Joseph von Lauff
Die Heilige vom Niederrhein
Joseph von Lauff

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Siebentes Kapitel

Drei Wochen später . . . und in allen Kirchen wurde gesungen:

»Als ich bei meinen Schafen wacht'.
Ein Engel gute Botschaft bracht'.
Des bin ich froh!
O, o, o!
Benedicamus Domino!«

und überall der schwere Duft des Weihrauchs, das glitzernde Engelshaar zwischen den Fichtenzweigen, goldene Flämmchen allorten, die vor den Predellen auf hohen Leuchtern standen und mit den kleinen Engelein im Himmelreich sangen: »Jesus Christ wurde geboren, aus Maria der Jungfrau, der Mittlerin und Fürsprecherin, der Gebenedeiten und Gnadenreichen, der Alleserbarmerin . . . und kam nicht mit Troß und Hofmarschällen, nicht mit Kreuzen und Sternen, nicht im Glanze seiner Reiche und Fürstentümer, sondern er kam als nacktes Knäblein, auf Geheiß des großen Sternenvogtes über den Welten, um späterhin das Wort Gottes zu verkünden, am Kreuze zu sterben, den sündigen Menschen die Sünde zu nehmen und ihnen die Erlösung ans Herz zu legen« . . . und dazwischen Orgeltöne und seraphische Stimmen:

»Finsternis weichet,
Es strahlet hienieden
Lieblich und prächtig
Vom Himmel ein Licht.

Engel erscheinen . . .« Nicht weiter, um Gottes willen nicht weiter! Erschienen in Wahrheit die Engel, um den Frieden unter die verbitterten, mißleiteten und verzweifelten Menschenkinder zu tragen? Nein, sie erschienen nicht . . . und so tapfer Heribert Kästner im Orgelgestühl der Kirche von Warbeyen auch sitzen mochte, alle Register aufbrausen machte, den Kalkanten anspornte, die Bälge fester zu treten, die Äolsharfen anstimmen und die Vox humana, aufjauchzen ließ, als wäre der gefeierteste Sangesmeister bei der Arbeit gewesen, auch ihm gelang es nicht, die Engel heraufzubeschwören, sie innigst zu bitten, dem niedergeworfenen Volk die ersehnte, einzigwahre, himmelhohe Weihnachtsfreude an die zermarterten Herzen zu legen. Die Engel Gottes versagten, wandten sich ab, konnten und wollten nicht helfen, denn zuviel der Tränen waren schon um Deutschland geflossen, zuviel hatten bereits die staatserhaltenen Parteien mit den Umstürzlern und Revoluzern geliebäugelt, sich diesen aus Sonderinteressen in die Hände gegeben, zuviel an politischem Falschgeld unter die Leute getragen. Nein, die Engel konnten nicht retten, erlösen. Da mußte der Herr schon selber . . . da mußte er schon seinen ersten Sachwalter schicken, der wußte, wie er die Geistes- und Handarbeiter zu führen hatte, die da willens waren zu schaffen, der wußte, wie er die schwarzen und roten Bonzen klein kriegen konnte, da mußte er schon seinen strahlensten Cherub, den Erzengel Michael, senden, in leuchtender Wehr und mit blitzenden Waffen. Der mußte sein scharfes Schwert breit legen, es zucken lassen von Mitternacht bis Mittag, von Morgen bis Abend: »Gebt Ruhe, ihr Schreier, ihr Pazifisten und Frömmler, ihr Dunkelmänner und Aasjäger, ihr Schieber, die ihr das Heil sucht jenseits der Alpen – gebt Ruhe! oder ich schlage mit der Schärfe des Schwertes und lasse meine Lanze schatten wie die eines Giganten. So nur ist Deutschland zu retten, werden die Lauen und Hinterhältigen abgetan, die Dulder und Aufrechten erhöht und erhoben.«

Vox humana und Äolsstimmen verhallten.

Heribert verließ das Orgelgestühl, suchte sein Heim auf, um an Henriette zu schreiben. Aber was sollte er schreiben?

Ihr letzter Brief hatte ihn angemutet, als wäre jedes Sätzlein, jeder Gedanke, jedes Wörtlein der Zuneigung wie mit spitzen Nadelkristallen hingesetzt worden – lieblich und gut, voller Verehrung und Hingebung, aber doch immerhin mit haarfeinen Nadelkriställchen geschrieben. Sein Empfinden bäumte sich auf. An wen waren ihre Zeilen gerichtet? Wem flocht sie ein Kränzlein? Der irdischen oder der himmlischen Liebe? Wem galt ihre innerste Neigung? Sie erschien ihm wie eine schöne, abweisende, junge Novize, begehrenswert und anzuschauen, als wäre sie aus dem Paradiese Gottes in einen kleinen Klostergarten getreten, oder aber erhob sich eine zwingende Kraft neben ihr – für ihn nur ein Schatten, für sie jedoch eine verzehrende Flamme, der sie nicht mehr zu entrinnen vermochte?! Er lächelte bitter. Herr, mache mich wissend, auf daß ich nicht durch Finsternis schreite und Halt und Himmel verliere! . . . und er schrieb nicht, wollte noch warten, sich Rechenschaft geben über dieses und jenes. Letzten Endes mußte der Schleier doch auseinander, und dann: hell würde es werden wie am ersten Tage des Lichtes . . . und so langte er denn nach dem Manuskript seines neuen Trutz- und Kampfromanes, willens, das achte Kapitel unter dem Knistern der Weihnachtskerzen fertigzustellen. Und also geschah es. Bis tief in den heiligen Abend hinein saß er im traulichen Schein seiner Arbeitslampe und fand für etliche Stunden das, was er suchte: Vergessen und Frieden.

Und weiter . . . Einige Tage später riefen die Glocken der Stiftskirche die Mitternachtsstunde von ihrer steilen Warte herunter. Als sie verhallten, krachten die Feuerwerkskörper an allen Ecken und Kanten, klingelten die Punschgläser gegeneinander, zischelten blaue und silberlichte Raketen in die Nacht voller Sterne.

