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Sechzehntes Kapitel.
Der Regenbogen

Schwach, müde, verschlossen fuhr Ursula heim nach Beldover. Sie vermochte kaum zu sprechen oder etwas in sich aufzunehmen. Es war, als wäre ihr Tätigkeitsdrang eingefroren. Ihre Angehörigen fragten sie, was denn los sei. Sie erzählte ihnen, sie habe ihre Verlobung mit Skrebensky aufgegeben. Sie sahen stumpf und ärgerlich drein. Aber das empfand sie gar nicht mehr.

In Stumpfsinn schlichen die Wochen hin. Jetzt müßte er schon unterwegs nach Indien sein. Das erregte kaum ihre Teilnahme. Sie war stumpf ohne jede Kraft oder Anteilnahme.

Plötzlich durchfuhr sie ein Schrecken, so heftig, daß sie glaubte, er würfe sie nieder. Hatte sie ein Kind? Sie hatte so furchtbar unter ihren eigenen Schmerzen und denen um ihn gelitten, daß ihr dies nie in den Sinn gekommen war. Jetzt ergriff es wie eine Flamme von ihrem Leibe, ihren Gliedern Besitz. Hatte sie ein Kind?

Während der ersten flammenden Stunden der Verwunderung wurde sie sich über ihre Gefühle kaum klar. Ihr war, als sei sie auf den Scheiterhaufen gebunden. Die Flammen umzüngelten und verzehrten sie. Aber die Flammen taten ihr auch wohl. Sie schienen sie zur Ruhe zu bringen. Was sie in ihrem Herzen, ihrem Schoße fühlte, wußte sie gar nicht. Es war eine Art Ohnmacht.

Dann allmählich preßte und preßte die Schwere ihres Herzens sie ins Bewußtsein zurück. Was machte sie denn? Hatte sie ein Kind? Ein Kind? Wozu?

Es durchrieselte ihr Fleisch, aber ihre Seele war elend. Dies Kind kam ihr vor wie ein Siegel, der Nichtigkeit ihrer Seele aufgedrückt. Und doch freute sie sich im eigenen Fleische, daß sie ein Kind habe. Sie begann zu überlegen, sie wolle Skrebensky schreiben, sie wolle nach draußen kommen und ihn heiraten, schlecht und recht als seine liebe Frau mit ihm leben. Was lag denn schließlich am Ich, an der Form des Daseins? Nur auf das Leben von einem Tag zum andern kam es an, das geliebte Leben im Fleische, reich, friedlich, vollkommen, ohne Jenseits, ohne weitere Sorge, weitere Verwickelungen. Sie hatte Unrecht gehabt, sie war anmaßend und schlecht gewesen, hatte sich nach etwas anderem gesehnt, nach einem Zerrbild von Freiheit, jener erträumten, eingebildeten Vollendung, die sie, wie sie sich eingebildet hatte, mit Skrebenöky nie erleben könne. Wer war sie denn, daß sie sich nach einer solchen erträumten Vollendung sehnen sollte? War es nicht genug, einen Mann zu haben, Kinder, einen Platz unter der Sonne? War das nicht für sie ebenso genügend wie es für ihre Mutier gewesen war? Sie wollte heiraten, ihren Gatten lieben und schlecht und recht ihren Platz ausfüllen. Das nahm sie sich nun zum Vorbild.

Plötzlich sah sie nun ihre Mutter in einem wahren und gerechten Lichte. Ihre Mutter war schlichtweg und wurzelecht wahrhaft. Sie hatte das Leben hingenommen, wie es ihr auferlegt war. Sie hatte nicht in anmaßender Verblendung darauf bestanden, ihr Leben sich selbst anzupassen. Ihre Mutter hatte recht gehabt, durchaus recht, und sie selber war im Unrecht gewesen, in allerlei öden Redensarten befangen.

Eine mächtige Anwandlung von Demut kam über sie, und mit dieser Demut eine Art friedevoller Sklaverei. Sie gab ihre Glieder in Sklaverei, sie liebte diese Sklaverei, sie nannte sie Frieden. In diesem Zustande setzte sie sich hin und schrieb an Skrebensky.

»Seit Du mich verlassen hast, habe ich viel gelitten und bin dadurch zu mir selbst gekommen. Ich kann Dir gar nicht sagen, was für Gewissensbisse ich über mein schlechtes, widernatürliches Verhalten empfinde. Es war mein Los, Dich zu lieben und Deine Liebe zu mir zu erkennen. Statt dankbar auf meinen Knien hinzunehmen, was Gott mir beschieden hatte, mußte ich nach dem Monde langen, mußte ich darauf bestehen, den Mond als mein Eigentum anzusehen. Und weil ich ihn nicht kriegen konnte, mußte auch alles andere draufgehen.

