Heinrich Laube
Reisenovellen - Band 3
Heinrich Laube

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Der Wiener Accent.

Es ist unglaublich, mit welcher Neugier die Wiener Alles aufnehmen, was über Wien geschrieben wird; sie sind darin wie die Kleinstädter und wie die Pariser. In London kümmert man sich bei solchen Dingen nur darum, wenn der redende Schriftsteller in das Geheimniß der Familien und der vornehmen Zirkel gedrungen ist, weil es dort ein ganz geschiedenes öffentliches und privates Leben giebt. Nicht also in Wien. Manier und Lebensart ist zwar bei den äußersten Gegensätzen der Stände modificirt, aber im Grunde doch von gleichem Stoffe und Kolorit. Das rücksichtslose öffentliche Urtheil ist ferner nach den bestehenden Staatsverhältnissen nicht gestattet, und so kommt ihnen dem Fremden 128 gegenüber die Frage, ob sie auch ihren besten Schönheiten trauen dürfen. Sie haben auch wohl erfahren, daß die Welt jenseits der Grenzen eine vielfach andere ist; sie sprechen, wie schon erwähnt, von dem, was draußen in Deutschland geschieht, und daraus erklärt es sich, daß sie jedes in Deutschland geschriebene Buch über Wien mit großer Neugier betrachten. Da ihnen nun keins recht gefällt, so ist es eine stereotype Behauptung geworden, wir verstünden es nicht, ihr Leben richtig aufzufassen; auf der andern Seite sind sie aber auch ehrlich genug, die schattenlose Lobrednerei nicht ohne Weiteres zu goutiren. Deßhalb waren sie mit Menzels »Reise durch Oesterreich« keineswegs zufrieden. Sie hatten sein Literaturblatt gelesen, und erwarteten mit Recht die Darstellung mannigfacher Kontraste ihres Lebens mit der Anschauungsweise des Verfassers, nicht aber ein ausweichendes Besprechen ganz allgemeiner oder ganz partikularer Gegenstände.

Ihre Sonderung vom sogenannten »Deutschland« ist nicht bloße Redensart; man muß wirklich 129 zuweilen glauben, es existire nur eine Verwandtschaft zwischen den Nationalitäten. Ihre Sprache hat nicht nur Abweichungen in der Mundart, sie erscheint oft wie ein vollkommen anderes Idiom, sie enthält eine Menge Worte, Formen, Beugungen, die uns entweder ganz fremd oder ganz sprachwidrig sind. Das ließe sich vielleicht Alles noch auf einen Reichthum an Provinzialismen zurückführen – aber diese Abweichungen und neuen Formen sind schriftlich emancipirt, man wohnt »am Eck,« man lebt auf der »Straßen« &c., wie dieß gedruckt und geschrieben in Wien zu sehen ist.

So viel man auch in den deutschen Ländern, wo platt und wo nicht platt gesprochen wird, Abweichungen von der Schriftsprache finden mag, scharf ausgeprägte Provinzialgesichter der Sprache – in der Schriftsprache kommen wir doch bis auf kleine Modificationen völlig überein. Daß der Süd- und Westdeutsche Samstag, und der Nord- und Ostdeutsche Sonnabend sagt, daß jener die Intransitiva »sitzen, liegen, stehen« richtiger mit dem 130 Zeitworte »sein,« konstruirt, dieser aber mit »haben,« das bringt keine große Störung hervor. Höchstens hält einmal ein vorlauter Norddeutscher jenen, der gesessen ist, für einen Juden. Aber in Oesterreich versinkt das Deutsche immer mehr zu einer unkenntlichen Abart, welche allmählig die feineren Kennzeichen einer zur stolzen Erscheinung und Schönheit ausgebildeten Sprache verliert.

Die Aussprache anlangend, so ist ein reiner Vokal »a« in ganz Oesterreich nicht mehr aufzufinden.

