Heinrich Laube
Reisenovellen - Band 3
Heinrich Laube

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Die Leopoldstadt.

Die alte, gute Zeit! Das ist eine Redensart, die von Jahrhundert zu Jahrhundert klingt, alles Vergangene ist uns Auktorität, ist uns umkleidet mit ep'schem Reize. Es mag eine Entschädigung der Gottheit für uns darin ruhen, daß wir Dahingeschiedenes zum Genuß verarbeiten können, und zwar das Dahingeschiedene jeder Art, auch das Kläglichste; eine Entschädigung für unsere mangelhaften Organe zu gegenwärtigem reellen Genusse.

Die alte gute Zeit und das alte gute Wien gehören zu einander wie ein Paar Eheleute. Bei dem Einen denkt man an das Andere. Es hat etwas 2 Rührendes, mit welcher ängstlichen Emsigkeit sich die Wiener den Glauben zu erhalten trachten, es sei bei ihnen noch die alte gute Zeit und Wien sei und bleibe ewig unverändert Wien, wie es Wien gewesen vor fünfzig Jahren. Sie mögen sich's kaum gestehen, daß es hie und da an Geld fehle, daß ihr Leopoldstädter Theater nicht mehr so besucht sei.

Es war ein sonnenheller Nachmittag, als ich die Jägerzeil entlang strich, um den Prater zu suchen. Dieß ist der Weg der großen Praterfahrten, bekannt und berühmt durch Bilder und Erzählungen. Die Straße ist so breit, stattlich und gerade wie keine andere in Wien, hier fährt der Kaiser am Ostertage mit sechs Schimmeln, und die reichen Kavaliere aus Oesterreich, Ungarn und Böhmen suchen und studiren ein Jahrlang nach schönen Pferden und Wagen, nach glänzendem Riemzeug und blitzenden Livreen, um sich auszuzeichnen auf der Praterfahrt am Ostertage. Erinnert das nicht an unsere kindliche Jugendzeit, wo wir keine größere Sorge kannten, als die für Frack und Hose, welche wir an 3 einem Festtage spaziren tragen, für die Busenkrause und die grüne Tuchnadel, mit welchen wir prahlen wollten! Harmlose Jägerzeil! Von einem Ostertage zum andern erzählt sie, was die Esterhazy'schen Stuten für Sielenzeug getragen – homerisches Wien!

Die Fahrt nach Longchamps von Paris ist etwas Aehnliches, man fährt im Londner Hydepark und Regentpark, zu Berlin unter den Linden auch mit schönen Equipagen spaziren, aber wo ist an diesen Orten solch kindliches Interesse an Busenkrause und Riemzeug! Die Leute mit ihren Gedanken sind dort Hauptsache, nicht mehr die Pferde mit ihren ungarischen Troddeln.

Homerisches Wien! Die Pferde vor Achills Wagen gelten auch für beneidenswerth, weil sie historisch geworden sind.

Vielleicht geht es mir nicht allein so, daß ich mich bei aller Schönheit, die entgegentritt, in der Iliade doch immer wie in einer verstorbenen Stadt befinde – so damals, wo ich in den Prater hinauswandelte. Man muß solche Orte nur in ihrem Lüstre 4 sehen, sie gleichen Theatern, die man nicht am Tage betrachten darf, um nicht aller Illusion baar zu werden. Ein stiller, öder Park mit einer verwirrenden Straßenmenge lag vor mir, als ich aus der Stadt hinauskam. Ein dünnes Harfengeklimper drang aus einer der vielen Boutiken, die zerstreut unter den Bäumen umherliegen; ich ging ihm nach, an einzelnen pauvren Spazirgängern vorüber, die mehr des Bettelns als des Spazirens wegen promenirten. Würstchen, eine vergelbte, wie altes Pergament verwischte Harfenistin, eine unbehagliche Sommerkneipe und was dazu gehört, fand ich auf – ach, fragte ich ärgerlich, wo ist denn eigentlich der Prater?

Ew. Gnoden sein's recht spoßig – war die Antwort; – Se sein's jo im Proter!

So trockne Sonne, so unersprießlichen Schatten, so magre Welt hatte ich freilich nicht erwartet – der Wiener geht nur an den großen Pratertagen hinaus; für gewöhnlich ist nicht viel mehr als aufgekratzte Misère im Prater zu finden. Und ich mußte nun den 5 weiten Sonnenweg durch die Jägerzeil zurück machen ohne Esterhazy'sche Pferde. Wahrlich, der berühmte Prater hatte sich mir schlecht empfohlen.

