Heinrich Laube
Reisenovellen - Band 3
Heinrich Laube

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Die Donauberge.

Herr von Kurländer fragte mich eines Tages, ob ich schon in der wienerischen Schweiz gewesen sei, und schlug mir den nächsten Sonntag dazu vor. Für solch' eine kleine Lustpartie über Land, wo man nicht gerade Ackersleute finden kann, ist der Sonntag am besten. Die Leute streichen dann nicht beladen, keuchend, gebeugt von des Tages Last und Hitze an uns Müssiggängern vorüber, sie sind geputzt und lustbeflissen. An Wochentagen versöhnt nur der Ackermann mit dem schweren Geschicke, im Schweiß des Angesichts keuchen zu müssen von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Das Pflügen und Säen ist ein schönes poetisches Geschäft, man verkehrt mit den verschlossenen Gedanken der Erde; 160 ihr innerster Athem geht uns auf, das Anvertrauen des Saamens erzeugt eine so schöne Unmittelbarkeit mit ihr, und eine so trauliche Unmittelbarkeit mit Gott. Der Ackersmann ist für mich die religiöseste Person; er verkehrt mit Gott in ächter That. – Herr von Kurländer lächelte dazu, und führte mich in's weiße Zimmerchen, um mir neu bearbeitete Lustspiele zu zeigen. Er ist nämlich der bekannte Herausgeber des dramatischen Almanachs, und das weiße Zimmerchen ist ein glattes, scharmantes Ding mit glänzenden weißgrauen Wänden und Meubeln, ganz ein Zimmerchen, um Lustspiele zu schreiben.

Ich bin nämlich immer sehr für Umgebungen, und gestatte jedem Aeußerlichen eine Einwirkung auf den Geist, weil ich den Geist zuweilen für einen zusammengesetzten Mechanismus ansehe mit unerklärten Stahlfedern des Himmels. So würde ich nicht begreifen, wie Grillparzer seine dunkeln Poesieen in Kurländers lichtem Boudoir empfangen könnte, wie ein moderner Schriftsteller in einem 161 Zimmer ohne Sonnenblicke, an einem Tische, wo Alles kreuzweis durcheinander liegt, auf einem Papiere arbeiten kann, das nicht glatt und schön die Feder behaglich schaukelt.

Nicht bloß das Herz, auch der Geist hat seine Illusionen, oder richtiger: Geist und Herz sind ein wirkliches Ehepaar, man kann dem Einen nichts anthun, ohne das Andere mit zu treffen. – Herr von Kurländer ist ein Garçon von dem Alter, wo die Pferde keine jungen Zähne mehr haben, er ist ein Wiener Kavalier, hat einen komfortablen, zierlichen Salon, wo artig musicirt, deklamirt und konservirt wird, und wo man nicht selten den Fürsten Metternich selber findet, – giebt es für solchen Garçon eine passendere Beschäftigung, als französische Lustspiele für's Burgtheater zu bearbeiten? Der munteren Caroline Müller, der romantischen Peche hat er dann Visiten zu machen wegen der oder jener Scene, ob blaues Band oder rosenfarbenes an der Haube besser stehen würde, und wie kurz oder wie lang das Schürzchen werden müsse. Es ist uns 162 rastlosen, weit kreisenden Gesellen des jungen Schriftthums überaus heilsam, zuweilen mir solch' einem Garçon im weißen Zimmerchen zusammen zu kommen, das kleine Interesse zu sehen, an einem Gärtnerburschen oder podagristischen Alten des Lustspiels, was solcher Schriftsteller Tage lang absorbirt, die schüchterne, gesellige Rücksicht einmal wieder zu finden, mit welcher er über einen Schriftsteller derselben Stadt spricht, mit »vielleicht« und »dürfte« unser dreistes Urtheilen in den Zug bringt, und uns versichert, just so denke er auch. Die freundlichen Gemächer und das freundliche Wesen Herrn von Kurländers haben mir den besten Eindruck gemacht, und ich befolgte gleich am nächsten Sonntage seinen Rath, die wienerische Schweiz zu besuchen.

