Joseph von Lauff
Die Heilige vom Niederrhein
Joseph von Lauff

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Fünftes Kapitel

Was – nein . . .?!«

Eine gelle, erregte und warnende Stimme ging über die Tafel, war wie eine verzweifelte Frage, ein dringendes Flehen und doch ein unerbittliches Drohen. Sie entsetzte sich vor innigem Mitleid, um durch dieses Mitleid tiefe Wunden zu schlagen. Sie hüllte sich in das Kleid des Erstaunens, um vorläufig noch das zu vertarnen, was alle befürchteten, was kommen sollte und mußte, ohne die Mittel zu haben, das unheilvolle Gespenst wieder in seine Gruft zu verweisen . . . und es war ein Gespenst unter die Menschen getreten, ein Untier, das sich breit und schwer von der Decke herniedersenkte mit den häutigen Segeln von grauen Fledermausschwingen.

Heinrich Verschüren stand noch immer erhobenen Hauptes.

Sein Antlitz war bleich wie die konsekrierte Hostie im Tabernakel geworden.

Die Knöchel der geballten Hände preßten sich gegen die Tischkante.

»Heribert – du . . .?!« sagte er endlich.

Jede Silbe war schartig, bebte vor tiefer Erregung.

»Das mir, deinem Freunde?! Das mir, deinem Jugendgenossen, du und ich, die wir beide Freud und Leid in Kornelimünster durchkosteten, bis die Geschicke uns trennten . . .?! du – ich ersuche um Antwort, kläre mich auf.«

Keine Antwort erfolgte.

»Heribert, ich ersuche dich nochmals.«

»Du kennst meine Ansicht.«

»Ich weiß von gar nichts.«

»Dann besinne dich, Heinrich.«

Der Kaplan stierte ihn an. Seine Ganaschen mahlten scharf gegeneinander. Er suchte nach Worten, ohne die Worte finden zu können. Sein Geist irrte ab.

Henriette saß wie verlähmt, und diese Verlähmung ging heimlich auf die andern über, verstörte sie alle.

Jan Derksen, der just dabei war, die etwas abgekühlte Bowle über eine Spiritusflamme zu schieben, kümmerte sich nicht weiter um die Suppenterrine, stemmte die Arme ein und rief mit halblauter und verärgerter Stimme: »Das ist ja unerhört, Seiner Hochwürden solche Spargitzen zu machen! und so was will unsere Kinder fromm und gottesfürchtig belernen?!«

»Jawoll unerhört!« hieb Aloys Ferkulum in die nämliche Kerbe. »Das ist ja nächst dem leibhaften Satan! Bei sowas geht ja der solideste Punschpott zum Teufel! Klamauke! Unerhörte Klamauke! Bloß keinen Dünkel, Herr Lehrer . . .« und Aloys, dem schon der Zitronenpunsch etwas unter dem blanken Sardellenschädel aufbegehrte, schlug auf den Tisch. »Nee, bloß keinen Dünkel, Herr Lehrer! Das paßt nicht ins ›Blaue Schiffchen‹, das kann mein Freund Jan Derksen absolut nicht vertragen. Jedem das Seine. So hab' ich's immer gehalten . . . und wenn 'ne honette Mamsell, wie Fräulein Jansen solche bewerkstelligt, mit Frohsinn dabei ist, 'ne heilige Maria Magdalena zu mimen, ich selber den Pontius Pilatus vertrete, wie sollte da so'n simpler Magister nicht die Kurasch aufbringen können, den Lieblingsapostel in Heiligenbaum herunterzuarbeiten?! Nee, Herr Lehrer, das wär' doch gelacht und den Ratzen auf die kleberigen Schwänze getreten. Höhö! aber nichts für ungut, Herr Lehrer.«

Der also Gemaßregelte warf ihm einen lässigen Wink zu.

»Danke für getätigte Weisheit. Nur möchte ich Ihnen, Herr Ferkulum, ergebenst anheimstellen und Sie dahin beraten: Bleiben Sie bei Ihrem Metier, bei Medaillenstab und Barbierbecken, aber lassen Sie den römischen Landpfleger Pontius Pilatus gefälligst in Ruhe.«

Kopf und Gänsehals geisterten hoch.

»Herr, das mir, mir dem eingeschworenen Komödienspieler! Das mir, wo der Kaplan, der Erfinder der Freilichtbühne von Heiligenbaum, mich bereits wert und würdig befunden . . . Das schlägt dem Faß den Boden aus, das haut den Sauerkrautpott mit Strunk und Stiel auseinander. Schwerebrett noch einmal! Herr, da soll ja ein dreifach durchdestilliertes Himmelgewitter . . .«

Joris Jansen, der mit bangem Gesicht und stoßweisem Atem dem Vorgang gefolgt war, griff ein, völlig verlähmt und ganz durcheinander.

