Reise durch das Biedermeier
Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Baden

Der Verkehr zwischen Wien und dem vornehmen Kurort Baden ist sehr lebhaft, zumal sich der Kaiser hier einen Teil des Sommers aufzuhalten pflegt. Wir gingen bei frühester Morgenzeit auf die Post und wurden in einen unangenehmen Affenwagen gesteckt: in einem kurzen Kasten laufen an beiden Seiten der Länge nach zwei Bänke hin. Man sitzt sich gegenüber, als wenn man zur Hochzeit führe. Unser Gegenüber waren wildfremde Gesichter, die weder am Wege noch an ihren Reisegefährten noch an sonst irgend etwas Interesse zu nehmen schienen. Sie stierten in die untergeschlagenen Arme hinein und regten sich nicht. Wenn sie nur wenigstens geschlafen hätten, das hätte doch eine menschliche Regung bekundet. Unser gezwungenes Gegenübersitzen wurde mir grauenhaft. Ich fragte leise den Freund, der mit mir fuhr, wofür er die Leute halte – laut zu sprechen war bei der stillschweigenden Übereinkunft unseres Kastens nicht ratsam –, und er machte mir ein Zeichen. Wahrhaftig, ein Kurszettel guckte aus der Brusttasche eines Begleiters hervor, es waren Bankiers.

Whist, L'hombre, Pharao sind Kindereien geworden. Das moderne Spiel ist die Börse geworden, da kann man Millionen gewinnen und verlieren. Der moderne Spieler ist der Bankier. Lernen braucht man dazu nicht viel. Man muß etwas rechnen können und Wechselkunde verstehen. Ein wenig Geographie, ein kleines Grundkapital und tägliche Zeitungslektüre gehören dazu.

Der Weg führt über die Spinnerin am Kreuz auf die Straße zum Semmering. Kurz vor Baden zweigt er ein wenig seitwärts ab nach kleinen blauen Bergen hin. Es war eine kühle Fahrt, die wir mit den Herren Bankiers zusammen machten, und ich kam ein wenig erfroren in Baden an. Ob wirklicher Jahrmarkt im Städtchen war, kann ich nicht sagen, aber ein jahrmärktliches Treiben empfing mich in den Gassen. Ich hatte mir den Ort großartiger gedacht. Indessen ist er doch ganz artig und seine Promenaden nach dem Helenentale hin wirken recht angenehm. Am Eingange des Helenentales steht das stattliche Lustschloß des Erzherzogs Karl, die Weilburg. Das Gebäude hat ebensowenig Glück wie sein Herr: man sagt, der Boden weiche unter ihm, und es drohe gelegentlich zusammenzubrechen. Sein Herr, der schlanke Erzherzog mit dem langen, nachdenklichen Gesichte, wie viele vergebliche, schönkomponierte Schlachten hat er gegen Napoleon geschlagen. Man kann das Genie und das tapfere Talent nicht deutlicher gegenüberstellen, um ihre Erfolge zu vergleichen. Götter besiegen ewig die Menschen, wären diese auch Titanen und häuften in ehrlicher Arbeit mühsam Gebirg auf Gebirg. Das Genie ist ein unmittelbar eroberter Gedanke Gottes, das Talent ein mühsam in einzelnen Teilen errungener. Im Kriege erkennt man gewöhnlich die Talente an kombinierten Plänen und schönen Rückzügen.

Ich stand im fröhlichen Glanze der Mittagssonne vor Schloß Weilburg und hörte mit Betrübnis, wie krank und zurückgezogen dieser talentvolle und tapfere Erzherzog lebe. Es war eine der vielen Krisen in Napoleons Leben, als der Kaiserssohn, der in Deutschland die französische Rheinarmee so glücklich bekämpft hatte, nach Italien geschickt wurde, um den ungestümen jungen Bonaparte zurückzuwerfen. Am Tagliamento begegneten sie sich. Rasch, als ob ihm die Windsbraut entgegenkomme, wurde Karl in fliegende kleine Schlachten verwickelt und bis in das Herz des eigentlichen Österreichs zurückgedrängt. Napoleon legte sehr viel Gewicht auf die Vorfälle am Tagliamento. Die besonnene, geschickte Leitung des Erzherzogs ließ die Erfolge Bonapartes einen Augenblick sehr zweifelhaft erscheinen.

