Heinrich Laube
Reisenovellen - Band 3
Heinrich Laube

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Der ungrische Adel.

Das eigentliche Ungarn ist ganz und gar von Adel: wenn der Reichstag also auf Reformen denken wollte, so mußte er dieses sein Hauptelement in's Auge fassen, sonst werden seine Bestrebungen Einzelnheiten bleiben wie in Polen. Dort hat man's versucht, und hier versucht man's, den Bauer anders zu stellen; mit dem Herrn aber muß begonnen werden.

Ungarn wie Polen, Reitervölker aus Asien, rückten in leere Wohnsitze ein, jeder Reiter, der ein Pferd und ein Schwert hatte, war ein Herr. In dieser Weise besetzten die Magyaren Pannonien, nur der Magyar wurde Grundbesitzer; als man später Slaven, Deutsche, Kumanen, Walachen 220 aufnahm, so geschah dieß, weil man Arbeiter, Ausfüllung brauchte, wenn die Könige den Ankömmlingen Schenkungen machten, so wurden die Gäste nur dadurch frei, aber Herren, Adel blieben die Magyaren allein. Der reichste Mann, der nicht adelig ist, kann in Ungarn kein unbeweglich Eigenthum haben, das ganze Land ist für alle Zukunft nur dem Magyar gehörig. Selbst die freien Städte nehmen nur Antheil an der Staatsverwaltung, in so fern sie zur Aristokratie gehören.

Der ungrische Adel zahlt keine Steuer für seinen Besitz, welcher gering angeschlagen, drei Viertheile des Landes beträgt; – um diese Exemption starr zu behaupten, läßt er sich indirekt besteuern, und das kostet ihm mehr, als wenn die Belastung direkt und gleichförmig geschähe.

Er zerfällt in zwei sehr verschiedene Hälften: der große, reiche Adel besitzt Alles, die zehn reichsten Familien, zu denen die Esterházy, Bathyányi, und Pálffy gehören, haben den sechsten Theil des Landes eigen. Der unendlich zahlreiche kleine Adel 221 hat nichts, er wird bocskoros nemesség genannt, weil er sich zum Theil nicht einmal Stiefel anschaffen kann. Er entspricht den Slachtcritzen in Polen, bildet die magyarischen Lazzaronis, und war nur ein eigentlicher Bestandtheil des Staates, als die adelige Insurrektion noch bestand, und der Kern des Heeres in ihm lag. Jetzt muß der Bauer Soldat werden, und zwar auf Lebenszeit.

Man erkennt, wie viel diese wenigen Sätze zu denken geben; – auch diejenige Ausschließlichkeit liegt darin, deren ich gedenken muß, wenn ich einzelne neuere Bestrebungen der Nation erwähne, die zum Theil schon im Vorübergehen genannt wurden.

Dahin gehört die sprachbildende Gesellschaft, welche sich jetzt die gelehrte nennt, obwohl die literarischen Aeußerungen, welche sie befördert hat, noch sehr unbedeutend sind. Außer den Poeten Pyrker, Kisfaludi und Himly ist kaum Jemand zu nennen; sie haben aber in jenem ungrischen Eigendünkel, welcher durch das abgeschlossene Magyarthum so befördert wird, den Vater Adam zum Ungar, den alten Homer zum Slavaken gemacht, und sind so außerordentlich zufrieden mit ihrer anfänglichen Literatur, daß man kaum etwas für die Folge erwarten darf.

Hoffen wir indessen auf die Unverwüstlichkeit der Bildungselemente, – gegen Ende des vorigen Jahres erschien ein Band Mittheilungen über Ungarn unter dem Titel »terra incognita«, herausgegeben von I. Orosz, welche mitten aus jenem Lande eine Stimme der Unbefangenheit und Bildung bekundeten, wie man sie nimmermehr hätte erwarten können. Ich habe sie zu der historischen Anschauung fast durchgängig als Führerin benutzt.

Kultur ist eine Atmosphäre, die einzelne Wahrnehmungen täuscht, und oft auf das Unerwartetste überrascht.

 


 


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