Heinrich Laube
Reisenovellen - Band 3
Heinrich Laube

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Essen und Moden.

Aufmerksame Leser werden es leicht herauslesen, daß ich mich eigentlich in Wien sehr wohl befunden habe.

Eines Nachmittags fuhr ich mit einem jungen Franzosen hinaus nach der Donau, um das Schlachtfeld von Wagram aufzusuchen. Dieser lebhafte Mann war ganz in jener glänzenden Einseitigkeit ausgebildet worden, welche alle Tugend und Bildung in Staats- und Freiheitsinteressen findet, einen Staat wie Oesterreich unbedingt verwirft, und jeden Oesterreicher, der die Unzufriedenheit nicht auf der Stirne trägt, in den Abgrund verdammt.

Solche Gesellschaft ist in Wien bedenklich; ein bloßer Ideengang, den man des Experiments 96 halber in sich vornimmt, läßt deutliche Spuren zurück in unsrer Schrift und Rede, wie vielmehr ein Umgang, mit Blut und Jugend gerüstet. Zudem war meine österreichische Unschuld auch so ganz und gar nicht erwiesen, daß mir oft der Boden zu wanken schien. Man denke sich die fatale Situation, als Monsieur Français in deutscher Sprache, die er durchaus erlernen wollte, noch mitten in der Leopoldsstadt seinem Freiheitstaumel Luft machte, und nicht aufhörte, als der weichere Boden den aufmerksamen Kutscher Alles verstehen ließ. Es war ein schlaues, böhmisches Gesicht, dieser Wagenlenker, und er kuckte sich öfters um – vergeblich machte ich den Franzosen aufmerksam, er schrie nur um so ärger: Blicken Sie retour, Monsieur, wie Seigneur Jugurtha gethan, als er fuhr aus Rom, und rufen Sie avec lui: »Alles ist käuflich in Dio, es fehlt nur noch der Käufer! Eine Grisette unter den großen Städten ist sie, dieß Wien, eitel auf Prater, auf Stephan, quelques Schauspieler, die Spinner am Kreuz, Hütteldorf, les grénadiers 97 de Hongarie, und auf die süßen Torten zu Mittag, mon dieu, wie eine Grisette auf eine seidene Schürz und eine Corsage von Gros de Naples - ma foi, wer hier nicht essen und trinken kann, stirbt vor Langeweil – ah dieu, nicht mal eine junge Grisette von 60 Jahren – comment?

Wer beschreiben will, darf keine Partei vor Augen haben; er täuscht über den wirklichen Thatbestand beim besten Willen; ich war froh, als wir heimfuhren, daß er sich in Napoleon vertiefte, denn das hübscheste Mädchen wird Einem durch Tadler verleidet, die Illusion ist das feinste, geistige Nervengeflecht. Einige Tage darauf fuhr ich zufällig wieder mit demselben Kutscher, und hörte dann auch wirklich, daß man dem Herrn Franzosen seinen Paß bis an die französische Grenze visirt in's Haus geschickt, und daß er diese österreichische Artigkeit sehr wohl begriffen habe und abgereis't sei. Man kann die öffentlichen Raisonneurs nicht humaner behandeln; bei etwaiger Erkundigung und Weigerung 98 wird noch hinzugesetzt: Es scheine dem Herrn in Wien nicht zu gefallen.

Dieß ist eine Mode, welche gewiß dem Einsperren ohne Weiteres vorzuziehen ist. Ueberhaupt, was die Mode anbetrifft in Wien, da ist eitel Löbliches zu sagen. Die große Simplicität der Wiener hat sich vor dem schlimmen Zuviel frei gehalten, was der Geschmack nicht verträgt. Man kann nichts Einfacheres sehen, als die Kleidung einer Wiener Dame, und die vornehmsten gehen am Einfachsten. Eine allgemeine Naturgabe kommt ihnen hierbei trefflich zu statten: sie sind meist von jenem vollen fleischigen Bau, der jedes Gewand entgegenkommend umfängt, der eine volle runde Form schön ausprägt. Darum bemerkt man bei allen Wienerinnen viel weniger von den Toilettenrüstungen, welche zwar die Form heben, aber auch den Zweifel rege machen. Die Wienerinnen sind ehrlicher, vielleicht darum hie und da weniger auffallend schön, aber immer reizender.