»Aloys, nicht so! Aloys, Ihr habt Kontenance zu halten, wenn es nicht heißen soll: im ›Blauen Schiffchen‹ sind die Nobilitäten aneinander geraten, besonders heute, wo wir eine heilige Feier begehen, wir innigst dabei sind, dem Verstorbenen ein stilles Gläschen zu weihen. Und Sie, Herr Lehrer, warum dieses ›Nein‹, dieses Zertreten eines berechtigten Wunsches? Das Wort der Kirche ist heilig. Ihr Ruf verpflichtet, und wer kumpabel ist, diesem Rufe nachzukommen, hat sich nicht wie 'ne dämliche Kegelkugel über 'ne Rollerbahn trudeln zu lassen.«

»Darf er auch nicht.«

»Na also. Hat vielmehr die verfluchte Pflicht und Schuldigkeit, forsch in die Hände zu spucken und mit 'nem extra ordinären Treffer alle neune zu schieben.«

»Ganz meine Ansicht.«

Der Chef des Trauerinstitutes machte kreisrunde Augen.

»Dann verstehe ich nicht . . .«

»Was nicht, Herr Jansen?«

»Daß Sie so schlankgeradeweg dem Herrn Kaplan seine äußerste Freude verbiestern, ihm nicht die Hand dazu bieten, die geplante Trauerkomödie in Heiligenbaum so groß und so hoffnungsfreudig wie nur möglich auf den Tisch des Hauses zu legen; denn bei Lichte besehen und soviel ich das in Beurteilung habe: es ist doch 'ne Sache, in diesen abständigen Zeiten Geld unter die Leute zu bringen, den Hilfsbedürftigen beizuspringen und der Welt unter die Nase zu reiben: die Niederrheiner sind auch nicht so ohne, besitzen 'ne gehörige Portion Grips mang die Rippen, können ebensogut wie die Bauersleute und Handwerker im Bayerland dem lieben Gott durch ihre Kunstfertigkeit aufwarten, um ihn zu lieben, ihm zu dienen und dadurch in den Himmel zu kommen. Drum ist es mir rein unverständlich, Herr Lehrer, wie Sie es fertig bringen konnten, dem Herrn Kaplan auf liebevolle Anforderung mit 'nem klaren schockierenden ›Nein‹ unter die gütigen Augen zu treten.«

»Ich habe meine Gründe, Herr Jansen, und diese Gründe gebieten mir, meinen eingenommenen Standpunkt bis auf den letzten Rest zu vertreten.«

»Da bln ich aber begierig, Herr Lehrer.«

»Höhö!« lachte Ferkulum. »Ich aber auch. Joris, Ihr besitzt schon den richtigen Kasus. Das war 'n Manneswort, 'n däftiges und ausklamüsiertes. Dran kann jedereins sich 'n Beispiel dran nehmen. Ich zum Exempel . . . und wenn Herr Heribert Kästner in seiner Sturheit verbleibt«, – und der Erregte schlug sich derb auf das blaugestärkte Schemisett – »ich bin dito der Mann, und wenn der oberste Spielgenosse sein Amen zu gibt – ich dichte den Prologus, den der Herr Lehrer verabscheut, nehme außer dem Pontius Pilatus noch den Lieblingsapostel auf meine eigene Kappe. Das ist Mannestat, wenn sich der Herr Kaplan in der äußersten Predullig befindet. Das tu' ich, Herr Lehrer, so wahr ich mich Aloys Ferkulum benenne, wohnhaft zu Kleve, in Nähe der Stechbahn.«

»Viel Glück bei der Sache.«

»Herr, ich bitte mir aus: keinen Tusch.«

Ferkulums Augen kniffen sich ein, glitzerten wie die eines bösartigen Kanins.

»Sonst könnte es immer passieren . . .«

Er schwieg, denn er fühlte, bis hier und nicht weiter.

Heribert hatte sich gefaßt und herrisch erhoben.

Sein Blick streifte für eine Augenblicksspanne die hohe Gestalt der Geliebten.

Ihr Haupt war gesenkt, die Hände krampfhaft verflochten. Kein Lebenszeichen an ihr, auch nicht das geringste. Sie verharrte in ihrer früheren Stellung, als wäre der Tod sacht an ihre Seite getreten, als streichelte er ihr Stirn und Schläfen mit linden, wenn auch kalten Händen.

Die Stimme Heinrich Verschürens erhob sich aufs neue.

»Heribert . . .

Jählings brach sie ab, um mit verhaltenen Lauten weiterzusprechen: »Beati omnes, qui timent Dominum.. Ja, glücklich der Mann, der den Herrn fürchtet. Der Herr wird ihn segnen und seine Taten wägen wie rechtens und billig. Sein Weib wird sein wie ein fruchtbarer Weinstock an den Wänden seines Hauses. Seine Kinder wie Ölbaumpflanzen um seinen Tisch herum. Ihm wird nichts mangeln, weder an leiblichen noch an geistigen Früchten. Siehe, also wird der Mann gebenedeiet, der den Herrn fürchtet. Herr, gib Frieden – diesem Hause, uns allen.«

Er raffte sich auf.

Unter atembedrückender Spannung trat er seinem Jugendfreunde entgegen.

Beide Männer standen sich hoch und hehr gegenüber.

Keine Fiber zuckte in den undurchdringlichen und festen Gesichtern. Nichts gab Kunde davon, was beider Herzen bewegte, was sie früher durchlebt hatten, Hohes und Gutes, Frohes und Schmerzliches, Gleiches und Gegensätzliches, Sehnen und Suchen – und was sie bis zur jetzigen Stunde durchlebten und noch zu durchleben gedachten, im Hinblick darauf, sich ein offenes, freies Ich zu erkämpfen oder am Schicksal verbluten zu müssen.

