Heinrich Laube
Reisenovellen - Band 3
Heinrich Laube

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Soldaten und Mädchen.

Die englischen Tories waren Napoleons unversöhnliche Feinde, die preußische Jugend brachte seine ungestümsten, die österreichischen Soldaten aber waren seine mauerfesten, ausdauerndsten Gegner.

Ungarn liefert die besten und stattlichsten Soldaten, sie sind von der Heimat her in Luft, Sonne und Regen gehärtet. Sie haben esprit de corps als Ungarn, und mögen zum Theil darum die gewandten, mehr vereinzelten Galizier übertreffen. Die ungarischen Grenadiere sehen aus, wie man sich bei der Xenophonlektüre die »Unsterblichen« des Artaxerxes denkt. Es ist eine Cyklopenlänge, welche durch 80 die Bärmütze in's Ungeheuere gesteigert wird. Wenn man diese langen Leiber in leichnamartigen weißen Jacken, mit grabschwarzen Kamaschen und Thurmmützen, mit jenen fahlgelben Gesichtern von der mongolischen Hochebene, mit den zerdunsenen, matten Augen, dem struppigen, dünnen, schmutzigen Barte, den braungelb ledernen Händen in Masse einhermarschiren sieht, so glaubt man wahrhaftig, es komme Pluto's Garde, die er sich in neuerer Zeit angeschafft habe. Ich habe nie einen Laut von solch einem ungarischen Grenadier gehört; er hat zwar da, wo wir Augen haben, auch so etwas; aber ich habe nie einen Blick von ihm gesehen, ich bin immer scheu an ihm vorübergegangen wie bei einem Waldmenschen, dem plötzlich seines Waldes Wildheit kommen könnte – und dann wäre kein civilisirter Unterleib sicher vor der langen Muskete mit dem langen Bayonnet.

Ich habe die Truppenmassen des Kaiserthums fast in allen Provinzen gesehen: eiserne 81 Unbekümmertheit lagert auf dem Ersten wie auf dem Letzten; man muß vollkommen überzeugt werden, daß sich in einem neuen Franzosenkriege wiederum kein Heer so ehern und zweifellos schlagen würde als das österreich'sche. Nur eine fanatische Begeisterung und überwältigendes Feldherrngenie könnte sie überwinden, eine bloß gebildete Armee, die da weiß, was Leben ist, überläßt ihr sicherlich das Schlachtfeld. Sie kommen daher marschirt, diese geschmacklos aber praktisch gekleideten Massen, wie eine Reihe metallner Figuren, in der ganzen Fronte nur der ein und einzige Gedanke auf das nächste Kommandowort, »eins zwei, eins zwei, aufg'schaut!« und so marschiren sie in den Höllenrachen hinein, wenn der Offizier nicht Halt ruft. Sie thun's nicht aus Subordination, sie haben zumeist in ihrem Leben nicht gehört, was Subordination sei, sie thun's, weil sie selbst subordinirt sind, einexercirt, instinktmäßig. Sie dienen dem Staate vierzehn Jahre, sie sind Soldaten ganz und gar, eine riesenstarke Armee, stark wie ein unwandelbarer Begriff.

82 Jene vierzehnjährige Dienstzeit trifft namentlich die österreich'schen Erblande, die meisten andern Provinzen dienen kürzere Zeit – die eigentliche Soldatenspielerei findet man nirgends; man sieht ihnen das ruhige, arbeitsvolle, todesernsthafte Geschäft an. Die Offiziere sind fast durchgängig bescheiden, ohne Poltronerie, äußerst gefällig, ja liebenswürdig.

Wenn die Bestialität der Massen nicht geweckt wird, müssen sie ein ganz angenehmer Feind sein, weil sie im Innern eine unüberwindliche Ueberzeugung von der geistigen Superiorität anderer Völker tragen. –

– Die Wiener Polizei hält sehr auf den äußeren Anstand, und so sehr auch das Vergnügen in Wien gepflegt wird, so wenig darf ein Theil desselben dreist auftreten. Alle derartigen öffentlichen Anstalten sind streng verboten, und am hellen Mittage werden die Kupplerinnen auf dem hohen Markte an den Pranger gestellt. Ihre Klientinnen gehen mißvergnügt unter der Volksmenge umher, und murmeln von Vorurtheilen und beschränkten Ansichten. 83 Dieß war die einzige Andeutung zu einer kleinen Emeute, die ich dort gesehen habe, und sie saß nur auf den Lippen einiger unternehmenden Frauenzimmer, welche andere Ansichten über die Liebe hegten, als das Gubernium.