Ich weiß nicht, ob ich mir je vergeben können werde. Ich möchte vor Scham sterben, wenn ich daran denke, wie ich mich während unserer letzten Zeit benommen habe, und ich weiß nicht, ob ich Dir je wieder ins Gesicht sehen kann. Wirklich, am besten wäre es für mich, ich könnte sterben und damit meine Träume für ewig begraben. Aber ich merke, ich habe ein Kind, und so darf das nicht sein.

Es ist Dein Kind, und deshalb muß ich es verehren und meinen Leib vollständig seiner Wohlfahrt zum Opfer bringen, darf aber keine Todesgedanken hegen, – nur eine andere Form von Überhebung. Darum, weil doch dies Kind Deins ist, und weil Du mich einmal lieb hattest, bitte ich Dich, nimm mich wieder zu Dir. Wenn Du mir nur ein Wort durch den Draht sendest, komme ich so rasch wie möglich. Ich schwöre Dir, ich will Dir eine ergebene Gattin sein und Dir in allen Dingen dienen. Denn jetzt hasse ich nur noch mich selbst und meine törichte Verblendung. Ich liebe Dich – schon den bloßen Gedanken an Dich liebe ich – Du warst immerfort natürlich und wahrhaft, während ich so falsch war. Bin ich aber erst einmal wieder bei Dir, so will ich Dich um nichts weiter bitten, als mich mein Leben lang in Deiner Obhut ruhen zu lasten – – –«

Diesen Brief schrieb sie so Satz um Satz, als schriebe sie aus tiefstem, innerstem Herzen. Sie fühlte, daß sie jetzt, jetzt zu ihren tiefsten Tiefen gelangt sei. Dies sollte nun auf ewig ihr wahres Ich sein. Mit diesem Ausweis wollte sie am Tage des Gerichts vor Gott erscheinen.

Denn was gibts für das Weib anders als Unterwerfung?

Wozu ist ihr Fleisch da als um Kinder zu gebären, wozu ihre Stärke als für ihre Kinder und ihren Gatten, den Lebensspender? Endlich war auch sie Weib.

Sie sandte den Brief an seinen Klub mit der Bitte, ihn nach Indien nachzusenden. Er müßte ihn bald nach seiner Ankunft in Indien bekommen, – binnen drei Wochen nach seiner Ankunft. In einem Monat würde sie dann Antwort von ihm haben. Dann wollte sie gehen.

Sie war seiner ganz sicher. Sie dachte nur daran, ihre Kleider zurecht zu machen und ruhig zu leben, friedlich, bis die Zeit ihrer Wiedervereinigung mit ihm käme und ihre Geschichte damit ein für allemal ihren Abschluß fände. Dieser Friede hielt wie eine unnatürliche Stille lange Zeit an. Sie merkte jedoch, daß sich in ihrem Innern eine gewisse Widerspenstigkeit ansammle, daß ein Sturm ihr drohe. Sie versuchte ihm zu entrinnen. Sie wünschte, sie könnte von Skrebensky hören, Antwort auf ihren Brief bekommen, so daß ihr Lauf endgültig bestimmt werde, sie selbst sich nur noch mit der Erfüllung ihres Schicksals abzugeben brauche. Diese Untätigkeit jetzt war es, die sie dem von ihr so gefürchteten Umschwung unterworfen machte.

Es war merkwürdig, wie wenig sie sich daraus machte, daß er ihr noch gar nicht wieder geschrieben habe. Es genügte ihr, daß sie ihren Brief abgesandt habe. Die ersehnte Antwort würde sie bekommen; das war alles.

Eines Nachmittags Anfang Oktober, als ihr war, als wachse der Sturm ihres Innern zu Wahnsinn an, schlüpfte sie im Regen nach draußen, um spazieren zu gehen, damit das Haus sie nicht zum Ersticken brächte. Es war überall patschenaß und einsam, die verrußten Häuschen glühten dunkelrot, die größeren brannten scharlach in einem schimmernden Lichte unter den glitzernden, schwärzlich-purpurnen Schiefern. Ursula ging nach Willow-Green hinüber. Sie hob ihr Gesicht und schritt rasch aus, sie sah die Lichterreihe sich durch das flache Tal hinziehen, sie sah die Gruben und ihre Dampfwolken in schwachem Aufleuchten einen Augenblick wie eine Geistererscheinung fern durch den Regenschleier auftauchen. Dann schloß sich der Schleier wieder. Sie war froh, daß der Regen sie so traulich einhüllte.

Vorwärts auf den Wald zuschreitend, sah sie Willey Water schwach durch die Wolke unter sich aufleuchten, sie überschritt die Lichtung, auf der die Rotdornbäume wie Haar im Winde dahinflogen und runde Büsche in dem umgebenden Dunst das Ansehen von Gespenstern annahmen. Es war prachtvoll, frei und verworren.

