Heinrich Laube
Reisenovellen - Band 3
Heinrich Laube

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Nationales.

In der Erscheinungswelt strebt Alles nach einer gewissen Harmonie, darin beruht der künstlerische Odem dieser großen Schöpfung. Man erstaunt über die Großartigkeit, wie sich dieser purzelnde, sommermüde, wollüstige Dialekt dem ganzen bequemen, wollüstigen Leben und Treiben angeschlossen hat. Er gehört nach Wien, und so viel man auch an dieser merkwürdigen Stadt auszusetzen habe, das muß man zugestehen: sie ist aus dem Ganzen, ist eine runde, erfüllte Form. Die ganze Lage der Stadt, nicht glänzend schön oder pittoresk, aber reizend, üppig, weich; der wärmere Himmel, die kugelrunde Sprache, die fleischigen, wohligen Körper der Wiener, die Sitten und Gebräuche, Alles 57 liegt sich so materiellselig in den Armen, daß man selbst die Arme öffnet. Und in Wien öffnet sie nicht leicht Jemand umsonst; Wien hat auch seinen Liberalismus.

Im Volksgarten wollte mir ein vernachlässigter Beamter durchaus einen verkappten Brutus zeigen; aber man darf's nicht glauben, Brutus ist gar kein österreich'scher Name, und wird nie einer, weil er sich nicht abkürzen läßt, ja, wenn sich auch ein Brutus fände, was könnte das schaden, eine Lucretia findet sich nicht so leicht.

Ueberhaupt sind das sehr bornirte Leute, welche die Entwickelung der verschiedenartigsten Staaten in derselben Weise erwarten, und sich in Oesterreich zum Beispiel auch nach Revolutionskeimen umsehen. Revolutionen sind die schlechtesten Entwickelungsmittel, weil sie die heftigsten sind, und dazu hat Oesterreich so wenig Anlage, wie ein phlegmatischer Mann zu entzündlichen Krankheiten. Es ist ein sehr gründlicher Irrthum, vom Wiener und vom Pariser gleiche Aeußerungen der Wünsche zu erwarten.

58 Alles Uebrige bei Seit' gestellt, die Wiener haben auch zu viel Fleisch, und haben zu gute Unterleiber. Der Menschenschlag ist ein gesunder, feister Form, ein schönes angenehmes Fleisch ist hervorstechend, Taille und eleganter Wuchs tritt dadurch etwas in den Hintergrund, nicht aber hoher, stattlicher Wuchs. So ist ein schöner Männerschlag der halben Elegants in Wien zu finden.

Der vorherrschende Ausdruck des Gesichts ist eine gewisse saubere Fröhlichkeit, der allgemeine Anstrich heiter; es ist absolut unmöglich, sich des Eindruckes vollkommener Behaglichkeit in Wien zu erwehren. Nur ein völlig verstocktes Menschenkind schließt dort ein fröhliches Herzenskämmerchen nicht auf. –

Freilich, wenn man eine Zeit lang in die muntern, fidelen Gesichter hineingeschaut hat, und findet dann am Ende Tag für Tag, denselben leeren, fröhlichen Ausdruck, dasselbe sorglose, beschränkte Lächeln, wenn man immer umsonst die Augen hineindrängt in die glatten Gesichter, um höhere, geistige 59 Menschheit zu entdecken, da giebt's ein wunderlich bängliches Gefühl.

Die Wiener können nicht dafür; sie sind auf andere Fähigkeiten zugestutzt, ich glaub' es gern, aber manchmal ist mir's in jenem Geräusch todteinsam vorgekommen, als sei ich in einer verzauberten Feenwelt – eine Menge Herrlichkeiten sind ausgelegt, und die Menschen kichern und lachen und springen, und die munterste Musik klingt drein, aber wenn man Jemand bei Seite nimmt, so wird man die Verzauberung inne. Gar Viele sehen nur aus wie gebildete Menschen, jenes Höhere, was die Menschen mitunter auch so nachdenklich und unglücklich macht, all' das Geistmenschliche, was im tiefsten Jammer unsern Stolz erhebt, das hat die böse Fee in die vier Winde gestreut. Diese Winde haben die Wiener Gegend mit der eben empfangenen Seele und Poesie durchstrichen, und so ist die duftige, schöne Umgegend entstanden; jene Menschen sind aber Wiener geworden.