»Prosit Neujahr, meine Damen und Herren!«

»Prosit Neujahr sonder Verdriet!«

Aber es war nicht mehr das ›Prosit Neujahr‹ von einst und ehedem. Eine starre, unbarmherzige und bleierne Faust lag auf allem und jedem. Zuviel gemordete Existenzen deckten den Boden, zuviel Rauchfahnen waren von den arbeitsfrohen Schloten genommen. Nicht Sälde und Segen mehr! Die Pflugmesser warfen leeres Gestein statt ersprießliche Ernten aus den umbrochenen Schollen. Überall Leerlauf. Den Aufrechten im Lande war die Macht aus den Händen gewunden, ihr Wollen nicht mehr imstande, das Steuer auf die richtige Seite zu zwingen. Gottes Hand und Gottes Fluch ruhte auf Deutschland . . . und wer das kartesische Teufelchen auszufragen gedachte, bekam keine Antwort. Es hielt sich in Abwehrstellung und weigerte sich, aufwärts zu steigen. Nur die Hellhörigen hörten es wispern: »Durante causa dura effectus. So lange die Ursache dauert, solange die Wirkung.« Dazu machte es ein Gesicht wie 'n Rendant von der Viehsterbekasse, wenn die Bauern vorsprachen und dartaten: »Mynheer, wir haben die Maul- und Klauenseuche bezogen. Also Butter bei die Fisch. Die Assekuranzpolice ist richtig.« Aber die Kasse war nicht richtig. Sie hatte die Schwindsucht. Nein – das ›Prosit Neujahr‹ war zwar gut gemeint, aber schwächlich, blieb vielen in der Kehle hängen oder tastete sich mit klammen Fingern durch einen Nebel, der nicht aufhören wollte, kurz, die Silvesterstimmung war so miserabel wie möglich, wurde nicht sprudelfrisch und stierte in die Punschterrine mit schiefen Mundecken und hängenden Ohren.

Nur andern Tages, am Neujahrsmorgen . . . in der Kavarinerstraße blieben die Leute vor dem Anwesen Jansens stehen, steckten die Köpfe zusammen, gestikulierten mit Armen und Beinen und waren baß erstaunt über das, was sie zu sehen bekamen. Die Frontseite des Hauses blühte mit frischem Tannengrün von oben bis unten, schmunzelte aus allen Luken und Knopflöchern, als wären die fetten ägyptischen Jahre unverhofft über Giebel, Dachpfannen und Sparren gekommen.

»Christus!« sagten die Menschen, stießen sich an, als wäre ihnen Unerhörtes vor die Sinne getreten. »Nein, dieser Jansen . . .

Die Angestellten und Handwerksleute der Firma waren in den letzten Tagen nicht müßig gewesen, hatten vielmehr in die Hände gespuckt und nicht lange gefackelt. Bretter wurden zugeschnitten, gehobelt und sorglich verdiebelt. Die Hämmer verloren ihr monotones ›Rattata, rattata‹, schafften freier und froher. Die Späne kräuselten sich munter von den Hobelbänken herunter . . . und eija! die sonst so verdrießlichen Sargnägel bejaten das Leben, drangen klingend in Masern und Fasern und hielten das neue Firmenschild, das sich über die ganze Frontseite des Hauses hinziehen sollte, rechtschaffen zusammen. Selbst der erste Lackierer- und Malermeister des Betriebes, Pitt van de Lucht, lackierte und pinselte so sonnenheiter drauf los, als wäre er bei einem weinfrohen majuskel- und minuskelkundigen Mönchlein des Klosters Sankt Gallen in die Lehre gegangen. Eija, und die Bubiköpfe und die Zopfigen erst! Unter der Aufsicht des duftigen Bräutchens schafften sie emsig, flochten sie Stechpalm- und Fichtengrünkränze, wirkten Ebereschenbeeren hinein, Rüschchen und Schleifchen . . . und während die Sternchen vor Kälte unter dem Himmelreich knisterten, die Menschen bei den warmen Kanonenöfen saßen, der zwölften Stunde in der Silvesternacht entgegenharrten, mehr oder weniger bekümmert in die heißen Punschgläser hineinäugelten, lichteten die Angestellten des Beerdigungsinstutits alles aufs Beste, brachten das neue Firmenschild an Ort und Stelle, zogen Girlanden und Kränze, ließen bei klarem Mondlicht und zum guten Beschluß von der obersten Bodenluke ein funkelnagelneues Fahnentuch auf die Straße herniederbammeln. Fertig! und saßen alsbald um 'ne mächtige Bowle zusammen, gemeinsam mit den Herren Jansen und Baumann, völlig berechtigt, ein von Herzen kommendes ›Prosit Neujahr sonder Verdriet‹ zu verlautbaren,denn das kartesische Teufelchen war hier total aus dem Häuschen und hatte unverhohlen sein kräftigstes Amen gesprochen.

Das bewies auch der kommende Morgen.

Dem Hause Joris Jansen war Heil widerfahren.

Nach dem Hochamt suchten die Menschen die Kavarinerstraße auf und standen und staunten.

Die einen sagten: »Der Tod ernährt seinen Mann. Wer aus der Pierekull sein täglich Brot holt, ist gemacht für sein Leben«, die anderen wieder: »Nee, nee! Alles was recht ist: wer Grips im Koppe besitzt und rechtzeitig seine Kartoffeln zusammenschmeißt, hat den Profit von . . .« aber alle machten die Hälse lang, bewunderten die goldenen Buchstaben auf dem schwarzlackierten Hintergrund mit dem umsilberten Rahmen und lasen mit Kulpsaugen: »›Pietas‹, in Firma Joris Jansen und Severin Baumann«.

»Christus, hat der Mensch 'nen Dusel!«

»Jawoll, aber Herr Baumann verdient es.«

»Tut er, indessen jedoch, Herr Joris weiß auch seine Leute zu finden.«

»Ganz richtig. Bravo, Herr Jansen!«

Der Seniorchef stand hinter den Fensterscheiben, schnappte nach Atem, schürfelte aber zufrieden die Hände gegeneinander.

