Joseph von Lauff
Die Heilige vom Niederrhein
Joseph von Lauff

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Erstes Kapitel

Es ist ein Land ohne Lachen, mitten im November, in niederrheinischem Schlackerwetter.

Ich befinde mich in meiner engeren Heimat, die ich nach Jahren wieder aufsuchte. Alles ist so still, so närrisch um mich, so weltabgekehrt wie in den verschwiegensten buddhistischen Klöstern, wie bei den Priestern des Dalai-Lama, den Hierophanten von Tibet, die Jahre um Jahre ihre Gebetmühlen abspulen, ohne etwas Klingendes, Singendes, Greifbares auf die Beine zu stellen.

Ich trete in die niederrheinische Stadt ein . . . gehe durch glitschige Straßen . . . etwas bergan . . . zwischen verschnörkelten Giebelzeilen, die noch Jakobäa von Baden gesehen, die schöne Frau des blöden Herzogs Wilhelm von Jülich und Kleve. O Jakobäa! so schön an Leib, so anfechtbar an Sitte und Seele! – dein Schreiten war Rhythmus, dein Haar eine goldene Weizengarbe, dein Sinnen ein heißer Duft von Damaszener Rosen in schwülen Sommernächten. Deine Folger und Anhänger beteten um deinetwillen den Leichnam des Herrn vom harten Kreuze herunter, legten dir die Hände unter die Füße, rannten sich um deinetwillen die blanken Klingen durch Lungen und Herzen, während die Landstände dich beim Kaiser verklagten, über deinem gekrönten Haupt hing tagtäglich, allstündlich ein drohendes Messer . . . und eines frühen Morgens: deine Hände waren gefaltet, dein marmelbleiches Gesicht zur Seite geneigt. So lagest du zwischen Kissen und Leilach, eine pupurrote Rose dicht über dem Herzen . . .

Ich schreite weiter bergan. Das Pflaster wird holperiger. Die Beischläge sind kleiner und unansehnlicher. Ab und zu ein Türklopfer aus leuchtendem Messing, von dem es rieselt und tröpfelt. Hin und wieder eine Kanarienrolle hinter weißen Mullgardinen, ein Mädchenkopf an einem halbgeöffneten Fenster.

Ich folge willenlos, ohne mich an den Gang der Dinge zu kehren.

Jetzt! Ich bin zur Stelle.

Ich schaue empor. Ein mageres Haus aus holländischen Klinkersteinen, scharfabgegrenzten Etagen, die sich giebelförmig verjüngen, stellt sich vor meinen Blicken in den dunstigen Himmel.

Zwei Auslagefenster flankieren den Eingang – im linken: dunkle Wollstoffe, aufgestapelt und mit angehefteten Preisen versehen, Trauerhüte, Kreppschleier, Gebetbücher und Rosenkränze aus Pockholzkügelchen . . . im rechten: alle sakralen Dinge mit blanken Zinnbeschlägen, Schmelz und Firnis überzogen, berufen und dazu ausersehen, dem wegemüden Menschen die Erde leichter zu machen . . . und über der Türe die Inschrift: »Kunsttischlerei und Beerdigungsinstitut ›Pietas‹ von Joris Jansen, Kavarinerstraße in Kleve.«

Hier beginnt meine Geschichte.

 

Erst ein schmaler, eingedunkelter Flur, dann eine niedrige Tür zur rechten Hand, die zu einem Zimmer führte, dessen Fenster auf den Hofraum hinaussahen. In dem langgezogenen Feld der Supraporte standen die Worte aus dem vierten Bußpsalm geschrieben: »Miserere mei, Deus, secundum magnam misericordiam tuam.«

Kommt benne!

Ein fader, atemberaubender Hauch nach stickiger Luft, nach Krepp und abgelagerten Wollstoffen schlug einem entgegen, laulich wie Seifenschaum, dunstig wie der Ruch in einer vielbesuchten Gnadenkapelle, denn das blautapezierte Stübchen lag unmittelbar neben dem Laden, woselbst Trauer- und Kastorhüte, schwarze Tuchballen, Gebetbücher, Wachskerzen, Pleureusen und bereits geweihte Rosenkränze ausgestellt waren.

Aus den angelaufenen Fenstern, über deren Scheiben die Regentränen immer emsiger sickerten, sah man über den weitläufigen Hof hin, dessen angelehntes Türlein Verbindung mit einer Straße hielt, die sich in vielfachen Windungen zur Oberstadt bemühte, von wo aus das Auge die ganze Umwelt beherrschte, das niederrheinische Land überschaute, an hundert Kirchtürme zu zählen vermochte, den Rhein sah und sich erfreuen konnte an den mastigen Bauernhöfen, den unabsehbaren Wiesen und Triften, deren Erträge die Euter füllten, die Melkeimer überschäumen ließen und die stolze Grafschaft zu einer benedeiten und wunschlosen machten.

Seitlich des Hofes erhob sich ein Schuppen, eine Art von Werkstätte, aus der das Knirschen von Nägeln und das Klopfen eines Hammers ertönte: »Rattata, rattata . . .!« monoton und immer dasselbe.

