Reise durch das Biedermeier
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Halle

In der Nähe von Giebichenstein liegt Halle. Giebichenstein ist einer der schönsten Punkte Deutschlands, Halle einer der schlechtesten. Himmel und Hölle liegen hier nahe beieinander, und der Weg zwischen beiden ist die sogenannte »Grüne Wiese«, wo die Leute hinkommen, die nicht recht gut und nicht recht schlecht sind. Auf diesem Wege wohnt der alte Schriftsteller Eberhard: es ist ein schmaler Mann, von dem ich nichts Merkwürdiges zu sagen weiß, als daß er alle Tage nach Tisch einmal zum Fenster heraussieht, ob es regnen wird, und wenn es schon regnet, ob es aufhören könnte. Ferner wohnt hier der an Familienromanen verstorbene Lafontaine, der eine Lorbeerkrone für die Bescheidenheit verdient, mit der er sich in den letzten Jahren zurückzog. Ein guter Rückzug ist ein untergeordnetes Verdienst, aber immerhin ein Verdienst. Die Anabasis wird noch zu wenig von den Deutschen gelesen. Damen von Welt und Schriftsteller müssen in einem gewissen Alter der Schönheit und des Verstandes Spiegel und Freunde am eifrigsten befragen, ob es geraten sei, auf den Ball zu gehen.

Giebichenstein überraschte mich durch seine Schönheit: die kleinen Felsen, die Saale, die weichen Aussichten über das Land, alles paßt gut zueinander.

Schief gegenüber vom Ludwigsfenster ist eine kleine Höhle im sogenannten »Trojanischen Felsen«, den die Saale bespült. Dort soll Jahn eine Zeitlang gelebt haben. Er hat mir selbst damals davon erzählt.

In leinene Staubhemden gehüllt, mit leuchtenden Augen und schreiend roten Mützen zogen wir Brüder Studios damals von Halle nach Jena. Wir hatten wenig Geld und Bedürfnisse, aber viel Worte und guten Mut. Ein Glas Bier, ein Stück Brot genügte uns. Noch heute denke ich mit Entzücken daran, wieviel Selbstbewußtsein und Kraft jeder einzelne zu besitzen glaubte, weil er annahm, auf dem unerschütterlichen Grunde akademischer Freiheit zu ruhen. Wir bildeten uns ein, die Krieger- und Brahminenkaste der Hindus in uns zu vereinen. Wir waren komplette Narren. Wenn von einem feindlichen Staate die Rede war, so bedurfte es nur unserer übereinstimmenden Meinung, er sei ein Feind. Und dann gab es keinen Zweifel mehr an unserem Sieg. Für wen die Studenten sich erklärten, der war gesichert. Wir waren uns ein Ritterbund, jeder Mann ein Held. Wir waren die große Armee Deutschlands, wir hatten Napoleon überwunden, uns widerstand nichts.

Es war damals ein melancholischer, wollüstiger Wolkentag. Als wir nach Lauchstädt kamen, wandelten rosenrote Mädchen unter den flüsternden, schwatzhaften Bäumen. Wir beschlossen, uns niederzulassen, denn unsere Herzen lachten beim Anblick der Mädchen. Es wagte aber keiner laut zu sagen, daß die süßen Kinder unseren Augen so wohl taten. Denn wir waren Burschenschafter, und die haben den einzigen dummen Streich Josefs in Ägypten in ein System gebracht. Auf der Dresdener Galerie ist dieser Streich konterfeit. Mein burschenschaftliches Herz seufzt immer schwer, wenn ich das schöne Weib mit dem schwelgerisch bittenden Auge und den umrankenden vollen Armen sehe.

Ein alter Bursche fing an, von der deutschen Kaiserwahl zu sprechen, und war durchaus für den König von Württemberg. Ich aber kämpfte mit unbeschreiblicher Leidenschaft für den König von Preußen, denn ich fühlte eine peinliche Opposition in mir. Ein junges Mädchen hatte sich neben mich gesetzt, ihr langer Handschuh, mit dem sie spielte, fiel plötzlich vor meine Füße. Ich stürzte auf sie zu und überreichte ihr die Trophäe. In der Eile sagte ich ihr, daß ich sehr glücklich sei. Dabei berührte ich aber ihre warmen Finger. Beim Teut, ich war unschuldig daran, doch eine warme, weiche Flamme schlug durch mich.