In Österreich ist übrigens der Haß gegen Napoleon keineswegs so zählebig wie im übrigen Deutschland. Es ist, als ob die Verwandtschaftsbande auch in die Massen übergegangen wären. Nirgends ist eine struppige, fanatische Animosität zu finden. Auch der tägliche Anblick seines blühenden, liebenswürdigen Sohnes mag lindernd gewirkt haben. Leiden hat er diesem Volke, seinem unermüdlichen Feinde, wahrlich genug gebracht. Noch heute erinnert das schlechte Geld in Österreich an ihn.

In den Badener Promenaden traf ich auf einer Ruhebank einen alten Freund aus Schlesien. Wir fragten uns sofort gegenseitig über unsere Heimat aus, sprachen vom Anblick des Zobten und von den Wäldern der Oder. Mein Freund zeichnete mit seinem Stock Figuren in den Sand. Immer wieder umschrieb er dabei die Linien einer großen Leier. »Was willst du damit?«

»Ach, dieser Platz ist schuld daran«, sagte er. »Vor zwölf Jahren führte mich auch ein frischer, sonniger Tag wie heute nach Baden heraus. Hier auf dieser Bank fand ich die gebeugte, dunkle Gestalt eines Liguorianers, der mit dem Stocke Figuren vor sich hinzeichnete. Ich blieb stehen, die Erscheinung seiner sich zur Erde beugenden Gestalt, die scharfen Umrisse seines mageren Gesichtes, die lange, spitze Nase, seine überhängenden Augenknochen übten eine magische Wirkung auf mich. Als er einmal aufblickte, sah ich in eingefallene Augen voll von einer grundlosen, verwirrten Traurigkeit. Es dauerte lange, bis ich den alten Bekannten aus den Irrgängen dieser Augen wieder herausfand. Es war Zacharias Werner, der unglückliche Werner.«

Werner ist lange aus den literarischen Besprechungen verschwunden. Wir haben aus Deppings Pariser Erinnerungen ein garstiges Bild von ihm als letzten Eindruck. Dort läuft er, der bejahrte, halbblinde Mann, lüstern im Palais Royal herum, geneckt von den frivolen Freudenmädchen, die ihm von allen Seiten zurufen: »Papa, Papa!« Der Kurzsichtigkeit halber geht sein Diener mit ihm, um die gröbsten Mißgriffe der Wahl zu verhüten.

Dort in Baden traf ihn mein Freund, als jene Periode bereut und abgebüßt wurde. Werner war katholisch geworden und dem Orden der Liguorianer beigetreten. Er hatte damals wenig gesprochen zu meinem Freunde, sondern unablässig eine große Leier in den Sand gezeichnet, mit zerrissenen Saiten.

»Was machst du da, Pater Zacharias?« – so hörte er sich am liebsten nennen. »Ach, ich denke an den Tod, solch eine Leier mit zerrissenen Saiten würde sich auf meinem Grab schicken. Freund, es war eine schöne Zeit, als sie noch ganz waren!«

Drunten in Wien steht eine kleine Kirche, dort hat er oft gepredigt. Er ist bald gestorben und wurde in geweihter Erde begraben. Er hatte kein Maß gefunden für ein starkes Herz und einen starken Kopf. Die Erde sei ihm leicht!

Wir gingen in das Bad, ließen uns in weiße Gewänder hüllen und stiegen hinab in das warme Schwefelbassin, wo Männlein neben Weiblein herumtrudelt. Das Wasser bricht die Lichtstrahlen häßlich, die Figuren sehen alle verzwergt und ungestaltet aus, so daß erotische Gedanken diesem Beisammensein kaum entsprießen können, solange man nicht in der Lebensepoche begriffen ist, wo man liebt quand même.