Der Kaplan hob die Hand, um sie wieder sinken zu lassen, da er sah: sein Widerpart stand wie ein eingerammter Pfahl in eisigem Schleusenwasser. Aber er lächelte ein gütiges Lächeln und sagte, was er vorhin schon sagte: »Beati omnes, qui timent Dominum. Herr, gib Frieden, gib Einkehr. Auch dir, auch mir, auf daß wir sagen können: Da wir den Herrn fürchteten, legte er unsere Hände zusammen, fügte er jegliches zu einem löblichen und ersprießlichen Ende. Heribert«, und seine Stimme nahm einen warmen und vertraulichen Ton an, »erinnere dich, bitte, schaue zurück, gehe mit mir nach Kornelimünster in das stille und verwunschene Reich unserer Jugend. Ich will dich führen und leiten, dir dartun, wie es damals gewesen. Ach du! wir waren Kameraden und Schülerlein, frei und fröhlich in Gott, gläubig im Herrn, nur darauf bedacht, uns wechselseitig der Tage zu freuen, sie zu Tagen des Fleißes und einer ersprießlichen Arbeit zu machen, so unserm Schöpfer zu dienen, im gegenseitigen Vertrauen auch hilfreich zu sein, um für später Schulter an Schulter das Leben zu meistern, es unter die Füße zu zwingen, den Kampf zu beginnen, ihn ruhmreich zu einem glücklichen Ende zu führen. Ja – du, Kameraden und Schülerlein, frei und fröhlich in Gott, gläubig im Herrn, beseligt von ein und demselben Herzschlag! War es nicht so, oder bist du anderer Ansicht?«

Heribert Kästner fuhr sich schwer über die Augen.

»Ja, Heinrich, so war es.«

»Bis die Fügung uns trennte«, fuhr der junge Kleriker fort. »Du bliebst – ich jedoch hatte mich dem Schermesser zu beugen, hatte die Soutane zu tragen, mich dem unmittelbaren Dienste der Kirche zu weihen . . . und trotzdem, wenn auch unsere Weltanschauungen zuweilen auseinander flackerten, wir blieben doch in Lebensgemeinschaft, in Seelenverwandtschaft . . .«

In seinen Blicken begann es zu lichtern, aufzubegehren.

»Und nun muß ich sehen . . . vor Wochen bereits, in der jetzigen Stunde . . . Wie kommst du darauf? Wo nimmst du den Mut her, mir mit diesem kategorischen Imperativ unter die Augen zu treten?«

»Heinrich, mäßige dich.«

»Du – deine Vermahnung ist jetzt nicht am Platze, denn warum diese plötzliche Animosität gegen mich, einem Werk gegenüber, dessen Lösungen ich mit heißer Seele erstrebe? Warum diese Verneinung in höchster Potenz, wo es genügt hätte, mir deine Bedenken und Gründe unter vier Augen auseinanderzusetzen? Da du aber scheinbar mit Absicht die Öffentlichkeit suchtest – gut, so soll auch meine Antwort die Öffentlichkeit finden.«

»Halt – du . . .

Auf der hohen Stirn seines Gegners zuckte es hell, brannte es mit der Zornesader eines noch fernen Gewitters.

»Was fällt dir ein, mich hier vor Schrein und Schranke zu fordern, mich hier zu behandeln, als säßen mir noch die Eierschalen am Bürzel? Ja – du, Freundschaftsblut ist dicker als Wasser, aber auch ein solches Blut kann sich ändern. Ja – ich bin irre geworden, irre geworden an so vielem in Deutschland, irre geworden an Treue und Glauben, an Worten und Werken, an hohen Sprüchen und Heilswahrheiten. Zucht und Ordnung, Treue zu Kaiser und Reich sind von jeher die Türhüter des deutschen Hauses gewesen. Niemals Pazifismus, Hinterhältigkeiten und Sonderinteressen. Das ist anders geworden. Selbst die Berufenen, die Priester und Gesalbten versagen, führen das Volk in die Irre. Heute nennt ihr das Hakenkreuz die Pest Gottes, gesetzt, den Baaldienst in Kirchen und Provinzen zu tragen, morgen schon sitzt ihr mit ebenderselben Pest Gottes am Verhandlungstisch, um letzten Endes die großen Errungenschaften dieser Bewegung doch zu verleugnen. Wo bleiben da die Heilswahrheiten, die Segnungen des Herrn, unseres Gottes, unseres Lehrers und Meisters?! Lächle nicht, du hast kein Recht hier zu lächeln, mit diesem Lächeln mir den Mund zu verschließen. Es ist ein furchtbarer Ernst, der mich zwingt, dir hier mit freier Stirn entgegenzutreten, ein Ernst aus schreiender Seele, geeignet, einem den Kopf in den Nacken zu drehen. Störe mich nicht, denn ich bin noch nicht fertig. Ja – du, ich bin irre geworden, auch an dir irre geworden . . . denn ich beobachte dich schon seit Wochen und Monden, und so wahr mir Gott helfe – es will mir fast scheinen, als marschiertest du mit fliegenden Fahnen . . .«

»Was – ich?! und dazu noch: an mir irre geworden . . .?!«

»Du sagst es«, und Heribert Kästner trat näher, so nahe, daß beider Herzen wechselseitig ihr Klopfen hörten.