Und doch eilte sie dem Walde zu, um Obdach zu finden. Dort bebte ein gewaltiges Dröhnen von oben auf sie hernieder und kreiste sie völlig ein, Baumstämme umspannten den Umkreis mächtigen Sausens, unzählige Baumstämme, gewaltig und schwarz gestreift vom Wasser standen wie mächtige Pfeiler aufrecht zwischen dem Gebraust zu ihren Häupten und dem schwindelnden Umkreis ihr zu Füßen. Voller Furcht glitt sie zwischen die Baumstämme hinein. Sie könnten sich am Ende umwenden und sie ganz einschließen, wie sie so durch ihr kriegerisches Schweigen dahinschritt.

So schlüpfte sie vorwärts und klammerte sich an den Gedanken, sie sei gänzlich unbeobachtet. Sie kam sich vor wie ein Vogel, der durch ein offenes Fenster in eine weite Halle verflogen ist, in der mächtige Krieger an der Tafel sitzen. Sie hastete zwischen ihren ernsten, dröhnenden Reihen dahin, sich immer einredend, sie sei unbeobachtet, bis sie mit klopfendem Herzen aus der jenseitigen Öffnung wieder heraus ins Freie trat, auf die lebhaft grünen Marschenwiesen.

Im Schutze der Gemeindeweide wandte sie sich um und sah die mächtigen Regenschleier in langsamen, schwebenden Wellen über die Landschaft dahinziehen. Sie war sehr naß und weit von Hause, ganz umhüllt vom Regen und der wogenden Landschaft. Durch all dies Fließen mußte sie den Heimweg finden, zurück zu Stetigkeit und Sicherheit.

Ein einsames Wesen, schlug sie den gradesten Rückweg durch die Wildnis ein. Ihr Pfad war ein enger Hohlweg über den Rasen zwischen hohem, welkem Buschgras; es war mehr ein Kaninchenlauf. So schritt sie rasch aus, auf den Weg vor ihren Füßen achtgebend, sie trieb dahin wie ein Vogel vorm Winde, ohne jeden Gedanken in Bewegung erhalten. Aber ihr Herz empfand eine leichte Ahnung von Furcht, als sie so durch die schmale, ausgewaschene Rinne dahinschritt.

Plötzlich hatte sie die Empfindung, es müsse außer ihr noch jemand da sein. Ein paar Pferde wurden undeutlich durch den Regen sichtbar, noch nicht sehr nahe. Aber sie mußten ihr näher kommen. Sie mußte ihren Pfad unter allen Umständen fortsetzen. Die Pferde standen im Windschutz einer Baumgruppe drüben, höher als sie. Gebeugten Hauptes setzte sie ihren Weg fort. Sie mochte ihr Gesicht nicht zu ihnen aufheben. Sie wollte nicht wissen, daß sie dort ständen. So verfolgte sie den wilden Pfad.

Sie fühlte, wie ihr Herz schwer wurde. Das war das Gewicht der Pferde. Aber sie wollte sich drum herumdrücken. Sie wollte das Gewicht ruhig ertragen und so durchkommen. Sie wollte gradeaus gehen, immer gradeaus, und so an ihnen vorbei.

Plötzlich wurde das Gewicht schwerer, und ihr Herz spannte sich unter ihm. Ihr Atem ging mühsam. Aber auch jetzt konnte sie das Gewicht noch ertragen. Ohne hinzusehen wußte sie, die Pferde kämen ihr näher. Wer waren sie? Sie fühlte das Aufschlagen ihrer Hufe auf den Boden. Was kam ihr da näher, was für ein Gewicht drückte so auf ihr Herz? Sie wußte es nicht, sie sah nicht hin.

Aber jetzt war ihr der Weg abgeschnitten. Sie drängten sie rückwärts. Sie wußte, sie hätten sich auf der Holzbrücke über den Schilfgraben versammelt, ein harter, schwerer, mächtig schwerer Knoten. Und doch schritten ihre Füße vorwärts und immer vorwärts. Sie würden vor ihr auseinander stieben. Ihre Füße schritten vorwärts und immer vorwärts. Und immer gespannter und gespannter wurden ihre Nerven und Adern, sie wurden heiß, sie gerieten in Weißglut, sie mußten platzen, und sie selbst mußte sterben.

Aber die Pferde waren vor ihr auseinander gestoben. Blitzartig kam ihre Bewegung ihr zum Bewußtsein, das Beben und die Spannung und die Wucht ihrer mächtigen Leiber, als sie vor ihr auseinander stoben und sich verzogen, weit weg.

Sie wußte, sie waren nicht fort, sie warteten immer noch auf sie. Aber sie schritt über die vom Trommeln ihrer Hufe erschütterte Holzbrücke, sie schritt weiter im Bewußtsein ihrer Nähe und erinnerte sich dabei an allerlei Geschichten von Pferden. Sie gewahrte ihren gebändigten, in nimmer gelöster Klammer gehaltenen Bug, sie kannte die in langem Leid flammenden roten Nüstern, sie dachte an die runde Massigkeit ihrer Kruppen, vorwärts drängend, drängend, drängend, um die ihre Brust umschließende Fessel zu sprengen, immer vorwärts drängend, bis sie wahnsinnig wurden, gegen die Mauern der Zeit anrennend und doch nie wieder zur Freiheit gelangend. Ihre mächtigen Kruppen waren glatt und dunkel vom Regen. Aber Regen und Dunkelheit konnten doch nicht das harte, drängende, massige Feuer auslöschen, das in diese Körper eingeschlossen war, nie, niemals.

