Reise durch das Biedermeier
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Rügen

Ein gefälliger Hausgenosse weckte mich mit der Nachricht, es liege ein kleiner Schoner zur Abfahrt nach Rügen bereit, der in zehn Minuten in See stechen wolle. Ich entschloß mich schnell, flog in die Kleider, steckte ein paar Bücher in die Manteltasche, wie arme Leute ein Stück Brot überall mitnehmen, und sprang an das Bollwerk. Das Dampfschiff ging nicht mehr, eine Privatfahrt auf einem kleinen, raschen Schoner war das einzige Mittel, die gepriesene Insel, Deutschlands Thule, zu sehen. Es wäre eine Schande für die Abendzeitung gewesen, hätte ich mich an der Ostküste herumgetrieben und das offizielle Ziel der Reisenden nicht besucht. Luise, die dienstbare, stürzte mit zwei Buttersemmeln hinter mir her, denn ich hatte das Frühstück im Stiche gelassen. Aber wie Ariadne konnte sie nur die Arme erfolglos nach dem Wasser strecken, wir lavierten bereits aus dem Hafen. Wenn Theseus auch gewollt hätte, und er verlangte wirklich nach den Buttersemmeln, das Geschick und der Schiffer Ulrich wollten nicht.

Das kleine Fahrzeug war ganz vollgestopft von Reisenden. Kaum fand ich einen bescheidenen Platz. Ich hoffte, mich zurückgezogen in den Mantel hüllen und den Elementen wie dem Menschenhäuflein ungestört zuschauen zu können. Aber Schriftsteller sind wie Gebrandmarkte oder Lorbeerbekränzte: sie sind nirgends unbekannt. Aus dem fremden, chaotischen Knäuel wickelte sich schnell ein munterer Sachse, dem ich schon einmal begegnet war, und der mich begrüßte. Die Gesellschaft bestand vorwiegend aus Studenten und jungen Gelehrten und war sehr munter. Es war allerdings nur eine angewöhnte Munterkeit, namentlich die Studenten lärmten vielfach in ihrer Tradition unechter Lustigkeit. Man erklärte, das Junge Deutschland sei nur auf dem Lande verboten, auf der See könne man es leben lassen.

Öffentliche Personen erkaufen alles mit verletztem Schamgefühl. Die Welt rächt alles Heraustreten in irgendeiner Weise. Das leichtblütige Mädchen bezahlt ihre Lust mit dem Tratsch, der ihr nachläuft, und den Fingerzeichen, die auf sie gerichtet werden. Seit einigen Jahrzehnten behandelt man die bekannteren Schriftsteller eben auch wie Mätressen des Publikums. Aber auch das wirkliche Verdienst wird beneidet, wenn natürlich auch gelobt. Lob ist auch eine Verletzung, wenn auch eine durch Blumen.

Indessen, früh auf dem Meere stellen sich bald erquickendere Gedanken ein. Die Sonne stieg glänzend über das Wasser empor, und der Südost blies frisch und voll um die geteerten kleinen Segel. Die pommersche Küste grüßte mit dunklen Wäldern zu uns her, die weißen Häuser von Heringsdorf glänzten und lachten. Hier nimmt das kleine Seebadetablissement die Ruhesuchenden freundlich auf, hier stört kein Gesellschaftshaus und keine Saison. Das Meer liegt im Gegensatz zu Swinemünde ganz nahe. In Heringsdorf wohnen Poeten, die keine bewegte Welt brauchen und eine halbe Einsamkeit suchen, resignierte Mädchen, Professorenfrauen mit vielen Kindern, Diätiker mit starken Grundsätzen und andere ehrliche Leute. Übrigens ist Heringsdorf einer von den Orten, an den sich seit Jahren dieselbe Drohung knüpft. Man sagt nämlich in jeder Saison, es werde Swinemünde übertreffen. Dies soll ein Hauptgenuß der Leute sein, die hier ihre Kur verleben.

Die Küste blieb immer weiter linksab von uns. Keck und kühn ging es mitten in die See hinein. Die waldigen Uferberge von Usedom wurden ferner und flauer. Ich sehnte mich sehr nach dem offenen Meere. Aber auch als ich schon nichts als Himmel und Wasser sah, gelang mir die Illusion, mich mitten auf dem Meere zu befinden, nur schlecht, da der Schiffer sagte: »Bei gutem Wetter sieht man in Südost diese Küste, in Nordwest jenes Eiland.« Nach Rügen hin aber wird selbst ein mittelmäßiges Gesicht die brutalsten Störungen nicht los. Rückwärts verläßt einen der blaue Streifen und die Spitze von Usedom nicht, und bald erheben sich vorwärts aus den Wogen zwei Inseln, Rüden und Oie, zwischen denen sich die Fahrt hindurchwindet. Hinter ihnen erblickt man bereits den blauen Punkt von Mönchgut, dem südlichen Teile Rügens.