Um den Anfang des Leopoldstädter Theaters abzuwarten, machte ich eine Station im ersten besten Kaffeehause – was man Kaffeehaus nennt, das ist in Wien zu Hause. Sie nennen's Cafféhhaus. Kaffeetrinken, Billardspielen, Tabakrauchen ist nationale Beschäftigung, und 's ist ein wahres Glück, daß Herr v. Cotta ein so gewandter Mann war, für die Allgemeine Zeitung Erlaubniß zu bewahren, sonst verstopfte man in dieser Nationalität. Sie ist aber überall zu finden, diese Zeitung mit ihrem kolossalen Abstande als bedeutendstes deutsches Journal neben den unbedeutendsten österreich'schen Blättern, die auf der weiten Welt nichts zu thun haben, als Anekdoten zu erzählen und Schauspieler, und Gott und die Welt zu loben. Glückliche Leute, diese österreich'schen Journalisten, sie dürfen sich durchaus nicht ärgern, leben im Stande der Unschuld, und glauben an die Interessen ihres Lebens.

6 Man treibt jener statistischen Wichtigkeit halber auch vielfachen Luxus mit den Cafféhhäusern, und es giebt unter Andern ein sogenannt »silbernes.« Indessen ist nicht das Haus von Silber, sondern nur das Kaffeegeschirr.

Als es Abend ward, machte ich mich auf, das berühmte Leopoldstädter Theater zu suchen. Was hatte ich nicht Alles davon gehört! Einen Saal des unauslöschlichen Gelächters, der unerschöpflichen Volkslust, der behaglichsten Wiener Lieder und Gesichter und Mädchen dachte ich zu finden, denn das Wort »Leopoldstädter Theater« bedeutete immer so viel als »Vergnügen ohn' Ende!«

Die Leute wiesen mich immer nach einem kleinen hervorstehenden Gebäude hin, wenn ich nach dem Wege fragte, ich steuerte darauf los, und obwohl mich die Stille des Eingangs frappirte, so trat ich doch hinein. Den bejahrten Mann, welcher mir hinter der Schwelle begegnete, würde ich ohne Leopoldstädter Trunkenheit überall für einen Küster gehalten haben, dießmal fragte ich ihn aber, ob ich hier 7 in's Theater käme. Mit einem staatswissenschaftlichen Lächeln sagte er, dieß sei die Kirche, aber das Theater sei dicht daneben. Ich bat erröthend um Entschuldigung, er versicherte mich aber, es sei schon Manchem so gegangen, und zu einem guten Staate sei Kirche und Theater nothwendig, der Spektakel in Europa rühre jetzt eben daher, daß man in diesem Lande nur das Eine, in dem andern nur das Andre haben wolle, oder die richtige Nachbarschaft nicht treffen könne. »Ist Ew. Gnaden eine gute Prise gefällig?« setzte er hinzu, und ich kann wahrhaftig nicht sagen, ob der Mann mehr oder weniger als ein Küster gewesen ist.

Das Leopoldstädter Theater ist wirklich ein kleines, fideles Häuschen, bürgerlich, ordinair, ein Häuschen, wo Einem die Frage einfällt, ob nicht das ganze Ding nur zum Spaß errichtet sei, zu einem Modell für ein wirkliches Theater, was man nur einstweilen benutzen, und später dem Zufall, den großen Kindern und seinem Geschick überlassen will. Ein beliebtes Singspiel war angekündigt, ich glaube: 8 »Die Liebe auf der Alm,« aber der kleine Raum war dürftig besetzt, und das dünne Völkchen war still und artig; ein dicker Mann, der neben mir stand, sprach von Steuern und Abgaben. Pfui! das alte Wien, das ächte alte Wien, Wien aus der alten guten Zeit weiß nichts von Steuern und Abgaben; am wenigsten im Leopoldstädter Theater. Wirklich, mit der Diskussion kommt auch das graue Mißbehagen unter die Völker; wenn's irgend anginge, sollte man sie ihnen ersparen; die Liebe weiß nicht von Liebe zu sprechen; das Glück definirt sich nicht; die Unschuld spricht nicht – ja, lieber Gott! kann denn aber noch von Unschuld die Rede sein nach Muhameds, nach Voltaire's Tode, nach dem höchsten Wesen in Paris, nach den Staatsbanquerotten, nach Erfindung des Simonismus und des Börsenspiels?