60 Dennoch mag sie Mancher beneiden; ihnen ist die Harmlosigkeit, das kugelrunde Lachen, die fröhliche Leber geblieben.

Wenn auch jene Entdeckung niederschlägt, Wien heilt seine Wunden. Jener Feenzauber von Gegend und Luft ist noch heute in alle Wege wirksam; wie man in alten Ritterzeiten von einem Lüftchen erzählte, was alle Wunden schloß, sobald es nur flüchtig darüber hinstrich, so kann man jetzt von der Wiener Atmosphäre und Gegend erzählen. Ueber den schmerzlich erregten Geist streicht sie dahin mit weicher, weicher Hand, und seine Wunde schließt sich, es wächst blumiges Gras darüber, alle die Spekulationen, Forschungen und kecken Civilisationsgedanken sind binnen wenig Wochen unter einem dichten Vasen verschwunden, man weiß kaum noch, daß es ein blühendes Grab ist.

Wahrhaftig, Wien ist in vieler Weise die Insel der Circe, und man muß gewarnt und stark wie Ulysses sein, um kein Verwandlungsunglück zu erleben. Und wie instinktsmäßig halten sich die 61 Wiener in jener glücklichen Mitte, die vor der Zauberin schützt; ihre Freuden sind stark und derb, aber man sieht sie nimmer gemein.

– Der Leser wird es empfinden, wie man hin- und hergeworfen wird mit seinen Anschauungen, wenn man nicht nach einer leitenden, starren Idee das Ganze beurtheilen will. Dieß Letztere muß aber meines Erachtens am Sorgfältigsten vermieden werden, es bringt nur eine irrthümliche Einheit in die Betrachtung, das Objekt selbst wird überritten, und man konstruirt eine Stadt aus Forderungen, Möglichkeiten und Antipathieen zusammen, wie sie nicht existirt.

Das Recht der einmal wirklichen Existenz muß vor allen Dingen geachtet werden, und es kommt weniger darauf an, ob dieselbe vom Darsteller als harmonisches Ganze aufgenommen und verarbeitet, als vielmehr, ob sie ehrlich, unbefangen, auch mit allen scheinbaren Widersprüchen aufgefaßt worden ist.

Die Wahrheit darf hierbei der Kunst nicht einmal untergeordnet, vielweniger geopfert werden, 62 und man hat nur zuzusehen, daß auch die gemischten Eindrücke ein zusammengefügtes, darstellbares Ganze bilden. –

Die Völker sind mit all' ihren Sitten und Eigenschaften immer mehr oder weniger das Ergebniß ihres Bodens; sie sind nur etwas verfeinerte Bäume. Ein Volk was sich seinem Boden am Natürlichsten anschmiegt, ist das glücklichste. Dieß ist den Ahnen der Oesterreicher durchaus nicht abzusprechen: sie haben die unterirdischen Stimmen ihres Landes verstanden, ihr ursprüngliches Wesen ist homogen mit ihm, und daher ihre Behaglichkeit.

Selbst die Franzosen haben ihr Land nicht so begriffen, sonst wäre ihre Majorität einer materiellen Richtung kompakter, als sie es ist, nur die Engländer übertreffen vielleicht die Oesterreicher, denn sie haben neben ihrem Comfort noch tausend Anderes erstrebt. Hätten die Oesterreicher eben so Schritt gehalten mit diesen, sie wären ihnen an Humanität überlegen; denn es hat kein Volk so viel natürliche Anlage dazu als sie, es ist kein anderes von 63 Hause aus so befähigt, menschheitlich liebenswürdig zu sein, als das österreich'sche.

Wegen jener Naturkorrespondenz mit der Kultur der Bewohner soll man die Volksentwickelung nicht nach einem Schema verlangen, nicht bei allen dieselben Institutionen begehren. Es giebt zuverlässig allgemeine, von begleitenden Umständen ewig unabhängige Forderungen, aber die feine, rechte Linie zu treffen ist die höchste Aufgabe der Staatskultur, nach welcher wir trachten müssen, da jenes schematisirende Experiment offenbar gescheitert ist.

Diese Einsicht macht die Beurtheilung Oesterreichs so schwer, da sie mit der zu lösenden neuesten Kulturaufgabe zusammenfällt.