Das Mädchen war rot geworden, sagte aber nichts. Der alte Bursche aber sah mich sehr bedenklich an und zitierte den sechsten Paragraphen unseres Komments. Wir lebten nämlich nach den zehn Geboten. Außerdem sprach er vom Weitergehen. Die Mehrheit war aber dagegen, denn es waren viele Mädchen da, und abends sollte Ball sein. Wir blieben auch.

Bei den Markörs borgten wir uns Fracks und Vatermörder und gingen zum Tanz. Auf dem Wege zum Saale stritten wir uns über die Grenzen des deutschen Kaisertums. Wir waren aber alle sehr nachgiebig und es kam uns auf ein Stück Land nicht an.

Mein Mädchen erklärte, sie würde zwar nicht viel tanzen, aber auf einen Galopp solle es ihr nicht ankommen. Sie sei aus Merseburg. Die Studenten sehe sie gerne, weil sie so lustig seien. Sie trug ein morgenrötliches Kleid und eine Rose im Haar. Ich sagte ihr, die Geliebte des Properz habe solch ein Kleid getragen und sei das schönste Mädchen in Rom gewesen. Daher komme der Name Rosa, denn rosa sei lateinisch.

»Ich heiße aber Minna«, sagte sie. Um uns abzukühlen, gingen wir unter den Bäumen spazieren. Es ward dunkel, und eine Lampe nach der anderen verlosch. Ich durfte sie am Arm führen, sie war vom Tanze warm wie ein neapolitanischer Abend. Als sie mir eifrig demonstrierte, daß sie noch keinen Geliebten habe, lehnte sie sich so unbefangen menschenfreundlich an mich, daß mir unbeschreiblich süß zumute wurde und ich das ganze deutsche Kaisertum vergaß.

Wir standen eben still, es trat eine Pause im Gespräch ein. Sie senkte das Köpfchen, spielte mit den Locken und lauschte unter den Wimpern herauf, ob ich wirklich den Properz gelesen.

»Liebste Minna«, sagte ich und legte meinen Arm um ihre Taille.

Da trat ein Mann unter den Bäumen hervor und sprach: »Der sechste Paragraph aber heißt ...«

Minna floh, ich stand wie ein Schulbube vor dem alten Burschen und wußte nichts zu sagen, als daß ich noch immer entschieden gegen den König von Württemberg sei.

Ich mußte ihm die übrigen suchen helfen; das war eine schwere Arbeit. Als wir am Morgen gegen Freiburg zogen, fehlten immer noch manche.

Warum die Regierungen nicht bedachten, daß strebende Jünglinge einen großen Hintergrund brauchen, an den sie ihr loses Treiben anlehnen, daß sie aber Jünglinge bleiben, wenn man sie gewähren läßt? Jünglinge, die am Ende nichts brauchen als Küsse und Sonnenschein. Als man uns zu wichtigen Personen machte, da kamen wir uns auch wichtig vor und affektierten eine Ernsthaftigkeit, über die wir jetzt lachen.

Es war neun Uhr, als Jahn bei uns erschien. Er gab sich die redlichste Mühe, im Städtchen Freiburg, das ihm zum Exil zugewiesen war, eine klassische Rolle zu spielen. Man mußte den ganzen Tacitus mit Aufmerksamkeit gelesen haben, um zu wissen, wer da zur Tür hereintrat. Er war ein Mann von mäßiger Größe, aber ungeheurer Breite. Eine vortreffliche Kanonierfigur. Eine ganze Kanone samt Lafette und Pulverkasten hatte auf seinen Schultern und Hüften Raum. Und das war sein Stolz. Ich weiß, daß er wohlgefällig lacht, wenn er das liest.

Ich bin immer für das Turnen gewesen, es ist eine notwendige strenge Zucht des Körpers. Aber die Turner sind zumeist künstliche Pferdeknechte.