Kurz, der Wiener sprach auch von Steuern und Abgaben, und es war mir überraschend genug, als er sagte: Schaun's, da kommt der Wenzel Müller, der ist noch aus der alten guten Zeit. –

9 Wenzel Müller, der die Schwestern von Prag komponirt, den Schneider Kakadu, diesen Liebling meiner Schuljugend in Noten gesetzt hat, dieser alte Wenzel lebt noch!

Jo, schaun's nur, wie er sich umschaut!

Es war ein freundliches altes Gesicht mit freundschaftlichen, alltäglichen Gedanken; das Haupt war mit der Würde eines liebenswürdigen Alters, mit weißem Haar umflossen, und der Kleine nahm seinen niedrigen, demokratischen Präsidentenplatz ein, ergriff sein kleines, bürgerliches Taktirstöckchen, lächelte links, lächelte rechts zu seinen Musikanten, als bäte er sie um Erlaubniß, anfangen zu dürfen, und begann endlich seine Leopoldstädter Ouvertüre, als wenn er seinen Kollegen, den Wiener Vorstädtern, ein kleines Geschichtchen erzählen wollte von »gspoßigen Leuten, die a recht gutes Herze hoben.«

Unter solchen Auspicien gewährte die überaus einfache Musik, Musik mit kindlichen, anfänglichen Melodieen, ohne Duft, Zauber und Romantik, mit gutmüthiger Trivialität und frischem anspruchslosem 10 Herzen versetzt, einen ganz angenehmen Eindruck, und es ward mir ganz behaglich, zumal ich hinter mir merkte, wie sich das Häuschen mehr und mehr fülle und seine naive Zufriedenheit ausspreche über Wenzel Müllers unschuldige Melodien.

Sie sind wirklich noch aus der Zeit der Unschuld und des alten Wien. Guter Wenzel, heute, im Herbste 1835, lese ich, daß Du gestorben bist! – Wie öde mag's in der Leopoldstadt sein, wo Dein weißer Kopf, Deine bewegliche Hand, Dein glückliches Lächeln fehlen. Ich weiß nichts von Dir als jenen Abend und einige Melodieen, aber ich will Dein ganzes Leben erzählen, wie Du Dein Seidel Wein getrunken, einem hübschen »Maderl« die Backen gestreichelt, Mittag besten Appetits gegessen, kleine Nelkenstöcke gepflegt, einen geblümten, warmen Schlafrock getragen und jeden Menschen freundlich behandelt hast, selbst den gelben, leberkranken Nachbar, der die Musik nicht leiden konnte.

Auch die Leopoldstadt liegt im Sterben; man könnte sagen: vielleicht nur darum, weil es an 11 Talenten fehlt, aber es mag wohl tiefer liegen. Auch die Leopoldstädter fangen an, über den Stand der Unschuld hinauszublicken. Ihr bester Komiker, der bekannte Schuster, ist unbeschäftigt. Die Krones ist freilich gestorben, jenes wunderbare Talent der Gemeinheit, welches das Unanständige mit Grazie und Zauber producirte, jenes schöne Mädchen mit schönen Augen und schöner Stimme, mit der ärgsten Wiener Liederlichkeit und der größten Wiener Liebenswürdigkeit, die Krones ist todt; sie ist geblieben; ein Soldat der rüstig focht bis auf den letzten Mann. Keine historische Person wird in Wien so betrauert wie dieß Weib, die Leopoldstädter berufen sich bei etwaigen Anklagen auf dieß Mädchen, wie die Bonapartisten auf Napoleon. Wien ist diejenige Stadt, wo es noch Zeit und Raum genug giebt, historische Erscheinungen aller Art breit und sattsam zu würdigen.

Und sie ist freilich nicht ersetzt worden: Mlle. Jäger giebt sich Mühe, mit Fleisch, Dreistigkeit und Talent etwas Aehnliches darzustellen, und sie 12 reussirt auch sehr; die Wiener wissen dergleichen zu würdigen; aber es fehlt der Funke, und es gehört zu nichts mehr größere Genialität, als zu einer Frivolität, die allgemein gefallen soll. Ihr Weg geht schmal, ganz schmal zwischen tiefen Wolfsgruben.

