Heinrich Laube
Reisenovellen - Band 3
Heinrich Laube

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Beethoven und Kanne.

Operndirektoren pflegen alle Sänger für schlecht zu halten, die nicht in Wien singen gelernt haben. Die genaue Korrespondenz dieser Stadt mit Italien, ihre Muse, die unbewegte Stille des Gemüths haben sie zur musikalischen Hauptstadt gemacht. Die italienische Oper mit den klingenden Namen Tamburin's, Santini, Lablache, Fodor ist zwar zerstreut, die stolzen Componisten sind todt, aber dennoch ist Wien noch der Hauptplatz für Musik. Ich glaube, man wendet in Berlin noch mehr Geld daran, jedenfalls ist die dortige Oper die prächtigste in Deutschland, ihr Ballet übertrifft in manchen Dingen das Pariser, aber es fehlt die musikalische Einheit, das Publikum Wiens. Die Berliner haben Musik 149 erlernt, aber die Wiener sind musikalisch. Um einen Begriff von seinem Operngeschmacke zu erhalten oder richtiger von Gesangsgeschmack – beiläufig ein abscheulich Wort – vom Ideal eines musikalischen Publikums, dazu muß man in die Oper am Kärnthnerthore gehen. Hier sind die Gourmands der Musik zu finden, und – was nicht zu übersehen – sie geben den Ton an. Nicht das Tototo und Trumtrumtrum unserer Schreihälse wird beklatscht, nichts von dem viven Remontenspektakel gewöhnlicher Sänger wird ausgezeichnet; – ein Ton, eine Wendung, eine Nuance, ein ganzer, anspruchsloser Vortrag, jedes, wenn auch unscheinbare, aber ächte künstlerische Verdienst. Es herrscht Todtenstille, man kennt jede Note, ein leises Zischen weiset die auftauchende Unart zur Ruhe, einzelnes Klatschen aus den entferntesten, verborgensten Theilen des Hauses empfängt jedes Lobenswerthe, und wächst wie eine Lawine zum donnernden Beifall, wenn die ganze Piece beendet und die lobende Unterbrechung nicht mehr störend ist.

150 Hier in Wien haben sie aber auch gewaltet, unsere Herrscher des Tons; Mozart und Beethoven. Ich bin mehrmals hinausgegangen auf den sogenannten »Spittelberg,« wo Mozart täglich Kegel geschoben hat, und hab' mir erzählen lassen von dem muntern Gesellen. Mein Referent war ein alter Knabe, der tüchtig mit ihm gelacht hatte. – »Glaben's nich etwa, daß er a Kopfhänger war, der Mozart, o je, do sein's links.«

Und nun ging's an die einzelnen Schnurren und Geschichten, die sie mit einander durchgemacht hatten, und der Refrain war immer, daß er ihn nochmal wiedersehen möchte, wie er in Hemdsärmeln und rother Weste, auf beide Backen kauend und mit den Augen lachend alle Neun geschoben habe, der Tausendsasa. –

Wirklich ist er nach all' den kleinen Zügen, die ich von ihm vernommen habe, ein gesunder Bursch gewesen, welcher die irdischen Freuden der Erde mit Industrie und Laune genossen hat. Am wenigsten hat er ein süßes, vergehendes Besprechen seiner 151 Kompositionen leiden mögen, dafür existirt noch eine sehr derbe Tradition. Eine empfindsame Stimme fragte ihn, woran er gedacht habe bei Komposition des Duetts in der Zauberflöte: »Bei Männern, welche Liebe fühlen,« und Mozart antwortete: »an meine alte Katz.« –

Mozart hat die schöne, klare Sinnlichkeit der italienischen Musik, die Sinnlichkeit der Melodie in unsere Musik gebracht, und weil er dabei seine kräftige Individualität nicht aufopferte, sondern auf das Nachdrücklichste geltend machte, ist er national geblieben und populär geworden. Er ist noch immerdar der Einzige, welcher den höchsten Gesetzesanforderungen der Kunst entspricht und zugleich dem einfachsten Vermögen faßlich und beglückend bleibt. Dieß ewige Merkmal des Genie's ist sein.

Musik! Es wird ein Hauptwort neuerer Zeit, und die Untersuchungen darüber können zu neuen, unbekannten Wäldern des Gedankens und Empfindens führen; auch unsere Poesie schwärmt schon darin umher. Läge nur das Faseln darüber nicht so 152 nahe in den unklaren inneren Gesetzen derselben; möchten wir nur einerseits dieß, und andererseits die Plattheit derer schnell durcheilen, welche nichts daran kennen, als die technischen Gesetze.

Musik ist wirklich eine unsichtbare Brücke in den Himmel, welche die moderne Welt aufgefunden hat, als der Gedanke nicht zureichte, und der Glaube außer Kredit war. Des Menschen Verlangen strebt nach einer unmittelbaren Verbindung mit der Gottheit, darum klammert er sich um so fester an die Musik, je mehr im übrigen Leben die hergebrachten Anknüpfungen verdächtigt, verschwunden sind. Dieser Sensualismus ohne bestimmte Worte ist ihm eine willkommene Rettung vor dem verbindungslosen Materialismus. – Die Hauptfurcht jetziger Bildung ist diejenige: Grenzen abzuwehren, weil man das Unglück fester Abschließung in dem zähen Leben alter Kultur vor Augen zu haben meint; und darum ist die Musik so populair geworden, weil sie eine neue Jugend des Geistes 153 und Herzens verspricht, und bis jetzt noch nirgends ein Ende vor Augen stellt.