Zwei hohe Stirnen, zwei eherne Gesichter standen sich hart gegenüber. Vier Balduraugen flammten sich an wie geschliffene Klingen, und jede Klinge suchte bis in die innerste Niere zu stoßen.

»Ja – du, an dir bin ich irre geworden. Du siehst die Gefahren, die Hinterhältigkeiten gewisser Finsterlinge, du siehst ihr heuchlerisches Treiben und Lassen und findest den Mut nicht, dem allen ein energisches Paroli entgegenzusetzen. Möglich, du kannst nicht mehr anders, hast deine Weisung, einem unentrinnbaren Befehl Folge zu geben. Ihn niederzuzwingen, würde den Interessen gewisser Parteien und Gruppen nicht passen, denn dein Mund spricht so und deine Seele spricht anders. Früher – nein, aber jetzt: du trägst eine Maske.«

»Das mir . . .?!«

Der Kaplan fuhr steil in die Höhe. Kalt und eisig rieselte es ihm von den Schläfen herunter.

Er hatte einen Fluch zwischen den Lippen.

Das harte Wort sollte fallen.

Henriette sah es.

Mit verhaltenem Schrei trat sie zwischen die beiden.

»Hochwürden, ich flehe Sie an . . . und Heribert – du . . .«

Sie legte ihm den Arm um die Schulter.

»Heribert, gib nach. Störe nicht den Frieden des Hauses.«

Er streifte sie ab.

»Den Frieden des Hauses . . .?« sagte er bitter. »Ich störte niemals den Frieden des Hauses, und wo es geschah, bin ich nicht schuldig gewesen. Geh jetzt, sei stät, sorge dich nicht. Du weißt nicht, um was es sich handelt. Aber wenn du es vorziehst – so bleibe, höre und urteile später. Ich habe vor, mein eigenes Ich vor meine These zu stellen. Das Weib hat zu schweigen, wo Männer im Kampf stehn oder gewillt sind, unsauberen Machenschaften die Köpfe von den Schultern zu mähen, die Wahrheit zu suchen und Auge in Auge und Stirn gegen Stirn sich offen die Hände zu reichen. Ohne Not wird keine alte Freundschaft zertrümmert, ohne unüberbrückbare Gegensätze werden nicht stolze Jugendideale gescherbelt. Und das mit der Maske . . . Ich warte auf Antwort.«

Heinrich Verschüren sah ihm starr in die Augen.

Seine Rechte hob sich, um wie ein totes Stück Holz wieder abwärts zu fallen.

Von der Decke schien es sich mit Floren eines Bahrtuches auf die Menschen niederzusenken.

Alle sahen entsetzt auf die beiden.

Der Kaplan stieß einen heiseren Laut aus. Er dachte nicht dran, sich Stirn gegen Stirn und Auge in Auge wechselseitig die Hände zu reichen. In dieser Stunde – Kampf wollte er haben, Kampf bis aufs Messer.

»Ja – das mit der Maske . . .! Ich warne in feierlichster Weise: ich lege Protest ein.«

Seine Stimme war schartig.

Er wandte sich jählings.

Sein leuchtendes Baldurauge, jetzt mit häßlichen Pünktchen durchgeistert, irrte von einem zum andern.

Seine Hand streckte sich aus.

Sie war direkt auf Heribert Kästner gerichtet – diese Hand, kalt und abweisend wie die eines erbarmungslosen Urteilsprechers.

Seine Worte fielen ihm von einer unerbittlichen Präge herunter.

»Seht euch den Mann an! Seht aber genau zu, daß ihr seiner so leicht nicht vergesset. Mit ihm war ich in Kornelimünster zusammen. Die Präparandenanstalt schweißte uns fest zusammen, so fest und innig wie nur ein tapferer Meister zu schweißen vermochte. Nichts konnte und sollte uns trennen. Kamerad und Schülerlein, frei und fröhlich in Gott, gläubig im Herrn, so hofften wir durchs Leben zu gehen, bis es heißen würde: Noch heute wirst du sein im heiligen Sion, durch Jesum Christum, unseren Erlöser und Seligmacher. Drum lasset uns beten: Quaesumus, Domine, pro tua pietate, miserere animae famuli tui, et a contagiis mortalitatis exutam in aeternae salvationis partem restitue. Per Dominum nostrum Jesum Christum. Ja, Geliebte, so war es beschlossen. So wollten wir gemeinsam ackern und säen, so die Ernte einbringen, so eines christkatholischen Todes dahinsterben. Und heute?! Ihr hörtet. Drum urteilt auch selber. Ich nicht, aber die Vorsehung legt euch Urteil und Gericht auf die Zunge. Wo führt das alles hinaus? Was bezweckt sein ›Nein‹, seine schroffe Haltung mir gegenüber?!«

Seine gesenkte Hand hob sich aufs neue.

Abermals war sie auf Heribert Kästner gerichtet – die kalte, weiße Hand mit den unbarmherzigen Fingern.

