Heinrich Laube
Reisenovellen - Band 3
Heinrich Laube

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St. Stephan.

Heiliger Schutzpatron, den wir verehren,
Der über unsrer Kinder Schicksal wacht,
Bitte für den Starosten
Und für das frevelhafte Mädchen;
Die Dich gekrönt am hellen, lichten Tage. –
Stumme von Portici.

Es war einer jener goldnen Morgen in Wien, wo die Sonne wie ein muthwilliges Mädchen über die Dächer der hohen Häuser läuft, was stündlich größer, wärmer, gefährlicher, süßer wird. O Wien, ich werde Dich mit Deinen hohen Häusern und engen Straßen, welche manteldichten, heimatlichen Schatten warfen, wie die Stadt meiner Jugend, das alte hochgeschürzte Breslau, Wien ich werde Dich und Wiens Morgen nimmer vergessen: die Donau dampft, auf den Bastionen liegt weiß wie eine Jungfrau die 18 Frühsonne, blauer Dichtungsnebel fällt wie Schmelz und Illusion auf die hereinragenden Berge, durch die Straßen, durch die Thore, über die Brücken strömt die Menschheit, lächelnd geschäftig, Freude erwartend, an den Straßenecken werden die großen Vergnügungszettel angeklebt – das Thor der Welt öffnet sich knarrend, alle Herrlichkeiten können über den Fremden kommen, der aus dem Fenster seines Gasthofes in diese lachende Tageszukunft blickt.

Ich wohnte in der Vorstadt und übersah das Alles: Wasser und Stadt, Berge und Brücken, Zettelträger und Mädchen. Unter mir floß die Donau mit goldnen Sonnentellern bedeckt hinab nach Ungarn, das einzige Gold, was sie hinabführt in dieß heiße, pelzverbrämte, schnurrbärtige Königreich. Neben mir arbeitete die Leopoldstadt mit ihren Riemern und Sattlern und Wagenbauern.

Aus den vielen Worten des Starosten hatte ich behalten, daß ihm die schöne Dame von gestern für diesen Morgen ein Rendez-vous im Stephan zugesagt. Das und den Stephan selbst wollte ich sehen. 19 Der Thurm dieser Kathedrale gilt, wenn ich nicht irre, nächst dem schlank auffliegenden zu Landshut in Bayern für den höchsten Deutschlands, seit Straßburg uns geraubt worden ist. Dieser Stephansthurm ist eine Arbeit, vor welcher man den Hut abnehmen muß: einmal, weil sie so hoch hinauf in den Himmel geht, daß man sie mit dem Hute nicht wohl betrachten kann und zweitens, weil sie außerordentlich ist. Eine steinerne Pyramide, die ohne abzusetzen, ohne zu ruhen in die Wolken steigt, und zwar leicht und ohne Beschwerniß wie man die Hand aufhebt. Aus Stein ciselirt, wie der Metallarbeiter ein zierliches Modell ausfeilt für seinen Meister, der zugleich Vater und Verheirather einer schönen Tochter ist. Heiliger Stephan, wodurch hast Du solch eine Arbeit, solch einen Menschensieg über Stoff und Steine verdient, was hast Du gethan? Ich weiß es nicht, und brauch es nicht zu wissen; sicherlich bist Du über Verdienst belohnt, denn solch ein Werk ziemt den Göttern, nicht den Heiligen. Heilige sind Parvenüs, Götter und Helden stammen aus Jovis Lenden.

20 Der Stephan ist die deutsche Warte für das Ungarland, seine Spitze reicht über die magyarische Grenze hinein, und Stephan ist ein ungarischer Heiliger, ein heiliger Ungar-Name, König Stephan hat die Magyaren zum Christenthume bezähmt, sie mit Roß und Säbel getauft. Roß und Säbel sind noch heute eben so christlich wie der Ungar selbst; das bezeugen die armen Bauern von der Raab bis hinter die Theiß.

Steinerner, gemeißelter, prachtvoller Stephan, Du hast mich oft an die Sage von unterirdischen Riesen erinnert, die unter uns arbeiten im Schooß der Erde, die Nachkommen der alten, bezwungenen Titanen. Die kleinen Titanenbuben haben Krieg gespielt und sich dazu Thürme aus Felsen gehauen, und einer ihrer übermüthigsten hat sein Thürmchen zu weit in die Höhe geworfen, da ist es bei der Gerold'schen Buchhandlung in Wien aus der Erde gefahren.