Die östliche Meeresküste Usedoms, aus der wir herausgesteuert waren, hat den pommerschen Historikern mit den Geheimnissen ihrer Unterwelt schwer zu schaffen gemacht. Da sollen versunkene Städte von wunderbarer Pracht und Herrlichkeit schlafen, mit goldenen Toren und silbernen Türmen, die schon mit den Griechen Handel getrieben hätten. An hellen, stillen Sonnentagen will man die Glocken von Vineta unter dem Meere läuten hören und die Turm- und Kirchendächer durch das Wasser leuchten sehen. Die größte Handelsstadt des Nordens sei dort mit ihrem außerordentlichen Reichtum von den Fluten verschlungen worden, erzählt man. Wenn heutzutage ein Schiffer darüberfahre, der gottlos und schlecht gesinnt sei, so geschehe ihm das größte Unglück.

Wenn ihm zum Beispiel seine Liebste nicht mehr gefallen habe und er habe sie verlassen, so finde er sie dort wieder, erzählte Ulrich der Schiffer, sagte »Brr« dabei, schüttelte den Kopf und nahm einen Schluck aus der Strohflasche.

Wie überallhin, haben auch hier die Rationalisten ihre Nase in das Meer gesteckt und wollen die unterirdische Welt mit der Bemerkung vernichten, die goldenen und silbernen Mauern, Tore und Türme der klassischen Handelsstadt Vineta seien einfach Felsenriffe, die man bei gutem Sonnenscheine sehen könne. Als ob die wichtigsten Dinge mit einer dummen Erklärung überhaupt zu erledigen wären. Das Wort »Erklärung« ist überhaupt schon ein naseweises Wort.

Braun und blau hob sich die Küste von Mönchgut immer deutlicher vor uns aus den Fluten. Unser Südost war stetig und frisch und legte sich mit vollen Armen in die Segel. Die bebuschte Insel Vilm, die in der Bucht von Putbus liegt, stieg ebenfalls aus der See. Putbus liegt eine halbe Stunde vom Strande und sieht mit seinen schneeweißen, manchmal etwas kahlen Häusern wunderlich frischer Wäsche ähnlich, die auf das Plätten wartet. Die Küste ist schön bewaldet. Im Meere stehen bunt wie stille Pagoden die Badehütten, durch die Büsche winkt lockend ein stattliches weißes Badehaus. Dieses mit Säulen geschmückte Gebäude erweckt große Erwartungen. Mit einem munteren Sachsen, einem jungen, rüstigen Pommern und zwei trübseligen Siebenbürgern ging ich auf das Badehaus zu. Da die Siebenbürger es leichtsinnig fanden, in einem unbekannten Meere zu baden, ließen sie uns andere allein durch den Eichenwald nach dem Strande schreiten. Inschriften auf Inschriften bekundeten uns, in welch zivilisiertes Ländchen wir gekommen seien. Durch Tafeln an den Bäumen wurde vorgeschrieben, wo die Damen hinzugehen und nach welcher Seite sich die Herren zu wenden hätten. Der junge Sachse seufzte und erklärte, alte wendische Zustände seien ihm lieber. Die Vorschriften fand er sehr unpassend. Er wolle in vielen Dingen den Weg selber suchen, und es komme ihm auf eine kleine Verirrung durchaus nicht an, erklärte er.

Vom Meeresstrand aus öffnet sich ein hübscher Blick zwischen dem Vilm und der schräg überliegenden Küste hinaus auf das Meer. Weit draußen auf der Wasserfläche sieht man die Türme von Greifswald schimmern.

Angesichts dieser Stipendienstadt, wo trotz Hering und Stipendien immer so wenig Studenten waren, daß die Professoren äußerst ökonomisch mit ihnen umgehen mußten, um lesen zu können; wo auch der mathematische Grundsatz erfunden wurde: »Tres faciunt collegium«, angesichts dieser edlen Stadt stürzten wir uns ins Meer. Ich kann mir wohl denken, daß diese Türme, die man bei gutem Wetter und mit gesunden Augen am Horizonte sieht, dem Seebade Putbus nachteilig wurden: es hat etwas Schamverletzendes, von Türmen im Stande der Unschuld betrachtet zu werden. Wie leicht könnten Studenten, die nächst den Referendarien und den Damen des Serails am meisten Zeit haben, tubusbewaffnet auf diesen Türmen erscheinen und das größte Unglück anrichten!