Joris Jansen, der Inhaber des Beerdigungsinstituts ›Pietas‹ vernahm es, vernahm es im blauen Stübchen. Sein schwammiges Gesicht klärte sich auf. Aber nicht lange. Was sollte ihm der vor etlichen Stunden überwiesene Auftrag? Nichts von Belang. Nur 'ne Bestellung aus dem Altmännerhaus, wo die Ratten und Mäuse auf den leeren Tischen saßen, frech mit ihren klebrigen Schwänzen anpochten und nach Brotschnitten verlangten. Also kein Geschäft. Bloß knorzige Tannenbretter mit stumpfer Lackierung, ohne Embleme und Sargschmuck. Half ihm nichts, konnte die magere Zeit nicht beleben, brachte seinem Institut nicht die erhoffte Vergoldung, die er mit allen Masern und Fasern seines mildtätigen Herzens ersehnte.

»Rattata, rattata . . .

»Jawoll, jawoll!« sagte Joris. »Bloß Wind vor der Hoftür. Nichts Reelles, nichts Greifbares. Schwamm drüber. Aber was hilft das? Vergönnen wir dem armen Phöns Pieplo die ewige Ruhe zwischen den billigen Fichtenbrettern – auch ohne Profit. Requiescant in pace!«

Joris Jansen saß dicht neben einem Fensterrahmen, den er bevorzugte, um den hinteren Teil seines Anwesens besser überwachen zu können, seine Mittagsruhe zu halten, sein Schälchen mit Kaffee zu trinken und aus seiner Kalkpfeife bläuliche Rauchspiralen gegen die etwas verwaschene Decke zu wölken.

So auch heute. Bei diesem Schlackerwetter, bei diesem unaufhörlichen Rieseln und Fieseln hatte er es sich bequem zwischen den Lehnen seines Korbsessels gemacht, streckte die Beine und fühlte sich, trotz der miserablen Zeitläufte, recht mollig in der stickigen Luft nach Krepp und abgelagerten Wollstoffen, dachte an seine längstverstorbene Lebensgefährtin, an seine in der Grafschaft gefeierte Tochter, die in dem benachbarten Gnadenort Heiligenbaum schon seit etlichen Jahren als wohlbestallte Lehrerin amtierte, die Kinderherzen führte und sich eines hohen Ansehens erfreute.

»Rattata, rattata . . .

»Jawoll, jawoll! Man immer so weiter. Es ist gerne gegeben, auch ohne Profit, schon um der Barmherzigkeit willen, in Requiescant in pace.« Schlafe in Frieden, Phöns Pieplo!«

Er nahm sein Troddelmützchen vom Kopf, zerknüllte es zwischen den Händen, sprach ein stilles Vaterunser und bedeckte sich wieder.

Hierauf nahm er aufs neue die Kalkpfeife auf, die er kurz zuvor abgelegt hatte, tat etliche Schnaufer, um abermals sich mit den vielen Belangen und Ereignissen seines Lebens zu befassen und Zwiesprache zu halten. Er tat es mit einem gewissen Drusseln und Träumen, mit offenen Augen, mit stoßweisen Atemzügen.

Mynheer Jansen gemahnte in seinem Äußeren an einen Schatten- und Schuppenwurz, der sein Dasein in verdämmerten, etwas feuchten und laulichen Waldparzellen verbrachte. Früher ein energischer und zupackender Mann, der sich vom schlichten und habelosen Schreinergesellen zum geachteten Meister, zum Inhaber seines jetzigen Anwesens emporgearbeitet hatte, war er jetzt kommod und lässig wie ein fünfundzwanzigpfündiger Spiegelkarpfen in den Teichen des Barons Adrian van Steengracht in dem benachbarten Moyland geworden. Sein Gesicht, nunmehr breit und schwammig, ähnlich dem eines glattrasierten, wohlgenährten Domschweizers bei irgendeinem Weihbischof in partibus infidelium, wies aber noch Merkmale auf, die einst und ehedem gierige Weiberherzen zu Wachs machen konnten. Das war lange dahin. Die Sturm- und Drangzeit lag hinter ihm. Seine Seele ging auf Selfkantpantoffeln. Über seinen Ohrmuscheln kräuselte sich weißer Adlerflaum. Die weiche Luft seiner jetzigen Umwelt wirkte beruhigend, zutunlich, allverzeihend auf sein ganzes Gehabe, umkleidete ihn mit dem Mantel christlicher Nächstenliebe, salbte ihn mit Chrysam und heiligen Ölen. Als Kirchenrendant genoß er die Wertschätzung von Klerikern und Laien, als Inhaber des Beerdigungsinstituts ›Pietas‹ klopfte er Seiner Majestät dem Tod auf die Schulter, als Vater einer Tochter, die die ganze Grafschaft durch ihre Anmut und Schönheit in eine gewisse Ehrfurcht versetzte, konnte er den Kopf höher tragen als andere Menschen und selbstgefälliger mit seiner dicken Uhrkette klimpern. Ja, Joris Jansen war schon einer mit Ärmeln, wäre nur nicht sein kurzer Atem gewesen, dieses lästige Schnappen nach Luft und Ozon, dieses Hecheln eines abstrapazierten Hühnerhundes, das ihn bei jeder Gelegenheit überfiel, ihn an den dunstigen Odem seines Hauses fesselte, ihm nur selten gestattete, Gottes Natur, Gottes Herrlichkeit und Gottes Lerchengesang in sich aufzunehmen und allen fröhlichen Menschenkindern ein herzhaftes ›Proficiat‹ entgegenzuhalten. Im übrigen – er blieb, was er war: ein Mann von Qualitäten und großen Meriten. Damit basta und nicht mehr zu ändern!