Sie schritt weiter und kam ihnen näher. Sie bemerkte das gewaltige Blitzen ihrer Hufe, ein bläuliches, schimmerndes Aufleuchten, das eine dunkle Höhlung umschloß. Gewaltig, gewaltig erschien ihr der bläuliche, schillernde Blitz der Hufeisen, gewaltig wie ein Heiligenschein aus Blitzen, die verknotete Dunkelheit ihrer Seiten umschließend. Wie blitzende Kreise fuhr der Schein ihrer Hufe aus den mächtigen Seiten hervor.

Sie warteten abermals auf sie. Unter einem Eichbaum hatten sie sich versammelt, wo sie ihre schrecklichen, blinden, siegesgewissen Körper verknoteten und warteten, warteten. Sie warteten auf ihr Kommen. Wie aus weiter Ferne wurde sie näher und näher herangezogen, auf die Reihe knorriger Eichbäume zu, unter denen sie sich zu einer geschlossenen, dunklen Masse zusammengeschlossen hatten.

Sie mußte ihnen näherkommen. Aber sie brachen wieder aus, sie liefen im Kreise um sie herum, um sie nicht zu sehen, und trabten dann wieder zu dem hinter ihr liegenden Hang des Hügels hinauf.

Jetzt waren sie hinter ihr. Vor ihr lag der Weg offen da, nach dem Gittertor in der nicht weit entfernten Hecke; dort konnte sie auf ein kleineres, bebautes Feld hinübertreten und dann auf die Landstraße und in die geordnete Welt der Menschen zurückgelangen. Nun war ihr Weg klar. Sie sang ihr Herz zur Ruhe. Und doch blieb es verschüchtert vor Furcht, verschüchtert vor Furcht durch und durch.

Plötzlich blieb sie stehen wie vom Blitz erschlagen. Sie schien zu fallen und fühlte doch, wie sie mit kleinen Schritten vorwärts stolperte. Der Donner jagender Pferdehufe erschütterte den Pfad hinter ihr, ihr Gewicht kam auf sie zu, auf sie hernieder, auf den Augenblick der Vernichtung zu. Umsehen konnte sie sich nicht, so donnerten die Pferdehufe auf sie ein.

Voller Grausamkeit bogen sie ab und krachten an ihrer linken Seite vorbei. Sie sah ihre wilden Seiten zottig und doch noch unschlüssig, die mächtigen Hufe blitzten auf und umfunkelten sie doch nur, eins nach dem andern krachten die Pferde an ihr vorbei, gespannt, immer böser werdend.

So waren sie vorüber, hatten sie donnernd umtobt und eingekreist. Jetzt verlangsamten sie ihre Bewegung, gingen ruhiger und trabten wieder zu einem dichten Haufen geballt auf die Ecke zwischen der Gittertür und den vor ihr stehenden Bäumen los. Unruhig bewegten sie sich hin und her, schlossen sie ihre gequälten Körper zu einer Masse, zu einem Zweck zusammen. Sie waren gegen sie.

Ihr Herz war verschwunden, sie besaß kein Herz mehr. Sie wußte, sie vermöchte sich nicht auf sie zu wagen. Die gesammelten, ineinander verflochtenen Leiber der Pferdegruppe hatten gesiegt. Die bebte unruhig vor Erwartung, im Vorgefühl ihres Sieges. Unruhig erbebte die Gruppe in der unruhigen Erwartung sicheren Sieges. Ursulas Herz war verschwunden, ihre Glieder aufgelöst, sie war aufgelöst wie Wasser. In dem massigen Körper der Pferdegruppe lag alle Härte und drohende Kraft.

Ihre Füße taumelten, sie blieb stehen. Dies war die Wendung. Die Pferde ließen ihre Seiten unruhig erzittern. Sie sah schwindelnd von ihnen fort. Zu ihrer Linken lief eine dicke Hecke etwa zweihundert Meter in grader Richtung den Hügel hinunter. An einer Stelle stand ein Eichbaum mitten drin. Sie könnte am Ende in die Zweige dieser Eiche klettern und sich auf der andern Seite wieder herunterlassen.

Zusammenschauernd, mit Gliedern wie Wasser, jeden Augenblick einen Fall befürchtend, begann sie darauf zuzuschreiten, als wolle sie einen gewaltigen Umweg um die Pferdegruppe machen. Die Pferde schudderten zusammen, während sie sich wieder zusammenschlossen. Wie in Zauberschlaf befangen taumelte sie vorwärts.