Es hatten sich einige Wiener zu mir gesellt, und am frischen, dampfenden Morgen strichen wir über die Bastion hinaus nach dem äußeren Thore. Dort harren die Linienschiffe der Passagiere. – Die Douane bei'm Eingange in die Stadt wird nämlich 163 die Linie genannt, und mit Tabak und Politik passiren sie nicht Alle gefahrlos; die Linienschiffe selbst heißen aber auch im gewöhnlichen edlen wienerischen »Zeiselwagen,« und können allen Hvpochondristen empfohlen werden. Keine ausländische Feder hindert den nationalen Stoß auf's Gangliensystem, meine Leber war umgewendet, als wir das nächste Dorf erreichten. Aber Dornbach, dieß Dörfchen, ist so nahe, und die Linienschiffe haben so trefflichen Wind, daß ich keine Zeit zu Betrachtungen gewonnen hatte, und mich in's Theater versetzt glaubte. Denn wie man eine Hand umkehrt, war ich in's Gebirge versetzt, bergauf, bergab zwischen den Landhäusern der Wiener ging der Weg dahin; vor einer Viertelstunde etwa war ich noch in der breiten ebenen Hauptstadt gewesen, jetzt war keine Spur davon zu erblicken, durch einsamen, romantischen Bergwald zogen wir singend und lachend. Die Sonne spielte mit uns durch die Baumzweige; es war die alte zutrauliche Sonne des Landlebens, wie ich sie kannte aus früher Jugend; denn 164 in der Stadt ist sie vornehmer, macht Komplimente um Dächer und Ecken, ist ernsthafter und älter. Die Wiener erzählten Witze vom Staberl, von den Ungarn, vom Kaiser und wieder vom Theater; – überall erschien der Kaiser; man glaubt es nicht, wenn man sich die einfache, harmlose Persönlichkeit dieses Herrn in's Gedächtniß ruft, daß er eine so wichtige Figur habe sein können im Unterhaltungsleben. Er war aber wirklich auch darin der Mittelpunkt in Wien. Damals, wo ich mit den Wienern in einem stillen Schweizerhause auf dem Waldberge saß, und zum frugalen Frühstücke ihre Erzählungen anhörte, damals lebte er noch, und hatte seine letzte Reise nach Böhmen angetreten, Franz der Erste.

Die Jugend unserer Zeit verwirft die Pietät, und will keine Illusionen gestatten, sie findet eine Armuth darin, alles Interesse an eine einzelne Person zu verwenden, sie mag den Staat nicht als Familie statuiren, – wenn man sich aber in diesem letzteren Gedanken einheimisch machen kann, so wird 165 man jener warmen österreichischen Behaglichkeit theilhaftig, begreift, empfindet die Sympathieen dieses Volks, tritt mitten in ihr Verhältniß zum Kaiser. Dann findet man es nicht mehr auffallend, daß ihnen das Wort »Kaiser« eben so viel bedeutet, als einst den Franzosen der Name l'empereur, ja daß sie am Ende für Franz den Ersten größerer Opfer fähig waren, als die Franzosen für Napoleon, obwohl jener kein Held der Geschichte war; denn die Familienliebe kittet fester als der Ruhm. In diesem, als einem Berauschenden, aus dem Gewöhnlichen Heraustretenden liegt schon deshalb ein flüchtigeres, vorübergehendes Element, er reizt mehr zu Außerordentlichem, als daß er zu Dauerndem festigte. Daß ist zu erwägen, wenn man Oesterreich's Zustände betrachtet, und das ward von meinen damaligen Gefährten wohl empfunden. Kaiser Franz ist mit den Wienern aufgewachsen, er hat in ihren Sitten gelebt und gewebt, er hat die ungeheuerste Zeit mit ihnen durchgemacht, ist der letzte deutsche Kaiser gewesen, er ist mitten unter den Wienern 166 einhergegangen, allen Unterthanen immer zugänglich, ein Familienvater gewesen ganz und gar. Dazu war er unbefangen, und darin ruht ein unschätzbares Gut des Herrschers.

Wenn ihnen Alles fehl geht, wenn sie Unrecht zu leiden glauben, so bleibt ihrer Hoffnung in Oesterreich und Preußen immer noch der Kaiser und König und der gerechte Sinn beider, auf welchen sie unwandelbar vertrauen.

Dieß Alles darf keinen Augenblick vergessen werden, wenn man den monarchischen Sympathieen dieser Völker begegnet. In den Ausdrücken: »ich gehe an den Kaiser, ich gehe an den König« liegt eine unendlich breite Basis dieses Staatslebens und dieser Volkswünsche.