Man kann sich nichts Behaglicheres denken als das Donauthal, in welchem Wien gelegen ist. Der Kalenberg und seine Genossen schützen es vor dem Nordwest; die Donau, der rasche Kriegsstrom deutscher Flüsse, bringt dem Bedürfnisse seine raschen, frischen Wellen; in dem dunkleren Himmel sieht man schon die tiefere Sehnsucht nach dem Süden; 64 der Boden ist freundlich und ergiebig, die ganze Stimmung der Gegend liebenswürdig. Es giebt, wie schon angedeutet ist, viele Städte, die pittoresker, interessanter liegen, aber man sucht umsonst eine, die so behaglich, wohnlich an den Boden sich schmiegt, wo man augenblicks erkennt: die Stadt gehört in diese Gegend.

Wien ist an seinem Orte. Die Stadt selbst ist nur ein Mittel- und Sammelpunkt, die 32 Vorstädte bilden Wien wie Strahlen die Sonne. Und all' diese Vorstädte sind frei für Luft und Aussicht; selbst die Berge sehen in bescheidener Entfernung gehorsam wie Domestiken mit niedergesenkten Augen hinein. Wien ist eine großartige Winter- und Sommerwohnung, wo man nur das Zimmer wechselt, und sich dadurch alle Bequemlichkeiten verschafft.

Die Zahl der Vergnügungsorte um Wien ist Legion; denn das Vergnügen ist ein Geschäft, was jeder Wiener mit Leidenschaft betreibt. In den nahe gelegenen Dörfern wohnt während des Sommers der begüterte Hochbürger, der Schauspieler, der Rentier.

65 Der Zusammenfluß von Fremden ist während des Sommers groß, man besucht Wien wie eine merkwürdige ausländische Stadt, eine Reise dahin ist das gewöhnliche Asyl der überladenen Geschäftsleute, welche ihrem Unterleibe auf einige Wochen gütlich thun wollen. Es ist in keiner Stadt so leicht, nichts zu thun und zu denken als dort. – Trotz dem kommen die Wiener Gasthäuser nicht aus dem Schlendrian heraus. Es giebt in ganz Wien deren Zwei oder Drei, die nach Art guter Gasthöfe eingerichtet sind, alle Uebrigen sind mehr oder weniger alltägliche Kneipen, wo man nichts hat als ein mittelmäßig Nachtlager und schlechte Bedienung. Das ist aber von jeher so gewesen, und darum muß es auch immer so bleiben; und wenn man ihnen erzählt, wie ganz anders und besser das im Auslande ist, so lächeln sie, schwappen sich auf den Bauch und sagen ungestört: dos is holt onders bei uns in Wi-en. –

Und sie sind in dieser Bornirtheit so schnurrig und liebenswürdig, daß ich mitlachen, und am Ende 66 gar eingestehen mußte, die Einrichtung mit den mittelmäßigen Gasthöfen sei gar nicht unpassend. Das Wiener Leben ist nämlich ganz und gar draußen, an zwanzig Orten, die Dimensionen sind groß, man kommt gewöhnlich erst bei einbrechender Nacht in seinen Gasthof zurück, und braucht nichts als ein Nachtlager, und der Gastwirth findet es eben auch in der Ordnung, daß man sonst nicht viel mehr verzehrt.

Also hat der Wiener auch darin recht, wenn er sagt: 's is holt onders bei uns in Wi-en.

Große Ehrlichkeit und viel Bettelei herrscht natürlich in Oesterreich, wie in jedem also abgeschlossenen Staate, wo der Fond des Volkes brav und gutmüthig ist wie hier. Die Poesie der Bettelei – das Verbieten einer jeglichen ist die prosaischste Grausamkeit – steigt freilich hier bis zum Unerträglichen; der Reisende ist in einem fortwährenden Belagerungszustande. Eben so wird jene Ehrlichkeit oder der daraus fließende Kredit bis in's Ungeheuere getrieben. Man bezahlt in einem öffentlichen Hause nichts 67 bei'm Empfange, das Haus sei noch so groß, die Gesellschaft noch so zahlreich, die Verwirrung noch so betäubend. Der Fremde kann für viele Gulden verzehren, und mehrmals umsonst fragen, was er zu zahlen habe, und ungehindert von dannen gehen, ohne einen Kreuzer gezahlt zu haben. Diese Art von Kredit ist sogar lästig. Es giebt nämlich bestimmte Zahlkellner, und nur dann zwei oder drei, wenn die Gesellschaft außerordentlich groß ist; dieser Zahlkellner macht dem Gaste die Rechnung und nimmt allein Geld. Dieser eine Mensch ist nun gewöhnlich so in Beschlag genommen, daß man um einiger Kreuzer willen meisthin unerträglich lang warten muß.