»Ja – seht euch den Mann an. Was er sonst noch dartat, war leeres Geklingel, ein Rosenkranz von schönen Worten und sonstigen Anhängseln, nur dazu da, den leuchtenden Kern zu verwischen. Und dieser leuchtende Kern . . . Fort damit! Er will ihn nicht sehen, nichts von ihm wissen. Er steht abseits von uns, geht seine eigenen Wege, weist der Barmherzigkeit achtlos den Rücken . . .« und seine Stimme nahm einen glanzvollen, wenn auch verwarnenden Ton an: »Ein Letztes! Höre auf mich! Sei mit mir wieder Kamerad und Schülerlein, frei und fröhlich in Gott, gläubig im Herrn, sonst blutet mein Herz, muß ich zu der Überzeugung gelangen: dein weltlicher Sinn ist den heiligen Bräuchen der Kirche zuwider, will die Passion, das Freilichtspiel von Heiligenbaum boykottieren . . . Ja, – du, so ist es, und wohnte mir die Strenge Sixtus' V. inne, seines Bauernnamens Felix Peretti . . .«

Er kam nicht weiter.

»Wieder die Maske, die scheußliche Maske . . .

Heribert prallte zurück, rüttelte sich aber gleich darauf wieder zusammen wie ein Adler mit klingendem Gefieder, den eine hinterhältige Kugel verfehlte.

»Achtung vor Sixtus V.«, klirrte es hell durch die Stube und Gänge des ›Blauen Schiffchens‹, »Reverenz vor diesem Gestrengen, seines Bauernnamens Felix Peretti. Der wog nicht mit falschen Gewichten, übte nicht die häßliche Praktik, heilig zu scheinen und dabei doppelzüngig zu werden. Dessen Wort war allzeit ein offenes, kerngesundes Ja, sein Nein sonder Ausflüchten und Angeln. Nein – du, verkehre mir das Gesagte nicht im Munde, schiebe mir nicht zu, woran meine Seele nicht dachte . . . und wäre Felix Peretti von den Toten erstanden, stände jetzt hier – er würde mir auf die Schulter klopfen und sagen: Primo: das war häßlich von deinem Freunde, diesem Diener des Herrn. Secundo: Ich möchte ihm meine Verachtung bekunden und den Stein wider ihn heben. Tertio: Und du – recht wirst du haben, denn ich habe deine Seele durchleuchtet. Solches würde Felix Peretti bekunden . . . und ich, ausgerechnet ich, der ich meinen Glauben und seine Symbole bis in das innerste Mark meiner Knochen vertrete, ich sollte der Mann sein, das Spiel und die Mysterien der Passion boykottieren zu wollen?! Ausgerechnet ich, der ich diese Spiele verehre, wie ich das Allerheiligste im Tabernakel verehre?! Mich braucht in dieser Hinsicht keiner betreuen. Auch du nicht. Mir sagt schon der gesunde Menschenverstand: solche Spiele, lauter und wahrhaft aus dem Suchen und Sehnen des Volkes geschaffen, sind ernste Mirakel, erheben die Seelen, geben ihnen Frieden und Freude. Aber du . . . Lasse dich auslachen, Mann. Verkehre mir nicht das Wort auf der Zunge. Suche nicht die alte Praktik zu üben und falsche Münze unter die Leute zu tragen. Denn wisse: alles zu seiner Zeit und unter einem anderen Winkel gesehen, wie du ihn dir gesetzt und gestallt hast. Fühlst du denn nicht, hörst du denn nicht, siehst du denn nicht? Deutschland verblutet. Sein Herz ist mit Leid und Weh übersättigt bis zum Zerspringen. Palliativmittel helfen nicht mehr . . . und wenn ich jetzt deinen Plänen nicht beipflichte, so heißt das nicht, die Passion als solche boykottieren zu wollen . . . nicht ums Verrecken, und ich muß mir in dieser Beziehung deine Unterstellung ernstlich und auf Tod und Leben verbitten . . .«

»Herr . . .

»Lasse mich aussprechen – du! Ich sehe mit offenen und ehrlichen Augen, ich gehe nicht fehl und kann mich nicht irren. Die Spiele sind heilig, aber solche Spiele gehören in blumige Tage, in beschauliche Tage, die da bitten und beten: Hebt das Auge, das Gemüte . . . Sie vertragen nicht die starren Fäuste und die ehernen Stirnen . . . und solche haben wir so bitter nötig wie die Dreschflegel die harten Tennen, um endlich die ersehnten Körner springen zu lassen. Statt dieser Spiele wollen wir andere Spiele, Spiele, die einen klirrenden Schritt unter den Schuhen haben, nach Waffen und Wehren greifen, Spiele, regiert von ehernen Männern mit reinen Seelen und gepanzerten Stirnen, um das blutleere Reich aus den Saugnäpfen der Vampyre und Nachtschatten, aus der Umklammerung unserer äußeren und inneren Feinde zu hauen. Solcher Spiele bedarf unsere Jugend, um ihnen den furchtbaren Ernst unserer Lage und Tage zwischen die Schläfen zu hämmern, bedürfen wir alle – alle, die wir noch willens sind, dem Vaterland offen und ehrlich in die Augen zu sehen, ohne sich schämen zu müssen . . . und diese Spiele: Sankt Michael führe sie, regiere sie mit blankem Schwert und ragender Lanze. Dies meine Ansicht, so wahr mir Gott helfe!«

»Eine blasphemische Ansicht!«

Heinrich Verschüren blieb starr wie eine steinerne Säule.