Einer unsrer Gefährten war vor zwei Jahren, Anno 31, bei unsrer Schweizerhütte dem Herzoge von Reichstadt begegnet, und auch dieß führte sie wieder auf den Kaiser. Im Gegentheile zu den thörichten Gerichten von der schlimmen Stellung dieses Prinzen zum österreichischen Hofe wissen 167 nämlich die Wiener eine Menge interessanter Geschichten, wie Napoleons Sohn geliebt worden sei, namentlich vom Kaiser selbst. Er hat Stunden lang mit ihm gespielt, ihm bleierne Soldaten und Trommeln gekauft, und herzlich gelacht, wenn ihn der kleine Napoleon mit unablässigem Trommeln zur Thüre hinaus genöthigt hat. Als der Enkelsohn größer geworden ist, da haben die schönen Mädchen ihm viel zu schaffen gemacht, und das Taschengeld hat nicht immer reichen wollen für die freigebigen Geschenke. Wenn er auch dem Großvater nichts weiter als den leeren Beutel gezeigt und das Uebrige verschwiegen haben mag, so weiß man doch, daß dieser ihm stets wieder ausgeholfen hat. Einigemale hat ihm der Kaiser eine ganz besondere Freude mit neuen Dukaten machen wollen, die erst aus der Münze gekommen und noch nicht in Umlauf gesetzt waren; der junge Napoleon aber hat sie ohne numismatische Bedenklichkeiten ausgegeben, und dadurch die größte Besorgniß und Untersuchung erregt, bis man zur schönen Dame, von der sie 168 ausgegangen waren, und zum leichtsinnigen Geber durchgedrungen ist. Die ältere Elsler soll lange Zeit Gegenstand seiner zärtlichen Neigung gewesen sein; übrigens waren alle Mädchen in ihn verliebt; der schlanke Kaisersohn, der kühnste Reiter mit dem schmalen, schönen Gesichte hat alle Wienerinnen an die Fenster gelockt, und ist unsäglich betrauert worden bei seinem frühen Tode. An der schmalen, lotharingischen Brust und jugendlichen Unbedachtsamkeit ist er gestorben, bei den Kapuzinern schläft er jetzt neben den Habsburgern, viele tausend Meilen weit vom Grabe seines gewaltigen Vaters, der auf der Welt nichts heißer liebte als ihn.

Wunderbare Verhältnisse um diesen Reichstadt! Sohn eines Kaisers aus dem Stegreife und einer gebornen Kaiserstochter; aufwachsend unter denen, geliebt von denen, die seinen Vater gestürzt; sterbend in der Fremde, ohne Frankreich gesehen zu haben; begraben unter den legitimen Helden und Kaisern Deutschlands; eine schöne Leiche, die drei Jahre lang König von Rom gewesen. Als ob er 169 mit diesem vermoderten Namen den Todeskeim erhalten hätte!

Und wie freundlich hat die Poesie dieß Haus Napoleons bedacht mit Lorbeer erst, dann mit Cypressen! Der verbannte Vater wagt keine zweifelhafte Flucht aus seiner Meereseinsamkeit, und bewahrt sich so die klassische Ruhe des Leidens; kein Kreuzer erhält die Möglichkeit, seines Falles Größe in der Donnerschlacht von Waterloo durch eine Gefangennehmung zu zersplittern, schweigsam erduldet der Titan die Niedrigkeiten eines gemeinen Engländers, schweigsam stirbt er mit einem Kusse auf seines Sohnes Bild. Und dieser Sohn wird nicht in Versuchung geführt, die Rolle eines Prätendenten zu übernehmen, der mit einigen Anhängern von Land zu Lande flüchten und auf Konspirationen hoffen muß, ein blühender, unbescholtener Jüngling stirbt er in der legitimen alten Kaiserburg, unberührt, unbefleckt von Politik – der letzte deutsche Kaiser mit schneeweißem Haar weint schmerzliche Thränen an seinem Sarge.

170 Als wir aufbrachen, um weiter hinein zu steigen in die Berge und Thäler, setzte der Erzähler noch hinzu: Sie wissen es da draußen gar nicht, wie sehr unser Kaiser dem Napoleon zugethan war, ich meine dem Vater, und was es sein Herz bedrängt hat, ihn stürzen zu helfen. 171

 


 

Es ist mir noch mit keiner Gegend so gegangen, wie mit diesen Bergen an der Donau: ich bin nämlich in Geschwätz und Sommerträumerei so gedankenlos durch die grünen Wälder gestrichen, daß mir nur ein einziger großer Blick davon im Gedächtniß geblieben ist. Die Vögel sangen aus Leibeskräften, die Gräser dufteten, der Tag, ein halb bedeckter, zärtlicher Sommertag, blinzelte so zufrieden an den sanften Berglehnen, die geputzten Leute, deren uns nur etwa zwei oder drei in dieser Dichtungseinsamkeit begegneten, gingen so still sonntäglich an uns vorüber, daß nichts mich wecken konnte aus dem Halbschlummer meines Geistes und Herzens.