Aus solchen Gründen ist Beethoven der König unserer Musiker geworden. Die tiefsten Kräfte des inneren Menschen glauben wir in seinen Kompositionen zu ahnen. Er war ein entschlossener, tüchtiger Geist, wie man schlagend aus seinen Worten in Bellina's Briefen ersehen kann, und es giebt also vielleicht doch Organe, diesen in der Musik geltend zu machen; aus seinen kolossalen Symphonieen strömt eine Fülle gewaltiger Seele in uns über, und hier und da fällt ein großer glänzender Stern vom Himmel.

In Wien konnte man ihn nur beschreiben, wie er in seiner letzten, unglücklichen Zeit gewesen sei, als er das Gehör so weit verloren hatte, daß man sich nur mit Mühe ihm verständlich machen konnte. Ein harter Gedanke der Natur, demjenigen das Ohr zu schließen, dem es die Pforte in bessere Welten war. Die Liebe ohne Augen.

154 Er kehrte täglich in einem Gasthause ein, draußen auf der Josephstadt, setzte sich schweigsam an den Tisch, kümmerte sich um Niemand, ging schweigsam wieder von dannen. Seine Gesichtszüge waren hart und streng; das große graue Auge ward von dicken Brauen überbuscht; unordentlich fielen die graugemischten Haare um die stolzen Schläfen, die stolze Stirn. Schwer zugänglich sprach er nur, wenn er ein Glas Wein getrunken hatte und dadurch animirt war; – nur wenn Kanne zu ihm trat, flog ein Strahl von Heiterkeit über sein Gesicht.

Es ist wohl nicht nöthig, der dreisten Erfindung Jules Janin's zu widersprechen, der ihn hungern läßt und mit einer Portion Kalbsbraten zu Thränen und Mittheilungen rührt. Diesem muntern Füllen kommt es auf eine Frivolität mehr nicht an, wenn sie auch das Historische betrifft, und hoffentlich sind die Franzosen klug genug, sich an seinen geistreichen Wendungen zu ergötzen, seinen geschichtlichen Daten aber kein Gedächtniß zu leihen.

155 Kanne und Beethoven gehörten zusammen. Kanne's Haar war noch struppiger und wilder; sein knochiges Antlitz noch härter, seine Gestalt noch breiter, klobiger. Aber er hatte dieselben großen, grauen Augen. Ein Atlas von Gelehrsamkeit lief in seinem schmutzigen, grünen Flauschrocke umher. Ich glaube, am bekanntesten ist er durch seine Studien über Sittengeschichte; seine Studien über Musik waren aber vielleicht das Größte und Originellste, was er producirt hatte, und sie sind uns verloren; er hat sie zerrissen. Dissolut, unordentlich wie er war, machte er nie etwas fertig, hatte niemals Geld. Die ersten Bände seiner »Aesthetik der Musik« sind fertig, er bietet das Manuskript dem Musikalienhändler Steiner an, und verlangt Honorar dafür. Steiner weiß, daß er Alles liegen läßt, und verlangt erst die Vollendung des Werkes, dann werde es ihm willkommen sein. Erzürnt verläßt ihn Kanne, geht heim in seine schmutzige, jämmerliche Wohnung, und zerstört das unersetzliche Manuskript.

156 So sind wir um ein wahrscheinlich vortreffliches Buch gekommen. – Kanne war ein heftiger, halsstarriger Mann mit den wunderlichsten Eigenheiten. Wehe dem, der ihn auf der Straße von hinten ansprach: »Guten Tag, lieber Kanne!« und mit der Hand auf seine Schulter klopfte. – »Bandit infamer!« schrie Kanne, und hob seinen großen Stock in die Höhe, »ich dulde es nicht, daß mich Jemand von hinten anfällt, hol' Sie der Teufel!«

Es mochte ein noch so wackerer Genosse sein, es erging ihm sicherlich immer so. Ich erinnere mich nicht deutlich, ob es Kanne oder Werner war, welcher das Waschen für ein Vorurtheil erklärte; jedenfalls war Kanne diesem Grundsatze nicht ganz fremd; er war ein Nomade, der zufällig in dem Kreise vom Prater bis zur Wieden, von der Wieden bis zur Josephsstadt oder Landwehr sich bewegte. Er arbeitete auch nur auf der Straße; an seinem großen Stocke war eine Vorrichtung getroffen, daß er eine kleine Schreibtafel darauf etabliren konnte; 157 fiel ihm nun etwas ein, so stieß er ihn in die Erde, wo er eben war, – gewöhnlich im Prater, – und fing an zu schreiben, Noten, Verse, Gedanken, wie es kam. Wehe dem, der ihm über die Schultern gucken wollte, er knurrte ihn an, schüttelte seine verworrene Mähne wie ein zorniger Löwe.

Eben so wunderlich ist er auch gestorben. Man wollte nach einem Arzte schicken, als er sich nicht mehr vom Lager erheben konnte, aber in altem, ungeschwächtem Zorne fuhr er in die Höhe, als er das vernahm, und rief: »Ich werfe den Quacksalber, den Ihr mir bringt, kopfüber die Treppe hinunter.«

Als man sah, daß es völlig zu Ende ging, wollte man nach einem Geistlichen senden. Dieselbe energische Erklärung. Und so verschied er grollend.

Es muß ein tragischer Anblick gewesen sein, diese beiden unglücklichen Titanen, welche einander liebten, durch das Burgthor wandern zu sehen, stumm 158 nebeneinander, denn Beethoven hörte im Geräusch der Straße nichts, und Kanne führte Niemand am Arme, auch seinen Freund nicht.

Unerklärlich ist es, daß Kanne aus Leipzig stammte, aus einer so manierlichen, artigen Stadt. 159

 


 


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