»Nanu . . .

Joris erhob sich, trat dicht an die Nische und versuchte scharf durch die angelaufenen Scheiben zu sehen.

Die nur angelehnte Hoftür öffnete sich langsam, ein aufgespanntes krapprotes Paraplui drängelte vor, bewegte sich mit einer gewissen Neigung, aber mit Anstand, sieben bis acht Fuß über dem vertümpelten Pflaster dem Haus zu, segelte dicht am Fenster vorüber, um dort für einige Augenblicke Posto zu fassen.

»Herr Jeses!« rief Joris mit dem Aufgebot all seiner Lungenkräfte, »wenn ich nicht irre – der Aloys!«

»Zu dienen«, antwortete eine lurksige Stimme, »und wenn es erlaubt ist . . .

»Schragen Hond!« lachte Joris, »aber natürlich.«

»Na denn . . .« und keine vierzehn bis fünfzehn Perpendikelschläge verhallten im langriemigen Uhrkasten, der sich altmodisch in der linken Stubenecke emporsteilte, als sich auch schon die Tür auftat und ein hochaufgeschossener, breitschultriger Mann das dumpfige Zimmer beehrte, den fuchsigen Zylinder von seinem glattrasierten Eierkopf nahm, mit der Linken die etwas angefeuchteten Sardellen zurechtstrählte, den Hut über einen Holzpflock stülpte und mit süßlichem Lächeln den Herrn des Hauses begrüßte. Den triefenden Schirm hatte er draußen gelassen.

»Also Joris, ich darf . . .

»'ne Frage! aber 'ne ganz kuriose, denn wenn mein Freund Aloys Ferkulum nicht darf, wer sollte dann überhaupt dürfen?«

»Serviteur . . .

Der seltsame Gast warf zwei schlenkerige Finger an die Schläfe und salutierte mit Anstand.

»Joris, ich weiß es zu schätzen und wenn ich meine müden Pedale . . .«

»Ich bitte darum. Macht's Euch kommod. Vielleicht ein Schälchen mit Kaffee gefällig, geschmuggelt und von der obersten Sorte?«

»Prrr!« kam es fröstelnd zurück, und der Herr mit dem spiegelglatten Eierkopf auf den hochgestellten mächtigen Schultern machte eine abwehrende Geste. »Joris, Ihr solltet mich kennen. Kaffee hat mir der Dokter schon seit Jahren verboten. Leider, leider! Aber es läßt sich nicht ändern. Niemals . . .

Nochmals die abwehrende Geste, aber energisch und dringlich.

Gleich darauf saß Mynheer Ferkulum an einem derben Holztisch seinem Freund gegenüber, mit stillem Gesicht, dabei scheinbar zufrieden, ein gesichertes Dach über seinem blanken Schädel zu haben.

Der behäbige Schatten- und Schuppenwurz sah ihn wohlwollend an, tippte ihm sacht auf den Ärmel.

»Aloys, womit kann ich denn dienen?«

»Im allgemeinen mit gar nichts, im Speziellen jedoch . . . Joris, du kennst ja mein Lebenslaxier.«

»Ja – so! Nous avons, vous avez . . .?«

»Ganz richtig. Das meine ich nämlich! Ist doch 'ne properere und annehmbarere Sache, als das giftige Gespüls aus den brasilianischen Kaffeeplantagen. Ich bin nicht kumpabel dazu, meinem Herrn und Erlöser in die Parade zu fahren. Niemals! sonst könnte ich nicht als Friseur, Barbier und Leichenbitter vor seinem Antlitz bestehen.«

»Na denn . . .« und der Herr des Anwesens rührte die Klingel, die unmittelbar neben seiner halbleeren Tasse stand, immer bereit, seine Wünsche dem Personal des Hauses wissen zu lassen.

»Gut so.«

Aloys Ferkulum nickte befriedigt. Seine Zunge schleckerte dabei wie die einer Miezekatze, wenn sie ein Tröpfchen mit Sahne erwischte.

Nicht lange, und der schrille Ton zauberte einen vierzehnjährigen, rothaarigen Schlingel herbei, der mit einer schwarzgekleideten Verkäuferin die Kunden der linken Ladenseite bediente.

