Heinrich Laube
Reisenovellen - Band 3
Heinrich Laube

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Sperl in Floribus.

Die Dame hat uns an jenem Tage viel zu schaffen gemacht, denn was wir nicht in die gewöhnlichen Kategorieen uns'rer Anschauungsweise einordnen können, das macht uns zu schaffen. Wenn wir's auch noch so sehr läugnen, wenn wir auch noch so häufig das Gegentheil versichern, und zwar ehrlich und treu versichern – unser arroganter Verstand glaubt im Grunde nicht daran, daß ihm etwas ganz Neues, Fremdartiges vorkommen könne. Dieß macht die dreist verständigen Leute oft so unangenehm. Unser ordinairer, großstädtischer Verstand ward solchergestalt durch die Dame sehr blamirt.

Sie war ernsthaft, und lächelte höchstens. Als wir in der Singerstraße waren, sagte sie zum 31 Starosten: »Geben Sie mir den Arm, Sie sind mein Bruder, und heißen Casimir.«

Kaum war dieß gesprochen, so stand auch wirklich ihr Begleiter von gestern Abend, der Ungar, vor uns; sämmtliche ungarische Kreuzdonnerwetter lagen auf seinem Antlitze, und er strich den Knebelbart, wie man einen Fuchsschwanz peitscht, der elektrisiren soll. Verstellung in angekündigter Weise; ich war ein beiläufiger, uninteressanter Reisebegleiter; ein wenig verwandt, wenn ich mich recht erinnere, sonst nichts, ein Mitläufer.

Die Donnerwetter entluden sich in unschädlichem Wetterleuchten, das heißt: der Ungar wollte Licht in der Sache haben, und gab, wie billig Mißtrauen und gelegentliches Losschlagen keineswegs auf. Das war auch ganz recht, nur hätte er kein Ungar sein müssen. Bekanntlich sind die Ungarn sehr gescheidte Leute, nur das Schießpulver und die Intrigue haben sie nicht erfunden; und sie glauben Manches, was andere gescheidte Leute nicht glauben. Vorstehender Ungar war keine Ausnahme, sondern stand unter der Regel.

32 Nachdem wir uns darüber vereinigt hatten, aus welchem Lande unsere Verwandtschaft stammte, was einer gemeinschaftlichen fremden Sprache wegen nicht ganz leicht war, schlugen wir dem Ungar vor, unsere Ankunft in vaterländischem Getränke zu feiern; er fluchte »Ja.«

Allem Anscheine nach waren wir in Johanna's Wohnung. – Wir hatten im Laufe des Gespräches diesen Namen unserer schönen Cousine erobert. Es waren so gewiß verschwiegene Gemächer eines halben ersten Stockes, wie man sie an einigen Orten in Wien findet, nicht hoch genug, um vornehm zu sein, nicht niedrig genug, um auf den Kopf und die Behaglichkeit zu drücken. Gardinen und Meubles waren dunkelfarbig und nicht ohne Solidität und Wohlthätigkeit. Ein alter Diener und eine dito Kammerfrau waren zur Hand und servirten auf wenig pantomimische Handdeutungen ein Frühstück, dessen Hauptperspektive in den Winkel gestellt wurde. Das war ein Korb mit Flaschen.

33 Um nicht gefragt zu werden, fragten wir den Ungar nach seinem Vaterlande. Der Ungar liebt es kaum weniger als der Pole, oder richtiger: er ist darein verliebt, und erzählt davon mit Fanatismus. Da er zudem nicht gern trocken erzählt, so wurden wir nach einigen Stunden aller Besorgniß enthoben.