Sein Kompagnon hatte sich unter die Leute gemischt, erklärte dieses und jenes, und während er noch dabei war, die näheren Umstände auseinanderzuzwirnen, auch durchblicken ließ, von jetzt an die Beerdigungskosten zehn Prozent unter Taxe anzusetzen, kam Aloys Ferkulum die Straße herauf, in Sonntagsmontur, auf breiten Sohlen und den Zylinder etwas auf die Seite geschoben. Sein glattrasiertes Eierkopfgesicht erinnerte an das eines Januskopfes. Die linke Hälfte war wie die eines Mannes, der mit dem ganzen Brimborium nichts richtiges anfangen konnte, die rechte wie die eines unpäßlichen Sauerampfers mit zwickenden Hühneraugen. Ohne tieferes Interesse segelte er an den erstaunten Menschen vorbei, würdigte Giebel und Aufmachung kaum eines Blickes, trat teilnahmlos in den Hausflur und stand bald darauf seinem Freund gegenüber.

Herablassend warf er Zeige- und Mittelfinger gegen den Hutrand.

»Serviteur! Prosit Neujahr, alter Genosse und Kupferstecher! Indessen: nu hat Baumann doch die große Nummer gezogen, wie er's mir und Dores van Laak bei's Wurstessen anprophezeite.«

»Freut mich, solches aus Eurem Munde zu hören; denn allerhand Hochachtung: Baumann ist auch 'ne Nummer für sich.«

»Gewiß, gewiß! Davon kann unsereins nichts abdividieren. Will ich auch gar nicht. Das wäre ja sonst dem gnietschigen Zebedäus gepfiffen, wenn man auch wahlhaben muß: in Klev' gibt's noch andere Nummern, noch größere Nummern, zum Beispiel . . . aber man kann sich selbst doch nicht anpräsentieren, nicht sagen: Euer und mein Betrieb stehen in gewisser Beziehung zueinander, passen wie Pott und Deckel zusammen. Nee, das kann man nicht dartun, das muß einer fühlen . . . und offen gestanden: ich hab' mir so 'n bißchen ausklamüsiert . . .«

»Justement meine Ansicht«, unterbrach ihn der Seniorchef. »Hab' auch dran gedacht, aber absolut nicht zu machen. Die Firma benötigte 'ne junge Kraft mit fixen Beinen und flotter Modernität, sonst befindet sie sich über kurz oder lang wieder in derselben Predullig. Sonder Komplimente – so bin ich denn auf Baumann verfallen.«

Ferkulums Gesicht klärte sich auf.

Der unpäßliche Sauerampfer mit den zwickenden Hühneraugen schälte sich von der rechten Hälfte herunter und begann süßlich zu lächeln.

»Joris, nehm's in Empfang. Aber darauf trinken wir einen.

»Soll denn ein Wort sein.«

Der Stift wurde zitiert.

»Fipps, 'ne Anisette, aber 'ne Anisette mit 'nem gehörigen Langkork.«

»Bonus, Mynheer.«

»Fipps, noch ein Wort!« rief ihm Ferkulum nach. »Zur Feier des Tags – ich bitte mir aus: 'ne gläserne Wanze mit doppeltem Inhalt.«

»Wird gemacht«, und der listige Schlingel, dem Herr Jansen fünf Mark an Monatssalär zugelegt hatte, flitzte ab mit der Dienstfertigkeit eines Angestellten, dem es heilige Pflicht war, der neuen Firma, Herrn Ferkulum und sich selber die Ehre zu machen.

Mit vielsagendem Seufzen klinkte die Tür ein.

*

In illo tempore . . . in jener Zeit ging in judäischen Landen ein Stern auf, der den Weltenkreis in helle Bewunderung versetzte. Er zog von Morgen herauf und wandte sich langsam mit der Majestät eines ägyptischen Pharaonen gen Westen. Sein Mantel war purpurn, seine Schleppe ein Gleißen und Glitzern von Myriaden Perlen und Sternchen, die sich letzten Endes zu einem Nebelschleier von Diamanten verwebten und ins Ewige knisterten, sein Haupt eine leuchtende Flamme, schön wie ein Licht, dem Himmel und Erlösung innewohnten. Unter ihm aber begann es zu trappeln, mit Silberschellchen zu klingeln, mit seidenen Troddeln und Schnüren auf und nieder zu tänzeln. Sand ballte sich auf. Eine endlose Trombe wandelte mit dem Stern aller Sterne . . . und in dieser endlosen Trombe gespensterten gigantische Schatten von Menschen, von Herren und Knechten, von Kamelen und hohen Dromedaren. Drei schneeweiße Tiere schaukelten vor, ließen sich vom Schein des Phänomens übersilbern. Ihre Schabracken und Schabrunken brannten in allen Farben des Ostens. In den umkrusteten Sätteln wiegten sich edle Königsgestalten, wiegten sich Melcher, Balzer und Kasper, die Weisen aus Mohrland. Mit klingendem Troß trieben sie weiter über salzige Öden, über fette Weiden und Triften, immer das Glänzen und Glitzern vor Augen, immer die Herzen voller Liebe und Sehnsucht bis sie ins mosaische Land und nach Bethlehem kamen.

Und Melcher fragte einen Bethlehemiten: »Wohnt hier der König der Juden?«

Der wußte es nicht, lächelte nur mit dem Lächeln seines Volkes, um sich verlegen um die nächste Ecke zu drücken.

Eine Lichtgestalt aber, ein Cherub des Herrn mit goldenem Stirnreif und steilgerichteten schneehellen Schwingen erhob sich an der Tür eines verfallenen Stalles.

Der antwortete ihm.

Seine Stimme war die Stimme der Ewigkeit, des Unendlichen: »Ja, du Weiser aus Mohrland, du hast richtig gefragt. Eija Weihnacht! hier wohnt er, hier wurde der Messias geboren. Tretet nur ein und sein Licht wird Euch leuchten.«

Also der Engel.

Sie aber traten über die holperige Schwelle und fanden das, was sie suchten: zwischen Öchslein und Eselchen das Heil der Welt in einer mageren Krippe, auf Heu und Stroh und mit fadenscheinigem Linnen umwickelt . . . und sie knieten nieder, beteten an, opferten Gold, Weihrauch und Myrrhen, um alsbald wieder dorthin zu pilgern, von wannen sie kamen.