172 Welcher Reiz einer großen Stadt liegt darin, binnen einer Stunde aus dem Tosen eines modernen Mittelpunktes in berauschende Bergeinsamkeit treten, sich sammeln zu können mit den ursprünglichsten, einfachsten Empfindungen und Gedanken, aus welchen der Gottheit Bild uns anblickt mit großen Kindesaugen. Der muntere Vogel mit dem arglosen schwarzen Auge auf dem nächsten Aste sieht uns die Jugend wieder in's Herz hinein, seine alte Melodie bringt alle die kleinen einfachen Lieder zurück, die wir gesungen haben mit der schwarzäugigen Nachbarstochter, wir werden wieder unschuldig und können wieder beten und naiv uns besprechen mit der ewig wechselnden, immer gleichen Ewigkeit Gottes.

Da quellen Lieder von den Lippen, man weiß kaum, wie sie werden, man ahnt nur, was sie bedeuten, ihr innerstes Wort zieht wie ein Duft über sie hin, der sich nicht greifen läßt mit irdischen Händen: 173

Die Bäume rauschen,
Es flüstert der Wind,
Ich stehe lauschen,
Bin wieder Kind. –

Was werd' ich sehen:
Der Himmel geht auf,
Was wird geschehen:
Der Berg steht auf.

Von allen Seiten
Tritt es mir nah',
Gedanken schreiten,
Die Welt ist da.

In solchem Dämmer erreichte ich die Höhe eines langen Waldberges und eine dunkelgrüne Hügelfläche dehnte sich aus vor meinen Blicken, unbestimmt, ohne Abwechselung, wiegend und wogend über den dunklen Schein der Donau hinweg, die still in der Mitte lag, wie ein schweres Metall. Es war der wunderliche Anblick einer grünen Wüste, die unwiderstehlich lockte mit einem nie ergründeten, niemals berührten Leben. Das Auge legte sich voller Befriedigung in diese weite Einförmigkeit hinein. Auf der einen Seite wiesen sich meine Gefährten 174 einander die Berge in Ungarn, auf der andern die steirischen Alpen, mich fesselte nichts als die grüne Donauwüste, eine Landschaft, wie ich sie nie gesehen. Malt einen Adler oben in die Wolken dieses Bildes, und Jedermann wird es verstehen, daß ein großer Mann zwischen diesen Hügeln leben muß, der abgetreten ist vom Regieren der Welt, etwa Napoleon.

Ich wollte, sein Sohn läge hier begraben. –

– Wir stiegen mit einem sonndurchwirkten, feinen Staubregen die Berglehnen wieder abwärts nach Wien zu, und kamen in ein heimliches Thal, aus welchem alte Gemäuer mit verwitterten Stirnen uns entgegentraten. Ein verlassenes Karthäuserkloster stand vor uns.

Wie viel Poesie liegt in einzelnen Klostergedanken, wie viel Poesie ist hinter den unbeugsamen Mauern verschrumpft und vermodert. Zufluchtsstätten sollten sie sein ohne Schwur und Gelübde, und wurden Kasernen.

Der redseligste meiner Gefährten wußte lange zu erzählen von den klugen Karthäusern, die sich 175 dieß friedliche, abgeschiedene schöne Thal erwählt hatten, wie denn auch in der Ortswahl überall bekundet wurde, daß damals Geschmack und Bildung nur bei den Männern der Religion zu finden gewesen. Ich habe nur einzelne Striche seiner Rhapsodie behalten:

Ein reicher Graf hat eine Tochter gehabt, die einen reichen Nachbar heirathen sollte. Sie war nicht allzu schön, aber sie war sehr gut, und hatte zwei große, blaue Augen, die wie eitel Trost und Freundschaft sprachen. Der Nachbar war ein roher Gesell und sie mochte ihn nicht. Den Tag vor der Hochzeit ritt sie mit ihrem jungen, blonden Vetter in den Wald hinaus, um einen Fuchs zu jagen; sie kam aber nicht wieder, denn sie liebte den blonden Vetter. Der alte Graf schickte wohl an die hundert Boten, es wußte aber keiner etwas zu sagen. So vergingen mehrere Jahre und der alte Graf starb im Kummer dahin; die nächsten Erben, die Tochter und der Vetter fehlten, das alte Schloß stand leer. Dieß dauerte indeß nur vierundzwanzig 176 Stunden, da erschien der blonde Vetter, und nahm Besitz davon. Man fragte ihn, wo er denn seine Muhme gelassen habe, die in den Wald mit ihm geritten sei, er sagte aber, die Muhme wäre ihm schon damals im Walde abhanden gekommen.

Sein neues Regiment ging eine Zeitlang ungestört, da erschien eines Tages im Schloßhofe ein zerlumptes Mädchen, und der Anblick desselben erregte großen Lärm. Die Leute sagten nämlich, sie habe eine wunderbare Aehnlichkeit mit der verlornen Tochter des alten Herrn, freilich so blaß und zerlumpt sei jene nicht gewesen, auch habe sie nicht das Haar um den Kopf fliegen lassen. Des Herrn Grafen Tochter hatte wohl auch sanft und freundlich gelächelt, aber nicht immerwährend wie dieß zerlumpte Mädchen, sonst lachte sie gerade so wie jene, aber man müsse weinen über dieß Lächeln und die großen, blauen Augen, die da leuchteten wie der Mond am Tage, wenn die Sonne in schwarze Wolken eingepackt ist.

177 Der blonde Vetter erschrack sehr, als er das Mädchen sah, und befahl, ihr Kleider und Geld, Pferd und Begleiter zu geben, damit sie weiter ziehen könne, – sie lief hastig auf ihn los, und ehe er sich dessen erwehren konnte, küßte sie ihm die Hand.

– Dreimal war sie neu ausgerüstet und fortgeschickt worden, dreimal kam sie in Lumpen wieder, und wo der Vetter ging und stand, da begleitete ihn jenes wunderbare Lächeln; – er verzehrte sich in Angst und Weh, Niemand begriff es, was dem reichen Herrn abgehen könne. – Eines Tages nahm er den Baumeister mit sich, und sie ritten in die Berge hinein, die nach der Donau zu liegen; in einem stillen, heimlichen Thale hielt er sein Roß an, und sagte leise vor sich hin: Hier war's, wo sie mir nicht mehr gefiel, wo ich sie verlassen habe. Meister Urban, sprach er dann, baut mir ein steinern Kloster an die Stelle, ein Kloster für Karthäuser, die nichts Unnützes sprechen, und niemal lachen oder lächeln. Das Lachen ist viel schrecklicher als das Weinen.

178 Das Kloster wuchs, der Vetter aber sank darin zusammen, und war in wenig Tagen ein alter Mann, ein zerbrochener Karthäusermönch, der den Tod im Herzen und auf den Lippen trug, aber nicht sterben konnte.

Das zerlumpte Mädchen blieb auf seinem Schlosse und obwohl sie kein Zimmer betrat, und in der Halle schlief, die nach dem Walde sah, wurde sie doch wie die Herrin betrachtet.

Als der Vetter in's Kloster gegangen war, verlor sich allmählig ihr Lächeln, und eines Morgens fand man sie todt, das Haupt stützte sich an einen Pfeiler, und das starre, blaue Auge sah nach dem Walde zu, in welchem das neue Kloster lag.

Als der Vetter dieß erfuhr, starb er auch, und alle Welt hielt ihn für einen frommen Herrn, es war lange die Rede davon, ihn heilig zu sprechen.

Von alle dem ist nichts übrig geblieben, selbst von den Klostersteinen wenig; im Wirthshause wird eine vortreffliche Mehlspeise gebacken, und die Wiener besuchen es wie einen Wallfahrtsort.