Table-d'hôte wird nirgends gespeis't, der Oesterreicher spielt wie der Engländer bei'm Essen den Individuellen – und wunderbar genug haben diese Nationen gerade dabei gar nichts Persönliches, sondern essen wie eine Gattung Alle dasselbe, dieser sein Rindfleisch und den Plumppudding, jener »a gebocknes Hohnerl, a Mehlspeis und a Rostbraterl.«

68 Im Weintrinken sind sie mäßig, ich weiß nicht, ob dieß am Weine oder an ihnen liegt; Verläumder sagen, man kriegte eher Leibweh als Laune von großer Quantität. Und doch kommt er der Masse trefflich zu statten, weil seine schlechteren Sorten wohlfeil und allen Klassen zugänglich sind. So entgehen sie dem garstigen, dem nordischen Schnapstrinken, man sieht nirgends jene dumpfe, bestialische Schnapsbesoffenheit, die den Geist nicht aufregt, sondern verwirrt, verdummt, das Hirn nicht locker macht, sondern zusammenquetscht.

Die Oesterreicher sind wirklich auch im Allgemeinen mäßig, und selbst ihre ausgelassenste Fröhlichkeit, die man halb irrthümlich zu ihrem stehenden Charakter rechnet, ist immer polizeigemäß. Zahme, lustige Füllen, die den Hafer nicht kennen, und von ihm nicht gestochen werden.

Auf der Brigittenau z. B. feiert man alljährlich ein großes Volksfest, bei welchem sich an 30,000 Menschen einfinden, die in Lust und Freude 69 herumspringen wie die Böcklein – und nicht ein einziges von diesen Böcklein stößt das andere.

Ich gestehe, daß diese Art von Wohlgezogenheit etwas Philistermäßiges hat, und daß ich, selbst als Regent, ein Volk mehr lieben würde, was zuweilen durch eine Kaprice seines Herzens Spannkraft bekundete, natürlich durch eine unschuldige und kleine, die nichts kostet. Ein Roß, was nicht einmal auf den Zügel beißt, ist langweilig, und von 14 Tagen zu 14 Tagen kann Einem solch' eine Empfindung wohl arriviren im Lande Oesterreich.

Besonders sind die Ultraliberalen in einem großen Irrthum, welche in Oesterreich einen mit starker Hand verstopften Vulkan sehen – nichts von Verstopfung, nichts ein Vulkan; höchstens ein solcher, bei dem gekocht und gebraten wird; das Volk ist so unvulkanisch wie nur möglich. 70

 


 

Ich habe schon früher einmal darauf hingedeutet, wie ein Rest des italienischen Straßenlebens, und manche halbitalienische Sitten in Wien zu finden seien. Die alltäglichen Freuden sind auch hier meist auf der Straße und in öffentlichen Häusern zu suchen – da sitzen sie mit ihren großen Backenbärten und kurzen Meerschaumpfeifen, und trinken Kaffee oder Zuckerwasser und sehen der Zeit nach, die rastlos geht.

Nur die Fiaker, der tüchtigste Schlag in Wien, weil er einen Willen hat und im Nothfalle grob ist, sind in steter Bewegung. Sie fahren so schnell und geschickt, wie die Berliner schlecht und langsam. Sie verstehen ihr Handwerk, lesen in den Stunden 71 des Wartens ihren Roman wie Einer und sind daneben betriebsame, ganze Kerle. Ich habe eines Abends mit Gutzkow ein ganzes Fiaker-Literaturblatt durchgesprochen, wir fuhren von Hietzing nach der Stadt und fanden in allen Taschen des Wagens Romane – in unserer nordischen Voreiligkeit glaubten wir, sie seien von Passagieren vergessen worden, und machten unsern Kutscher d'rauf aufmerksam. Er lächelte aber sehr, und deutete mit dem Finger auf seinen eignen Schädel – die Fiaker in Wien sind eine Stütze der Literatur.