In jener Buchhandlung am Stephansplatze hab ich mir diesen Thurm am Fleißigsten betrachtet. Wenn man ihn lange unverrückt ansieht, so hüpfen 21 am Ende die vielen Schnörkel, die sich regelmäßig pyramidenförmig aufbau'n zu einem luftigen Tanze durcheinander, die Welt bedünkt Einen der lustige Spaß eines Kanditors, St. Stephan eine Baumtorte von Marzipan – aber das kann nur passiren, wenn man bereits vom Büchertreiben im Gerold'schen Laden verwirrt ist.

Dort giebt's nämlich eine ganz andere Literatur als bei uns: die sämmtlichen Werke der Caroline Pichler, des Herrn von Kotzebue und Ifflands Schauspiele werden einmal über das andere verlangt, und Herr Gerold mit seinem leutseligen, schalkhaften Lächeln giebt links und rechts Befehle, die unsterblichen Werke dieser Heroen in dauerhaftes Packpapier zu emballiren. Ich habe nirgends so viel kaufen sehen als dort, und der Schriftstellermuth hätte mir wachsen können, wenn die in Leinen und Seide grün und braun gebundenen langen Reihen andere Devisen und Wappen getragen hätten.

Die allgemeine Lektüre in Oesterreich ist noch ganz altmodisch, trotz dem, daß nirgends häufiger 22 nach Börne und Heine gefragt, ja trotz dem, daß nirgends dieß gefürchtete Paar häufiger besessen wird als dort. Man lebt noch im Zeitalter der deutschen Klassiker und Caroline Pichler, der Hofschauspieler Lembert, der nebenbei ein liebenswürdig höflicher Mann ist, Braun von Braunthal, der Ritter, gehören alle zu den Klassikern. Holde Zeit der Klassiker, wo der Dichter noch zerstreut und ungezogen sein darf!

An jenem Morgen ging es sehr stürmisch her bei Gerold: Alles wollte Caroline Pichler besitzen und es war stark davon die Rede, der Dichter Herzenskron werde eine Gesammtausgabe seiner Werke veranstalten. Ich saß über Bonaparte's Briefen an Josephine, die eben angekommen waren, aber neben Herzenskron ignorirt wurden, und über dem Lärmen und Napoleons Liebesversicherungen hätte ich's beinahe überhört, wie der Stephan Elf schlug, die Stunde des Rendez-vous.

Der Starost lehnte mit seiner Lorgnette an einem Pfeiler, als ich in die Kirche trat. Die großen, 23 geräumigen, kühlen Kirchen der katholischen Christenheit scheinen wirklich nicht bloß zu kirchlichen Zwecken erbaut zu sein. Dieser bärtige Slave war leider auch nicht ihretwegen gekommen. Gott weiß, was er für eine Religion hatte; wegen seiner großen Inklination für den Talmud fragte ich ihn öfters, ob er den Mosaismus liebe. Er lächelte dann ausdruckslos. Im Allgemeinen gehörte er zu der französischen, halbdeistischen Ansicht, zum System der Aufklärung, das wirklich von Prosa und Unerquicklichkeit starrt. Die Gesetze des A B C, des Einmaleins, der Trivialität sind diesem Genre Ein und Alles, der Herrgott wird berechnet wie der Transito; Ahnung und Poesie sind Spielereien. Und obwohl der Talmud und die sonstigen Traditionen des Judaismus die Glaubenspartikelchen bis zur Gewürzkrämerei in's Detail trieben, so herrscht doch zwischen ihnen und der bloß verständigen Aufklärung eine merkwürdige Wahlverwandtschaft. In beiden ist ein fanatischer Mißbrauch einzelner Geistesthätigkeiten, der Verstand ist dort in knebelnden Schlüssen 24 eben so naseweis wie hier in auflösenden Folgerungen. Die meisten Juden, welche keine Juden mehr sind, gehören zur Partei der dünnen Aufklärung. Ihre unteren Verstandeskräfte sind tüchtig routinirt, und ihre höheren Anknüpfungen sind durch die Widerwärtigkeiten ihrer Position für immer durchhauen.

Wir Protestanten haben von Jugend auf viel mehr Respekt vor einer Kirche, sie ist uns mehr eine alte, strenge Tante, deren Scheltworte wir fürchten, die wir beerben wollen; in Norddeutschland wählt man nicht leicht die Kirche zu einem Rendez-vous. Das ist bei den Katholiken was anders. Ihnen ist die Kirche eine Mutter, die Alles verzeiht, auf deren unerschöpfliche Liebe gesündigt werden darf. Wie der Katholik sich selbst ganz und gar in Vernunft, Verstand und Willen an seine Religion hingegeben hat, nimmt er es nicht so genau mit ihr; sie muß ihm aber deshalb auch für Alles sorgen, selbst für sein Vergnügen. Wenn man glaubt, daß junge Mädchen, oder Damen überhaupt, nicht so 25 raisonnirten und kombinirend dächten, so irrt man sich – alle Gedanken haben ihre Atmosphäre, deren auch der Gedankenlose theilhaftig wird.

