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XIV

In der Nähe der Teynkirche, eingekeilt zwischen den Mauervorsprüngen lichtarmer Stadtreste, die der Gleichmacherei pietätloser Assanierungsreformen bisher entgangen waren, hatte Schobotzki einen Kramladen gemietet. Es war ein Maskenverleihgeschäft, das hier im Schatten mittelalterlicher Gesimse betrieben wurde, äußerlich durch das verglaste Auge eines erbärmlichen Schaufensters kenntlich, wo steife Perücken, Schnurrbärte unter verquetschten Papiernasen und die Blechschuppen einer verrosteten Rüstung den Kundendienst ansagten. Auch im Innern des Raumes war die Auswahl nicht weiter beträchtlich. Da gab es Uniformblusen mit durchgescheuerten Spangen, verbeulte Militärhelme, Roßschweife, die der Zahn der Zeit ohne Nachsicht zerpflückte, Halskrausen und Spaniermäntel.

Im Fasching, wenn die Redouten auf der Slawischen Insel, der Handschuhmacherball und das Schürzenkränzchen den Domestiken der angerainten Neugasse Gesprächsstoff beim Biereinholen und gespannte Erwartung eingaben, herrschte hier etwas wie Hochbetrieb. Dienstmädchen und Kochmamsellen ließen sich Bauerntrachten und pikante Verkleidungen vorlegen, und der räudig gewordene Schrankspiegel gegenüber der Eingangstüre bunkerte ein paar Wochen lang die Profile gebräunter Zigeunerinnen, schnippischer Rokokodamen ins Halblicht. Schofföre und Hausmeistersleute, die am Festabend hier einkehrten, verließen als Räuber vermummt die ausgetretene Schwelle. Kuhjungen huschten durchs Gäßchen, die ihre Reitkünste im Hippodrom erworben hatten. Die Pistolen im Gürtel, die längst nicht mehr losgingen, steigerten ihre Männlichkeit, lenkten den Sinn auf Freiheit und Abenteuer.

Frühjahr und Sommerzeit waren tote Saison. Niemand kümmerte sich um die Schätze, die Willkür hier stapelte. Nur die Straßenkinder, die im Bezirk ihren Unfug verübten, äugten mit Neugier durch die verregnete Scheibe. Schobotzki vermerkte den lahmen Geschäftsgang, den lächerlich schmalen Ertrag des Unternehmens mit Gleichmut. Der Mottenzauber, den seine Rattenfalle beherbergte, verblichener Tand aus Großvaters Tagen, Biedermeierkostüme und Pappendeckelgespenster, waren Attrappen für wohlfundierte Profite. Im Schubfach des Pultes, das an der Seitenwand neben dem eisernen Ofen postiert war, knisterten die Papiere. Sorgsam geglättete Akzepte, verschmitzte Schuldscheine waren darunter, die, mit Datum und Unterschrift gefertigt, geduldig der Dinge harrten, die textgemäß kommen sollten, unfehlbar kamen. Der abgestorbene Sums, der in den Ecken sich spreizte, labyrinthischer Tummelplatz für Ungeziefer und Mäuse, gab den Verträgen, die unter der Gasflamme getätigt wurden, nur die Visage. Schobotzki, der in der stickigen Luft der Gerümpelkammer die ungebärdige Springflut des Lebens für seine Privatzwecke einfing, hatte für Eingeweihte und Kenner vertrauliche Besuchsstunden eingerichtet. Mit der Miene des Wohltäters, der das Ungemach seiner Kundschaft gütevoll aus der Froschperspektive beurteilt, prüfte er Prozente, griff würdig Befundenen mit Kredit unter die Arme. Die weitverzweigte Gebarung, die erkleckliche Zinssummen abwarf, die hinterlistige Beamte und Schauspieler rupfte, waren mehr als Routine, mit der ein Leisetreter und Schleicher nach Reichtümern fischte. Es war die Freude, die ein bankrottes Gemüt vor dem Verhängnis erfaßte, das aus der Taufe zu heben, dessen Weg zu bereiten, Bedürfnis und Wunschgabe schien. Schobotzki ging an verdächtigen Skrupeln vorbei, ohne die Zaunnägel zu beachten, die seine Haut nicht ritzten. Ein Liebhaber seines Metiers, war er der Meister ausgewitzter Gebräuche, ein Treiber, der wildgemacht durch den Blutdunst der Fährte, das Verenden des Jagdtiers mit Wohlgefallen genoß.