Ja, in illo tempore erschienen sie auch am Niederrhein, in Kleve, in allen Ortschaften des früher so gesegneten Herzogtumes. Auch hier besuchten sie die Krippe in der hohen Stiftskirche, in sonstigen Kirchen und Gnadenkapellen, opferten genau so wie in Bethlehem Gold, Weihrauch und Myrrhen, um alsbald wieder auf ihren schneeweißen Tieren über salzige Öden, fette Weiden und Triften dorthin zu klingeln, von wannen sie kamen. Mit ihnen verschwand auch der heilige Stern mit seinem Glitzern und Leuchten.

Was aber die Hauptsache war . . . mit dem Abschied von Melcher, Balzer und Kasper, war die Zeit nicht mehr fern, wo Herr Baumann und Fränzchen Jobelius sich für berechtigt hielten, ihre Plüschpantoffeln unter ein und dasselbe Bett zu stellen und nach des Tages Lasten und Mühseligkeiten glücklich zu sagen: »Nu sind wir drin! Wir brauchen keine Beleuchtung mehr. Aus mit der Glühbirne«, und eine bereitwillige Hand knipste das Licht ab, denn vierzehn Tage nach dem Dreikönigentag schnappte das Kirchbuch ein, ein Zeichen dafür: die eheliche Gemeinschaft war hiermit getätigt.

»Kopuliert!« sagte Ferkulum.

Seine Augen wurden zu blanken Speziestalern.

Die Hochzeiterei selber war primissima Klasse.

Die beiden Kompagnons wollten alles vom obersten Ende, schon aus Ärger darüber, daß Henriette und Heinrich Verschüren aus irgendwelchen Gründen dem Hochzeitsessen nicht beiwohnen konnten.

In der Restauration von Becker-Thun verlief die Feier in glänzender Weise. Der Seniorchef war Würde und Weihe und ließ es sich schmecken, dito sein Kompagnon. Herr Ferkulum war eine Nummer für sich, ein Mann, der in allen Sätteln Bescheid wußte, gleichviel, ob es galt, Saucischen mit Sauerkraut, 'nen gepökelten Gänsebeinbollen oder 'ne Portion Hamburger Spickaal über den Haufen zu reiten. Als aber gesottene Schweinskarbonaden in Sülze anpräsentiert wurden, ihm seine Nachbarin, Frau Margarinefabrikantin Peternella Kleinwater, geborene Pistoris, des Längeren auseinandersetzte, der frommen Legende nach wäre dieser Gang das Lieblingsgericht des Landpflegers Pontius Pilatus gewesen, konnte Aloys nicht umhin, vor Angriff des Schmauses, Gabel und Messer seitlich des Tellers aufzupflanzen, etliche markante Stellen aus seiner Rolle über Schweinskarbonade und Sülze zu sprechen und sich dann erst an die Arbeit zu machen.

Arbeit und Sprechweise fanden rauschenden Beifall. Letztere mehr als erstere, denn Ferkulums Leistungen als Eßkünstler waren den meisten bekannt, die als Komödienspieler aber fast allen mehr oder weniger Hinterwäldnergeschichten und böhmische Dörfer. Kurz, die Tafelrunde erschauerte vor Ehrfurcht und tiefem Erstaunen.

Das junge Ehepaar prostete ihm zu, dito Herr Jansen, desgleichen Frau Margarinefabrikantin Peternella Kleinwater, geborene Pistoris, auch Herr Dores van Laak: »Jawoll! Hab's schon einmal gehört, aber man kann's immer aufs frische vernehmen:

Es geht ein Schrei von Dan bis Berseba,
Die Wüste weint und ihre Steine bluten . . .

»Kann's bezeugen!« rief Baumann. »Herr Ferkulum, mein ganz Spezielles!« und der junge Kompagnon trank sich so in die Begeisterung hinein, daß Fränzchen unruhig wurde und ihren Angetrauten dringlichst ersuchte, sich um seinet- und ihretwillen etwas menagieren zu wollen. »Männchen, sei stät, sonst verhagelt uns noch die beste Petersilie und die feinste Erbsenrabatte.«

Aber ›Männchen‹ ließ sich nicht mehr halten. Die Begeisterung ging mit ihm durch. Er trank auf das Wohl seines ehrwürdigen, gottesfürchtigen und selbstlosen Seniorchefs, auf das Blühen und Gedeihen des Hauses, auf den Komödienspieler Aloys Ferkulum, auf Dores van Laak, auf dessen eingepökelte, geräucherte, präliminierte Porkshire-Sau, auf Jan und Allemann, auf Kirche und Staat, um zum guten Beschluß seine Franziska in den dreimal durchdestillierten rosenroten Himmel zu heben, zwei Finger zu strecken und mit heiliger, wenn auch etwas lallender Stimme zu sagen. »Nunquam retrorsum! Niemals zurück! Immer aufs Ganze! Immerzu Wind in den Segeln, Wind für mein angetrautes Weib, für meine gebuckelte Schildjungfrau, für dieses Ehrenbukett mit den Rehzwillingen, die unter Rosen weiden. Das schwör' ich, so wahr mir Gott helfe! Herz, meine Welt . . .!« Und er umfaßte sein Herz, seine Welt und pflasterte ihr unter dem frenetischen Jubel der Geladenen 'nen saftigen, wenn auch schiefen Kuß auf das linke, neckische Ohrmüschelchen.

»Bravo!«

Alles war Fett und leuchtende Flamme.

»Aber Männchen . . .

»Nichts damit ›Männchen‹! Du bist meine Freude, mein Jelängerjelieber . . . und was ich getan hab', das kann ich mir leisten.«

»Kannst du!« rief Ferkulum, und er hielt eine lange und gediegene Rede auf Fränzchen, was Baumann aufs neue veranlaßte, noch 'ne Langkork auf die bereits genossenen Langkorken zu setzen . . . und immer so weiter, bis die Hühner in die Ställe einwechselten, zusammenrückten, Kopf und Kamm unter die Federn schoben und kaakelnd ihre Stangen beschmissen. Da war's alle mit Baumann.

