Heinrich Laube
Reisenovellen - Band 3
Heinrich Laube

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Die Künstler.

Man ist in Wien viel auf den Beinen, und wenn ich frage, worin eigentlich das große Vergnügen besteht, was Einen fortwährend in Athem erhalte, so stockt man mit der Antwort. Es ist wie mit mancher Poesie: man weiß ihr Dasein nicht alsbald zu definiren. Und meisthin sind diese undefinirbaren Freuden größer als sonstige, denn sie liegen weniger in der Berechnung, dem Ursprünglichen und Natürlichen näher, und Gott bleibt schon einmal größer als die Menschen.

Indessen hat's mit den Wiener Freuden keine gar so bloß göttliche Bewandniß, man braucht doch recht viel irdische Dinge dazu: einen guten Appetit, einen Beutel voll Geld, gutes Wetter, Schönbrunn, 88 Tivoli, Hietzing, Laxenburg, die Theater, die Fiaker und Manches, was man zu verschweigen pflegt. –

– Das Wort Künstler grassirt sehr in Wien, und man muß immer genau hinhören, was die Leute darunter verstehen. Jedes Volk fühlt ein Bedürfniß nach Darlegung gewisser geistiger Regsamkeit, und so berufen sich denn auch die Wiener auf die schönen Künste, die bei ihnen auf's Trefflichste gediehen. Sie fragen mit sehr wichtiger Miene, ob man bei'm Theseus, im Belvedere und in der Porzellanausstellung gewesen sei, und ob man den Kaiser Joseph habe reiten sehen.

Es ist wirklich auffallend, daß Wien in Malerei, Bildhauerei und Skulptur nicht mehr leistet, da hierin aller Ausdruck, alle Konkurrenz freigegeben sind – vielleicht fehlt es an Ermunterungs-Instituten? Was leistet das kleine Düsseldorf, was leistet München, Dresden, Berlin daneben. Ein Herr Professor Höfer schneidet recht hübsch in Holz, und ein Anderer zeichnet scharmante Modekupfer in die Zeitung, auch werden die Haus- und 89 Ladenschilder sehr artig gemalt, wie wir das bald eines Breiteren sehen werden; aber das ist Alles und wahrhaftig doch nicht genug für Wien. Kunstfertig ist es überaus, aber wo ist die Kunst, wo ihre Thaten? Das Belvedere enthält schöne Sachen von alten Meistern, was können dafür die Wiener? Die Porzellainniederlage mit ihren Malereien ist artig, sehr artig, aber es bleibt doch nur ein spielendes Genre, der Kaiser Joseph hat ein schönes Pferd. – Ich muß gestehen, daß mich die Entdeckung selbst im höchsten Grade überrascht, warum man nicht in Wien eine komplette Künstlerschule zu Stande dringe. Das ruhige, von keinerlei staatlichen Dingen gestörte Leben, das heitere, sinnliche Auge des grünen saftigen Landes, der reiche Adel, die leichte Verbindung mit Italien, die schönen Menschen, dazu Minister an der Spitze, voll Geschmack und Schönheitssinn, wie Metternich – wahrlich, es ist ein Räthsel, daß wir nicht schon eine glänzende Wienerschule haben, welche sich an Natürlichkeit 90 der niederländischen anschlösse und an Farbenreiz und irdischer Schönheit der venetianischen.

Jetzt, während ich diese Blätter für den Druck ordne, höre ich, daß man in Wien eine großartige Akademie errichten wolle, welche Wissenschaften und Künste aller Art umfassen werde.

Der Theseus im Volksgarten zu Wien stammt bekanntlich von Napoleon her, diese Ueberwältigung des Minotaurus war vielleicht ein Sinnbild, wie er selbst die Revolution mit ihren Ausschweifungen erwürgt habe. Er wußte es auch, wohin des Theseus Kampf zu stellen sey: auf den Alpen sollte er stehen, wenn ich nicht irre, auf dem Simplon; die Straße und der Theseus sollten die Gewalt des menschlichen Halbgottes über die ungeheuersten Massen der Natur darstellen. Dort oben, wo sich Deutschland, Italien und Frankreich begegnen, sollte die kolossalste Macht und Kunst dem harmlosen Wanderer in die Augen leuchten.