»Herr Jansen . . .?!«

»Fipps, das Bewußte.«

»Bonus, Mynheer. Nur wenn ich bitten darf: die grüne oder die rote Bouteille?«

»Die rote natürlich.«

»Bonus, Herr Jansen. Nur eins noch . . .« und der geriebene Jüngling streckte Zeige- und Mittelfinger zur Decke. »Ein oder zwei Gläschen dazu?«

»Bloß eines.«

»Wird in Bestellung genommen«, und während der Stift absockte, das Verlangte beizubringen, ließ Aloys Ferkulum seine müden Augenlider wie die Nickhäute einer Schleiereule herunter, legte die langen, etwas feuchten Hände zusammen und sagte: »Joris, Ihr seid schon einer mit Compläsanzen, aber einer von den besten genommen. Gleichfalls Euer jugendlicher Ladenmarkör. Ein properes Kerlchen. Ehrenwort drauf und mein gehorsamstes Merci.«

»Gar nichts zu danken. Anpräsentiert ist auch gerne gegeben . . . aber Gott's den Donner noch mal, wo habt Ihr denn in den letzten vierzehn Tagen gestochen? Man wüßte doch gerne . . . man steht doch seit Jahren in Freundschaft und kann stündlich gefaßt sein, vor Gott und seinen Thronen erscheinen zu müssen, wenn ich auch hoffe . . .«

»Natürlich, natürlich!« winkte Ferkulum ab, »und wo ich gestochen hab'? Später darüber. Ich muß erst meine Besänftigung haben, denn das Wetter da draußen kann selbst 'nem Totenansager das Vaterunser im Maulwerk gefrieren lassen . . . und Ihr? wenn 'ne Frage erlaubt ist: mit allen Klamotten wohl noch in bester Verfassung?«

»Ne, ne, ne«, sagte Jansen, »das hapert bei mir doch so 'n bißchen an allen Ecken und Bekömmlichkeiten. Besonders das hier, das hier unter den Kamisolknöppen«, und er schnappte nach Luft wie ein Ertrinkender »das schafft mir Molesten, die besonders an benauten Tagen so ausgiebig wie Hirtzensprünge werden. Ne, ne . . . aber ich kann mir nicht helfen: der barmherzige Herrgott läßt mich nur äußerst spärlich den mir zugemessenen Atem beziehen, und da sollte ich annehmen . . .«

»Dann macht es wie ich. Es soll ein Gläschen Branntewein . . . Probiert es. Zum Exempel mit diesem . . .«

Aloys machte den Gänsehals lang. Die Lichter in dem Eierkopf stielten sich vor.

Der Stift erschien mit der roten Bouteille, plazierte Flasche und Gläschen in sachlicher Weise, schenkte ein, ohne mit einem Tröpfchen zu kleckern, würdig und dienstbeflissen, als sei ihm geboten, dem Erzengel Gabriel eine extraordinäre Stärkung zu reichen.

»Merci.«

»Gerne geschehen.«

»Ab nach Kassel«, gebot sein Chef und Gebieter.

»Bonus, Mynheer«, und der luse rothaarige Beistand von der linken Ladenabteilung verließ die Szene mit der Gemessenheit eines Großen in Israel.

»So«, meinte Jansen, »nu aber heraus mit der Sprache. Man möchte doch gerne . . .«

»Einen Momang noch. Bevor ich Rechenschaft stehe – erst dieses.«

Der umständliche Herr machte Schweinsäugelchen, betrachtete das Schnapsgläschen mit gierigen Blicken, nahm es auf, wie man ein Heiligtum aufnimmt, näherte es den heimlich schmatzenden Lippen und sagte: »Joris, paßt Achtung! Nous avon, vous avez – und nu is se weck. Ich meine die deliziöse Anisette mit 'nem Schuß Rum mang die Rippen.«

Das Glas kippte über.

»Ah! und nu, wo ich meine erste Besänftigung habe, gerne zu Diensten.«

Er schlenkerte seine hölzernen Ständer wie Waschhölzer übereinander.

Joris, um es einfach zu sagen: ich hab' in Nymwegen bei meiner verheirateten Tochter gestochen. Ich mußte 'nen anderen Odem einholen, mich so 'n bißchen rekolljieren, denn hier in Klev' und Umgebung war ja doch nichts zu schaffen. Alles blieb unter dem Kapuzineraffen, im Urzustand aller Begriffe und Möglichkeiten. Die Schellfischköppe und Kabeljaugesichter haben's noch gut. In Holland wird unter ›ons Wilhelmintje‹ noch Hurra geschrien, haben sie noch was zu brechen, zu beißen, wird einem nicht der letzte Kohlstrunk von der Rabatte, nicht die letzte Ziege von der mageren Raufe gesteuert. Natürlich, auch bei uns wird Hurra und Vivat geschrieen, aber ganz anders, auf 'ne republikanische Art. Wir sehen wohl die gebratenen Gansvögel und Tauben fliegen, dicht an unserm Schnabel vorbei, aber keinem von dem Geflügelvolk fällt's ein, in unserm hungrigen Maulwerk Quartier zu beziehen. Das weiß ganz andere Mäuler zu finden. Gottverdorie noch eins!« und Ferkulum schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, daß Kaffeetasse, Bouteille und Gläschen Anstalten machten, von der Tafel zu stolpern – »nicht ums Verrecken. Besonders in Klev' nicht . . . bei mir nicht . . .«