179 Es war auch nicht möglich, auf unserem Rückwege noch an die Geschichte zu denken: mehrere Stunden lang gingen wir im saftigen Thale dahin, es war ein ununterbrochener Garten, unter allen Bäumen kamen geputzte, spazirende Wiener zum Vorschein. Ueber Hadersdorf und Hütteldorf ging unser Pfad an Laudon's Denkmal vorüber, welchen man jetzt Loudon schreibt. Wem der siebenjährige Krieg nicht gegenwärtig ist, dieses energische Verstandesepos, der wird den Namen kennen aus dem rührenden Volksliede: »Feldmarschall Laudon ist da, da, da« –

Er war der beste Reitergeneral unter Friedrichs Feinden, und dieser bewies immer einen großen Respekt vor dem raschen Talente desselben. Still ruht sein steinernes, lichtes Monument unter Bäumen, vielleicht wäre es für den ungarischen Reiter bezeichnender, wenn es mehr Bewegung ausdrückte – ein moderner, humoristischer Geschmack würde eine Pferdeweide darum her legen, auf welcher frische, südliche Rosse umhersprängen. Es fehlt nur an 180 Platz dazu; er ist todt der alte Degen, es stirbt Alles, die Wiener spaziren vorüber, und denken an Küssen, Essen und Trinken; man braucht wirklich ein sehr bornirtes oder ein sehr weites Herz, um etwas auf den Ruhm bei der Nachwelt zu geben.

In Hütteldorf wimmelte es von Wagen und Leuten; man saß im Freien, sah die Wiener Straße hinab, lachte in Gottes goldner Sonne, und fand die Welt vortrefflich. Ich wollte noch in's Theater und bestieg allein den merkwürdigsten Zeiselwagen, der zu finden war. Dürr war der Kutscher, war das Pferd, war der Wagen, mein blanker Frack und meine blühende Weste nahmen sich höchst unpassend aus, ich mußte das Ansehen eines Flüchtlings haben, den der Feind auf einem Balle überrascht hatte, wie die Nachricht von der Schlacht bei Ligny Wellington zu Brüssel. Das wurde immer ärger, als ich in die Nähe von Schönbrunn kam mitten unter die strahlenden und blitzenden Equipagen des Adels, der sausend hin und zurückfuhr.

181 Wie ein Feenschloß lockte Schönbrunn auf der rechten Seite an der Berglehne, dieß Absteigequartier Napoleons, wenn er mit Oesterreich Krieg führte. Entschlossen kommandirte ich meinen Zeiselkutscher mitten hinein unter die glänzenden Equipagen der Kavaliere. Kavalier ist bekanntlich der technische Ausdruck in Oesterreich; vielleicht stammt er noch aus der spanischen Zeit, aus den Tagen der Caballeros.

Mein Zeisel flatterte unsicher wie ein Spatz unter edlem Geflügel umher, und wäre ich mir nicht eines stockfremden Gesichts bewußt gewesen, ich hätte mich sehr geschämt. War es Schönheits-, war es Schamgefühl? Ist es eine Schwäche, für solchen Cynismus unbrauchbar zu seyn; ich habe sie: diese unpassenden Gegensätze, mein Frack, der Zeisel und die Kavaliere peinigten mich, und ich hatte keine Ruhe, die schönen, vorüberfliegenden adlichen Damen zu betrachten, am wenigsten für diesen Behuf die Lorgnette herauszunehmen. Lorgnette und Zeisel waren nicht mehr unpassend, sondern lächerlich; 182 Unglück selbst ist aber kein so großes Unglück als: lächerlich zu sein.

Ich mußte aussteigen, um eine Illusion von Schönbrunn zu gewinnen. Zwei große goldene Adler sitzen auf dem schlanken Thore, und geben dem überaus schönen Lustschlosse so etwas vornehm Kaiserliches. Weiter weiß ich nichts zu beschreiben, ich hatte den Tag kein Gedächtniß, ich weiß nur noch, daß sich die verschiedenen stolzen Gebäude terrassenförmig aufstellten, und daß ganz oben auf der Höhe ein Pavillon mit vielen Fenstern golden brannte in der Abendsonne.

In Schönbrunn auf dem großen Platze vor dem Schlosse war's, wo der junge Staps aus Thüringen Napoleon erstechen wollte und von Rapp verhaftet wurde. In den französischen Stücken, wo der deutsche Student zum Fortleben genöthigt wird, heißt er gewöhnlich Monsieur Burskenschaft, und trinkt sehr viel Bier.

Reich und vornehm erscheint Wien dem Reisenden besonders, wenn er im Sommerabendscheine 183 unter den goldenen Adlern Schönbrunn's hindurch, neben den unzähligen Equipagen, in die breite Vorstadt fährt, direkt zur Burg, und dort im Theater Alles besetzt findet trotz des warmen Abends. Da weiß man nicht, wohin mit Menschen, Wohlstand und Vergnügen. 184

 


 


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