Nach dem Bade ging ich zu Frau Karoline Pichler, geborenen von Greiner, um ihr meine Aufwartung zu machen. Eine bejahrte Köchin hielt mir auf dem Vorsaale das Ohr hin, damit ich meinen Namen hineinpfropfe. Trotzdem ich einen Empfehlungsbrief des Herrn von Kurländer mit hatte, wurde ich erst nach längerer Zeit empfangen. Ja, nun fragen die Damen: »Wie sieht sie aus? Was hat sie für Augen, was für eine Taille, wie alt ist sie?«

Das habe ich, Gott weiß es, so ziemlich vergessen. Es war eine nicht eben große, ältliche Frau, die mich ein wenig zurückhaltend empfing. Es schien mir, als hätte ich sie in ihrem Hauswesen gestört. Es scheint jetzt ein Tick der Schriftstellerinnen geworden zu sein, sich vor allen Dingen des Kochens zu rühmen. Fallschirme für die Gefahr, von den Männern zu sehr kritisiert zu werden. Fräulein Fanny Tarnow, eine lebhafte Schriftstellerin, der zu begegnen ich später das Glück hatte, sprach zuerst lange und verführerisch über Mehlspeisenrezepte.

Frau Pichler fühlte sich und war sich ihrer sechsunddreißig Romanbände wohl bewußt. Damit soll indessen nicht gesagt sein, sie habe sich gespreizt und gebrüstet. O nein, sie hatte ganz das Ansehen einer besonnenen, klaren Frau. Im ganzen gleicht sie wohl ihren Schriften, die sich in einem kleinen Gedanken- und Gefühlskreise bewegen und darin etwas breit aber gehaltlos werden. Es interessierte mich zu wissen, wie sie ihre Studien betrieben habe, die zum »Agathokles« nötig gewesen sein mußten. Es ist dies ein Roman, der zur Zeit Diokletians spielt. Es waren nicht wenig Hilfsmittel, die sie mir anführte. Jedenfalls bedingten sie eine große Geistesbehendigkeit der Dame. Das gestand sie auch lächelnd zu.

Von jetzt an wurde sie munterer. Ich fragte, ob Herr Menzel bei seinem Besuche in Wien nicht zu ihr gekommen sei. »Nein«, sagte sie witzig wie einst Stolberg von Jacobi: »Er kann es mir nicht vergeben, daß er mich verrissen hat.«

Dieser Mann stört mit seiner Kautschukkritik manches schüchterne Talent, das den grollenden Hausvater fürchtet, der seine Stentorstimme erhebt: »Frauenzimmer, lasse die Bücher und nimm den Kochlöffel zur Hand!« Es gibt viele Dinge, die nur Frauen wissen können. Es bleibt eine brutale Anmaßung, sie von der Mitteilung ihrer Gedanken mit Peitschenhieben wegzudrängen.

Es behagte Madame Pichler, daß ich ihr diesen Gedanken mitteilte. Sie erzählte mir, was sie jetzt schreiben wolle. Sie will Maria Theresia auf Kosten Friedrichs des Großen verherrlichen. Die schöne Kaiserin mag sich allerdings in einem Romane besser ausnehmen als der magere König mit seiner Tasche voll Spaniol und seiner Gleichgültigkeit gegen Frauenzimmer. Aber unter uns gesagt, ich werde diesen Roman doch nicht lesen. Wir denken und handeln jetzt ein wenig schneller und straffer, als es in den Büchern der Frau Pichler geschieht. Und die Preußen kennt und liebt sie auch nicht genug, um sie richtig zu schildern. Der alte Fritz ist freilich kein Thema für Frauenzimmer.

Ich empfahl mich und nahm im ganzen einen recht angenehmen Eindruck mit. Selbst die ein wenig harten Formen der alten Dame störten mich nicht, zumal gegen das Ende meines Besuches Tochter und Enkelkind der Schriftstellerin erschienen und sich ein munteres, behagliches Familienleben entwickelte. Die Familie bildet stets einen sanften, wohltätigen Rahmen. Zölibatäre behalten immer ein schrofferes Aussehen.

Auf dem Wege nach Wien stieg ich in einem Gasthause ab. Da gab es ein munteres, lustiges Treiben. Hin- und Zurückfahrende begegnen sich dort, und eine emsige wienerische Ausgelassenheit herrscht in allen Stuben.


 << zurück weiter >>