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IV

Was Blaugast in ekstatisch gesteigerter Genußwilligkeit mit Frauen erlebte, hatte ihn immer enttäuscht. Die Fadenscheinigkeit grob zurechtgemachter Spannung, die Entladung leidenschaftlicher Revolten verpufften in seinem Umkreis, ohne Triebhaftes zu berühren, ohne den Aufruhr zu bezähmen, dem er sich untertan wähnte. Die billige Heldentat einer Vereinigung, die an der Erfüllung des Zwanges Genügen fand, war ihm unzureichend verdächtig, Gaukelwerk, das er ungläubig ablehnte. In der Folge der Jahre, die er mit Hoffnungen totschlug, wo er unbelehrbar immer aufs neue hinter Versprechungen her war, hatte ihn Seltsames gestreift, Ungewöhnliches umschmeichelt, Bresthaftes in die Enge getrieben.

Ihm haftete etwas an, das die weibliche Wißbegierde mit Andeutungen beschwor, die Freundinnen seiner Zechgenossen auf Schleichwegen in seine Umarmungen rief. Etwas hilfesuchend Verkrampftes, etwas Blindes und Ungewisses, das gegen die Sprödigkeit trivialer Erfahrung mit Ingrimm gerüstet war, Verderbnisvollem auf halbem Wege entgegenkam, Heißes eisig erkältete. Ihm war nicht wohl dabei, wenn die bürgerliche Verzückung wohlfeiler Schauspielerinnen nach angelesenen Erinnerungen pirschte. Die eingefrostete Glut dieser Begebenheiten war den Betrug nicht wert, der sie erkaufte.

Da war eine mit einem starren, aus grausamen Winkelzügen gegerbten Gesicht, mit schlichtem Scheitel und schlafkranken Augen, die unter der Brauendeckung einer gequälten Maske glommen. Sie war die Braut eines genialisch vertrackten Studenten, der eifervoll in den Randgebüschen der Wissenschaften wilderte, die Nachtstunden zweisam mit ihm in angeschofelten Lokalen versaß. Manchmal machten sie auch zu dritt einen Ausflug im Sommer, lauschten der Blechmusik in der verstaubten Kühle der Vorstadtgärten oder gerieten im düstern Verschlag einer Dalmatinischen Weinstube heiter und melancholisch in die Fangeisen und Schlingen endloser Gespräche hinein. Das Mädchen, kameradschaftlich wie ein Mann, ohne die flink erfühlten Trümpfe ihres Geschlechtes ganz aus der Hand zu geben, schlug sich im Streite der Meinungen gerne auf seine Seite. Sie war Sprachlehrerin, fremd in der Stadt, konnte auf Bummelreisen nach Tagschluß frei über die Zeit verfügen.

An einem Feiertagsmorgen hinter der Peripherie, während der Freund den Alpdruck eines verstockten Gewitters im Wasser einer zaghaften Strömung ertränkte, waren sie miteinander als Wächter seiner im Riedgras verstauten Kleider zurückgeblieben. Blaugast nahm ihre Hand, die eine sonnenverkohlte Feldblume liebkoste. Sein Kuß, der sie tastend erkannte, grub über ihrem Gelenk einen Riß in die Haut, dem sie ohne Widerspruch standhielt.

Beim Mittagessen, in der Blattlaube des Strandwirtshauses, strich ihr gespreizter Finger über den verfärbten Fleck.

»Was ist dir geschehn?« – erkundigte sich der Student.

Abwesend, wie ein Kind, das verspielt ist, betrachtete sie die geränderte Stelle.

»Eine Ameise war's!« meinte sie lächelnd. Dann wurde sie müde und drängte zur Heimkehr.

Am Tage darauf bekam Blaugast den Brief, dessen Handschrift ihm fremd war.

»Das war keine Ameise, Lieber. Am Flußufer, zwischen Disteln und Eidechsenlöchern, hat mich ein schöner Mensch süß an der Hand verwundet –«