Ludwig Jahn trug eine doppelte Stirne, deren zweiter Teil sich rückwärts hinauf streckte bis in den Teutoburger Wald. Er sah überhaupt nur rückwärts, obwohl er klare Turneraugen hatte. Die Stirne und ein schöner herabwallender Bart, der aschgrau auf sein blaues Hemd fiel, bildeten eigentlich sein Gesicht. Unter dem schlotternden blauen Oberhemd sah man eine behaarte Brust und ahnte ein Paar kurze nichtssagende Beine. Mehr merkwürdig als interessant aussehend, ließ er sich auf einem harten Gestell nieder, das wir in seiner Gegenwart nicht Sofa zu nennen wagten. Denn die alten Deutschen lagen auf Bärenhäuten und nicht auf Sofas. Auf den Tischen, an der Erde, unter den Sofalehnen saßen wir um ihn herum. Er fing an vorzutragen und sprach volle zwölf Stunden bis abends um neun.

Hätte ich nicht ein böses Gewissen gehabt wegen der rosenroten Minna aus Merseburg, mir wäre die Zeit sehr lang geworden. Daß er zu jedem von uns Du sagte, verstand sich von selbst. Das hat mir bei der ganzen altdeutschen Wirtschaft noch am besten gefallen.

Der Leser weiß noch gar nicht, warum ich so in die Kreuz und Quere springe und welches Unglück ich mit Jerta gehabt. Als wir in Halle vor der Post ankamen, erwachte Jertas Begleiter und stieg aus. Ich fragte den Kondukteur, ob er mir nicht aus dem Personenzettel Bescheid sagen könne über die beiden zweifelhaften Größen. Es fanden sich zwei ungenießbare Plumpudding-Namen. Ich faßte mir ein Herz und fragte den Begleiter in bescheidenem Englisch, ob er ein Engländer sei. Er sah mich lange, sehr lange an und sagte endlich: »Yes.« Das war das einzige Wort, das ich je von ihm hörte. Er ging ins Postzimmer, ich nahm Jerta bei der Hand und führte sie in den Flur hinein, wo wir allein sein konnten, besann mich peinlichst auf einige großbritannische Worte und fragte sie, ob sie nicht Jerta aus Radegast sei. Endlich schüttelte sie das Haupt, nahm mich beim Kopf, gab mir einen heißen, heftigen Kuß und sagte, sie heiße Jenny und sei from Bristol. Ich sei ein guter Bursche. Mir fielen alle fremden Worte aus dem Gedächtnis, ich begann immer wieder: »You are – you are«, und da ich nicht sprechen konnte, so teilte ich ihr alle meine englischen Gedanken durch die Augen mit und sah sie an, als wollte ich ihr ganzes schönes Gesicht verzaubern. Jetzt kam auch Bewegung in ihre Züge. Aber der Begleiter trat aus dem Postzimmer, und als ob nichts vorgefallen sei, ließ sie mich stehen und ging zu ihm. Bald darauf fuhr eine Postkutsche vor, sie setzten sich hinein, ich eilte verzweiflungsvoll an den Schlag, nahm meine Mütze ab und besann mich, was ich in Teufels Namen sagen sollte. Der Postillon hieb in die Pferde und blies rücksichtslos. Ich aber stand verloren und allein mitten in Halle.

Von außen war alles noch so wie in meiner Studentenzeit. Nur stiller, toter. Ich fürchtete, wenn ich die Sachen angriffe, so fielen sie in Staub zusammen. Ich suchte umsonst die roten, gelben und grünen Mützen und unternehmenden Gesichter. Ein paar dünne, dürftige Studenten, denen der Freitisch aus den leeren Backen sah, flüsterten sich etwas über ein Memorandum von Herrn Makeldey zu, den jeder Jurist kennt, wenn er sich vor dem Examen fürchtet.

Dann sah ich mir das große Auditorium an, wo Wegscheider und Gesenius, die rationellen Dioskuren, lasen. Wie leer und hölzern kam mir alles vor. Wie vernünftig gespensterhaft erschien mir der kleine Wegscheider mit seinem langen, grünen Rocke und den blanken Steifstiefeln. Er saß noch wie damals da, den kleinen, reinlichen Kopf nach vorne gebogen, die Haare waren noch ebenso kurz aus dem Gesicht gestrichen. Er hat einen kleinen, vornehmen Mund und poetische Augen. Nur wenn er dem Christentum bis auf den Magen sehen will, setzt er eine große Brille auf und verdeckt seine Poesie. Er sprach noch immer prosaisch vernünftige Dinge und lachte noch immer nicht. Das Lachen überließ er wie früher seinem Kollegen Gesenius. Der hat einen glatten Kopf wie ein verschmitzter, oberflächlicher Kaufmann und erzählt kleine, schnurrige Geschichten. Darunter sind die unanständigsten Klatschereien aus Nazareth. Er verschont nicht den guten Ruf der schönen Maria und die Gutmütigkeit des Tischlermeisters Josef. Nicht einmal dem Propheten Daniel läßt er sein bißchen Renommée. Wenn er von seinem Logis in der Löwengrube spricht, so erzählt er, daß sich auch Löwen vor einem langen Judenbarte fürchteten und eine Aversion gegen Leute hätten, die nach Knoblauch stänken. Von Gesenius wird behauptet, er sei wegen mangelhafter Kenntnisse des Hebräischen zuerst im theologischen Examen durchgefallen. Da habe er sich in enormer Bosheit hingesetzt und solange hebräisch studiert, bis er ein ganz neues Lexikon und sieben Auflagen einer neuen Grammatik ausstudiert habe. Daraus sei seine maliziöse Theologie entstanden.