»Bitte, Aloys, geruhsam, geruhsam, sonst wird meine Atempfeife wieder wie 'ne verstopfte Ziehharmonika.«

»Exküsiert, exküsiert! Ich meine ja bloß . . . aber das mit Kleve, mit mir . . . Steuern zahlen, ohne kein Dittchen auf die Beine zu stellen?! Was ist da zu machen? Joris«, und seine Stimme wurde wie das Säuseln in einer Trauerweide, »da ist gar nichts zu machen, denn wenn ich so mein Dasein und meine Geschäfte betrachte: keine Ansage mehr, kein Toter mehr . . . nichts zu begraben. Die Menschen wollen nach dem hundsmiserablen Kriege nicht abgehen, nicht die ewige Anschauung gewinnen, kurz, in dieser Beziehung kein Dittchen auf mein Konto buchen. Außerdem, wo bleibt mein Honnör als Inhaber eines einst renommierten Salons? Jeder Mannskerl rasiert sich auf seine eigene Kappe oder trägt 'nen Bart wie die Besenbinder in der Gocher Gemarkung. Na, so 'ne Kulören! und die Weibsbilder erst! Haben den Bubikopp über . . . lassen wieder die Kuhschwänze wachsen . . . finden Zeit in Masse, sich Rindspomade zu brauen, die verfilzten Haare zu kräuseln . . . Himmel und Erde!« und die glitschige Hand hob sich aufs neue, um mit Glanz und Gloria niederzufallen.

»Bitte, Aloys, geruhsam, geruhsam! Bei mir ist genau die nämliche Schose. Nichts zu erzwingen. Das Geschäft geht auf Krücken, ist wie 'n Familienvater von armseligen Sakristeimäusen geworden. Ganz richtig. Niemand will sterben, sich's kommod machen zwischen den langen Brettern. Wachskerzen werden kaum noch benötigt. Seit Wochen keinen Trauerhut mehr in Bestellung genommen. Mein linkes Ladenlokal feiert mein rechtes desgleichen. Das ganze Personal steht wie 'n Ölgötze hinter der Theke . . . und mein Magazinier, Herr Baumann, sagte mir schon: Geht's so weiter, Herr Jansen, spielen unsere Sargnägel den neunten November, werden zu Revoluzern, Herr Jansen. Ja, ja, es steht schon schlimm in der Welt. Sie will aus Fugen und Diebeln . . .«

»Halt!« unterbrach ihn sein Gegenüber. »Das stimmt doch so recht nicht, dem kann ich für Eure Person nicht so ohne weiteres beipflichten, denn ich hörte soeben . . . da drüben . . . aus der Werkstätte 'raus: rattata, rattata . . .«

Joris lächelte mit dem Lächeln eines insichgekehrten und geruhsamen Mannes: »Die alte Geschichte von dem blinden Huhn und dem eingeholten Körnchen, 'n powerer Auftrag von den barmherzigen Schwestern, wo die abständigen Knasterbärte bei wohnen. Will's gern auf Euer Konto verbuchen. Profit – allerhöchstens zehn Märker.«

»Ist aber doch immer ein Auftrag.«

»Allerdings – ja.«

»Und bleibt auch was hängen?«

»Auch dieses.«

»So ist doch 'ne Art von Anfang gemacht, 'n Aufstieg mit 'nem feinen Silberstreifen dazwischen, wie 'n Gewisser behauptet.«

»Gewiß, und ich will auch nicht klagen. Bloß Ihr habt mir mit Eurem Geseire und den weiblichen Bubiköppen meinen bekömmlichen Gusto verdorben.«

»Bonus, wie dein rothaariger Jüngling aufstellt. Indessen, ich wollte nur dartun, warum ich vierzehn Tage hintereinander im benachbarten Ausland gestochen, und da ging das nicht anders: ich mußte doch den innersten und tiefsten Stunk meiner Seele offenbaren, um das begreiflich zu machen.«

»Verstehe. Seien wir friedlich. Hoffen wir auf bessere Zeiten. Gott hat ehrliche Kostgänger noch niemals in 'ner richtigen Predullig gelassen.«

»Meint Ihr, auch hinsichtlich baldiger Sterbe- und Ansagegebühren?«

»Jawoll.«

»Auch von wegen der Bubiköppe und sonstwie?«

»Warum nicht?«

»Und wir kämen mit unserem Geschäft mal wieder in den zusprechenden Schwung und in die diesbezügliche Schwänke?«

Jansen wurde aeolsharfenweich und lau.