Nichts verriet, was in seinem Inneren vorging, um gleich darauf mit erkünstelter Ruhe zu sagen: »So muß ich mich leider entschließen, der gedachten Feier für den Verstorbenen ein vorzeitiges Ende zu setzen. Die vorgebrachten Argumente seines Folgers im Amt nötigen mich, dieses gastliche Haus zu verlassen.«

Er warf einen kurzen Blick auf das Pflockholz.

»Herr Derksen . . .

»Hochwürden . . .

»Ich bitte . . .«

»Ja, so . . .« und Derksen sprang zu, brachte Stock und Hut und half dem Scheidenden in die Übersoutane.

Mit einem kaum wahrnehmbaren Neigen des Kopfes verließ dieser das Zimmer.

Heribert Kästner blieb auf der Walstatt, unbeweglich, fest gewillt, seine Überzeugung bis auf den letzten Hauch zu durchkämpfen. Sein Gesicht wies keine Verwunderung auf. Nur über der Nasenwurzel wuchs eine Rune steil in die Höhe. Er horchte auf die abgehenden Schritte, bis sie draußen verhallten.

»Ich hatt' einen Kameraden«, sagte er stumpf vor sich hin. »Möglich, wir sind für immer auseinander gerissen.«

Er wandte sich und sah in eine tiefe Verstörung.

Eine lähmende Stille kreiste ihn ein.

Er sah Henriette drüben in einer Fensternische stehen, die feuchten Blicke ernst und schmerzlich auf ihn gerichtet.

Er wollte schon gehen, als er gewahrte: ein verhaltenes Murren begann sich aus der tiefen Verstörung zu ringen.

»Herr Lehrer . . .«

Joris Jansen war dicht an seine Seite getreten.

Er schüttelte den Kopf, um mit bewegter Stimme zu sagen: »Exküsiert schon, Herr Lehrer, aber ich kann mich in besagter Sache so richtig nicht stellen. Möglich, Ihr Niedergelegtes kann vor Gott und den Menschen bestehen, indessen auch möglich, Sie sind dem Herrn Kaplan etwas überbrüstig gekommen. Aber das weiß ich: ob so oder so, über kurz oder lang gibt's 'nen mächtigen Stunk und Stank zwischen Lehrer und Heerohme . . . und es wäre doch schade für Ihre noblen Worte, die Sie soeben, wenn auch etwas allzu borstig, dargetan haben.«

»Ach was mit die nobelen Worte!« warf Ferkulum mit pompöser Geste dazwischen. »Was soll das besagen, so'n Mirakulum direktemang von der Liste zu streichen? Da könnte ja jeder erscheinen, um unsere Heiligtümer einfach verschwinden zu lassen. Gibt's nicht. Dafür bin ich gesetzt, denn ich habe den Pontius Pilatus zu spielen.«

»Spielen Sie lieber den Pfleger in einer vaterländischen Jugendbewegung«, hielt ihm Heribert Kästner entgegen. »Das lohnt sich zur Jetztzeit. Das andre versandet. Helfen wir der haltlosen Jugend. Besinnen wir uns auf unser eigenes Ich, schärfen wir denen nicht die Bolzen, die unter dem Mäntelchen: ›die Kirche leidet Not‹, uns zu Katholiken zweiter Klasse degradieren, um für sich gewisse Sonderinteressen und finstere Machenschaften herauszuschälen. Seht vorerst der drohenden Gefahr ins Gesicht. Lernt sie erkennen. Dann ist schon vieles gewonnen. Das andere findet sich später. Dann wird der deutsche Heliand kommen, und Sankt Michael wird reden und mit der Schärfe des Schwertes . . .«

»Bravo!«

Irgendwo fiel eine energische Faust auf den Tisch.

»Ich pflichte dem bei und unterfertige, was der Herr Lehrer gesagt hat!«

Dores van Laak hatte gerufen.

»Auch ich! Ich vertrete dieselbige Nummer«, und Matthieu Thönissen stellte sich entschlossen auf die Seite seines Kollegen und Bundesgenossen.

»Was – auch Sie, meine Herren?!«

Derksen fuhr auf wie 'n alter Jäger, dem beim Kesseltreiben ein lahmes Weib über den Weg trottet.

»Auch Sie, Mynheers, wo Sie selber bemerkten, daß der Herr Kaplan mein Lokal unter heftigster Protestierung verließ?!«

»Das Große und Ganze geht vor«, hielt ihm Matthieu Thönissen ruhig entgegen.

Derksen warf sich herum: »Ach was, das kann jeder aufstellen – und Sie, Herr Lehrer, Sie bringen mein ›Blaues Schiffchen‹ in 'ne totale Verlähmung und könnten doch wissen: wenn von so'ner Seite der Wind weht, geht die strammste Takelage, die properste Kalfaterung koppheister wie bei Hochwasserzeiten. Christus, mein Schiffchen . . .