So blieb denn auch dieß Singspiel matt und trivial. Ein solches Volkstheater ohne belebende Genie's wird ein abgestandnes Glas Pfennigbier. Die Naivetät ohne Folie ist als künstlerische Erscheinung ein lähmender Anblick. Man kann das Alltägliche produciren, aber man darf dabei nicht selbst alltäglich sein.

Wie gewöhnlich fehlte es nicht an einigen norddeutschen Dandy's, welche sich hochdeutsch zu sprechen bemühten und das meiste Lachen erregten, je besser es ihnen gelang. Ein richtig ausgesprochner Doppelvokal ist dort in Wien die Losung zum Gelächter; sie halten das für Ziererei, die Leopoldstädter, und die Leute aus »Deutschland« sind ihnen sehr komisch. So wie es in England noch genug Engländer giebt, welche glauben, die Franzosen 13 hätten nichts zu essen als gebratene Froschkeulen, so giebt's Leopoldstädter, die uns nicht viel mehr zutrauen als Kaldaunen.

Ein wunderliches Gespräch hinter meinem Rücken nahm meine Aufmerksamkeit in Anspruch. Ein Mann sprach französisch-deutsch, ein zweiter ungarisch-deutsch, eine Dame wienerisch-deutsch, das gab ein Trio, an welchem Jahn und der Professor Zumpt gestorben wären. Die französisch-deutsche Stimme glaubte ich zu kennen – richtig, es war der Starost, der sich industriös mit einer stattlichen Dame unterhielt.

Das Leopoldstädter Theater ist in jeder Rücksicht Volksversammlung, man hegt dort die liberalsten, menschenfreundlichsten Gesinnungen, die Damen sind emancipirt, man ist ohne Vorurtheil. Diese statistische Rücksicht hatte den Starosten hingeführt. Die stattliche Dame verließ am Schlusse der Vorstellung das Haus am Arme des Ungarn, ihres Liebhabers, der viel Liebe, aber wenig Verdienst haben mochte. Im Gedränge blieb der Starost zur andern Seite 14 der Dame, und während der Ungar mit seinem Ellenbogen den Weg bahnte, wurden neben ihm verrätherische Unterhandlungen gepflogen mit drei leisen, schnellen Worten.

»O Mädchen, das in meinem Arm
Mit Aeugeln schon dem Nachbar sich verbindet!« –

Auf den Straßen lag eine warme, »busenwarme« Nacht, die Sterne funkelten, die Lüfte buhlten, und aus dem Hause quollen die weißen Gewänder und die jodelnden Melodieen der Lieb' auf der Alm.

Neben mir entwickelte der Starost französische, uninteressante, unwürdige Ansichten über die Mehrzahl der Weiber, die mein Herz nicht glaubt, so lange die Sterne scheinen. Denn es giebt einen Stern, von welchem aufopfernde, weltengewaltige, unsterbliche Mädchenliebe schimmert, schimmert und strahlt bis mein ganzes Auge und Herz erfüllt ist vom Glanze unergründlicher Mädchenliebe. Es schieden zwei Liebesleute in stiller Nacht, und sie konnten sich nimmer wiedersehen, sie durften sich nicht 15 einmal schreiben, kein Gruß war ihnen gestattet, den ein gleichgültiger Mensch von einer Station zur andern trägt, kein einzig Wort und Zeichen für das lange, lange Leben. Und wie lang ist das Leben, wenn man liebt und scheidet und verliert, denn es liegt öde, unabsehbar wie Meer, wie Wüste vor den thränendüstern Augen. – Da wies das Mädchen auf den Himmel, und sprach: Den können sie uns nicht nehmen!

Wenn Dir recht bang, recht elend wird,
Dann blick' nach jenem Sterne –
Es küßt mein Aug' Dich tausendmal
Dort oben in der Ferne.

Prater und Leopoldstadt waren mir ohne Eindruck geblieben, umsonst sprach der Starost; – es sind viele Dinge nur da, um einen Raum auszufüllen, der uns aufnimmt, ohne uns weiter zu berühren, Stationen zum Ausruhen für das Interesse. Dahin gehören: die Jägerzeil, der stille Prater, die Lieb' auf der Alm und die ledernen Grundsätze, daß die Weiber nichts taugten. – 16

Ich hab' wohl nach dem Stern geschaut
Gar manche Nacht und Stunde,
Er brachte Thränen, süß wie Glück,
Vom Himmel bracht' er Kunde.

Es war Mitternacht, als ich heim kam, und Starost sprach noch und die Sterne schienen noch. 17

 


 


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