Der Geist war noch willig, aber die Beine wollten nicht mehr.

Unter Assistenz von Fipps und Dores van Laak wurde er nach den heimischen Penaten geleitet, dortselbst zwischen Kissen und Decken verstaut, um dann zu versacken mit dem geheimnisvollen Gluckern eines bleiernen Entvogels.

Die Sterne flinzelten freundlich unter dem Himmelreich und gingen dann unter – Herr Baumann sägte, aber er sägte mit Anstand.

Und nochmals kreisten die goldenen Bilder um den ewigen Polstern, allverzeihend und gütig, um ebenso allverzeihend und gütig im Grauen des Tages abzublassen – erst da . . . erst am zweiten Morgen nach getätigter Hochzeit saß er frisch und frei beim Kaffee, bei delikaten Korinthenbrötchen und rahmweißer Molkereibutter.

Er konnte nicht klagen, es schmeckte ihm trefflich.

Sein Herz und seine Welt hatte sich schamhaft aber dennoch verklärt an seine Seite geschoben.

Ihre Hand streichelte sacht über die seine.

Vieles ging ihr durch den Sinn. Sie dachte daran . . . Im verflossenen Herbst hatte sie in Krefeld die Oper besucht: Lohengrin. Eine Stelle des Gralritters heftete ihr an wie Kletten an Wollstoffen. Es waren selige Worte.

Auch heute kamen sie ihr sacht in die Sinne.

Sie mochte wollen oder nicht, sie mußten ihr von der Seele herunter.

Indem sie weiter streichelte, sagte sie innig: »Nun sei bedankt, mein lieber Schwan, denn jetzt weiß ich doch endlich, daß ich ein richtiggehendes und reguläres Lohengrinchen besitze.«

Ihre Herzkirschen legten sich fest auf die seinen. Er erwiderte den Kuß mit genüßlichem Wohlbehagen.

»Und nu«, rief er glücklich, »jetzt aber 'ran an die Arbeit!« –

Mildere Lüfte schmeichelten über Dämme und Deiche. Noch war winterliche Zeit, aber zwischen Borke und Bast begann es sich schon heimlich zu regen. Die hainebuchenen Wallhecken hatten bereits ihre Fuchsperücken abgelegt, standen blank und kahl an den Wegen, wenn auch reich übersprenkelt mit noch scheinbar toten Knospen und Knöspchen.

Die Hand des Schöpfers streichelte lind über sie hin, und siehe: die Starre löste sich auf, die Myriaden von Chrysaliden, die alle Zweiglein bedeckten, bräunten sich sichtlich, ließen sich von einem feinen und duftigen Lack überziehen. Auch in den Wipfeln des Reichswaldes war ein Dunsten und Dampfen, ein Drängen nach Licht und Auferstehen, ein Brausen und Schüttern, als wollte der Herr jeden Wurzelstock auf seine Festigkeit prüfen, was sich als morsch und faulicht erwies, aus dem heiligen Tempel des Forstes verbannen.

Die ersten Stare fielen ein.

Die Wiesenbächlein gluckerten froher und emsiger, und als die ersten allzu vorzeitigen Schneeglöckchen und Himmelschlüsselchen zwischen offenen Triften und Schneewehen herumzuspazieren begannen, ja den Mut aufbrachten, die Flanken der Außen- und Binnendeiche anzugehen, wehte im Angesicht von Heiligenbaum eine Soutane von der mit Schluchten und Steilhängen durchrissenen Hügellehne herunter.

Eine weiße Hand streckte sich aus.

»So ist's gedacht, so wird's ausgeführt und so soll es bleiben!«

Es war eine zuversichtliche und herrische Stimme die also daherredete.

Unter dieser Hand und dieser zuversichtlichen Stimme lag der Gnadenort, dem schon seit Jahren viele armselige und zermarterte Menschenherzen zuströmten, um sich alles Weh und alles Leid von der Gnadenmutter nehmen zu lassen, sich Trost und Erbauung zu holen.

Das war vor vielen Jahrzehnten geschehen . . . da stand auf einsamer Heide ein Schäfer bei seinen Schafen und Böcken, ein Mann wie aus dem Buche der Könige oder dem der Richter genommen.

Des schmales, sonnenverbranntes, mit Runen durchfurchtes Gesicht war ein hartes, aber gutes Gesicht, das Auge ein Auge wie es die Berufenen und Gottseligen haben. Das Herz ein Herz so tief und gläubig, wie es nur Märtyrer und Blutzeugen aufweisen können. Es vermochte Ströme abzuleiten und Berge zu versetzen.

Der nun stand im Schatten einer halbabgestorbenen und verwetterten Buche. Wo die Gabelung ansetzte, wies der mächtige Stamm einen klaffenden Spalt auf. In dem wipfeldürren Baum spektakelten zwei Hähervögel. Ihre blauweißen Deckfederchen spiegelten sich in der brühwarmen Sonne.

Das weite Heideland hallte wider von dem ohrbetäubenden Lärmen.

Das störte den Alten, denn er dachte gerade daran, wie der Herr seine Schafe und Lämmer hirtete, sie betreute, daß keins verloren ging oder sich verfing mit den Dornen des wilden Rosenstrauches.

»Prr!« machte der Alte; dabei hob er den Schaufelstab steil in die Höhe. »Pfui Deubel, ihr Luders!«

Aber die sonst so scheuen und flüchtigen Vögel hörten weder auf Stab noch Anruf, lamentierten weiter, um sich jählings tiefer zu senken, aufzubäumen und stumm wie die Fische in die unergründliche Spalte zu äugeln.

»Jesus . . .

Der Einsame trat näher heran, machte Augen wie die, die etwas Hohes erschauen.

»Jesus . . .!« rief er zum andern.

Da sah er – der düsteren Tiefe entwuchs eine Menschengestalt aus Moder und Holzmulm: die himmlische Frau, den göttlichen Knaben im Arm, hoch und her, wie von einem überirdischen Messer geschnitzelt.

»Maria . . .