Sonst ist das stille Meer, das heißt, die stille Ostsee, daran schuld, daß dieses Seebad nicht so besucht wird. Einmal nämlich ist die Bucht überall vom Lande eingeschlossen und nur nach dem Süden zu teilweise offen, dann sind auch die Südwinde seltener und immer schwächer und kommen obendrein vom Lande her. Es fehlt also ganz und gar am Wellenschlag, diesem geheimnisvollen Reiz eines Seebades. Die Oberfläche des Wassers ist glatt wie ein Teich. Man hat wegen des mangelnden Wellenschlages schon vorgeschlagen, an der sogenannten Granitz, wie dieser waldige Teil der Insel genannt wird, ein Seebad einzurichten, indessen paßt aller übrige Zuschnitt, der mit großem Aufwande für Putbus geschieht, nicht dafür. So wurde denn Putbus ein heiterer Sommeraufenthalt ohne besondere Betonung seines Charakters als Seebad.

Der Weg zu diesem Ort führt zwischen Feldern über eine mächtige Anhöhe hinauf. Wir traten sogleich in den Park- und Schloßbereich, der sich an den Hügellehnen hinzieht. Es war ein milder, sonniger Tag. Unter den schönen großen Bäumen war es still, im stattlichen Schloß saßen die Besitzer bei der Tafel. Alle Eingänge und Wege waren sauber und vornehm. Dick und behaglich lehnte der Portier am Schloßeingange, sein großer Hund, der neben ihm ruhte, blinzelte uns schläfrig an. Von der Seite lockte samtgrün ein schöner Grasabhang, auf dem das Gewächshaus steht. Sanft wird das Auge von hier hinabgeleitet auf Strand und Meer. Alle Ruhe und Behaglichkeit eines schönen und sorglosen Lebensstils umfing uns mit weichem Hauche. Wir legten uns auf den Rasen und träumten von schönen Versen, von treuen Augen, von weichen, streichelnden Händen und von sanfter Musik. Der tiefe Schatten des schönen Parkes mit seinen weißen Gebäuden führt noch weiter zum Tiergarten, wo große Hirsche in bequemer Gefangenschaft ihr Leben verträumen. Diese Anlage ist noch sehr jung, ursprünglich war sie ein Wald, in dem das Putbusser Steinhaus lag. Daraus wurde ein Schloß, der Wald lichtete sich zum Park. Jetzt bewegt man sich unter diesen Bäumen, als sei man in Altengland auf dem müßigen, reich gepflegten Boden eines Millionenlords, der Wald und Meer zu seinem Behagen nötigen kann.

Nach der Saison hat das weiße Städtchen in seiner Leere etwas Totes. Man hört die eigenen Schritte. Ich kaufte mir für zwei Silbergroschen einen Eichenstab und begleitete meinen Gefährten aus dem offenen Örtchen hinaus nach dem Walde und den Bergen zu.

 

Rührend ist die aristokratische Absonderung kleiner Inseln, wie es Hiddensee und Ummanz sind. So wie die Neapolitaner und die Pariser stolz auf die übrigen Italiener und Franzosen herabsehen, so nennen die Ummanzer ihr Inselchen vorzugsweise »das Land«. Sie verkehren ungern mit den Rügenern und wollen es auch nicht gerne gestatten, daß einer von ihnen eine Rügenerin heiratet. Die Hiddenseer nennen ihre kleine Insel das »söte Länneken«. Manche von ihnen kommen ihr Lebtag nicht nach Rügen. Auch ihre Sprache sondert sich etwas ab. Ihre Kleidung fertigen sie sich selber an.

Ganz verschieden von den hoch und schlank gewachsenen Hiddenseern sind die großen und starkknochigen Mönchguter mit ihren vorwiegend dunklen Haaren. Ihr Platt wird selbst von den anderen Rügenern nicht verstanden. Ihre Tracht ist sehr charakteristisch. Schwarz herrscht als Farbe darin vor. Sie tragen eine selbstgewählte weite Jacke, zwei Paar Beinkleider übereinander und darüber noch weite Fischerhosen. Die Frauen setzen eine hohe kegelförmige Mütze auf, in der so viel Zeug steckt, als eine Grisette zur ganzen Bekleidung ihres unteren Körpers braucht.

Darüber wird noch ein Strohhut gestülpt. Ehefrauen und Jungfrauen unterscheiden sich durch ein Band an der Mütze. Der Busenlatz ist bei Festkleidern rot und mit Silber- oder Goldstreifen besetzt.