»Mann Gottes . . .

Heribert packte den Verzweifelten fest bei den Schultern.

»Herr Derksen, ich bitte, nur nicht gleich mit dem Kopf in die Binsen. Das hat immer noch Zeit. Hochwürden wird sich bekriegen. Er begriff scheinbar nicht, wohin ich hinaus will, und begriff er's, dann kann ich dem Mann nicht mehr helfen. Ich fresse mein Wort nicht. Es steht, wo's steht und wankt nicht um Haaresbreite. Ja, meine Herren . . .« und mein Aufruf galt allen: »Ich bleibe bei dem, was ich dartat. Ich wehre mich lediglich gegen keimenden Hochmut, gegen Hinterhältigkeiten und Machenschaften, die zur Zeit noch dabei sind, gleich Ratten und Schermäusen das Land zu unterwühlen. Ich lasse mir das Wort nicht unsauber machen, nicht auf der Zunge verkehren . . . und deshalb, ich rekapituliere zum andern: die geplanten Mysterienspiele sind mir heilige Spiele. Ich weise sie keineswegs ab. Nur, die Stunde fordert jetzt andere Dinge. Christus regieret! Er steht zwischen uns und will uns gebieten: die vorhandenen Kräfte sind auszunutzen, alle sind auf eine Karte zu setzen. Der Not ist zu steuern, dem ertrinkenden Reich ist die Planke zu reichen, dem Volk sind die drückenden Lasten von Leib und Seele zu nehmen. Das will er und seine Hand weist auf das Grab des unbekannten Soldaten. Und ihr: führet eure Jungmannschaften heran, führet euch selber heran und höret, was der unbekannte Soldat euch verkündet . . . und was er verkündet, das bringen euch weder Rom noch seine Helfershelfer und Freunde. Folgt seinen Worten – und folgt ihr: es wird ein Auferstehen und Blühen wie in unseren glorreichsten und gesundesten Tagen; denn ein Auserwählter kommt und will: Deutschland darf sich nicht in sich selber verbluten, nicht dem Geschick finsterer Machenschaften verfallen. Ist dieser Wille, dieser hohe Chrisiuswille erst im Volke verankert, es wird singen und feiern: O Deutschland, hoch in Ehren . . . und ist solches geschehen, dann ist Raum und Zeit, wieder auf blumigen Auen religiöse Spiele zu spielen, an ihnen Herz und Gemüt zu erbauen. Aber erst eiserne Stirnen, dann lächelnde Stirnen. So und nicht anders, sonst bleiben wir, was wir sind: Bettelkinder an der Hand des größten und ärmsten Bettelweibes unter allen Nationen und Völkern. Genug jetzt. Meine Zeit ist gekommen.«

Das saß.

Totenstille ringsum.

Die Anwesenden versammelten sich zu einzelnen Gruppen, steckten die Köpfe zusammen und begannen heimlich zu flüstern. Hier und da ein befreiendes Aufatmen, ein verhaltenes ›Bravo‹, das sich weiterpflanzte und offenkundig verstärkte.

Der Sprecher hörte darauf wie mit abwesenden Sinnen.

Schon wollte er gehen, als er fühlte: eine liebevolle Hand hatte sich heimlich in die seine geschmeichelt.

Henriettens Schulter ruhte dicht an der seinen.

»Heribert, was soll nun weiterhin werden?«

»Das überlasse ich ganz deinem Ermessen. Meine Richtlinien liegen mir klar vor Augen, sind wie an der Maßschnur gezogen. Ich irre nicht ab.«

»Das haben mir deine heutigen Worte bekundet.«

»Um so erfreulicher.«

»Und das mit den Spielen?«

»Sie wurden durch mich nicht in die Debatte gezogen. Das bleibt persönliche Ansicht.«

»Und wenn ich gesonnen bin, die mir zugedachte Rolle zu übernehmen?«

»Dein Wille geschehe. Die Seele des Weibes ist eine unerforschliche Seele. Man soll ihre Kreise nicht stören. Man könnte das Licht verweisen und Schatten beschwören. Nur, ich flehe dich an«, und er gab ihre Hand frei, umspannte aber ihren weichen und warmen Arm mit nerviger Faust, »gib meinen Gedanken Ruhe und Stetigkeit. Stoße sie nicht gegen den kalten Stein. Sie könnten dort tiefe Wunden empfangen und zu tropfen beginnen, und solche Tropfen sind bleiern, fallen langsam aber sicher in die Schale des Unglücks.«

Sie schmiegte sich an ihn.

»Heribert, nicht so!«

Ihr Atem ging hoch. Ihre Nähe, ihre Erregung verstörten ihm die Sinne.

»Du, es ist ein Hangen und Bangen, ein Hoffen und doch ein Tasten ins Leere . . .« sagte er bitter.

Ihre Stimme nahm einen innigen Ton an.

»Nein, es ist kein Tasten ins Leere. Gedulde dich nur. Mache unsere Herzen nicht schwerer. Ich stehe und falle mit dir. Lasse mir Zeit . . . Auch ich will Erlösung . . .«

Ihre hervorgepreßten Worte schrumpfelten ein. Das Drängen um sie war stärker geworden.