Dann stürzte sie plötzlich in aufflammender Todesqual vor, packte die knorrigen Zweige der Eiche und begann empor zu klettern. Ihr Leib war schwach, aber ihre Hände hart wie Stahl. Sie wußte, sie war stark. Mit einer mächtigen Anstrengung strebte sie empor, bis sie an dem Aste hing. Sie wußte, die Pferde bemerkten es. Nun gewann sie Halt an dem Ast. Die Pferde lösten ihre Verknotung; bewegten sich, versuchten sich klar zu werden. Sie arbeitete sich auf die andere Seite des Baumes hinüber. Als die Pferde zum Trabe auf sie zu ansetzten, fiel sie in einem Klumpen auf der andern Seite der Hecke nieder.

Ein paar Augenblicke konnte sie sich nicht bewegen. Dann sah sie durch ein Kaninchenloch am Fuße der Heckes die mächtigen Hufe der Pferde arbeiten, als sie herantrabten. Sie konnte es nicht ertragen. Sie stand auf und ging schräg über das Feld hin. Die Pferde sausten auf der andern Seite der Hecke bis an die Ecke, wo sie nicht weiter konnten. Während der ganzen Zeit, in der sie über das offene Feld hineilte, konnte sie ihre zusammengeballte Masse verspüren. Nun taten sie ihr fast leid. Nur ihr Wille brachte sie noch vorwärts, bis sie zitternd unter einem das Gras neben der Landstraße überschattenden Rotdornbusch über den Zaun stieg. Dann verlor sie die Gewalt über ihre Gliedmaßen, sie setzte sich auf den Zaun und lehnte sich gegen den Stamm des Rotdorn, regungslos.

Während sie so ganz erschöpft dasaß, gingen Zeit und Wechsel der Bewegung spurlos an ihr vorüber, sie lag wie bewußtlos auf dem Grunde des Stromes, wie ein Stein, bewußtlos, unwandelbar, während alles an ihr vorüberzog, ohne sie zu berühren, ein Stein auf dem Grunde des Flusses, unveränderlich und teilnahmlos, auf den Grund alles Wechsels hinabgesunken.

In dieser äußersten Vereinsamung lag sie so eine lange Zeit mit dem Rücken gegen den Rotdorn. Ein paar Bergleute kamen vorüber, schwer die nasse Straße entlang stapfend, ihre Stimmen hallend, die Schultern bis zu den Ohren emporgezogen, die Gesichter beschmiert, gespenstergleich in dem Regen. Die meisten sahen sie gar nicht. Sie öffnete matt die Augen, als sie vorübergingen. Dann erblickte sie ein Mann, der allein ging. Das Weiß seiner Augen leuchtete, während er sie voller Verwunderung ansah. Er hielt im Gehen inne, wie um sie anzureden, aus erschreckter Teilnahme für sie. Wie sie sich vor seiner Anrede graute, sich vor seinen Fragen graute.

Sie rutschte von ihrem Sitz herunter und ging unsicher vorwärts – sehr unsicher. Sie hatte noch einen langen Weg nach Hause. Ihr war zumute, als müßte sie den Rest ihres Lebens wandern, müde, so müde. Schritt für Schritt, Schritt für Schritt, und immer die nasse, verregnete Straße zwischen den Hecken entlang. Schritt für Schritt, Schritt für Schritt; diese Eintönigkeit verursachte ihr ein tiefes, kaltes Übelkeitsgefühl. Wie tief diese kalte Übelkeit, wie tief! Auch dies beschwerte ihre Füße mit Bleigewicht. Es schien ihr bestimmt, heute den Grund aller Dinge zu finden: den Grund aller Dinge. Na ja, jedenfalls ging sie auf dem alleruntersten Grunde dahin – sie war jetzt ganz sicher, ganz sicher; wenn sie auch immer, immerfort so weiterwandern mußte, im Bewußtsein, sich auf dem alleruntersten Grunde zu befinden, daß es tiefer nicht ginge. Tiefer geht es nicht, siehst du; daher durfte sie sich auch so sicher fühlen, so teilnahmlos.

Endlich gelangte sie nach Hause. Den Hügel nach Beldover zu erklimmen war ihr eine furchtbare Anstrengung gewesen. Wozu mußte sie diesen Hügel erklimmen? Wozu immer klettern? warum nicht unten bleiben? warum sich immer aufwärts drängen? warum sich immerfort aufwärts zwängen, wenn man unten steht? O, es war so schwer, so ermüdend, so aufreibend. Immer Lasten, Lasten, immer, immerfort. Aber sie mußte doch hinauf und zu Hause ins Bett. Sie mußte ins Bett.