Der Ruf von der Liebenswürdigkeit der Wiener Damen ist eben so allgemein bekannt, und wird 99 so ohne Widerspruch aufgenommen, wie der von der Gemüthlichkeit der Oesterreicher im Allgemeinen. Und man kommt in Verlegenheit, wenn es sich um eine Definition der äußern Schönheit handelt; das Ensemble thut wie bei der Komödie Alles, und Komödien sind sie alle, schon darum, weil ihnen das Tragische zu unnatürlich dünkt. Man findet nicht so häufig glänzend elegante Figuren, wie es deren im nördlichen Deutschland, besonders in Berlin so viele giebt, wie sie das Eigenthum Frankreichs und Englands sind. Jene in leichten, feinen Bogen geschweiften Figuren, die durch ihre zierlichen hüpfenden Formen so bestechen, durch den schwankenden Hals, auf dem der Kopf sich schaukelt, durch die sich tief hinein schmeichelnde Taille, welche den fein geformten Schulterkörper trägt, durch den kleinen, hoch gespannten Fuß, der in bunter Laune mit dem ganzen Körper spielt – jene Figuren sind nicht zu Hause in Wien. Körper und Wuchs ist schon ein wenig mit dem italienischen verwandt in der Fülle; französisches ist nichts an ihm. Die 100 Italiener sind bekanntlich ein Volk, was nur außerhalb seines Landes Anstrengungen verträgt, in der Heimath aber bequem, weichlich und faul ist; – die Italienerin schnürt sich selten oder gar nicht, weil es ihr lästig ist; eine schöne Taille sucht man in Italien vergebens, sie entschädigen durch ihre Büsten. Eben so sind in Wien die feinen Figuren nicht das Hervorstechende, wenn auch der Körper hier schon straff und fest zusammengehalten wird. – Luft und Fleisch bildet einen Uebergang zu Deutschland, Wien ist ein Grenzort, Venedig die erste Station. Das Fleisch der Wienerin ist aber frischer und blühender, wie es im Allgemeinen bei den nördlichen Völkern lebhaftere Farben hat. Wenn man die vielen Titians in Oberitalien sieht, so glaubt man, es haben ihm Wienerinnen gesessen, denen er südliche Augen gemalt, denn in diesen betet der Katholicismus die Schönheit an, knieend begehrlich.

Auch den lebendigen Wienerinnen selbst, glaube ich, muß man nicht zu tief in die Augen sehen; 101 zum Verlieben gehören sie wahrscheinlich unter die ersten Weiber der Welt; ich weiß nicht, ob es ihnen die Römerin und Französin darin zuvorthut; für romantische Liebe sind sie zu harmlos, zu lebenslustig, zu natürlich, denn eine gewisse blinde Treue und Romantik ist nicht Sache der Natur, sondern einer Civilisationsrichtung.

Fällt indessen ein glücklicher Keim in solch' ein Wienerisch Frauenherz, so mag es auf der Welt nichts Weicheres, Einschmiegenderes, Weiblicheres geben.

Außer der feinen Figur fehlt auch der feine Fuß; aber sie ersetzen Beides durch Fülle; auch ihr Fuß ist fleischig, und wenn auch nicht zierlich, doch voll und rund geformt. Die ganze übrige Bildung des Körpers ist weich und doch frisch und kräftig, ein gesundes Verlangen hüpft auf jeder Linie, ihre Schönheit ist jene sanftschimmernde des duftigen Obstes, das noch am Baume hängt und vom Reife der Luft überhaucht ist.

Was ihnen an Geist und tiefer Empfindung abgehen sollte, ersetzen sie durch Schalkhaftigkeit und 102 Laune. Außer Französinnen kenne ich keine Damen, die so liebenswürdig für den bewegten geselligen Umgang wären, als die Damen von Wien. In ihrer natürlichen Unbefangenheit sind sie bei Weitem angenehmer, als viele unserer nördlichen sentimentalen Prinzessinnen; die jeden freien, fröhlichen Scherz unanständig finden, und außer sich wären, wenn man ihren Glauben in Zweifel zöge, daß die Kinder von den Bäumen geschüttelt würden.