»Aloys«, sagte er mit getragener Stimme, »der Katechismus behauptet: Gott ist allmächtig.«

»Gut so! obgleich ich den Standpunkt vertrete: Lieber die Hand auf die Mösch als 'ne fette Duw auf dem Rathaus in Kleve. Indessen – hoffen wir, Joris, und darauf trinken wir einen, denn jede anständige Hoffnung muß 'ne gewisse Portion Mistus einholen, um offö für ihren erfreulichen Zustand zu bleiben. Joris, das ist doch auch Eure Ansicht?«

»Ist sie.«

»Na denn . . .« und Aloys Ferkulum, der alle seine aufgezählten Miseren, den flauen Betrieb seines Salons, das Selbstrasieren der Mannskerle, das eingetretene Manko hinsichtlich seines Nebenamtes als Totenansager, die schrumpfende Mode der Bubiköpfe und sonstige Kalamitäten in diesem Tale der Tränen und der Anfechtungen energisch beiseite drängelte, nahm in getragener Weihe die neben ihm stehende Schnapsbouteille, beglich nach Pflicht und Gewissen den Pegelstand seines Gläschens und sagte: »Joris, paßt Achtung. Ohne lange Fisimatenten zu machen – meine zweite Besänftigung. Unter drei kann ich's heute nicht dartun, denn die Drei rechnet zu den himmlischen Zahlen: drei Vaterunser, drei Seligkeiten, drei Götter in einer Person . . . und außerdem: unsere spezielle Hoffnung. Auf daß sie offö bleibe und wir sie glücklich durchs Kindbett lavieren – Joris, es gilt: nous avons vous avez – und nu is se weck. Ich meine natürlich die deliziöse Anisette mit 'nem Schuß Rum mang die Rippen . . .« und abermals kippte er mit verzückten Augen sein ›Lebenselixier‹ hinter die Binde: »Joris, auf dein Wohlergehen, auf das deines Hauses, auf das deiner einzigen Tochter, dieser Edelrübe, dieser Muttergottesmedaille in purer Vergoldung.«

Er erhob sich, reckte sich auf wie ein grindiger Marabu auf etwas ramponierten Ständern.

»Joris, ich kann mir nicht helfen: ich estimiere sie als die Perle der Grafschaft, glücklich in ihrem neuen Wirkungskreis, wo sie nunmehr die unnöselen Kinder belernt, ein Wohlgefallen vor Gott und seinen ewigen Wohltaten. Amen.«

Der bedächtige Schuppenwurz winkte lächelnd ab.

»Aloys, nicht so. Ihr irrt. Sie befindet sich noch immer in Heiligenbaum.«

»Wie . . . was . . . wo . . . und warum?!«

Ferkulum stierte ihn an, als wäre bei ihm eine Überführung im Anzug, sackte stocksteif auf seinen Sessel zurück: »Es hieß doch vor einigen Wochen, sie käme anderswo unter.«

»So hieß es. Sie sollte als erste Lehrerin nach Düsseldorf hin. Nicht zu machen, mein Bester. Sie dankte ergebenst für Obst und Südfrüchte, um in der Nähe ihres Erzeugers zu bleiben.«

»Und das so aus freien Stücken heraus?«

»Aus freien Stücken und mir zur Bekömmnis, denn wie lange noch, und einer wird kommen und sagen: Joris Jansen, du hast das deine geleistet, bist Geselle und Meister gewesen, hast die Toten einkleiden lassen und ihnen 'ne opulente Bewährung verstattet. Nach bemessenen Kostenanschlägen natürlich, denn einer will's knapp und einfach, 'n andrer in aller Pompösität, mit 'nem Zinkdeckel drüber . . . aber du bist immer honorig gewesen, immer honorig, ganz egal, ob's Nickelbeschläge waren oder solche mit echter Silberplatierung, und dabei alles von äußerster Realität – drum drücke dich man sacht in die Kissen, denn Gott hat es wollen. Du bist berufen, von seiner Tafel zu essen. Aloys, das kann doch tagtäglich passieren! Wir sind bloß ein schwächliches Federlein vor dem Hauch des Allerhöchsten, und weil wir es sind, hat Henriette beschlossen, in meiner Nähe zu bleiben, um ihren alten Papa nicht in der Predullig zu lassen, wenn der Herr gebiet: Joris, ich warte.«

»Lieb von ihr«, bestätigte Ferkulum mit einer gewissen Bewegung und Herzenseinfalt.

»Nur lieb von ihr?« fragte Jansen mit schiefen Mundecken.

Er legte die Kalkpfeife ab, brachte sein rotseidenes Sacktuch zum Vorschein, knüllte es hastig zusammen und drückte es sich schmerzlich gegen die Augen.

Hierauf steckte er es wieder an Ort, um mit Unterstreichung jedes einzelnen Wortes zu sagen: »Nur lieb von ihr, Aloys?! Edel war's, großartig war's. So was ist noch nicht auf die Beine gekommen, noch niemals gesehen. Allerhand Achtung, ihren braven und anständigen Papa so zu betreuen. Gott hat es wollen!«

Er schnappte ab.

Seine Stimme segelte geruhsamerem Fahrwasser zu, gefiel sich darin, über eine sanfte und ölige Fläche zu gleiten.