Ich stieg wieder hinunter auf den Markt, und da sah ich ihn noch einmal vorüberarbeiten, ihn, der den Herrn Christus am meisten inkommodierte: Tholuck, der Gespensterhafte, steuerte seine Gliedmaßen durch den Halleschen Markt. Es wackelte noch wie sonst jedes einzelne Glied unheimlich an seinem Körper. Es war noch die gleiche Gespensterwirtschaft im Aussehen dieses Mannes. Das magere Knochengesicht nickte noch immer schauerlich auf und nieder.

Ich weiß nichts auf der Welt, was die Wissenschaft so verleidet als die echten Professoren, namentlich die Theologen und die systematischen berühmten Philosophen. Wenn kleine Kinder im Spiel uneins werden, ob es im Himmel rosenrot oder himmelblau aussieht, so ist das spaßhaft. Wenn aber die alten großen Kinder mit grauen Haaren in den heutigen Zeiten einander tödlich befehden, weil sie verschiedene Ansichten vom Himmel haben, so ist das langweilig und schmerzlich. Die Menge braucht Beschäftigung. Es muß Vorstellungen geben, die über den Tatsachen und hinter den Dingen liegen. Der gescheiteste Mann braucht seine Poesie. Aber die Armut an Phantasie, sich jahrhundertelang mit denselben Bildern abzuquälen, ist maßlos betrübend. Und die armen Leute werden am Ende irr von immerwährendem Kreislaufe. Hunderte von Leuten sperren die Mäuler dazu auf oder schreiben gar darüber. Und die Theologen geraten immer tiefer in ihre Teufeleien und halten sie für unumgänglich notwendig für das Bestehen der Welt.

Früher wollte ich immer einmal nach Ispahan oder Ellore oder nach Palmyra reisen, um einmal auf den Trümmern der Vorzeit zu stehen, es war mir aber immer zu weit bis nach Asien. Jetzt habe ich Halle wiedergesehen, und ich verlange nicht mehr darnach. Nur sind die Halleschen Ruinen bestimmt nicht so schön, denn Schönheit ist in Halle polizeiwidrig, aber was tut das! Fressende, bleiche Armut schleicht durch alle Häuser, die meisten Teile der Stadt haben sich lehmern zusammengekrümmt und sehen wie vom Schlage getroffen aus. Brauner Torfstaub liegt auf den Straßen, auf den Gesichtern, den Busenkrausen und den Kathedern.

Nicht mit Kaiser Max, Franz von Sickingen und Götz von Berlichingen schied das Mittelalter, sondern mit den Studenten. Und ich sah es mit Tränen romantischer Erinnerung: die Studenten schnüren ihre Bündel. Auf dem Fechtboden war es still wie auf einem Schlachtfeld, über das Gras gewachsen ist.

Es gibt keinen peinlicheren Zustand, als wenn man nicht weiß, ob man sich freuen oder betrüben soll. So geht es mir mit den Studenten. Ich sähe sie gerne reformiert, ich möchte gerne, daß sie nach moderner Freiheit trachteten, nicht nach der rohen mittelalterlichen. Und doch schmerzt es mich zu sehen, wie diese jugendliche Poesie von steifen Schulmeisterhänden zerzupft wird. Nach dreißig Jahren wird man von den fabelhaften Wesen, den Studenten, erzählen, die Mut hatten wie die Löwen und um Leben und Freude spielten wie um Pfennige.