Und wirklich; für den Titanenkampf mit solchem Ungeheuer muß man Raum sehen – zu Wien 91 im Volksgarten hat man ihn in ein kleines Tempelchen gesteckt, und es steht zu fürchten, daß Theseus die nahen Wände wie Kartenwände einbricht, so bald er mit der Arbeit fertig ist und sich nach Art der alten Helden reckt und dehnt, um die Glieder in Ordnung zu bringen. Es ist ein drückender Gedanke, Großes und Gewaltiges in eine kleine Schachtel gepackt zu sehen. Wollte man seinen Teint durchaus vor Wind und Wetter schützen, nun so hätte man ein hohes luftiges Dach bauen können, was auf hohen schlanken Säulen schwebte, die Säulenreihen, weit auseinander, konnten den Raum offen lassen für Riesenschritte, ihn vervielfältigen durch die verschiedenen Richtungen, und dem Ganzen auf diese Weise das Ursprüngliche, Weitausgreifende eines Titanenbildes gewähren.

Man erzählt oft von einem seinen Kritiker, welcher bei'm Anblick des olympischen Zeus, den Phidias geschaffen, in die Worte ausgebrochen sei: Wenn Zeus von seinem Throne aufsteht, so stößt er die Decke des Tempels entzwei wie eine Eierschale. 92 Kurzsichtige Leute nehmen das nur immer für ein Lob des Phidias und der gewaltigen Augenbraue Zeus Kronions; es ruhte auch der witzigste Tadel des Tempels darin.

– Man malt wirklich schöne Schilder in Wien, und es besteht eine scharmante Art von Rivalität unter den Kaufleuten, das schönste Schild zu haben. Die Hälfte dieser Schilder stellt fürstliche Personen dar: der Kaiser von Oesterreich in allen Trachten, der König von Preußen in ungarischem Nationalkostüm, der König von Ungarn, der Primas von Ungarn, fürstliche Damen von der verschiedensten Schönheit, ein Amor, der Bänder verkauft, eine Jungfrau von Orleans, die mit Seidenzeugen handelt, ein Bischof, der Luxusartikel feil bietet; nur ein Pabst fehlt.

Die sogenannte schöne Wienerin, eine Wachsfigur, welche immer nach der neuesten Mode angekleidet ist, repräsentirt wegen steten Wechsels die Revolution und steht unter Glas.

93 Im Allgemeinen aber heißt in Wien Künstler so viel als Schauspieler. Das Schauspiel ist Mittelpunkt des Wiener Lebens, des Wieners Stolz und Sehnsucht und Vergnügen. Was dem Pariser die Journale, das sind dem Wiener die Theaterzettel: er studirt, glossirt, memorirt sie. Brot und Spiele war für die Römer nothwendig, Mehlspeis' und Spiele für die Wiener. Für den Schauspieler ist Oesterreich noch das Land der Mährchen, sie sind noch wichtige historische Personen, dürfen noch sagen: »Tischlein deck Dich,« dürfen nicht getadelt werden; ihre künstlerische Unbeflecktheit schützt die Censur.

Wäre das Theater noch nicht erfunden, die Oesterreicher erfänden es.

Der Kaiser unterhält zwei Hoftheater, das Schauspiel an der Burg, in seinen Darstellungen das beste Deutschlands, und die Oper am Kärnthnerthore. Außerdem existirt ein Theater an der Wien, in der Josephstadt und Leopoldsstadt.

94 In all' diesen Häusern wird täglich gespielt, und kein's derselben ist in den schönsten Sommertagen leer.

Als Sonderbarkeit ist noch anzuführen, daß der Unternehmer des Possentheaters in der Leopoldstadt den Namen führt: Franz, Edler von Marinelli.

»So lachen Sie doch, Marinelli!«

»Gleich, gnädige Gräfin, gleich!« 95

 


 


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