»Aloys, und wenn ich so alles bedenke: was sollte auch meine Henriette in Düsseldorf machen? Ihre reine Seele würde in diesem Sündenbabel, in dieser Stadt der Malermeister und Komödienspieler reineweg verkümmern, wie 'n Himmelschlüsselchen in 'nem Restaurationsgarten einfach vor die Hunde gehen, während der Ort, wo sie sich nunmehr befindet . . . Oh!« und der biedere Herr mit dem weißen Adlerflaum über den Ohrmuscheln sah seinem Freunde tief in die Augen, »Heiligenbaum ist eine selige Stätte, eine Stätte der Verehrung und Anbetung, ein Hort der Betrübten und Wegemüden, ein Jerusalem ernster Betrachtungen und Beschaulichkeiten. Lasset uns beten! Das paßt zu ihr wie die Osterglocke zum Ostersonntagmorgen, wie der Medaillenstab in deinen Händen, Aloys, wenn du ausziehst, 'nen Toten anzumelden und unter die Leute zu bringen.«

»So richtig«, konstatierte der Angerufene mit dem blanken Spiegelkopf, »ganz meiner Meinung. Das imponiert und böte Gelegenheit . . . Joris, darf ich noch mal: nous avons, vous avez . . .?«

Er machte die Bewegung des Kippens.

»Jetzt nicht, in diesem Momang nicht. Ich bin noch nicht fertig . . .«

Joris Jansen schnappte nach Luft, holte tief Atem, als müßte er einen ganzen Vorrat von diesem köstlichen Stoff in sich aufnehmen, um seine Betrachtungen zu einem glücklichen Ende zu führen.

Schließlich war er so weit.

»Oh Henriette! trotz deiner Schönheit des Leibes, trotz der Aufmunterung in deiner körperlichen Gestaltung, trotzdem die Mannskerle um dich herumhoppeln wie die Löffelmänner um 'ne delikate Kleeparzelle – mit 'nem Heiligenschein könntest du in der Gnadenkapelle niederknien, drei Engel zur Rechten, drei Engel zur Linken . . . O Henriette!« und seine Stimme wurde so zart und bekömmlich wie die Marienplätzchen von Kevelaer, »du hast keine Anfechtungen, du kennst keine Gelüste des Fleisches, du sündigst nicht in Gedanken, Worten und Werken, deine Sinne sind nur auf deinen Herrn und Heiland gerichtet, deine irdische Sehnsucht . . .«

Er wurde unterbrochen.

»Joris, wenn es erlaubt ist . . .«

»Was soll's denn?«

»Alles recht schön. Aber das mit der irdischen Liebe . . .«

»Wieso?«

»Es heißt doch, Henriette besäße so zutunliche Augen.«

»Stimmt.«

»Und könnte damit barbarischen gucken.«

»Kann es nicht leugnen. Aber was weiter?«

»Und da sagen die Leute . . .«

»Was sagen die Leute?«

»Sie hätte auch schon so 'n bißchen von der irdischen Liebe erfahren.«

»Wa . . . wa . . . wa . . . was?!«

»Joris, verstehe mich richtig. Ich meine das als nobles ›Lebenslaxier‹ mit 'nem richtiggehenden Jungfernkranz drüber, um später in 'ne reguläre und annehmbare Kopulation zu treten. Oder willst du deine eingeborene Tochter auf 'nem unfruchtbaren Boden belassen? Das wäre doch äußerst.«

»I Gott bewahre! Ich denke nicht dran. Wenn der richtige ansocken täte, ihr unter die Augen träte und sagte: Ich bitte Mamsell . . . Warum nicht? Ich habe gar nichts dagegen, denn auch 'nem Frauenzimmer, das sich als heilig benimmt, darf man 'ne eheliche Betätigung nicht absprechen, wenn der himmlische Vater solches in seiner Weisheit und seinen Barmherzigkeiten als richtig befindet.«

»Na, dann wäre die Sache ja so halber gedeichselt.«

»Aloys, ne. Unsereins müßte doch vorher irgendwas wissen, sich mit Namen und Stand befassen, bevor ein Familienvater die Hände aufhebt und dartut: Ich segne euch Kinder! sonst könnte er sich schlankweg in die Nesseln setzen und den gestrigen Tag nicht mehr finden.«

»Ganz meine Ansicht. Wenn's sich aber um 'nen Präliminierten handelt, um einen, der etwas prästiert in der Grafschaft?!«

»Zum Beispiel?«

»Um den hiesigen Lehrer Heribert Kästner.«

Jansen stülpte die linke Ohrmuschel vor.

»Um wen?« fragte er lurig.