Es war an jenem wichtigen Tage, wo »Sperl in Floribus« an allen Straßenecken glänzte in roth und blauen Buchstaben. Durch alle Gassen, von Mund zu Munde rennt die freudige Sage: »heut' Abend ist Sperl in Floribus.« Das heißt mit andern Worten: der ganze Garten Sperl's draußen in der Leopoldstadt brennt in tausend Lampen, alle Säle sind geöffnet, Strauß dirigirt die Tanzmusik, Leuchtkugeln fliegen, alle Sträucher werden lebendig, was ein Wienerisch Herz hat, steuert des Abends hinaus über die Ferdinandsbrücke, bei'm Lampel vorüber, links um die Ecke. –

Es versammelt sich dort allerdings keine haute société, es ist eine sehr gemischte Gesellschaft, aber die Ingredienzien sind nicht zu verachten, und das 34 Gebräu ist klassisch-wienerisch. Ein Abend und eine halbe Nacht bei'm Sperl, wenn er blüht in aller Ueppigkeit, ist der Schlüssel zum Wiener sinnlichen Leben, das heißt: zum Wiener Leben. Unter erleuchteten Bäumen und offnen Arkaden, welche an den Seiten herumlaufen, sitzt Männlein bei Weiblein an zahllosen Tischen, und ißt und trinkt und schwätzt und lacht und horcht. In der Mitte des Gartens nämlich ist das Orchester, von welchem jene verführerischen Sirenentöne kommen, die neuen Walzer, der Aerger uns'rer gelehrten Musiker, die neuen Walzer, welche gleich dem Tarantelstich das junge Blut in Aufruhr bringen. In der Mitte des Gartens auf jenem Orchester steht der moderne Held Oesterreichs, Napoléon autrichien – der Musikdirektor Johannes Strauß. Was den Franzosen die Napoleon'schen Siege waren, das sind den Wienern die Strauß'schen Walzer, und wenn sie nur Kanonen hätten, sie errichteten ihm bei'm Sperl eine Vendomesäule. Der Vater weis't ihn seinem Kinde, die geliebte Wienerin ihrem fremden Geliebten, der 35 Gastfreund dem Reisenden – »das ist Er!« – Wer? – »Er!« Wie die Franzosen sagen: voici l'homme.

Es ist ein heiter sinnlich Volk in Oesterreich – Napoleon kostete den Franzosen viel Söhne und Brüder und Väter, ehe sie sagen konnten: »voici l'homme« – Die Oesterreicher haben nur einige Gulden und Nächte gezahlt, und dafür haben sie einen ausländischen Vogel mit bunten Lockfedern für die Damen, und wenn auch nicht mit Hochgefühl, denn damit gaben sie sich nicht ab; doch mit Entzücken sagen sie: »das ist der Strauß!«

Nach abgefertigtem Ungar schlug uns Johanna vor, in's Theater und von da zum Sperl zu gehen.

Ich war sehr begierig auf den österreich'schen Napoleon, und es freute mich, daß ich ihn mitten auf dem Schlachtfelde finden sollte.

Er schlug gerade die Kaiserschlacht von Austerlitz, als wir ankamen, mit dem Fibelbogen wies er hinaus in den Himmel, und die Geigen schrieen: »die 36 Sonn' geht auf« – er dirigirte just seinen neuesten Deutschen.

Da stand er vor mir, der Dritte aus dem italienischen Triumvirate der Zauberer – Napoleone, Paganini - Straussio, wie dieser die Geige in der Hand haltend, taktirend wie besessen, von unsichtbaren Mächten geschleudert, aber eben so orakulös wie die Pythia.

Alle Gesichter waren auf ihn gerichtet, es war ein Moment der Andacht. Man wird dich fragen, sagte ich mir, besonders die Tänzer und Mädchen, die Generation der Zukunft, werden fragen: Wie sieht er aus, der Strauß? Ich betrachtete sehr; man dichtet immer, wenn man vor einer historischen Person steht: – war das Aussehen Napoleons griechisch – oder römisch-klassisch, ruhig antik, war das Paganini's Hofmann – romantisch, klosterbrüderlich romantesk, Grab- und Mondschein-interessant, so ist das jenes Maëstro Straussio afrikanisch-heißblütig, Leben- und Sonnenscheintoll, modern verwegen, zappelnd unruhig, unschön 37 leidenschaftlich. Nun, da sind Adjektiva zum Auswählen.