In den sehr niedrigen Wohnstuben leben diese Leute höchst einfach, meist von Fischen. Wir Binnenleute könnten bezweifeln, daß diese Nahrung für so weitläufige Gestalten ausreiche. Ihre Antipathie sind das Kalbfleisch und die Putbusser.

Es wird erzählt, daß die Frauenzimmer das Recht haben, den Mann, der ihnen gefällt, selbst anzusprechen. »Na ehn' utstellen« (nach einem ausstellen), wie sie sich ausdrücken. Außerdem hörte ich von einer originellen Landessitte. Wenn ein Mädchen nämlich heiratsfähig ist, so hängt sie ihre Schürze ans Fenster und darf nur unter den Männern wählen, die vorübergehen. Sind nun Eltern und Verwandte gegen eine Liebschaft, so zwingen sie das Mädchen, die Schürze zu einem Zeitpunkt auszuhängen, da der Liebste zur See ist und nicht bei ihr vorüberkommen kann. Da steht nun das arme Mädchen und schilt das Meer. Weinend guckt sie aber doch durch die Lücke, ob nicht wenigstens ein leidlicher Stellvertreter gewählt werden könne.

Das Hauptinteresse Mönchguts gilt dem Seehund, der zahlreich an der Küste herumstreift. Ist einer in den Netzen gefangen, so gibt es ein Landesaufgebot. Weiber und Männer tanzen am Strande und singen einen uralten Reigen, ehe sie an den Feind gehen.

 

Es war ein stiller, niedriger Wald, durch den wir nach Bergen wanderten. Hinter ihm öffnete sich ein hügeliges Land, in dem hin und wieder wie Ruheplätze einzelne Gehöfte, umgeben von Bäumen, lagen. Gegen Sonnenuntergang sahen wir auf einer mäßigen Höhe das Städtchen vor uns. Es war ein Landstädtchen ohne besonderen Charakter, aber Mittel- und Hauptpunkt des Landes. Dicht in der Nähe liegt der Rugard, die gepriesenste Höhe der Insel. Er ist der Rest einer alten Wallburg auf einer kleinen Anhöhe. Um Wälle und einzelne Teile der Festung auszumachen, muß man über einige Phantasie verfügen. Hier soll das alte Residenzschloß der Fürsten von Rügen gestanden haben. Von hier sieht man ganz Rügen. Nach Norden und Osten jenseits des offenen Wittows, des bebuschten Jasmund und der dunklen Granitz die uferlose, ins All verschwindende See. Darüber der Hauch des Abendrotes, das von Pommern herüberglimmt. Auf der anderen Seite Küsten und Inseln, Einschnitte und Buchten, Türme und Kirchen. Zunächst Stralsund, weit hinab Greifswald, noch weiter Wolgast und die blaue Spitze von Usedom, dazwischen alle Stationen unserer Fahrt.

Den andern Morgen schritten wir durch sanfte Hügelschluchten, an Berglehnen über kleine, stille Plateaus. Die Sonne schien freundlich, der Tau blitzte, ein Schäfer grüßte uns freundlich, umgeben von seiner Herde. So kamen wir an die Abdachung, die zum Jasmunder Bodden abfällt. Mit Freuden sahen wir auf der breiten ruhigen Wasserfläche einen matten Sonnenstrahl tanzen. Die Luft war still, alles lud zur Beschaulichkeit. Das Meer ausgenommen, macht alles auf Rügen einen kleinen, gefälligen Eindruck. Die Berglehnen sind niedrige, sanfte Hügel, das Gestein ist weich und bröcklig, die Wälder sind freundlich und bestehen meist aus Buchen von mäßiger, halbjunger Stammstärke.

Wir schifften über den seichten Bodden, schritten über die Hügel, die Jasmund schützen, und gelangten durch breite Hügelbecken gegen Mittag in das Städtchen Sagard. Dieses Örtchen mit seinen krummen Straßen hat zwei tote Merkwürdigkeiten und eine lebendige. Am Leben ist der Wirt des Gasthofes, dessen Namen ich leider vergaß, der aber in seinem grünen Rocke, in seiner rüstigen Wohlgenährtheit und taktfesten Geschäftigkeit noch lebendig vor mir steht. Der Mann gewährt mir die beste Erinnerung: er betreibt nämlich einen kleinen Gasthof so rührig, befriedigt seine Gäste und beutet sie aus, liebt und pflegt seine hübschen Kinder und ist über alle Merkwürdigkeiten Rügens gut unterrichtet. Im Wirtszimmer hat er sich eine Sammlung von Raritäten angelegt und gibt Auskünfte über alle Steine, Muscheln, Opfermesser, Streitäxte und Urnen, die sich auf, bei und unter Rügen irgendwo vorfinden. Das meiste hat er selbst zusammengesucht, er steht mit berühmten Forschern im freundlichsten Verkehr. Das flicht sich alles so anspruchslos und doch bewußt mit seinen gewöhnlichsten und beflissensten Gastwirtsorgen für ein Beefsteak oder ein Glas Bier durcheinander, daß es wirklich an ein Ideal erinnert, wie wissenschaftliche Forschung mit alltäglicher praktischer Wirksamkeit verbunden sein könnte. Ein sehr schmerzhaftes Gegenbild zu ihm ist der Barbier von Sagard, den Gott und die Kunst bessern mögen.