Der Alte warf die Arme gen Himmel.

Er wähnte eine blanke Polensense zu sehen. Die blitzte und mähte ihn wie 'ne Weizengarbe von der Ackerparzelle herunter. So glaubte er . . . aber eine holdselige Stimme war bei ihm, die sagte: »Zweitausend Schuhe von hier sollen mir Land und Leute eine Kapelle errichten, auf daß das Mirakel offenbar werde. Gehe hin und folge der Weisung.«

Ein Wunder! Kleriker und Laien beflügelte ein heiliger Eifer. Binnen weniger Jahre wurden Kirche und Kapelle errichtet, das Bild überführt, mit Brokatgewändern bekleidet, ihm Krönlein und Zepter gegeben . . . und Tausende kamen, opferten Lichter und wächserne Herzen, Immortellenkränze und klingende Münzen. Ihre Gebete und Lamentationen erfüllten das Herzogtum Kleve und die benachbarten Grafschaften, beseligten die kranken Gemüter, boten ihnen die Speisen des Lebens: »Heilige Jungfrau, bitte für uns! Versöhne uns mit deinem Sohne, empfiehl uns deinem Sohne, stelle uns vor deinem Sohne. Mutter der Barmherzigkeiten, sei bei uns jetzt und in der Stunde unseres Todes . . .!« bis ein Mindergläubiger und Zweifler kam und den Bildstock heimlicherweise wieder an seine frühere Stätte verpflanzte. Allein, ein neues Mirakel geschah: der Arm des Frevlers verlähmte, wurde zu Zunder, bröckelte stückweise ab, während der Bildstock ohne menschliches Zutun aufs neue in die Kapelle gelangte und sieben Tage und Nächte hindurch in allen Farben des Regenbogens erstrahlte.

Das ging über ein doppeltes Wunder . . . und viele kamen und siedelten um Muttergottes und Kirchlein, gründeten Hof und Herd, Warten und Wege, Pfarrhaus und Schulen, Pflegestätten des Geistes und solche des Leibes, als da waren ›Zum güldenen Schwanen‹ und ›Zum fröhlichen Landmann‹, Waffel- und Lebkuchenbuden, Läden für Devotionalien und andere Läden, Straßen und Gäschen, trauliche Winkel und Eckchen . . . und da solches geschehen, nannten sie die geweihte Stätte Heiligenbaum, wobei eine weißgekleidete Jungfrau, gleichsam wie Mirjam, die Jüdin, eine Pauke ergriff und vortanzete – und siehe: alle ihre Gefährtinnen folgten ihr in silbernen Kleidern mit Pauken am Reigen.

Seit diesem Tage war Heiligenbaum geweiht und gepriesen, dem gefeierten Wallfahrtsort Kevelaer ebenbürtig, ein Ort der Erbauung, eine Zufluchtsstätte der Betrübten, ein Schild der Wankelmütigen und Lauen, ein Heiligtum auf niederrheinischer Erde, an dem sich selbst die Thronen und Fürstentümer des Himmelreiches erfreuten . . . und wenn in brütenden Hundstagen die Prozessionen sich über staubige Landstraßen, durch schnittreife Kornfelder dahinschleppten, die Kirchenfahnen schlapp von den Stangen herunterbammelten, die Kehle verdorrte, die Medaillenstäbe ihr zuversichtliches Blenkern verloren, der tranige Schuh nicht mehr wollte – wenn dann aber die ersten Glocken von Heiligenbaum herübertönten, einen herzinnigen ›Willekumm‹ durch die kochgaren Lüfte dahersandten, dann, ja dann . . . Christus, mein Heiland! Wie neugeboren wurden Umwelt und Menschen. Die Kirchenfahnen strafften sich hoch, ihre Tücher blähten sich unter dem Hauch einer köstlichen Brise, die Medaillen blitzten gleich leuchtenden Sternen, die Nacken stählten sich, die hängenden Köpfe warfen sich strack in die Höhe, die müden abstrapazierten Schuhe wurden zu taktfesten marschierenden Schuhen, die ausgedörrten Kehlen zu lichterklaren jubelnden Stimmen:

»Maria, wir dich grüßen,
O Maria, hilf!
Wir fallen dir zu Füßen,
O Maria, hilf!
O Maria, hilf uns all'
Hier in diesem Jammertal!«

Wie das jauchzte und fieberte, mit den Lerchen über dem Irdischen schwebte, gehoben an Leib und Seele gegen die gebenedeite Gnadenstätte antriumphierte! Und immer wieder die verzehrende Inbrunst, das Rufen und Schreien, das Singen und Sagen. Großer Gott, heiliger Gott, bald müssen die Mirakel geschehen!

Und die Mirakel geschahen, denn nur wenige Orte des Weltenkreises, selbst Neapel nicht mit dem Blutfläschchen des heiligen Januarius, selbst Santiago de Compostela nicht, hatten eine größere Mittlerin und Fürsprecherin, unter den Thronen aufzuweisen denn das schlichte Heiligenbaum . . . und nun sollte sich ihm noch eine besondere Gnade erschließen. Himmel und Seligkeit! aus den Händen des jungen Kaplans Heinrich Verschüren sollte es noch in diesem Jahre die Freilichtbühne mit der großen Leidensgeschichte des Herrn empfangen, sollte mit Oberammergau in Wettbewerb treten, Land und Leute erbauen, unter einem frischgewundenen Ehrenkränzlein erschauern.

Der ganze Niederrhein stand unter dem Zeichen des Harrens und Hoffens.

Der Kaplan von Warbeyen wußte seine Schäflein zu nehmen, sie dorthin zu führen, wo er sie hinhaben wollte. Die mildtätigen Spenden sprangen ihm zu, als wäre ihm eigens zu diesem Zweck eine besonders ergiebige Präge geworden. Seine Werbungsepisteln erinnerten an spiegelblankgeschliffene Steine, wobei er durchblicken ließ, jegliches Opfer mit Zins und Zinseszins zurückzuerstatten, um zu guter Letzt noch ein erfreuliches Plus auf die hohe Kante zu legen, das er zur Ehrung des im Dienste der hohen allbeglückenden Weimarer Verfassung dahingegangenen Matthias Erzberger zu verwenden gedachte; denn dieser Matthias – o Gott, welche himmlische Leuchte . . .!