Es war der Auftakt einer nutzlosen, im Gestrüpp falscher Einstellungen verwurzelten Liebe. Nach Mitternacht, wenn ihr Verlobter zu Bett gegangen war, verließ sie nochmals das Haus, traf sich mit Blaugast vor der Einfahrt abseitig verstummter Spitäler, in Parkanlagen, wo sie, beschämt und gehetzt, einander im Finstern in die Arme fielen. Der Hahnenschrei in entfernten Gehöften machte diesen Zusammenkünften ein Ende. Es gab auch Stunden, wo sie ihn heimlich im Zimmer empfing, das sie als Junggesellin bewohnte, dem lieblosen Kerker eines dürftigen Gouvernantendaseins, wo Kleiderkoffer, mit Reisedecken belegt, einen störrischen Diwan markierten, wo schmuckloser Hausrat, kahle Bewandung Anklagen, Selbstvorwürfe und Hysterie erzeugten. Die Not ihrer Einsamkeit, die zwischen zwei Männern schwankte, gab ihr einen absonderlichen Gedanken ein. Von der Symbolik geschreckt, die im Hinterhalt ihres Wesens den Tribut ihrer Fraulichkeit nach unklarer Rangordnung zumaß, hatte sie eine Zweiteilung ihres Körpers vorgenommen, die dem einen das gab, was sie dem andern verweigerte. Der Gürtel war jene Grenze, bis zu der sie die Werbung duldete, die sie vor Angriffen schützte, deren Taktik es war, ganz zu besitzen. Das Tierhafte ihrer Leiblichkeit wurde durch eine Kriegslist verteidigt, die aus dem Wunsche nach Rechtfertigung erklügelt, es kunstvoll ermöglichen sollte, zwei Liebhabern gemeinsam die Treue zu halten. Blaugast wurde im aufreibenden Spiel dieser Torheit nicht glücklich.

Dann war es die Wirtstochter aus dem morschen Betrieb des altväterischen Gasthauses, die seine Sinne in den Jahren beschäftigte, die seinem ersten Zusammenbruche vorausgingen. Dem Gehege der Wirtschaft, langmütigem Kundendienst als Siebzehnjährige entlaufen, war sie ein Weilchen träg und vertrotzt in der Zwickmühle umhergeirrt, den berufsmäßiger Schacher und Kuppelei als Heimstätte anboten. Als Blaugast sie aufgriff, hatte sich eben aus dem Kreis infantiler Lebejünglinge, dem ihr Typ besonders entsprechend war, eine Art Aktiengesellschaft um sie gebildet, ein halbes Dutzend unbedenklicher Genießer, die ihre Spargroschen zusammentaten und die Kosten der Liebesnutznießung arithmetisch verteilten. Das enge Flurzimmer einer bereitwilligen Witwe, Kost und Bedienung mitinbegriffen, waren ein Aufwand, der einer Besoldung von Handlungsgehilfen, Sporttrainern und Bankpraktikanten befriedigend angepaßt wurde. Kleine Geschenke aus dieser und jener Hand, Wäsche und Seidentücher als Angebinde besonders verpflichteter Freigebigkeit, gaben dem Unternehmen die jeweilig persönliche Note. Blaugast kannte die findige Gruppe der geschäftstüchtigen Jugend nur vom Hörensagen. Er war der Kuckuck, der im fremden Neste gastierte, ohne zur Tilgung der Spesen und ihrer aufgesammelten Zinsen weiter herangezogen zu werden. Trotzdem bekam er die Störungen des Prinzips, die Mängel im Mechanismus dieser Genossenschaft fallweise zu spüren.

Es kam vor, daß sie nach Nachmittagsfahrten durch Wiesen und Waldland in einem Dorfgarten ihren Kaffee verzehrten und von Sonne und Landwind ermüdet am Abend einer Verliebtheit anheimfielen, die ihre Heimreise ungeduldig beschleunigte. Wenn sie dann miteinander, erregt und entbrannt, die Treppe emporstiegen, im Flurgang die zügellosen Küsse tauschten, die seine Eile ins Schmerzhafte steigerten, geschah es nicht selten, daß er die Schwüle der Stube fluchtartig im Stiche ließ, weil Tabakdunst und nachlässig verstreute Kleider den Logierbesuch eines Besitzers anzeigten, der im Bett der Mieterin selbstgefällig ihre Rückkehr erwartete. Blaugast nahm vom poesielosen Schluß solcher Abenteuer immer den Nachgeschmack einer unverdient häßlichen Demütigung mit nach Hause.

Oder da war das bizarre, durch abergläubische Praktiken gehemmte Verhältnis zu der entgleisten Verkäuferin, der die Garde der Kenner das Genie einer erotisch Entfesselten nachsagte. Der Irrgarten ihrer Lüste war von Gedenktagen umsäumt, an denen sie unerwartet ins Ausgedinge der Keuschheit flüchtete. Am Sterbeabend der Mutter, am Hochzeitsmorgen der Eltern brannte das Ölflämmchen unter dem geschwärzten Gnadenbilde, das aus frömmelnd verbrachter Kindheit pietätvoll ererbt war. Ein Datum solcher Art war unverrückbar an eine Enthaltsamkeit geknüpft, die es zuwege brachte, Schäferstunden mit Einkehr und Gesprächen zu feiern, die weitab von Übung und Zweck bußfertig gestörter Umarmungen lagen.