All dies erfuhren wir in dem kleinen Städtchen. Damit war es aber noch nicht zu Ende; zwei lange, unbedeckte Korbwagen fuhren vor. Die Pferde waren ziemlich gewöhnlich angeschirrt, es waren aber prächtige Tiere, deren reines Blut man auch in der unscheinbaren Tracht und Umgebung leicht erkannte. Solche Korbwagen hat man in Mecklenburg. Es fahren dort und in Holstein ganz noble Leute darauf. Die Pferde konnten auch nur aus Mecklenburg stammen. Die Gesellschaft, die das Gespann besaß, mußte also notwendig aus Mecklenburg sein. Die Damen waren es bestimmt: von großem, vollem Wuchse, mit weiten blauen Augen, mit festem weißem, luftig gerötetem Fleische, nicht fein, aber üppig, kräftig, mit tüchtiger Gutmütigkeit in den Zügen, großen weißen Zähnen und dichtem braunblondem Haare. Die eine trug ein weißes Kleid, die andere ein schwarzes. Beide gefielen uns sehr. Nach der Unbefangenheit ihrer Art gingen sie leicht in ein Gespräch ein. Wir waren im Begriffe, nach Arcona zu fahren, sie stiegen eben auf den Wagen. Von allen Herrlichkeiten der Welt hatten wir im Augenblicke nichts anderes zu wünschen, als daß diese freundlichen, schönen Mecklenburgerinnen auch nach Arcona fahren würden. Lieb und zutraulich fragten sie: »Sie fahren gewiß ebenfalls nach Stubbenkammer?«

»Herr Gott, nein, wir törichten Menschen haben einen Wagen bestellt – geschwind, läßt sich das nicht ändern?«

Da rasselten sie schon fort, die im weißen Kleide sah sich ermunterungsvoll um. »Meine Herren, ändern wir den Plan.« Aber die Siebenbürger blieben unberührt, der Sachse konnte sie auch nicht überzeugen, und wir mußten auf dem harten Wagen über die Schabe nach Arcona mitpoltern.

Wir mußten wieder zurück nach der westlichen Hälfte der Insel, an deren Nordspitze ein Vorgebirge liegt. Obwohl der Jasmunder Bodden zwischen Jasmund und Wittow liegt, konnte das zu Lande geschehen. Wie eine skurrile Ironie drängt sich nämlich eine schmale, klägliche Landzunge zwischen den Bodden und das Meer. Nirgends habe ich so viele Möwen gesehen als auf der Schabe. In allen Farben sitzen sie da und konspirieren. Der Wagen fährt meist mit einem Rade in der See, um festen Boden zu haben. Die Möwen lassen ihn oft ganz nahe kommen. Die Siebenbürger waren nicht so ruhig wie sie. Sie versicherten dem Kutscher, nicht schwimmen zu können. Der lachte aber bloß: hier gebe es keine Unebenheiten, der Meeresstrand sei gleichmäßiger Sandboden.

So fuhren wir denn halb im Wasser und fortwährend zwischen zwei Wassern. An einigen Stellen ist die Schabe nicht breiter als zwei oder drei Normalstraßen. Im Winter mag wohl die Passage hier durch das Eis gehemmt sein.

Die Meeresbucht, auf deren innerem Landesbogen wir fuhren, wird auf der östlichen Inselhälfte durch Jasmund begrenzt. Schief vor uns lag auf Wittow, an der Spitze der Insel, Arcona. Die Gestade glänzten wie Kreidefelsen aus der Ferne. Der Leuchtturm von Arcona, in dessen Nähe sich noch einige Wallreste der alten Jaromarsburg finden, sah wie ein Kastell über das Meer zu uns herüber.