Das Drama lag vor. Die Rollen waren verteilt, die ersten Leseproben im ›Fröhlichen Landmann‹ getätigt. Zu diesem Behufe sprach er häufig in Heiligenbaum vor, wirkte und lehrte, ermahnte und feuerte an, und siehe: alle fügten sich willig und waren des Lobes voll über die Anordnung des Stoffes und die ergreifende Sprache der Dichtung. Selbst der kunstbeflissene Lehrer Stephan tom Heuvel aus dem benachbarten Appeldorn stellte sie weit über die des ehrwürdigen Herrn Daisenberger, dem ehemaligen geistlichen Rat in Oberammergau . . . und als Henriette Jansen gleich bei der ersten Leseprobe so innig und sinnfällig sich mit der großen Aufgabe zu verkörpern wußte, hatten alle Anwesenden bis auf den geringsten Komparsen den Eindruck einer hochbedeutsamen Sache und den eines unvergeßlichen Erlebens.

Spontaner Beifall überschüttete sie.

Stephan tom Heuvel, als Lieblingsjünger, war Feuer und Flamme.

Alle umschatten sie, wußten ihr nicht genug des Lieben und Anerkennenden zu sagen.

Selbst Hochwürden trat näher.

Seine Lippen bebten.

Um seine Mundecken kräuselte sich ein feierliches Lächeln.

Die zunächst Stehenden wichen scheu und ehrerbietig zur Seite, denn jedereins fühlte: Hochwürden hatte ein gütiges und vertrauliches Wörtchen zu reden.

»Fräulein Henriette . . .«

Seine Arme hoben sich bis in Schulterhöhe, näherten sich dem hohen Menschenkind, und siehe: nur mit dem Hauch einer feinen Berührung legten sich die reinen und weißen Hände des Priesters um ihr Medaillengesicht.

»Meisterin!« sagte er leise und sah ihr tief in die Augen, die den seinen in schlichter Einfalt, aber mit innigem Leuchten begegneten. »Gebenedeite, von der Muse geküßte, wie danke ich Ihnen?! Nun ist mir jedes Bangen und Fürchten genommen. Mögen sich uns auch Kräfte entgegenstellen, die den irdischen Tand höher bewerten, als das Heiligtum der ewigen Wahrheiten, der Mysterien, die noch keiner zu ergründen vermochte – Christus regieret, Christus bleibt Sieger und segnet uns alle. Meine Seele ist heiter, wird heiter bleiben, denn eine Stimme flüstert mir zu: das große Versöhnungsopfer auf Golgatha wird sich glorreich behaupten.«

Seine reinen Hände lösten sich von ihren bleichen Schläfen, verschränkten sich leise.

»Mit Gott denn!«

»Ich danke Ihnen, Hochwürden.«

Sie lächelte, und dieses Lächeln war das einer Heiligen. –

Solches war vor Wochen geschehen. Alle standen unter dem Bann dieses Erlebens, die von nun an Henriette Jansen nur noch die Heilige vom Niederrhein nannten.

Und heute . . .!

Himmel und Erde feierten, Frühlingsahnen, Frühlingsverheißung! Über das niederrheinische Land spannte sich ein Himmelreich von unendlicher Klarheit. Man glaubte bereits, den ersten Lerchenjubel zu hören, und war doch nur die Stimme des eigenen sehnenden Herzens.

Von der Hügellehne, die von der Grafschaft Mörs herüberkam, in weitem Halbkreis Heiligenbaum umzirkte, die violblauen Wälder von Moyland durchquerte, um sacht und sanft auf holländischem Gebiet zu verebben, wehte eine schwarze Soutane.

Eine weiße Hand streckte sich aus, deutete hierhin und dorthin.

Es war eine weiße, zuversichtliche Hand, die wußte, warum sie sich streckte.

Und eine herrische und doch einschmeichelnde Stimme ertönte: »Hier ist die Stätte! Auf ihr wird die Freilichtbühne errichtet. Von hier aus soll das große Versöhnungsfest auf Golgatha anheben, seine taubenweißen, mit Blut bespritzten Schwingen regen, seine Mysterien zu allen tragen, die den Herrn lieben, ihm dienen und heilig gewillt sind, unter seinem Schutz und Schirm, unter dem Anrufen seines gebenedeiten Namens zu sterben. So ist es gedacht, so wird's ausgeführt und so soll es bleiben!«

Also Heinrich Verschüren.

Er stand auf der nämlichen Stelle, wo der greise Schäfer mit den gelben Raffzähnen und dem zerrissenen Antlitz gestanden hatte, als ihm die Stimme wurde: »Zweitausend Schuhe von hier sollen mir Land und Leute eine Kapelle errichten, auf daß das Mirakel offenbar werde.«

Er schien in den Himmel zu wachsen.

Ein Leuchten umgab ihn.

Er war nicht allein auf der einsamen Höhe, in Nähe der verlorenen, mit Knüppelholz bestandenen Schlucht, nicht allein bei den einzelnen Buchen und Erlenstrünken, die die Hügellehne bedeckten.

Neben ihm erhoben sich Henriette Jansen und Philippine Malthus, die hübsche Frau eines jungen Katenbesitzers, würdig befunden, die Maria Salomea zu spielen, dann etliche Vorarbeiter, Schreiner und Waldroder, alle gesonnen, ihre Kräfte in den Dienst der Kirche und des geplanten Werkes zu stellen.

An der Hand eines Grund- und Aufrisses erläuterte er dem führenden Zimmermeister den Aufbau des sorgfältig vorbereiteten Planes.

Und wieder begann die weiße Hand auf etliche markante Punkte zu deuten, gewisse Flächen zu umreißen, scharfe Linien und sanfte Bogen zu ziehen.