Sie trat ein und ging in der Dämmerung nach oben, ohne daß jemand gemerkt hätte, wie durchweicht sie war. Sie war auch zu müde, um wieder herunter zu kommen. Sie ging zu Bett und lag vor Kälte zitternd da, aber zu gleichgültig, um aufzustehen oder um Hilfe zu rufen. Sie wurde daher allmählich immer kränker.

Vierzehn Tage lang war sie sehr krank, von Fieberwahn gefoltert und geschüttelt. Aber trotz aller Schmerzen ihrer Fieberträume behielt sie stets eine stumpfe Festigkeit bei, ein Gefühl ihrer Dauerhaftigkeit. In mancher Hinsicht war sie wie der Stein auf dem Grunde des Flusses, unverletzlich und unveränderlich, einerlei, welche Stürme über ihren Körper hintobten. Ihre Seele lag still und beständig da, voller Schmerzen, aber immer sie selbst. Während ihrer ganzen Krankheit behielt sie ein tiefes, unabänderliches Bewußtsein bei.

Sie wußte Bescheid und machte sich aus nichts mehr etwas. Durch ihre ganze Krankheit zog sich, wenn auch zu undeutlichen Gestalten verzerrt, die Frage: sie und Skrebensky, wie ein nagender Schmerz, der jedoch nur an der Oberfläche lag und ihr einsames, uneinnehmbares Mark nicht angreifen konnte. Aber seine ätzende Bitterkeit brannte in ihr, bis sie sich ausgebrannt hatte.

Mußte sie ihm angehören, mußte sie die Seine werden? Etwas zwang sie dazu, und doch war es noch nicht Wirklichkeit geworden. Immer, immer der Schmerz der Unwirklichkeit, ihrer Hörigkeit zu Skrebensky. Was band sie denn an ihn, wenn sie doch nicht an ihn gebunden war? Warum blieb diese Falschheit immer noch bestehen? Warum nagte diese Falschheit an ihr, nagte, nagte, warum konnte sie nicht zu Klarheit, zu Wirklichkeit erwachen? Wenn sie doch nur erwachen könnte, wenn sie doch nur erwachen könnte, dann würde die Falschheit ihres Traumes, ihrer Verbindung mit Skrebensky sofort verschwinden. Aber der Schlaf, der Fieberwahn hielten sie festgenagelt. Selbst wenn sie ganz ruhig und nüchtern war, fühlte sie sich in seinem Bann.

Und doch lag sie nie in seinem Banne. Welche Äußerlichkeit band sie denn an ihn? Ein gewisses Band war ihr auferlegt. Aber warum könnte sie das nicht zerreißen? Was war es denn? Was war es?

In ihren Fieberträumen kam sie immer und immer wieder auf diese Frage zurück. Und zuletzt gab ihre Mattigkeit ihr die Antwort – es war das Kind. Das Kind fesselte sie an ihn. Das Kind war wie eine um ihre Stirn gelegte Fessel, um ihr Hirn geschmiedet. Die band sie an Skrebensky.

Aber warum band sie sie denn an Skrebensky, warum denn? Konnte sie nicht auch ein Kind aus sich selbst heraus bekommen? Ging nicht dies Kind nur sie selbst etwas an? Warum mußte sie sich gebunden fühlen, voller Schmerz und beengt durch diese Sklaverei, durch Skrebensky und Skrebenskys Welt? Antons Welt: in ihrem Fieberhirn wurde dies zu einem Druck, der sie völlig umschloß. Konnte sie diesem Drucke nicht entrinnen, so mußte sie wahnsinnig werden. Der Druck war Anton und Antons Welt, nicht der Anton, den sie besessen hatte, sondern der, den sie nicht besaß, der jenem andern Einfluß angehörte, der Welt.

Sie kämpfte und kämpfte und kämpfte um ihre Befreiung von ihm und seiner Welt ihre ganze Krankheit hindurch, um sie beiseite zu schieben, beiseite zu schieben, dorthin, wo sie hingehörten. Aber trotzdem gewann diese Frage immer wieder die Oberhand über sie, nahm sie von neuem gefangen. O, die unsagbare Müdigkeit ihres Fleisches, die sie nicht abwerfen konnte, der sie sich nicht entwinden konnte. Könnte sie sich ihrer doch nur entwinden, könnte sie sich doch nur von ihren Gefühlen losmachen, von ihrem Körper, von all den Beschränkungen der Welt, mit der sie in Berührung stand, von ihrem Vater, ihrer Mutter, ihrem Geliebten und allen ihren Bekannten.