Sie ließ von ihm ab.

Einer trat vor.

»Herr Lehrer . . .«

Es war Joris Jansen, der ihm die Hand auf die Schulter legte. Sein Atem ging leichter, sein Adlerflaum über den Ohrmuscheln blühte weißer denn je.

»Auf ein Wort, junger Mann. Man lernt immer was zu. Immer denselben Vogel pfeifen zu hören, gibt auf die Dauer immer dasselbe Geflöte. Man muß beide Parte vernehmen, Herr Lehrer, sonst bleibt unsereins allzeit der nämliche Kanarienvogel. Ich hörte, und was ich gehört hab' . . . ich unterfertige nicht jedes einzelne Wörtchen, aber eins muß ich sagen: Sie imponieren mir mächtig, Herr Heribert Kästner. Das mußte ich öffentlich dartun, Herr Lehrer . . . und nu muß ich fahren.«

Er wandte sich: »Henriette, mein Schäschen steht draußen.«

»Leider – ich kann nicht! Die Pflicht ruft. Ich habe der hiesigen Kollegin noch eine schuldige Visite abzutragen.«

»Denn nicht! und Ferkulum – Ihr . . .?!«

»Joris, mit Wonne. Indessen, die ganze Geschichte ist mir so'n bißchen auf den Magen geschlagen. Da hat mich Derksen invitiert, mit ihm und van Laak noch so'n kleines Solopartiechen zu kloppen.«

»Herr Baumann – und Sie?«

Der erste Kommis glänzte durch Abwesenheit. Er hatte sich bereits in Gemeinschaft mit Fränzchen Jobelius so ganz heimlich auf die Strümpfe gemacht, um trotz des frischen Novembertages mit der tapferen Ladenmamsell noch so'n bißchen in der weiten Gegend herumzubotanisieren.

Der alte Herr schüttelte den Kopf und sah sich ratlos um.

»Na, so was! Da muß ich ja ganz soloalleine . . .«

»Herr Jansen, wenn Sie mit mir fürlieb nehmen wollen – ich stehe Ihnen gern zur Verfügung. Unser Weg ist ein und derselbe.«

»Herr Lehrer, wird mit Dank akzeptiert . . .« und während die Beiden Anstalten machten, sich still zu empfehlen, wurde die Umgebung immer lauter und zutunlicher.

Grüße wurden getauscht, Hände gewechselt, hier und da herzliche Bravorufe vernommen.

»Ganz richtig, Herr Lehrer!«

»Jansen hat recht: man muß beide Parte vernehmen, dann erst wird 'n Schuh aus dem Leder.«

»Bald kommen, Herr Kästner! und hoch soll er leben!«

»Jawoll und nochmals: hoch soll er leben!«

Selbst Ferkulum geruhte, seinem schiefen Mundwerk eine freundliche Note abzugewinnen.

Er tippte seinem Nachbar sacht auf die Schulter: »Jetzt muß ich doch dartun: Gar nicht so ohne. Draus konnte unsereins sich doch vieles entnehmen. Da war manches schiere Haferkorn zwischen.«

»Und ob!« konstatierte Dores van Laak. »So 'ne Kraft haben wir nötig. Die pustet manchen Kerzenblak aus und allerhand Stunk von der Kanzel herunter.«

»Höhö!« lachte Aloys, »aber nu ans Geschäft.«

Alsbald saßen die drei bei frischen Punschgläsern, um dem feierlichen Beerdigungsgang mit 'ner duftigen Solopartie einen ebenso feierlichen Abschluß zu geben.

Aber diese Solopartie hatte so extraordinär lange Beine wie 'n Schatten ums Abendwerden. Sie hatte weder Anfang und Ende. Erst nach Erledigung der zweiten dampfenden Suppenterrine trennte man sich.

»Addio!«

Wie eine numidische Lanze wandelte Ferkulum, ohne von den Dünsten des genossenen Alkohols belästigt zu werden, auf der Landstraße dem nicht fernen Kleve entgegen. In seiner Größe und Breite erinnerte er an Saul, den israelitischen König. Nur trug dieser Krone und Zepter, Ferkulum 'nen schlichten Trauerzylinder und 'nen dunklen Stab mit blanker Medaille. Saul pilgerte unter jüdischen Sternen und Bildern, Ferkulum bloß unter einem lichterklaren, niederrheinischen Himmelreich, aber er war ebenso stolz wie der israelitische König, denn Saul hatte bloß die Ammoniter und die Amalekiter geschlagen, er aber seine Kumpane um fünf bleihaltige republikanische Märker erleichtert. Hut ab! das wollte was sagen, denn Derksen und van Laak waren im Solo so fix wie die geriebensten Karnickelrammler auf der Kevelaerer Heide.

Der Hundsstern hing tief über der Niederung. Er stichelte scharf und silbrig von seiner Warte herunter.

Ferkulum schwenkte ihm seinen Medaillenstab wacker entgegen.

»Heil dir, mein Freund! die Rede war gar nicht so ohne, aber Gottverdorie nochmal! der Pfleger Pontius Pilatus ist mir doch tausendmal lieber!« Er stakelte weiter.

Von Ferne grüßten die Lichter von Kleve herüber.

 


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