So waren die Episoden, die den Mülleimer achtlos vergeudeter Reifezeiten mit Abfällen füllten. Der weglose Abscheu dieser Erlebnisse, die ihm rührselig folgten, war der Düngerstoff einer Resignation, die mit der Sehnsucht kämpfte. Trotzdem war er nicht stark genug, dem muffigen Aufbau der Angelegenheiten angewidert den Rücken zu kehren. Irgendwie war er mit den Bedingungen ihrer Affekte, ihrem schalen Aroma verbunden, irgendwie drängte es ihn, die Scheinwunder ihres Betruges aufzustacheln, immerzu wieder die Leiter zu erklimmen, die aus stieren Kaffeestuben, den Kasematten verrufener Häuser nimmermehr ins Freie führten. Bis eine kleine, eilfertig verkleisterte Narbe in seinem Gehirn mit Substanzen vergor, die das Transparent seiner inneren Gesichte blasig anlaufen ließen.

Es war in dem schlecht gelüfteten, billig verkitschten Paraderaum eines übel beleumundeten Weinsalons, als ihn das Unbegreifliche anfiel. Wohl war er schon oftmals zuvor, nach Zechgelagen, die er mit der nichtsnutzigen Freude eines ohne Anteilnahme Verstrickten beging, durch ein Unbehagen gewarnt worden, das Gefühl eines Bergsteigers, den neben dem Abgrund ungerufen das Grauen anwandelt. Das Bild der Welt, ins Spaßhafte verkleinert, rückte in solchen Minuten in eine Distanz, die er mit Händen nicht mehr zu greifen vermochte. Das Summen unsichtbarer Insektenflügel trug ihm Akkorde zu, unerträgliches Rauschen aus Katakomben, angstvolle Atemnot im luftleeren Schacht Verbannter. Diesmal fand er sich hingemäht auf dem Quadrat eines bespeichelten Fußbodens, mit dem Entsetzen eines Gestürzten, dem die erprobten Instinkte plötzlich den Dienst aufkündigen. Konzert, Hilfeschreie und Schritte dröhnten in seinem Kopf. Er hörte das knöcherne Rasseln der Zähne im Mund, wie die gelockerten Kiefer ungehorsam das Vaterunser zermahlten.

Der Assistenzarzt der Klinik, die er am Morgen aufsuchte, las aus dem Reflex der Pupillen die Krankheitsgeschichte. Höflich, mit dürren Worten, gab er ungeschminkten Bescheid und ging dem Übel mit seiner Injektionsspritze zu Leibe. Blaugast zerpreßte die Lippen, als er die Botschaft begriff. Alles, was sich aus stockfleckiger Vergangenheit folgerichtig zu Realitäten ballte, war ihm bestätigt, unwiderlegbar bewiesen. Und der Zorn des Geprellten, der den höchsten Preis an eine Sache verwandt hatte, die ihm duckmäuserisch entglitt, schadenfreudig ein Schnippchen drehte, fiel böse, als schleimige Wolke über ihn her, raubte die Aussicht und drückte.

Nach Jahren des Zuwartens und der Abwehr brachte der Tod der Freundin die zweite Krisis. Ein tödlicher Schmerz, über die Maßen widerwärtig, lag in der Lendengegend am Sprunge, zerbohrte als Spicknadel nächtelang seine Muskeln. Beschämende Wachträume kamen, ausschweifende Delikte einer entzündeten Phantasie, die meuchlings am Werke waren und sein Bewußtsein verfinsterten. Wenn er aus den folterknechtisch gestreckten Kapiteln dieser Gespinste wieder zum Willen erwachte, schwoll die Sündhaftigkeit seines Kadavers wie ein Untier im Raum und verlöschte die Bettlampe.

Es dauerte Wochen, bis er aus den Wandelgängen höllischer Spiegelkabinette, dem Erstaunen des Schwerverletzten nach der Explosion, aus der Apathie des Verkrüppelten in den Zirkel zurückfand, der mit Kanzleidienst und Zufälligkeiten, Nachtschlaf und Nahrungsbedarf in der angelernten Kurve verlief. Und gerade in dieser Zeit, in den Pausen des Inhalts entbehrender Tätigkeiten, begann sich das Unheil in ihm systematisch zu ordnen. Aufgezwungene Askese brach durch undicht gewordene Lücken aus, die Friedlosigkeit seines Bluts schürfte an der Vermauerung, heftete Wandschatten und Szenen auf eine magische Projektionsfläche. Sie klopfte in seinen Schläfen, kratzte unermüdlich an seinem Verstande. Überallher, aus Laufgräben und Versenkungen kam es gewimmelt. Angesichter mit geöffneten Mündern, Verdienerinnen, denen das Süßeste feil war, glückloses Geröchel. Blaugast kannte die Glut, die nicht heiß war, den lauwarmen Frost, die unfruchtbaren Ackerfelder zur Genüge. Wenn er zu Hause auf sein Lager sank, von Widerständen besiegt, die zu erkennen er zu schlaff war, stampfte sein Herz ruckweise im Takt wie der Kolben einer Maschine. Auf unweigerlichen Geleisen ging der Flug einer Bahnfahrt, die an spukhaften Hängen, kleinmütigen Stationen vorbei ins Unbekannte geleitete.


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