Von den leichtfüßigen Kindern, die sonst am späten Abende durch's Palais-royal tänzelten – sonst, denn dieß Orleanistische Palais ist jetzt auch tugendhaft geworden – und manchen schüchternen Jüngling aufmunterten, manchen ernsteren abschreckten, von denen, die in Hamburg an der Alster bei den Laternen vorüberschäkern oder seufzen, von diesen leichten Nymphen sieht man in Wien Abends nach dem Theater nichts auf der Straße, die Polizei hält das nächtliche Bekanntschaftsuchen für unschicklich. Und doch giebt es in Deutschland keinen Ort, der im Verhältniß zu Größe und Einwohnerzahl so viel lustige Mädchen darböte als Wien. Ich habe es schon erwähnt: die Mädchen gedeihen nun überhaupt in Wien vortrefflich, denn ihr Aufwachsen wird durch kein frühzeitig Denken, Lesen, durch 84 keine Romantik und Sentimentalität gestört, sie haben alle von Hause aus guten Appetit und runde, volle Formen, sie werden in einem halben Katholizismus aufgezogen, der die bequemste Religion unter der Sonne ist, weil er Alles vergiebt, ein lustiger Weltgeistlicher – sie sehen von Jugend auf alle Welt nach sinnlichen Genüssen jagen, die Hauptfrage hören sie ewig, ob etwas gut schmeckt, und »wie hoben sich Euer Gnoden unterholten?«, die stets wandelnde Woge von Fremden erhält sie fortwährend in Athem, sie haben ein weiches, üppiges Klima, warme Nächte, die Niemand erkälten – was Wunder, daß die Sensibilität größer als sonstwo ist. Da der Abend ihnen zum Kennenlernen verschlossen ist, so werden sie an's Sonnenlicht und zur Dreistigkeit genöthigt, sie wandeln um die Mittagsstunde den Kohlmarkt und Graben entlang inmitten der par excellence anständigen beau monde, und es gehört das Auge eines Linné dazu, um diese verschiedenen Pflanzenarten zu unterscheiden, da das lustige Mädchen so freudig und elegant gekleidet geht, 85 wie die Fürstin, und die Fürstin auf der Straße so einfach wie diese. Indessen sind die Oesterreicher in der Naturgeschichte zu Hause, und leisten darin das Unglaubliche. Erst vor wenigen Jahren hat wieder ein Oesterreicher aus Mähren das Kreosot erfunden, was gegen Zahnschmerzen hilft, und ich habe sie auf dem Kohlmarkte und Graben nie in Verlegenheit gesehen.

Seit einiger Zeit hat nun auch Wien das literarische Freudenmädchen Deutschlands acquirirt, Mamsell Saphir.

Die Partie der Fremden ist übrigens in Wien sehr interessant, und nicht in Vergleich zu setzen mit der in den Norddeutschen Städten, wo die meisten Fremden nur des Geschäfts und Handels wegen hinkommen. Das österreich'sche Prohibitivsystem läßt nicht viel Geschäftsfremde zu, einige Orientalen etwa, die unten am Eingange der Leopoldstadt rauchen, und so faul sind, daß man ihnen kein Geschäft abmerkt, das schmierige Publikum der Musterreiter fehlt aber ganz. Die große Menge von Fremden, die man in Wien erblickt, ist meist 86 lediglich da, um sich zu amüsiren. Wien ist die deutsche Villa, wo der norddeutsche Römer ausruht von des Regierens Mühen, unser Tusculum und Liternum. Diese Muse wird befördert durch den Anblick der wohlgeölten Staatsmaschine, der fröhlichen Menschen und Mädchen – man wundert sich, daß in Wien auch gearbeitet wird, daß nicht Manna vom Himmel fällt und süßer Wein aus den Dachrinnen sprudelt. 87

 


 


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