Die Sonne schien freundlich, wir ließen zu großer Beunruhigung der Siebenbürger den Wagen etwas weiter in das Meer fahren, machten ihn zur Garderobe und wateten in die See hinein. Nicht einmal das Meer hält heutzutage sein Wort: sein Anblick versprach Reinheit der Gesinnung, doch erfüllte schwarzer Schleim die Strandquellen und machte uns schmutzig. In großer Menge schwimmt hier der Seestern umher. Er gleicht aus der Ferne einer kleinen platten Muschel, in deren Nähe sich eine weißliche Gallertmasse mit dunklem Mittelpunkte zeigt.

Es war gegen Abend, als wir den Leuchtturm dicht vor uns sahen. Der Himmel hatte sich bedeckt, die Sonne ging rot unter. Wir stiegen aus und traten an die nördlichste Spitze Deutschlands. Ein feiner Staubregen perlte auf die Blätter der Bäume.

»Treten Sie nicht zu nahe an den Strand, der Boden bröckelt, dieses Nordkap Deutschlands fällt nicht so imponierend ab, wie man es gewöhnlich zu beschreiben pflegt.« Es ist allerdings eine Bergspitze, aber kein stolzer Fels, an dem sich die Brandung bräche, sondern nur Geröll aus Lehm und Erde. Ist das Meer ruhig, so bedeckt es nur zuweilen mit einer Sprungwelle die Steine am Fuß der Anhöhe. Wahrscheinlich löst sich hier von Jahr zu Jahr immer ein wenig vom Boden. In Rechnung auf den nachgiebigen Boden hat man auch den Leuchtturm eine Strecke zurück erbaut.

Solch ein Leuchtturm ist sehr kostspielig. Es ist schwierig, ein Licht zu erhalten, das meilenweit gesehen werden muß. In alter Zeit, da das Holz noch wohlfeil war, brannte man Holzstöße ab. Jetzt werden die Leuchttürme mit sauberen Öllämpchen versehen, deren Schein von einem dreifachen Kranze blank schimmernder Kupferkessel zurückprallt. Wir waren dabei, als in dem verglasten obersten Räume des Turmes das Feuer angezündet wurde. Wir bewunderten die glänzend polierten Geschirre und ließen uns durch den knochigen, kurzangebundenen Pommern von den Schiffen erzählen, die zu Sturmeszeiten in wilden Nächten Hilfe erbäten. Der Mann hatte Ordenszeichen und Medaillen, besonders von den Schweden, denen er mehrere bedrängte Schiffe rettete. Er versprach uns zur Nacht einen soliden Sturm.

Wir waren in dem schmalen Stübchen wie auf einem Schiffe eingeschlossen. Wir schliefen noch nicht, da erwachten schon draußen die Wetter. Ich suchte mir eine Luke zum Hinausblicken und dankte Gott, daß ich ein Schriftsteller und kein Leuchttürmer sei. Schwarz stürzte das Meer aus der Finsternis in den bleichen Lichtschimmer.

Einer der Siebenbürger machte die triviale Bemerkung, ›Übung tue alles‹, und huschelte sich wieder tief in die Bettdecke, um den Sturm nicht zu hören und die Erschütterung des Sturmes weniger zu empfinden.

 

Wir schliefen gut, und als wir zum Sonnenaufgang geweckt wurden, war alles vorbei. Den Lesern wird hier die Beschreibung eines Sonnenaufganges erlassen, den sie in jedem leidlichen Romane nachlesen können. Wir fuhren durch die vom nächtlichen Regen eingewässerten Wege eiligst zurück nach der Schabe. Endlich waren wir wieder auf Jasmund, und weiter ging es über kleine Hügel und Täler. Wir kamen in den lichten grünen Wald des Stubnitz und hofften, bald Stubbenkammer und unsere Mecklenburgerinnen zu sehen. Wir hatten aber kein Glück. Mitten während eines Gespräches rollten die Wagen mit Mecklenburgs Stolzen an uns vorüber. Verschlafen und melancholisch grüßte die Coeur- und Piquedame. Besonders die Coeurdame. Auf ihrem niedlichen Gesichte lagen schmollende Vorwürfe. Wir bildeten uns natürlich ein, es gelte uns, denn so sich junge Männer und Mädchen begegnen, findet auch sogleich ein offizielles Verhältnis statt. So wie Studenten überall Brüder finden, Offiziere überall Kameraden und Referendare überall gleichgestimmte Beamtenseelen.