Manch' Männlein und Fräulein war zu sehen im hohen Dome des heiligen Stephan, die fröhliche, skrupulose Sonne des Spätmorgens quoll lachend durch die schmalen hohen Fenster, und beschien den heitern Katholizismus. Ich wandelte von einem kleinen Altare zum andern. Diese kleinen Altäre sind eine prächtige Erfindung, ein liebenswürdiges Zugeständniß für die Welt, welche Einsamkeit zu Zweien sucht. Der Protestantismus ist für die Ehe, der Katholizismus für die Liebe.

Eine hohe Dame im seid'nen Gewande rauschte an mir vorüber nach dem Hochaltare hin. Sie war's, die Ungar-Dame von gestern. Eine herausfordernde, imponirende Gestalt. Blaßer war sie als den Abend vorher, aber das Auge war voller Freiheit und Leidenschaft, und diese Leidenschaft war nicht gedankenlos. Kennen wir nicht jene großen, festschießenden Augen, die zuweilen plötzlich irre werden in ihrer 26 stolzen Sicherheit, erweichen, fragend und voll Gedanken stille steh'n, und die runde blaße Wange zu betrauern scheinen?

Bei'm Vorübergeh'n hatte sie mich mit ihrem herausfordernden Blicke gemessen, mich gezwungen, ihr vorauszugeh'n, nach ihr umzublicken. Und da sah ich, wie ihr Auge zusammenbrach, als sie in die Kniee sank ohnweit des Hochaltars.

Sie hatte für nichts mehr Blicke, als für den fungirenden Priester und ihren Rosenkranz, den sie leider mit Glacéhandschuhen betete. Glacéhandschuhe sind so arg modern, daß man nicht damit beten sehen mag. Ist das nicht abscheulich! Als ob der Herrgott bloß für die armen Leute und sonnverbrannten Hände da wäre – man muß aber wirklich nicht in Handschuhen beten. Das Falten der Hände ist uns von Kindheit an Symbol, und die Empfindung des Handberührens gilt unsrer Pietät für einen elektrischen Leiter zum Himmel. Der Glacéhandschuh ist aber isolirend durch seine kalte Glätte. Hab' ich Recht?

27 Wie oft glaubt man bei'm Kartenspiel und in der Liebe, es lebte ein Verräther in der Luft, welcher unsre innersten Gedanken dem Nachbar sagte, ein kleiner Gott der Klatscherei, vor welchem kein Geheimniß besteht, ein Bürge, daß alle Atome der Welt geistig belebt seien – d'rum sind die Menschen so lächerlich, welche ihre Wesenheit in Bewahrung von Geheimnissen setzen, es existirt kein's, man sieht's uns an den Fingerspitzen an, was wir verbergen wollen. –

Die Dame zog nämlich einen Handschuh aus, um unter die schwarzen Locken zu fahren, welche über die Schläfe hervorquollen. Die Hand war etwas zu groß, um für schön gelten zu können, aber sie war interessant.

Es giebt wirklich interessante Hände; aber ich irre mich: die hier zu beschreibende war verführerisch, und das ist wieder etwas ganz Anderes. Ihre gesättigten Formen waren mit jenem leichten Gelb überflogen, was zuweilen eine Kraft des Südens anzeigt, eine männliche Tüchtigkeit der Empfindung. 28 Farben sind ja überhaupt Verräther, und gehören in die oben erwähnte große Verschwörung, welche kein Geheimniß duldet.

Der Starost kam mit seinen Sporenstiefeln herangeschlürft, so leise, als es sein schwerer Tritt gestattete, aber Frauen erkennen am Tritt ihren Liebhaber, auch wenn sie ihn niemals gehen sahen. Sie blickte von Rosenkranz und Andacht auf, nickte mit dem Augenliede und betete weiter.

Katholische Mädchen haben Liebhaber und Herrgott einträchtig neben einander, und sie sind nicht so thöricht, diesem eine Eifersucht zuzutrauen.

Sie erhob sich, lenkte den Starosten mit dem Blicke, und schritt durch die Kirche.

Draußen auf dem Platze blieben sie Beide stehen, und warteten zu meiner Verwunderung auf mich. Ein Dritter ist doch sonst sehr überflüssig. Oder hatte sich der Starost in diesem Weibe geirrt?

Von grünen Ziegeln ein kolossaler Doppeladler sieht vom Kirchendache herunter – was ist das für 29 ein Symbol: ein Raubvogel auf der Kirche? Und noch obenein mit zwei Köpfen.

Dies sehend und denkend trat ich hinan, und sagte »bon jour!«

Sie lächelte und sagte auch »bon jour!« 30

 


 


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