Nicht darum, sondern aus andern Gründen glaube ich, daß sie nächst Staberl den meisten Witz in Wien haben, und das will etwas sagen, denn ihre Zahl hört erst in der Nähe von Tausend auf. Vom Staberl, den Ungarn und den Fiakern hat man die meisten Bonmot's. Die Fiaker sind auch der Stolz Wiens, den es gegen alle Nationen und Hauptstädte geltend machen kann. Es glauben Gelehrte, sie seien – nicht die Gelehrten, sondern die Fiaker – die eigentlich gesunden Urbewohner, 72 die Autochthonen Wiens, die ursprüngliche Kriegerkaste – ihr Fahren ist eine Kunst, welche die lebhafteste Anerkennung verdiente: im stärksten Trabe jagen sie durch die engen, von Menschen und Wagen angefüllten Straßen, oft nur eine Linie breit an den Gegenständen vorüber, und es ist ein höchst seltener Fall, daß sie anstoßen oder gar ein Unglück anrichteten, sie fahren, wie man sich ausdrückt, den Schwanz vom Buchstaben herunter. –

– Die Vergleichung Wiens mit Berlin und umgekehrt ist oft da gewesen, es ist aber wirklich interessant, welch' strenge Gegensätze sich bei diesen beiden Städten herausbilden. Der Spott über solch' große Verschiedenheit ist in Wien noch sehr lebhaft; wenn die Wiener hassen könnten, die Berliner würden einem lebhaften Hasse nicht entgehen. Ueberlegenheit drückt. Aus den immer wiederkehrenden Versuchen, Berlin zu persifliren, sieht man deutlich, wie unbequem ihnen Berlin ist.

Aber wo hätten sie das Zeug zu solcher Persiflage her! Die Schärfe der Zunge, der Uebermuth, 73 die Unverschämtheit, die abgeschmackte Prahlerei, die ganze Hochnäsigkeit, welche sie darthun wollen, steht ihnen auf keine Weise zu Gebote. Schwer und dick lallt ihre Zunge, wenn selbst in schwarzer Stunde der Geist des Wieners ein scharfes, verwundendes Wort zusammenschweißen könnte, Mund und Sprache, erschlafft durch Essen und Lachen, würden es mit Löschpapier oder Baumwolle umhüllen, und es kugelte weich heraus, wie eben ein Anderes auch.

Zur Persiflage ist der Berliner eben so geschickter, wie sie dem dreisten, gehärteten Manne besser ansteht, als der sanften Frau. Der Berliner Accent hat in seiner Reinheit etwas entschieden Vornehmes, und in seiner ohrenzerschneidendsten Gemeinheit immer noch eine straffe Figur, ein herausfordernd Unverschämtes; der Accent hat immer Kourage. Und sie ist das Blut des Spottes, ohne sie persiflirt Niemand, wenigstens glaubt Niemand an den Spott, wenn ihn nicht der Muth des Spottes zwingt.

74 Es kann hinter dem Berliner hochaufgerichteten spitzen Worte eben so viel Dummheit lagern wie hinter dem platten Wienerischen, aber der Wiener weiß um seine Beschränktheit, und denkt, es sieht sie Jeder – und darum sehen sie die Meisten; der Berliner aber ist himmelweit entfernt davon, an sich nur einen Augenblick zu zweifeln; »und wenn Ihr nur Euch selber glaubt, so glauben Euch die andern Seelen.«

Der Wiener hat nur den Vortheil, welchen jeder bescheidene Mensch dem Poltron, dem Aufschneider gegenüber hat; aber er weiß diesen Vortheil nicht genügend geltend zu machen. Des Berliners Rede ist immer kriegerisch, des Wieners aber spaßig – was vermag der Spaß gegen den Krieg? Ja, wäre es der Witz! Der Witz tödtet Alles, er ist der Despot der Sprache, der Gedanken und Gefühle, er tödtet schonungslos auch das Schönste, seine eigenen Verwandten, weil er keine alten Gesetze respectirt, sondern immer selbst ein neu Gesetz ist; er ist die genialste Erfindung der Sprache, der einzige 75 Teufel, welcher zugleich schafft, indem er zerstört. Es ist Verläumdung witzloser Leute, wenn sie den Witz niedrig anschlagen; sie sind wie die Weiber, die nicht an den Sieg glauben, weil sie selbst nicht fechten können, oder sie haben nur die Saphir'sche Handwerksart vor Augen, welche sich an keinen Hintergrund lehnt, und Seiltänzerkünste mit der Sprache vornimmt. Wenn der Witz, wie oben angedeutet ist, jenem Aeon gleicht, der mit demselben Hauche eine Welt hervorbringen und vernichten konnte, so darf nicht vergessen werden, daß jener Aeon auch wie unser Witz nur der Ausfluß einer höheren Macht war. Das Gewaltige des Witzes liegt eben darin, daß er ein Symptom ist. – Könnten die Wiener ihre Späße als solche Symptome verborgener Gewalten ansehen, sie bändigten mit leichter Mühe die dreiste, kritische Rede des Berliners.