»Hier sind Freilichtbühne und Vorbühne gedacht, tiefer dem Hange zu die Sitze des Zuschauerraumes, zur Linken das Haus des Herodes, zur Rechten das des Pilatus. Die Schlucht hinauf windet sich der Kalvarienberg, und hier, wo wir stehen, sind die Kreuze zu richten. Die Straßen von Jerusalem laufen seitwärts der Schlucht hin. Hier wird gerodet, jene Baumgruppen bleiben bestehen. Die weiteren Aufschlüsse ergeben sich aus Grundriß und Aufriß.

Sein Auge ruhte fragend auf dem führenden Leiter.

»Meister, sind Sie im Bilde?«

»Völlig, Hochwürden.«

»Und wann können Sie mit der Arbeit beginnen?«

»Meine Leute sind fix und parat, und wenn ich die Planens besitze – schon morgen.«

»Sehr schön! Hier nehmen Sie, Kerskes.«

»Na denn . . . unter Garantie: morgen kann's losgehen.«

»Dann sind Sie auch gewiß in der Lage, den ungefähren Termin zu bestimmen, wo Maler und Dekorateure eingreifen können?«

»Warum nicht, Hochwürden? Unsereins hat immer seinen Anschlag im Koppe. Der paßt wie 'n Proppen aufs Krükske . . . und wenn die Faulenzer keine Streike entrieren – meine Leute und ich können's bis Ende März ganz kommode beschaffen, ganz bestimmt aber«, und über das pfiffige Gesicht des Altmeisters, dem etwas Hasenstripper- und Wildererblut zwischen den Rippen herumkitzelte, kräuselte sich ein geriebenes Schmunzeln – »aber ganz seker, Mynheer, wenn die ulkigen Vögel mit die langen Gesichter erscheinen.«

»Genügt mir! und damit Gott befohlen für heute und morgen ein ersprießliches Schaffen, das Wort auf den Lippen: Magnificat anima mea Dominum. Hoch preiset meine Seele den Herrn! denn ihr tut Herrendienst im Namen des Herrn, und das wird hochbewertet im Himmelreich. Mit Gott denn!«

»Adjüs auch, Hochwürden!« Und unter Führung des Alten mit dem graumelierten Quäkerbart und den listigen Äugelchen, die wie die eines gewitzten Dackels erschienen, trottete die Gesellschaft wieder auf Heiligenbaum zu. Beim Abgehen setzten sie ihre Pfeifen in Brand. Durch die noch kahlen Lohhecken kräuselten sich bläuliche Wölkchen, um sacht zu zerfließen.

Der junge Kleriker wandte sich den beiden Marien zu: »Für heute genug, meine Damen. Nun können auch wir an den Heimweg denken, das Weitere der Gunst der Tage und dem lieben Gott überlassen . . .« und seine Soutane begann leise zu rauschen.

Aber Henriette Jansen wurzelte an. Noch vermochte sie es nicht, sich von der heiligen Stätte zu trennen. So ruhig auch ihr Antlitz sich anließ, die Konturen ihres geschmeidigen Leibes bekundeten eine tiefe Erregung. Die fast durchsichtigen Nasenflügel zuckten über den halbgeöffneten Lippen. Um ihre Mundecken legte sich ein herzzerreißendes Lächeln. Ihre Augen erschlossen sich maßlos, suchten das Land ab, das unter einem zarten Nebelschleier sich hinzog. Heiligenbaum grüßte herüber. Eine Glocke schlug an, verzitterte unter einem wehen Klingen und Singen. Sie umgriff ihre Brüste. »Herr«, hauchte sie leise, »hier zerfleischte eine römische Lanze dein Herz . . . hier tropfte dein Blut . . . Wasser und Blut . . .«

»Was soll das?!« rief Heinrich Verschüren. »Fräulein Henriette, kommen Sie mit uns. Ihre Seele will Ruhe.«

Sie winkte ab.

Es war so, als hätte sie ein Gesicht, als wenn sie Hohes erschaute, und aus diesem Erschauen wurden die Worte geboren:

»O Rabbi, hört mich! Laßt mich sprechen, Herr!
Mein wildes Leid will sich in Schmerz verzehren;
Denn wisset, Meister, hier zu Magdala,
Ich scheue mich den schuldbeladnen Leib
Dem keuschen Blick des Hermon preiszugeben.
Denn hier am See, ich sündigte und buhlte,
Viel häßlicher denn all die Weiber buhlen,
Die fern in Rom den Lupanar bewohnen.
Am Wolfsfest, trunkenen Mänaden gleich,
Sich nackt und frech der blöden Menge zeigen.
So buhlte ich, den Tollkirschkranz im Haar,
Bei Harfenklang und festlichen Gelagen . . .
Doch hier am See, wo rosig blüht der Flachs,
Die Lilie weiß wie eine Engelsschwinge –
Da, Meister, sah ich dich,
Ich hörte dich,
Ich nahm das Wort dir von den heil'gen Lippen . . .
Und sieh, o Herr, wie ein Leprosenkleid,
So fiel der Schmutz mir vom entweihten Leibe,
Und wiederum – ich atmete im Licht.
Und Rabbi – du, tritt ein in Simons Haus,
Auf daß ich dir die müden Füße salbe,
Stoß' mich nicht von dir, weise mich nicht ab.
In deinem Schatten lass' mich fürder wandeln.
In deinem Schatten mich des Tods erfreu'n.
Vergib mir, spreche ledig mich der Schuld.
Du kannst es, Rabbi, denn du bist Gottes Sohn.«

»Wie schön!« und Heinrich Verschüren versetzte sich in die Rolle des Heilands, legte ihr die Hände auf und brachte die Antwort:

»Maria – du, daheim zu Magdala,
Du hast in deinem Leben viel geliebt,
Und dir, mein Kind, muß viel vergeben werden.«

Dann sagte er wie in Verklärung: »Das wird und muß die Herzen erheben, denn solches wurde von den Lippen eines Seraphs gesprochen. Nun aber kommt.«

Bewegten Sinnes ließen sie die Hügellehne und gingen dem Binnenland zu.

Eine halbe Stunde später benutzte Heinrich Verschüren das Personenauto, das zwischen Xanten und Kleve verkehrte.

Er war zufrieden mit den Ergebnissen des heutigen Tages.

 


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