Der Mann ist ganz schwarz wie ein Mohr; das Haar kraus; der Mund melodiös, unternehmend, aufgeworfen; die Nase abgestumpft; man hat nur zu bedauern, daß er ein weißes Gesicht hat, was wenigstens mit größerem Rechte weiß genannt werden darf, sonst wäre er der komplette Mohrenkönig aus Morgenland, Balthasarius genannt, der am großen Neujahr in katholischen Ländern herumgeht, und auf die Thüren schreiben hilft: »C. M. B.« und die Jahreszahl, um die Macht des Teufels und Antichristen zu bannen. Unter dem höchst unseligen Herodes brachte selbiger Balthasar den dampfenden Weihrauch, womit man die Sinne befängt, und so ist es auch mit Strauß: er treibt ebenfalls die bösen Teufel aus unsern Leibern, und zwar mit Walzern, was moderner Exorcismus ist, und er befängt auch uns're Sinne mit süßem Taumel.

Aecht afrikanisch leitet er auch seine Tänze: die eig'nen Gliedmaßen gehören ihm nicht mehr, wenn 38 sein Walzer-Donnerwetter losgegangen ist, der Fiedelbogen tanzt mit dem Arme und ist der leitende Chapeau seiner Dame, der Takt springt mit dem Fuße herum, die Melodie schwenkt die Champagner-Gläser in seinem Gesichte, der ganze Vogel Strauß nimmt seinen stürmischen Anlauf zum Fliegen – der Teufel ist los.

Und diese leidenschaftliche Prozedur nehmen die Wiener mit beispiellosem Enthusiasmus auf, und sie haben eine Aufmerksamkeit, ein Gedächtniß für ihren Helden und seine Thaten, das heißt: seine musikalischen Gedanken, wie es dem deutschen Publikum zu wünschen wäre für manche andere Dinge. In einem Potpourri, was er aufführt, waren einzelne seiner Walzergedanken zerstreut, und das größte gemischte Publikum kannte das kleinste Strauß'sche Wort heraus, und begrüßte jeden Walzer-Rhythmus mit donnerndem Jubel.

Es ist eine bedenkliche Macht in dieses schwarzen Mannes Hand gegeben; sein besonderes Glück mag er es nennen, daß man sich unter Musik alles 39 Mögliche denken, daß die Censur mit den Walzern nichts zu schaffen haben kann, daß die Musik auf unmittelbarem Wege, nicht durch den Kanal des Gedankens, die Empfindung anregt. Dieß wunderliche Wort: man kann ein musikalisches Genie und ein Dummkopf in einer Person sein, kommt ihm zu statten. Hiermit soll ihm keine Beleidigung, sondern eine Gratulation gesagt werden: ich weiß nicht, was er außer Noten versteht, aber dieß weiß ich, daß der Mann sehr viel Unheil anrichten könnte, wenn er Rousseau'sche Ideen geigte; die Wiener machten in einem Abende den ganzen Contrat social mit ihm durch.

Gewissermaßen thun sie dieß freilich bei'm Sperl, denn eine Rehabilitation der Sinne geigt er wirklich, und ist Repräsentant des jungen Oesterreich, was gerade so gerne tanzt und küßt, wie es das Alte gethan. Wenn man's nicht glaubt, so muß man hinaufsteigen in die Sperl'schen Säle, wo die bacchantische Lust ihren Ausdruck, ihre babylonische Völkersprache findet. Ein Evan-evoë begrüßt ihn, wenn 40 er dort auf der musikalischen Tribüne erscheint, der moderne Mohrenkönig mit dem Weihrauchkessel, seiner Geige in der Hand.

Ich war an eine Säule gelehnt, und sah voll Staunen dem Treiben zu: die Sperl'schen Säle verwandelten sich mir in ein indisches Bajaderenhaus, und die nach Freuden schreienden Becken wurden zusammengeschlagen, die Cymbeln lockten sehnsuchtsvoll, die großen Hörner stürmten frohlockend drein, und die Mädchen drehten sich und lachten Küsse, und hüpften umher wie heiße Sonnenstrahlen mit ihrem blühenden Leben.