Läßt man übrigens die höheren Gesichtspunkte der Sprache aus den Augen, beschränkt man sich auf den dortigen Höhenmesser, auf die Bequemlichkeit, dann wird das Idiom allerdings vortrefflich. Es ist voll Zusammenziehungen, Auslassungen, Abkürzungen, eine Sprache für den Sommer, den Mücken zum Trotz. Man öffnet kaum den Mund, und in den ungelecktesten Tönen läßt man die Worte herauspurzeln. Jedes Wort kann im tiefsten Negligée, wie es eben in der Kehle aufsteht, zum 131 Vorschein kommen, ungewaschen und ungekämmt. Die Leute sind so fern von dem Gedanken, die Sprache sei in ihrer schöneren Erscheinung ein Produkt der Kunst und Bildung, daß sie jeden Versuch auslachen, welcher die schleppende Faulheit des Wortes abwerfen, und dasselbe straffer ausrichten will. So geht's in den kleinen Provinzialstädten, namentlich Schlesiens und Thüringens, wenn Einer sich über den Jargon erheben will, – man lacht ihn aus, und sagt, er ziere sich. Und es ist nicht wahr, daß alle gebildeten Wiener sich davon frei erhielten, es wienert der Eine etwas weniger als der Andere, aber sie wienern Alle; die feinste Dame wienert nur ein wenig besser als das Obstweib an der Straße. Daß es im Munde einer hübschen Dame hübsch klingt, ist richtig und natürlich: im Munde einer hübschen Dame klingt alles Fremdartige hübsch, und reizt. Zudem ist dieses weiche Idiom so vertraulich, daß es uns schon darum bei'm Begrüßen einer uns unbekannten Dame sehr angenehm dünken muß.

132 Es ist übrigens hierbei zu erinnern, daß diese Mißbilligung eines abweichenden Idioms nicht so zu verstehen ist, als ob aller Provinzialdialekt auszurotten sei. Es enthält ein solcher oft die ganze Geschichte eines Landes und seines Verhältnisses zu den Nachbarn, alle Gewohnheiten, Sympathieen, Vorzüge und Fehler des Landes sind darin zu finden, und diese Accente bleiben eine unerschöpfliche Fundgrube für die Vervollkommnung der Nationalsprache. Jeder Schriftsteller sollte einige gute Provinzialismen zur Emancipation vorschlagen; die Sprache würde an den feinsten Schattirungen, an Bezeichnung der delikatesten Zustände gewinnen, welche jetzt oft mit vielen Worten ungenügend umschrieben werden müssen. In seinem Hauswesen ist man am Prägnantesten, und der Provinzialdialekt ist das Negligée einer Nationalsprache.

Dieß nur ist zu bekämpfen, daß bei der wichtigsten Kulturaufgabe, bei der Sprache, nur Negligée gelten soll, wie in Oesterreich, und dagegen war das Vorstehende gerichtet.

133 Man hat dem österreichischen Dialekte immer die Ehre angethan, ihn »gemüthlich« zu nennen, und es ruht viel Bezeichnendes darin. Ein Volk, was weniger im großen Weltverkehr sich bewegt, erfährt weniger Täuschungen, bleibt zutraulicher; ein Volk, was zum Theil jenes Grundes wegen seiner Kultur nicht dreist vertrauen mag, bemüht sich, für andere Gewährleistungen durch Gutmüthigkeit und Herzlichkeit zu entschädigen; es will sicher etwas bieten, und bietet deshalb das ganze Herz. Je isolirter ein Mensch lebt, desto weniger hat er Beziehungen, Bedürfnisse, Uebersicht; sein Herz ist voreiliger, weil sein Kopf in der Operation weniger geübt ist.

Das hat gewiß viel Angenehmes und man mag wünschen, daß diese Bereitwilligkeit des Herzens in jede Civilisation übergehe; nur dürfte nicht anzurathen sein, diesen Vortheil überall durch gänzliche Absonderung zu erkaufen. Vielleicht läßt er sich auch auf andere Weise zu Wege bringen.

Der Dialekt in seiner Bequemlichkeit und Gutmüthigkeit ist aber auch nicht bloß für den Klang 134 und Ton der Unterhaltung wichtig: das Gehör jeder Sprache wirkt auch auf Stoff und Gegenstand. Jeder Accent trägt in sich eine Vorausbestimmung seines Inhalts. Auf diese Seite hin entwickeln sich hierbei mehrere Nachtheile: es ist vollkommen gleichgültig, worüber man österreichisch redet, die Sprache klingt über Freiheit und Unsterblichkeit eben so wollig und mollig und trivial, wie über »Mehlspeis'« und »Fioker.« Somit mangelt jede Anreizung, das Gespräch zu erheben, somit wächst aus dem Accente selbst eine harmlose Trivialität in das Leben hinein, die man nicht völlig wegläugnen kann, wenn man sich eine Zeitlang in demselben herumbewegt hat.

Der Mensch muß fortwährend auf der Hut sein, sagt die christliche Kultur, sonst überwältigt ihn die plumpe, irdische Materie einmal völlig über Nacht.

Mitten in einem so bequemen Accente, wie der Wienerische, vergißt man solche Kulturmacht gar zu leicht. 135

 


 


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