Nun werden die Leute sagen, die Coeurdame aus Mecklenburg sei schuld, falls uns Stubbenkammer nicht gefallen habe. Stubbenkammer hat uns aber gerade zum Trotz sehr gut gefallen. Der schöne Wald zieht sich bis zum Abhang des Strandes, der hier wenn auch nicht hoch, so doch steil und aus wirklicher Kreide ist. Aus der grünen Waldeshöhe sieht man prächtig in das Meer hinaus. Ein geschmackvolles Wirtshaus, wo die Coeurdame übernachtete, liegt lockend in der Mitte.

In Sagard, wohin wir jetzt wieder zurückkehrten, verließ ich meine Reisegenossen und wünschte den Siebenbürgern statt einer glücklichen Reise die beste Courage. Gott sieht auf das Herz, mein Freund, nicht auf die Orthographie. Ich fuhr nun allein die Schmale Heide entlang an der Granitzgrenze hin nach Putbus zurück. Die Schmale Heide ist eine etwas breitere Landenge als die Schabe zwischen dem unteren Teile des Boddens und dem Meere. Der Kutscher mußte noch ein Stück in die Granitzforste einlenken, und erquickt von Wald und Luft kam ich diesen Abend in das todesstille weiße Putbus.

Rasch eilte ich nach dem Stranddorfe hinab, um nach dem Schiffer Ulrich zu fragen, der auf mich gewartet hatte, und nach dem Wind, der nicht zu warten pflegt. Ulrich stand auf seinem Schoner und sah etwas mürrisch aus. Er begriff nicht, wie man bei so vortrefflichem Nordost, wie gemacht, um nach Swinemünde zu segeln, mehrere Tage lang auf der Insel herumlaufen könne.

Es flatterte ein lauer Südwind. Dennoch ward beschlossen, am anderen Morgen zeitig in See zu gehen. Erich, der zweite Schiffer, der dem Besitzer des Schoners, dem kurzstämmigen Ulrich, zur Hand war, versprach, den lieben Herrgott die Nacht über fleißig zu bitten.

In stiller Pracht leuchteten noch die Sterne, als ich zum Strande hinabschritt, um mich dem Meere anzuvertrauen. Die Luft war ruhig. Um so unruhiger war Ulrich. Erichs Beten hatte nichts geholfen. Wir pusteten uns langsam aus der Bucht heran hinter den Vilm und hofften auf die Zukunft, was bekanntlich die Menschen immer tun, wenn sie nichts Besseres anfangen können oder wollen. Außer den beiden Schiffern und mir fand sich noch ein kleines Männchen vor. Das war ein Uhrmacher, der einen grünkarierten Schlafrock und ein gesticktes Mützchen trug. Der Schlafrock war sehr lang, länger als der ganze Uhrmacher und vollständig zugeknöpft. Vorne auf den Beinen hatte er zwei Taschen, in denen sich stets die Hände des kleinen Mannes aufhielten, wenn er sie nicht notwendig zum Feuerschlagen oder zum Schneuzen brauchte. Denn er rauchte Tabak und hatte Schnupfen. Bei der Abfahrt nahm er zärtlich Abschied von einem kleinen Hunde und beiläufig von einer Frauensperson, die allem Ermessen nach seine junge Ehehälfte war. Dann sang er ein aufrührerisches Lied mit einigen irrtümlichen Ausdrücken, produzierte starke Rauchwolken und versprach, den Schiffern Wind zu machen. Kurz, er war sehr guter Dinge und außerdem aus Potsdam gebürtig. Dies sagte er mir nebenbei. Er sei jetzt in Putbus etabliert, wo es ihm sehr fidel gehe. Er mache eine Besuchsreise, und zwar diesmal zu Schiffe, weil es sich damit schneller abmachen ließe. Zu Lande sei er schon weit herum gewesen in der Welt, in Krossen, unweit der schlesischen Grenze, und in Torgau bei Leipzig.

Ich machte ihn aufmerksam, daß wir vielleicht sehr langsam fahren würden, weil wir schlechten Wind hätten, und daß es auch auf See gefährlich werden könne.

»Pah, larifari, ich habe viel mitgemacht und immer Glück gehabt. Ich trinke abends meine drei Boddellen Bier und spüre nichts dabei. Was soll mir die See?«

Ulrich lächelte zum ersten Male. Des kleinen Uhrmachers Stimmung hielt nicht lange an. Es kamen einige Windstöße, das Schifflein schwankte, und dem Uhrmacher schmeckte der Tabak nicht mehr so recht. Kopfschüttelnd stellte er endlich die Pfeife zur Seite. Unter der steten Versicherung, das sei ihm gänzlich unerklärlich, stolperte er endlich beiseite und tat das Gebräuchliche.