Wiederholt sagte sie in einem Anfall äußerster Mattigkeit: »Ich habe weder Vater noch Mutter noch Geliebten, ich habe keinen Platz in der Welt der Dinge, ich gehöre weder nach Beldover, noch nach Nottingham, noch nach England, noch überhaupt in diese Welt, sie sind alle gar nicht da, ich bin in ihnen verstrickt und verfangen, aber sie sind alle unwirklich. Ich muß aus ihnen heraus, wie die Nuß aus ihrer Schale, die auch nur eine Unwirklichkeit ist.«

Und dann trat wieder in ihr Fieberhirn die lebhafte Wirklichkeit im Februar auf dem Waldboden liegender Eckern mit geplatzter und aufgespaltener Schale, aus der der Kern nackt hervorspringt. Sie war der nackte, klare Kern, der einen klaren, kraftvollen Schößling emportrieb, und die Welt war der vergangene Winter, der beiseite geworfene, ihre Mutter und Vater und Anton, und die Hochschule und alle ihre Freundinnen, alle beiseite geworfen wie ein vergangenes Jahr, während der Kern frei und nackt war und frische Wurzeln trieb, ein neues Bewußtsein der Ewigkeit in den Fluß der Zeiten hinein erschuf. Und der Kern war die einzige Wirklichkeit; alles übrige fiel dem Vergessen anheim.

Dies wurde ihr immer klarer und klarer. Als sie eines Nachmittags die Augen öffnete und das Fenster ihres Zimmers und die dunstige, raucherfüllte Landschaft drunten erblickte, da war ihr dies alles Schote und Schale, sie konnte nichts weiter sehen, sie war völlig davon umfangen, aber nur lose. Zwischen ihr und der Schale blieb noch ein Zwischenraum. Sie war geplatzt, sie hatte einen Riß bekommen. Bald würde sie ihre Wurzel in einem neuen Tage befestigen, ihre Nacktheit würde sich selbst zum Bette eines neuen Himmels und einer neuen Luft machen, diese ihre alte verrottete, faserige Schote würde verschwinden.

Nun begann sie allmählich wirklich zu schlafen. Sie schlief im festen Vertrauen auf eine neue Wirklichkeit. Während sie schlief, atmete ihre Seele bereits die neue Luft einer neuen Welt. Der Friede war sehr tief und weich. Nun hatte sie in frischem Grunde Wurzel gefaßt, sie gab sich mehr und mehr neuem Wachstum hin.

Als sie schließlich erwachte, war es ihr, als sei der Erde ein neuer Tag erschienen. Wie lange, wie lange hatte sie sich durch Staub und Unbekanntheit hindurch kämpfen müssen, um zu diesem neuen Tage zu gelangen? Wie gebrechlich und fein und klar fühlte sie sich, wie die zarteste sich am Ausgang des Winters erschließende Blume. Aber der Pol der Nacht hatte sich gedreht, und eine neue Dämmerung begann.

Sehr weit lag nun ihre frühere Erfahrung hinter ihr – Skrebensky, ihr Abschied von ihm – sehr weit. Einiges war noch wirklich: die ersten strahlenden Wochen. Früher waren ihr diese wie ein Trugbild erschienen. Jetzt kamen sie ihr wie gewöhnliche Wirklichkeit vor. Der Rest war unwirklich. Sie wußte, Skrebensky war nie zur Wirklichkeit geworden. In Wochen leidenschaftlichster Wonne war er in ihrer Sehnsucht bei ihr gewesen, sie hatte ihn für eine Zeitlang erschaffen. Aber zum Schluß hatte er versagt und war niedergebrochen.

Seltsam, welche Leere sie und ihn nun trennte. Jetzt war er ihr ganz lieb, etwa wie ein Andenken, etwas Vergangenes. Er gehörte der Vergangenheit an, war erledigt. Er war erkannt. Sie empfand eine wehmütige Zuneigung zu ihm, wie für etwas Vergangenes. Aber nun, wo sie gradeaus sah, war er nicht mehr. Ja, wenn sie gradeaus sah, in das undurchforschte Land vor ihr, was anders vermochte sie dort zu erblicken als die Glut neuen Lichtes und undurchdringliche Bäume, die wie Rauch aus der Erde emporstiegen. Das war das Unbekannte, das Unerforschte, das Unentdeckte, an dessen Küsten sie nun gelandet war, allein, nachdem sie die Leere durchwandert hatte, die Dunkelheit, die die neue und die alte Welt umspülte.

Ein Kind würde sie nicht bekommen: darüber war sie sehr froh. Wäre aber auch ein Kind dagewesen, so hätte das doch nur einen geringen Unterschied ausgemacht. Sie würde sich und das Kind behalten haben, zu Anton wäre sie nicht wieder zurückgegangen. Anton gehörte der Vergangenheit an.

Es kam eine Drahtantwort von Skrebensky: »Bin verheiratet.« Alte Schmerzen und Ärger und Verachtung brachen wieder in ihr auf. Gehörte er der beiseite geworfenen Vergangenheit so ganz und gar an? Nun verstieß sie ihn. Er war eben, wie er war. Es war gut, daß er war, wie er war. Wer war denn sie, daß sie grade einen Mann ganz nach ihren Wünschen hätte haben sollen? Es war doch nicht ihre Aufgabe, sich einen zu erschaffen, sondern einen von Gott erschaffenen Mann anzuerkennen. Der Mann müßte aus dem Unendlichen kommen, und sie würde ihn grüßen. Sie freute sich, daß sie keinen Mann erschaffen könne. Sie freute sich, nichts milder Schöpfung zutun zu haben. Sie freute sich, daß dies zu den Aufgaben jener höheren Macht gehöre, in der sie endlich Ruhe gefunden hatte. Der Mann, dem sie angehören würde, würde aus der Ewigkeit kommen.