»Um Heribert Kästner.«

»Das müßte ich wissen. Bloß pures Gerede, sonst könnte ich meine Tochter nicht mehr verstehen, nicht mehr mit ihr an dem nämlichen Mittagstisch sitzen, denn wir haben uns allzeit wechselseitige Vertrauensseligkeit und 'ne Art von Verständnis in die Hände geschworen. Meine Henriette ist durchsichtig wie 'ne Florfliege . . . und dann so 'ne plötzliche Verdunkelung des Tatbestandes! Aloys, ne, ich kann es nicht in Bezahlung nehmen.«

»Oder hast du was gegen den Mann?«

»Gott bewahre! Kein Tiftelchen, nicht so viel wie das Schwarze vom Daumennagel bedeutet. Heribert Kästner hat seine Verdienste – seine großen Verdienste als Mensch, als Knabenbetreuer und sonstwie . . . aber desungeachtet: immer ein bißchen Hü mit die bockigen Pferde.«

»Warum das?«

»Aus Interessengemeinschaft.«

»Wie soll ich das nehmen?«

»Aloys,« und der sanfte Mynheer legte gottergeben die Hände zusammen, »es gibt zweierlei Käse: solchen von bekömmlicher Abstammung, aber auch solchen mit 'nem kamigen Beisatz behaftet.

»Höhö!« lachte Ferkulum und fuhr sich erheitert über den ölglatten Schädel.

»Aloys, höre mich an. Der erste Käse ist Heribert Kästner als Mensch, als Knabenbelerner und sonstwie. Der zweite Käs ist gleichfalls Heribert Kästner; den gibt er ab im Hinblick auf seine vorgesetzte Behörde. Wir leben nicht mehr in den Zeiten von Anno dazumal, wo noch das schwarz-weiß-rote Tuch mit Glanz und Gloria bei allen Festivitäten seine Estimierung empfing, ohne in die Gosse gezogen zu werden. Das ist jetzt anders geworden . . . und da der Herr Lehrer sich noch mittenmang den obigen Kulören befindet, sich weiter als Sturkopp herausmustert, habe ich um seinetwegen die größten Bedenken. Ich stelle ausdrücklich fest: er ist als Untergebener 'ne schwierige Nummer, steht mit den Herrn Kaplänen man auf schwächlichen, meistens sogar auf konträrigen Füßen . . . und wer mit den Stellvertretern Gottes auf Erden nicht an dem nämlichen Strang arbeitet, dem kann es immer passieren . . . kurz, der kamige Käs könnte ihm eines Tages übel aufstoßen, er würde brot- und stellenlos werden und meine Henriette stände wie 'n Waisenkind an der verschlossenen Tür ihrer Väter.«

Er fuhr sich schwer über die Augen.

»Aloys, so ist das und nichts dran zu ändern.«

»Wenn sie ihn aber nu absolut will?«

»Wer sagt das?«

»So heißt es.«

»Ja, heißt es!«

»Und trotzdem: gegen 'ne unverbrüchliche Liebe können zehn tüchtige Percherons nicht anoperieren.«

Der Schuppenwurz tastete sich aus seiner duldsamen Reserve heraus, wurde energisch.

»Aloys, bloß keine Bange.«

»Das läßt sich leicht aufstellen.«

»Ich sage Euch, Aloys, bloß keine Bange«, hielt ihm der Alte nochmals entgegen.

Seine sonst so geruhsame Hand polterte auf den Tisch: »Ich bin auch noch da. Ich, Joris Jansen von der Kavarmerstraße in Kleve hab' auch noch 'n Wörtchen zu reden, und wenn Not an den Mann kommt, Henriette unbewußt bleibt, mir, ihrem väterlichen Erzeuger, mit Unterstellungen begegnet, die ich für nicht diskutabel taxiere, oder sonst was ausklamüsiert, was ich in den bittersten Abgrund verweise . . . Himmel und Herrgott! schon morgen – ich mache mich auf, fahre in 'nem Schäschen nach Heiligenbaum zu, um meine Tochter direktemang vor 'nem Entweder-Oder zu stellen. Natürlich, Heribert Kästner ist gut, aber meine Tochter hat mehr in die Suppe zu brocken, kann um ihretwegen doppelte und dreifache Ansprüche machen . . .«

Sein Kopf wandte sich jählings.

»Was los?!«

Die Ladenschelle bellte wie 'n furioser Dorfspitz in die richterlichen Auslassungen Jansens hinein, als hätte eine höhere Macht ihnen ein ›Bis hier und nicht weiter‹ geboten.

Der Inhaber des Beerdigungsinstituts erhob sich, sah sich seinem rothaarigen Stift gegenüber.

»Mynheer . . .

»Was soll's denn?«

»Der Herr Kaplan von Warbeyen hat 'ne Bestellung zu machen.«

»'ne solide oder bloß eine, die mit 'nem Klingelbeutel herumgeht?«

»'ne solide, Herr Jansen. Ich glaube, er kommt mit 'nem Auftrag.«

Jansens Gesicht klärte sich auf.

»Na, endlich! Soll mir angenehm sein.«

Der Stift warf die Tür sperrangelweit auf: »Hochwürden!«

Joris trat dem hohen Besuch in aller Ehrerbietung entgegen.

»Gelobt sei Jesus Christus!«

»In alle Ewigkeit, Amen.«

Hinter dem Herrn Kaplan von Warbeyen schloß sich wieder die Türe, über deren Supraporte die Worte aus dem vierten Bußpsalm geschrieben standen: »Miserere mei, Deus, secundum magnam misericordiam tuam.«

 


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