Aber, heißt es, haben nicht die Wiener Humor? Und ist nicht Humor eine der schönsten, weichsten Grundlagen des Witzes?

76 Es muß etwas dahinter sein, sagt der einfache Mann, wenn's Humor geben soll; der Humor ist nichts Ursprüngliches, er ist das Ergebniß eines Verhältnisses; es müssen Zustände gegeneinander wirken oder gewirkt haben, wenn er entstehen soll; aber die Zustände der Wiener Masse haben just darin ihr Bezeichnendes, daß sie von jeher zweifellos und wechsellos gewesen sind. Wer nicht bis in's tiefste Herz Schmerzen empfinden kann, vermag's auch nicht, Humor auszuströmen. – Wo hat der Wiener seine Schmerzen? Wenn ihm der Appetit ausgeht, ist er traurig aber nicht humoristisch.

Der Wiener hat Laune, weil er sich wohl befindet; die Laune ist nur der Laufbursche des Humors; sie ist nur das Lachen, Humor aber ist der Sieg durch das Lächerliche.

Unter den öffentlichen Gestalten ist nur Raymund in Wien humoristisch, denn er allein mahlt seine komischen Gestalten auf einen ernst bewegten Hintergrund; und die gebildetsten Wiener können's neben ihm mehr als alle andern Völker sein, weil 77 sie durch ihre Stellung in mannigfache Gegensätze gebannt sind, und den Hang zur gutmüthigen Ausgleichung der Differenzen, zum Lachen unter Thränen vom nationalen Herkommen aus besitzen.

Es ist eine nicht unwichtige Betrachtung, wie die Nationen einander auslachen, sobald es der Haß zum Lachen kommen läßt. Schweden und Dänen hätten früher über einander gelacht, wenn sie sich nicht gehaßt hätten; der Engländer wird von den meisten Völkern ausgelacht, weil er eigensinnig seine Manieren beibehält, obwohl er in die mannigfachste Berührung mit allen Völkern kommt. Der Engländer lachte Jahrhunderte lang über den Franzosen, weil dieser mager war, kein Rindfleisch aß, und allenfalls Froschkeulen verzehrte; der Spanier würde über den Portugiesen lachen, wenn er lachte, der Römer verlacht den Venetianer, der Franzose lachte über Alle, wenn er nicht zu eitel und zu höflich wäre. Der Deutsche lacht über den Schwaben, obwohl er weiß, daß Schwaben die größten Deutschen geboren hat; der Norddeutsche lacht über den 78 Wiener, damit ihm doch auch etwas übrig bleibe, lacht über den Ungar, und wenn er sehr übermüthig ist, auch über den Böhmen. Wenn man über Jemand lacht, so stellt man sich in dem Augenblicke über ihn; bei Völkern ist es immer Glaube an eigene Ueberlegenheit. Der Wiener ist am wenigsten angenehm, wenn er ungarische Bären erzählt und sich über den unerfahrnen, naiven Magyar lustig macht; denn in mancher Hinsicht ist's doch er, der sich zwischen den Ungar und die Sonne gestellt hat, und es kleidet nicht gut, wenn er nun den Ungar darüber verhöhnt, daß er tappe.

Und der Böhme ist dem Wiener an Allem, nur nicht an Gutmüthigkeit, an dem gefälligen Herzen des Umgangs überlegen. Wie der Türke den Perser, sieht der Wiener den Böhmen an; dafür erholt er sich am Ungar, und rüttelt sich schon zum Lachen bei der bloßen Ankündigung: »Bin ich ein Ungar?« – 79

 


 


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