Es ist bemerkenswerth, daß die österreich'sche Sinnlichkeit nie gemein aussieht, sie ist naiv und keine Sünderin. Die dortige Lust ist die Sünde vor dem Sündenfalle, der Baum der Erkenntniß hat noch keine Definition, kein Raffinement nöthig gemacht.

Bunt wogt die Menge durch einander, die Mädchen drängen sich warm und lachend durch die muntern Bursche, ihr heißer Athem spielte mir, dem 41 fremden Säulenheiligen, wie ein südlicher Blumenstrauß um die Nase, die Arme drängten mich mitten in's Getümmel – um Verzeihung bittet Niemand; bei'm Sperl will man keinen Pardon und giebt keinen.

Nun werden die Anstalten zum wirklichen Tanze gemacht. Um die zügellose Menge in Schranken zu weisen, wird ein großes Seil hergenommen, und Alles, was in der Mitte des Saales bleibt, wird von den eigentlichen Geschäftsleuten, den Tänzern, getrennt. Die Grenze ist aber schwankend und nachgiebig, nur an den gleichmäßig wirbelnden Mädchenköpfen unterscheidet man den Tanzstrom. Bacchantisch wälzen sich die Paare durch alle die zufälligen oder absichtlichen Hindernisse, die wilde Lust ist losgelassen, kein Gott hemmt sie, nicht einmal die Gluth, welche still und eindringlich hin- und herwogt, wie ein vom Afrikaner herabgesendetes Wüstenmeer.

Charakteristisch ist der Anfang jedes Tanzes. Strauß beginnt seine zitternden, nach vollem 42 Ausströmen lechzenden Präludien, sie klingen tragisch wie eine noch vom Schmerz der Geburt umklammerte Glückseligkeit; der Wiener legt sich sein Mädchen tief in den Arm, sie wiegen sich auf das Wunderlichste in den Takt. Man hört noch eine ganze Weile diese langgehaltenen Brusttöne der Nachtigall, mit denen sie ihr Lied anhebt und die Nerven bestrickt, bis plötzlich der schmetternde Triller hervorsprudelt; der eigentliche Tanz beginnt mit seiner ganzen tosenden Geschwindigkeit, und hinein in den Strudel stürzt sich das Paar.

– All' diese Manieren, jener Strick und Aehnliches können den Leser leicht zu dem Glauben verführen, er befinde sich in einer Kneipe. Dem ist keineswegs so. Bei glänzender Beleuchtung, in einem schönen, hohen Saale begiebt sich das Alles; daneben laufen offene, freie Speisesäle hin, wo die noble Bürgerklasse ihr Nachtmahl verzehrt, und harmlos dem Treiben zusieht.

– Ich habe nie Excesse dort erlebt; das fatale Zauberwort des Nordens, Branntwein, fehlt, dieß 43 Feuerwasser der Indianer, es fehlen die dumpf Trunkenen, die Sinnlosen. Der leichte österreich'sche Wein macht nur der Sinne bewußt – und die Wiener haben große Magen aber kleine Kehlen.

Diese Orgieen dauern bis gegen den Morgen, da nimmt Oesterreichs musikalischer Held, Johannes Strauß seine Geige und geht heim, um einige Stunden zu schlafen, um von neuen Schlachtplänen und Walzermotiven zu träumen für den nächsten Nachmittag in Hietzing. Die heißen Paare stürzen sich in die warme Wiener Nachtluft hinaus, und das Kosen und Kichern verschwindet nach allen Straßen.

Das ist Sperl in Floribus.

Wir begleiteten Johanna über die Ferdinandsbrücke zurück, und der Starost machte dreiste, einseitige Bemerkungen, Johanna aber war still, und blickte in den Mond, der auf der Donau geschwommen kam. 44

 


 


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