Eben weil den Oesterreichern vielleicht mancherlei Bildung mangelt, fehlt ihnen auch glücklicherweise die Verbildung; sie sind ein unbeflecktes Völkchen, dem nicht Tugend, nicht Laster viel zu schaffen macht.

Die hübschen Damen lesen französische und englische Schriften, daß man erschrecken möchte, aber das ist gar nicht nöthig: die Lektüre bringt ihnen weder Nutzen noch Schaden. Ich wollte indessen doch, sie läsen mehr deutsch, es könnte ihnen zu statten kommen.

103 Seit einiger Zeit lernen die Wienerinnen schwimmen, und beweisen sich dabei gar nicht blöde; die Lehrer z. B. sind masculina, und am Badeplatze der Männer hat man folgenden Anschlag für nöthig befunden: Alles Zusehen von Seiten der Damen wird höflich verbeten. – Das ist Unbefangenheit, welche man bei uns nicht fassen kann.

Im Allgemeinen hat das österreichische Volk sehr viel Anlage zur Jugend, es ist reich an Blut, und aus Blut und frischer Luft macht man Jugend und Geist. Man sieht's, wenn man ihre Moden betrachtet, daß sie auch erfinden können. Das Gebiet des Bequemen, was sie mannigfach kultiviren, bekundet ihre industriöse Fähigkeit.

Dabei komme ich auf's Essen; darin hat bekanntlich auch jedes Land seine Moden, und kann nicht begreifen wie man anders bestehen könne. Es ist ziemlich allgemein der Glaube verbreitet, man esse außerordentlich gut in Wien; man iß't aber im südwestlichen Deutschland besser; Wien ist ein Gymnasium neben der glänzenden Akademie Frankfurt, 104 wo die Kellner promoviren, neben der glänzenden Hochschulen am Rheine und in der Schweiz; der Hamburger vermißt in Wien seine kräftige Speise; das Beefsteak ist in Wien ein vernachlässigtes, vertrocknetes Aschenbrödel, und die berühmten Mehlspeisen, worauf sie stolz sind, wie Albion auf sein Parlament, werden anderswo auch erreicht. Man hat mich auf solche Bemerkungen hin in Privathäuser gewiesen, ich habe in solchen allerdings recht gut gegessen, neben Mittel- und Ostdeutschland sogar vortrefflich, aber im süddeutschen Gasthause iß't man noch besser. Es thut mir leid, über diesen empfindlichen Punkt so rücksichtslos referiren zu müssen, aber ich will daneben auch das lebhafte Streben in Tischreformen anerkennen: an allen Straßenecken, ja an den Kirchthüren habe ich die Ankündigung von Kochbüchern gelesen, kühne, spekulationsreiche Theorie über den »Strudel« und den »Kalbsstoß« habe ich entwickeln hören.

Ueber Kleidermoden ist noch ein Streit nachzutragen, der mehrere Sommer lebhafte Discussionen 105 mit sich brachte; Wolfgang Menzel hat erzählt, daß man allenfalls in anständiger Gesellschaft, in Gegenwart von Damen den Rock ausziehen dürfe, wenn es warm sei. Ein Edelmann, der zuweilen Leute vom Hofe bei sich sieht, war so entrüstet über diese Mittheilung, daß er mir hoch und theuer zuschwor, man thue das höchstens in einer Kneipe, und das müsse eine schön anständige Gesellschaft gewesen sein, wo die Hausfrau Herrn Dr. Menzel zu dieser Prozedur aufgefordert habe.

Das Verhältniß ist ungefähr folgendes: Im eigentlichen Salon der höheren Klassen wird der Rock nicht ausgezogen, auch wenn es warm ist, in guten bürgerlichen Häusern aber, wo der innerliche Wiener Stil beibehalten ist, der sehr natürlich und in Wahrheit vielfach liebenswürdig heißen darf, geschieht es wohl, in Kaffeegärten und ähnlichen Orten unbedingt. Dieß mag ein Grund sein, daß der Wiener trotz dem Engländer und Holländer vortreffliche Leibwäsche trägt; er hält vor Allem auf ein feines Hemd. 106

 


 


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