denn du? – Ein Kloakenprinz auf der Geschäftsreise – Einer, der Huren die Schuhe putzt –«

Blaugast wandte sich wieder zum Gehen. Die Auflehnung gegen verräterische Mächte, denen er hörig war, die sein Leben verunreinigten, war nur von kurzer Dauer. Die Feuerspalte, die sich vor ihm geöffnet hatte, daß die Grimasse der Existenz im Brändespiel sichtbar wurde, verengte sich wieder, um ganz zu entschwinden. Der Rücken schmerzte, und Finsternis atmete hörbar. Ein paar Tische weiter saß ein Rudel tschechischer Studenten, die ihn mit Jubel begrüßten und den Vogel verlangten. Entnervt, ein Schiffbrüchiger auf der Blanke, von Entbehrung ermattet, von hoffnungslosen Mächten geschreckt, gehorchte er ihnen und tat seine Pflicht. Der Mann, den Wanda gesprochen hatte, folgte ihm nach, kam mit dem Ohrensausen bis an den Rand seiner Seele.

»Kloakenprinz!« – lallte er greisenhaft mit aufgequollenem Munde. Es war ihm, als hafte der Fetzen einer verdreckten Liebkosung, von achtlosen Füßen zertreten, barbarisch und sinnfremd durch die Pfütze geschleift, als Merkmal an dieser Bezeichnung.

So rollte sein Karren, aller Bremsen entledigt, in ausgetrockneten Regenrinnen, steiligen Bergschluchten abwärts. Wenn er von ungefähr den stiergewordenen Blick vom Straßenpflaster löste und in den Schaufenstern der Schiffahrtsgesellschaften die Plakate beglotzte, die mit Rauchfahnen und Musikkapellen nach vorbedachten Zielen fuhren, Alpensehnsucht und Adriabläue, fühlte er ein verkalktes Gedächtnis an einen einstmaligen Willen. Irgendein Lied, auf Mandolinen gezupft, mit welscher Lockung geträllert, stürzte den stumpfen Verzicht seines Niederganges in Aufruhr. Oder er sah sich im kühlen Gewinkel der Passagen plötzlich den Photographien gegenüber, die für ein Tanzcafé, eine Damenkneipe mit Jazzband Reklame machten, die aufreizende Weiber in allerhand Posen zeigten. Sein Kinn verlor den Zusammenhang mit dem Oberkiefer, und seine Mundhöhle klaffte. Der Brotkorb, aus dem er vor kurzem die Brosamen geklaubt hatte, die seiner Wandlung gemäß waren, verschimmelte auf dem Miste.

An solchen Tagen suchte er die Anlagen jenseits der Moldaubrücke auf, wo die abgeschiedene Stille der Parkwege einsame Vormittagsstunden verbürgte. Nur manchmal knirschte der Tritt eines verirrten Spaziergängers über den Kies. Schulmädchen hetzten mit roten Backen vorüber, die weißschwarze Tracht bleichsüchtiger Erzieherinnen schimmerte durch die Baumblätter. Blaugast stand im Schatten einer mit wuchernden Sträuchern verhangenen Biegung. Wie ein Tier, dem der mißratene Instinkt kontrollose Handlungen eingab, lauerte er hier auf Beute. Sooft das blanke Rot eines Sonnenschirmes, ein wehender Rock, ein gewürfeltes Tuch das Nahen einer Frauensperson verkündeten, trat er aus seiner Nische heraus und exhibitionierte. Mit ausgebreiteten Armen, fahl und defekt, versperrte er reglos den Durchweg. Die Flucht der Entsetzten, hysterische Angst, das Grauen vor seinem Bilde, verschafften ihm die Erlösung.

Das war das letzte Vergnügen, das der Zusammenbrechende genoß, ein Spiel aus der Unterwelt, die sich seiner bemächtigte. Das Dornenstück seines Geschicks, das Fruchtstück seiner Passion, waren willfährig aufgetan, waren reif für das Ende.


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