Hie und da drang das Gerücht verbotener Abschlüsse an die Öffentlichkeit, die durch den Ruin eines Kaufmanns, den Zusammenbruch eines Spekulanten alarmiert worden war und die rasche Folge der Krisen vergebens nach Anlässen absuchte. Ein Zeitungsbericht meldete den Freitod eines Bankangestellten, der in weitesten Schichten als Muster der Pflichterfüllung galt. Ein Industriedirektor vergiftete sich mit Veronal. Die Spuren dieser Begebenheiten waren von kundiger Hand verwischt, verliefen abseits der Flüsterkanzlei in Schobotzkis Gewölbe im Wesenlosen. Die Lücken salopper Gesetze waren gefügig genug, um sie mit Vorsicht zu erweitern, diskret zu verhüllen. Der Nutzen, den er aus solchen Kenntnissen zog, erwies sich als schmackhaft und sehr ergiebig. Er ermöglichte ihm den Spesenaufwand, den sein nächtlicher Sportsgeist beanspruchte. Er nährte die Mitläufer seiner Exzesse mit kaltem Aufschnitt und Frühstückssuppe, bezahlte den Sekt, der berufen war, die Kobolde seiner senilen Verlumptheit zu tränken.

Im Tiergarten Gottes war der trinkfrohe Maskenverleiher ein ungemein rares, höllisch gesalbtes Exemplar. Mit Zahlkellnern und erotischen Schiebern verbündet, legte er die erwucherten Gelder im Tresor einer Laune an, die rätselhafte Ausschweifungen der Psyche, fatale Kombinationen ins Joch spannte. Ein Kostgänger des Unglücks, wußte er seine Kreaturen traumwandlerisch aufzuspüren, naive Genußfelder mit Heimsuchungen zu befruchten, den Hautgout zu pfeffern, der seinen Gaumen befriedigte. Der Selbstmord der Drohnen, die vor der Verarmung den Reißaus nahmen, die Brunst der Entarteten waren das Tafelobst, das ihm zusagte. Die Ackerfurchen feiger Gedanken zersägten die Stirne, wo Arges sich ballte, die von Rabenschwingen umschattet wurde.

In den Nestern des Nachtgeflügels, wo aufgetakelte Eulenbrut mit Fledermaustöchtern und Dilettantinnen des Vampbegriffs um die Wette schmarotzte, war seine Person von der Glorie umwölkt, der einem gefügigen Aberglauben als Kult überwiesen wurde.

Die Generation jener Lustamazonen, die, lange vom Schauplatz abgetreten, als Aufwäscherinnen bekotzter Aborte mit der Wonne der Gegenwart nur mehr durch ihre Exkremente Befassung behielten, kannte Schobotzki aus ihrer Glanzperiode. Das Andenken, das sie bewahrte, war hinterhältig gesiebt, mit Vignetten des Abscheus bekleistert. Es waren manche darunter, die er vor Torschluß erniedrigte, als die Furcht vor der Ablösung keinen Widerspruch zuließ. Noch jetzt, wenn er im Nebenflur der separierten Verschläge, die vor Schankverboten und Sperrschluß stillschweigend gefeit waren, einer gebückten Gestalt mit dem Scheuerkübel begegnete, schwellte der Hochmut des Siegers sein joviales Organ, Edelmut war nicht der Artikel, den er im Lager führte. Der Witz, den er der Häßlichen nachrief, klang wie das Berlicke-Berlocke aus Faustens tragischem Puppenspiel in den Ohren.

Stimmung und Wohlbefinden der Truppen, die er befehligte, die das Panier seines Vergnügens als Söldlinge verteidigten, wurden gewissenhaft rapportiert, wenn sein knochiger Kopf über den hochgezogenen Schultern im Rahmen der Drehtür erschien. Die Manager und Kuppler aus Profession, die verschmutzte Serviette unter die Achsel geklemmt, die Front ihrer Frackhemden wie Ordensträger mit gelben Kaffeeflecken beferkelt, neigten die haarlosen Schädel vor seiner Vollmacht.