Die Windstöße waren den Schiffern aber noch bedenklicher. Ulrich kratzte sich in den Haaren. Der alte Erich zog seine schwarze Pelzmütze tief über die Ohren vor, faltete die groben Hände und bewegte die Lippen wie ein Italiener, der eiligst etwas von der Lieben Frau in Loretto zu erbitten hat. Ihre Besorgnisse waren auch nicht grundlos. Bald fiel das Segel zusammen und wedelte passiv an dem Mastbaum. Wir hatten totale Windstille und lagen unbeweglich auf einem Fleck. Die Sonne schien mild und warm, wir waren noch mitten im Rügenschen Busen, und es war bereits Mittag. Der Uhrmacher bewegte sich nicht, die Schiffer krochen in die kleine Kajüte, um Kartoffeln zu kochen. Ich saß in stiller Mittagseinsamkeit am Vorderschiff und sah in das dunkle Wasser hinab. Geheimnisvoll lockte es mit seiner Tiefe. Alle Geschichten von Wasserfeen summten in der singenden Mittagswärme in meinem Kopfe. Ich legte die Kleider ab und sprang in das lockende Element.

Aber ach, es gibt keine Feen mehr, wenigstens mochten sie nichts mit einem Reisenden zu tun haben, der beim Halloren schwimmen gelernt hatte. Heutzutage muß man ersaufen, um mit den Wassergöttern in Berührung zu kommen.

Als Ulrich sah, was ich trieb, erhob er ein großes Geschrei und lief nach einem Taue. »Wenn der Wind sich hebt, sind Sie verloren, Herr. Wir erreichen Sie gar nicht, oder nicht eher, als bis Ihnen Hören und Schwimmen vergangen sind.« Man kann auf offenem Meere auch bei Windstille nicht ohne Tau baden, ohne das Äußerste zu riskieren.

Die Wellen und kleinen Strömungen schaukelten uns zur Küste von Mönchgut hin. Ein Frauenzimmer saß am Strande und winkte mit einer dunklen Flagge. »Gott stehe uns bei, das ist die alte Fretten, die auf ihren ertrunkenen Liebsten wartet. Heiliger Jakob, habe ein Einsehen mit uns!«

Erich bewegte noch lebhafter die trockenen Lippen, und wirklich wachte auch der Wind ein wenig auf, und wir trieben wieder in die See hinaus.

Doch wir kamen bei dem steten Südwinde wenig von der Stelle und konnten namentlich die Meeresflut zwischen Ruden und der Oie nicht gewinnen, sondern wurden westlich abgetrieben. Darüber verging die Zeit, und ich bekam langsam Hunger. Erich wollte durchaus noch nicht das Schöpsenfleisch kochen und erklärte, es werde uns wahrscheinlich noch sehr nötig sein. Der kleine Uhrmacher hatte keine Lust, mir von seinem Paket kalter und zerbröckelter Beefsteaks abzugeben. Ich bot große Summen für ein Brot, aber Geld hatte wenig Wert bei der drohenden Hungersgefahr. Ein Bäcker- oder Fleischerladen in der Nähe wäre mir viel erwünschter gewesen als Erichs Erzählung von der spanischen See. Bald erhob sich der Wind voll und ruckweise aus jeder Gegend. Der Uhrmacher seufzte vernehmlich aus der Kajüte heraus, denn der Schoner machte sehr fatale Bewegungen. Erich warf seine Segel bald hierhin, bald dorthin, während er mit kläglichem Gesicht wieder zu beten anfing. Selbst Ulrich sah sich unruhig und besorgt nach dem aufsteigenden Meere um.

Lange schon hatten wir ein kleines Fahrzeug in der Ferne gesehen. Bald wurde es deutlicher, wir erkannten einen Logger, der ebenfalls dürftigen Schutz unter dem Ruden suchte. Schiffer kennen sich mit ihren luft- und wasserklaren Augen auf weite Strecken. »Es ist der liederliche Störte«, sagte Ulrich zum Troste, »er lungert nach Seegras herum.«

Es gab noch Wogen und Spritzregen genug, ehe wir Störte unser Verlangen zurufen konnten, er möge sein kleines Boot aussetzen, den Logger ankern und uns an Land bringen. Störtebecker, der Rinaldini Rügens, vielleicht ein Ahnherr Störtes, konnte nicht seeräuberischer aussehen als dieser verwilderte Schiffer mit seinen zerwühlten, groben Gesichtszügen und dem braunen Tabaksmaule. Die Schiffer riefen sich einige plattdeutsche, nicht eben tröstliche Notizen über Meer und Sturm zu, und ich und der Uhrmacher wurden in einem nassen Kahn zum Strande gefahren.


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