Je besser sie wurde, desto eifriger beobachtete sie die neue Schöpfung. Wie sie so an ihrem Fenster saß, sah sie die Leute unten auf der Straße vorübergehen, Bergleute, Frauen, Kinder, jeder in der Schale seiner alten Frucht, aber durch die Schale sichtbar das Schwellen und die atmenden Umrisse neuer Keime. In den stillen, geruhsamen Gestalten der Bergleute bemerkte sie etwas wie ein Schweben, ein schmerzvolles Warten auf Befreiung; das gleiche sah sie in der harten, falschen Sicherheit der Frauen. Die Sicherheit der Frauen war leicht zerbrechlich. Sie würde rasch zerbrechen, um die Stärken und die geduldigen Mühen neuen Keimens zu enthüllen.

In allem, was sie sah, bemühte sie sich, die Schöpfung des lebendigen Gottes herauszufinden an Stelle der alten, harten, unfruchtbaren Form vergangenen Lebens. Zuweilen überkam sie ein mächtiger Schrecken. Zuweilen verlor sie den Anhalt, verlor sie ihre Empfindung, sie konnte nur noch den Schrecken der alten Schale erfassen, die sie und alle Welt umfing.

Alle Welt lag in ihr gefangen, alle Welt mußte verrückt werden. Sie sah auf die steifen Leiber der Bergleute, die schon im Sarge zu liegen schienen, sie sah ihre unveränderlichen Augen, die Augen lebendig Begrabener; sie sah die harten, schneidenden Kanten der neuen Häuser, die sich in unersättlichem Siegesgefühl über den Hügel auszubreiten schienen, in dem Siegesgefühl scheußlicher, formloser Winkel und grader Linien, dem Ausdruck siegreicher, unwidersprochener Verderbnis, einer Verderbnis so rein, daß sie dadurch allein schon hart und leicht zerbrechlich wurde; sie sah den schwärzlich-braunen Dunst über den geschwärzten Hügeln drüben, die dunkeln Flecken der Häuser, schieferbedacht und formlos, den alten Kirchturm in häßlicher Vergessenheit über neuen, roten Häusern auf dem Gipfel des Hügels dastehend, die formlosen, zerbrechlichen, hartwinkligen neuen Häuser, die sich von Beldover aus den ebenso verderbten neuen Häusern von Lethley entgegenzogen, die Häuser von Lethley sich wieder mit denen von Heanor vermischend, eine einzige trockene, leicht zerbrechliche, schreckliche Verderbnis sich über das ganze Angesicht des Landes hinziehend; und sie wurde so tief elend vor Übelkeit, daß ihr die Sinne vergingen, wie sie so dasaß. Und dann bemerkte sie, wie in den dahinfliegenden Wolken ein schimmerndes Band einen Teil des Hügels schwach färbte. Alles vergessend, aufgeregt sah sie zu dem feststehenden Schimmer hinüber und sah, wie sich ein Regenbogen bildete. An einer Stelle glühte er besonders stark auf, und ihr Herz, angsterfüllt und doch hoffnungsvoll, suchte den Schatten des Regenbogens an seinen Fußpunkten. Ständig nahm der Farbenglanz zu, geheimnisvoll aus dem Nichts hervor, er nahm Gestalt an, ein schwacher. weitgespannter Regenbogen stand da. Der Bogen wölbte sich und wurde stärker, bis er unbezwinglich dastand, ein Riesenbau aus Licht und Farbe und dem Raume des Himmels, seine Fußpunkte leuchtend über der Verderbnis der neuen Häuser auf dem flachen Hügel, sein Scheitel der Scheitel des Himmels.

Und der Regenbogen stand auf der Erde. Sie wußte, das schmutzige Menschengesindel, das hartschuppig und einsam über die Erde dahinkroch, war noch am Leben, der Regenbogen wölbte sich über ihrem Blute und würde in ihrem Geiste zu bebendem Leben erwachen, sie würden die hornige Hülle ihrer Auflösung abwerfen, würden als neue, reine, nackte Leiber neu emporkeimen zu neuem Wachstum, dem Lichte, dem Winde, dem reinen Regen des Himmels entgegen. In dem Regenbogen sah sie den neuen Bau der Erde, die alte, gebrechliche Verderbnis von Häusern und Werkstätten hinweggefegt, die Welt als ein Gefüge lebender Wahrheit neu aufgebaut, dem Gewölbe des Himmels würdig angepaßt.

 

Druck von Breitkopf und Härtel in Leipzig

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