»Eine Neue ist angekommen. Rassig und doppelprima. Dabei holde Provinz –«

Vertraulich gebückt, schnodderig gönnerhaft, notierte der Stammgast den Steckbrief.

»Wo ist das Kalb? Was kann sie? Hat sie Talente?«

»Dort hinten die Braune. Knapp fünfzehn und einen Monat.«

»Ich kann es mir denken. Ein Kind, mit Locken zwischen den Beinen.«

Dann, aufflackernd, gierig:

»Ist sie schon angesteckt?«

»Garantiert angesteckt!« – dienerten schweißig die Glatzen.

Schobotzki wußte Geschlechtskrankheiten seiner Komparsen feinschmeckerisch einzuschätzen, diabolisch zu nützen. Die Jünglinge, die ihm ins Garn liefen, die er gutmütig aufgekratzt mit Weinbrand bewirtete, waren Objekte seiner Schrulle, das Mißgeschick teilhabend auszukosten. Im Morgengefröstel, im Kreise bekohlter Mittelschüler, die dem spießerhaften Konzept ihrer Tanzkurse entlaufen waren, um in der Bar ihren lebemännischen Stil in seiner Gesellschaft zu stärken, schlug die erlauchte Stunde.

»Noch eine Runde zum Abgewöhnen« – bestellte er durch den Kellner und prahlerisch, onkelhaft durch die Zähne gezischt:

»Und eine Dame mit Lues!« –

Ein problematischer Held heikler Gelegenheiten, ein Heros der Kuriosität, ein Gehilfe der Fäulnis prägte Schobotzki dem Nachtbild der Stadt seinen Stempel auf. Wo Unheil geerntet wurde, verharschte Wunden neuerdings aufbrachen, hysterische Weiber über verschimmelten Nöten flammten, war er zur Stelle. Die Beichte der Defraudanten, die nach dem letzten Schnaps die Polizeistube aufsuchten, um ihre Geständnisse loszuwerden, die Seufzer der Schwätzer, die den Bockmist ihrer Verzweiflung vor betrunkenen Scherzbolden auspackten, waren ihm lindernder Balsam. Er kannte die Stege des Paroxysmus, wo ein Wort, ein Zuruf den Absturz bewerkstelligten, und trottete als geduldiges Maultier hinterdrein. Eifersucht, schrilles Bekenntnis, Aasluft sättigten seine Sinne. Abtrünnige der Liebe, Kokotten, die aus Keuschheit mit ordinären Geschichten großtaten, Konfuse und Träge blieben an seinem Tisch hängen. Die Last des Kreuzes, das jeden bedrückte, war der Gradmesser seiner Freundschaft und seines Respektes.

Daß es nicht Zuneigung war, die ihm nachlief, betrügerisch grinste, wenn in der Tiefe des Rockfutters seine lederne Brieftasche himmelte, konnte das Rechenexempel nicht trüben. Gemeine Furcht, habsüchtige Unterwürfigkeit leckten an seinen Fußstapfen. Aus undicht gewordenen Fugen tröpfelte klebrig die Nachrede, ging den Quellen seines Verdienstes nach, deckte den Unflat seines Charakters mit einem notdürftig geflickten Fluche. Da war keiner, der gegen ihn den Finger hob, dem Mäzen der Bazillen den Schlachtplan verpfuschte. Sein Geld behexte die Rechtschaffenheit, Freßlustige und Verseuchte meldeten sich als Anwärter seines Dienstes. Nur unterirdisch, in den Krebslöchern der Reue, der unausgeschlafenen Nervosität, raunte Empörung. Und es war wohl ein Vorstoß seiner heimlichen Deserteure, der die Vorfälle zeitigte, die unvermutet seinen Nimbus durchlochten, mit Nadelstichen, verkappten Manifesten gegen ihn wiegelten, die Anmaßung seines Primats durch Bubenstreiche verletzten. Getarnte Verfolgte, hartnäckige Gegenspieler kündigten über Nacht ihre Anwesenheit an.


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