Man baut ein neues Universitätsgebäude in Halle. Ich bin darin hinaufgestiegen bis zu den Karzern, deren Anlage allerdings von Humanität zeugt, denn man hat eine bessere Aussicht darin als in den Auditorien. Früher hatte man in beiden keine, und die Karzer waren raffiniert grausam. Als ich zwanzig Jahre alt war, interessierte sich die Stadt Halle lebhaft dafür, ob ich es für wünschenswert hielte, daß Deutschland ein Kaisertum sei. Man holte mich von der Schlittschuhbahn auf der Saale, wo ich ganz anderen Dingen als der deutschen Krone nachjagte, und verhörte mich Tag und Nacht wegen meiner Pläne für ein neues deutsches Kaisertum. Da ich aber so wenig davon wußte wie von dem privaten Lebenswandel der elftausend Jungfrauen, so folterte man mich mit einer Genialität, die dem besten Novellenschreiber Ehre gemacht hätte. Ich war nämlich im Karzer durch doppelte Türen von aller Welt abgesperrt, alle Bedürfnisse erreichten ihr Ende innerhalb der vier Wände. Sogar vom Fenster und vom Sonnenlichte schied mich ein Gitter, wie man es vor den Gärten wilder Tiere anzubringen pflegt. Ich studierte den ganzen Tag des alten Eichhorn »Einleitung ins Alte Testament«, Segurs »Russischen Feldzug« und »Tom Jones« von Fielding. Wenn es dunkel ward, spielte ich wie ein rechtschaffener Romantiker auf der Gitarre und sehnte mich inbrünstig nach Menschen. Ach, die Sehnsucht nach Menschen ist stärker als die Liebe. Wer nie gefangen war, ahnt ihre Stärke nicht. Den schauderhaften Karzerfritz habe ich oft in Ermangelung eines menschlichen Wesens umarmt und ihn beschworen, mir seinen spanischen Feldzug noch einmal zu erzählen, über den er mir schon fünfzehnmal in aller Breite vorgetragen hatte. Der Kerl log ärger als der Baron von Münchhausen, und was noch mehr sagen will, er log unerhört dumm. Aber er log mit einer menschlichen Stimme.

Doch das war nicht die höchste Folter. Wenn ich Gitarre spielte, begann die gemeinste Raffinerie. Schwermütig sang ich »Ein Mädchen oder Weibchen wünscht Papageno sich«. Die Riegel klirrten und es huschte eine Gestalt herein, die im Dunkel Ähnlichkeit mit einer weiblichen hatte. Es war aber die mutmaßliche Tochter des Pedells Seebach, ein von allen Göttern verwahrlostes Geschöpf, die Ahnfrau der Halleschen Karzer, die die Geständnisse auspreßte. Ach, ich denke nicht gern daran zurück. Es war eine Dummheit, daß ich nicht wagte, sie wenigstens im Dunkeln zu lieben.

Aber diese Barbarei hat aufgehört. Ins heitere Licht der neuen Karzer wagt sich kein Fräulein Seebach. Das neue Gebäude steht, wo jene liebenswürdige Kirche stand, die man zum Schauspielhaus machte. Ich hoffe, dieser einzige Gedanke wird Halle unsterblich machen.

Auch eine Promenade wird angelegt. Ich fürchte, Halle soll ernstlich verschönert werden. Das könnte ein irreparables Unglück geben. Es ließ sich einst eine alte interessante Frau, die viele historische Freunde hatte, jung machen. Nun kannte sie niemand mehr, und weil sie nicht hübsch genug war, liebte sie auch niemand. Das Wertvollste, das viele Dinge zu verlieren haben, ist ihre Geschichte.

Was ist das für ein langer, unbeweglicher Mann mit grauem Barte und leblosem Gesicht, der wie ein steinerner Gast halbe Tage am Fenster steht und herübersieht auf den Embryo der Halleschen Promenade und das Haus von roten Ziegeln, das sie die neue Universität nennen? Ich sehe keine Studentenfreiheit in seiner Miene, der harte, unverbesserliche Emigrantenzug starrt um seine Lippen. Steht mir bei, nordische Götter, es ist Friedrich Ritter de la Motte Fouqué! Er hat den »Zauberring« gefunden, und der läßt ihn nicht wieder los. Er ist unschuldig an seiner Torheit: »Wo sich unter den Föhren des Oderufers in Schlesien das Kloster Neubus erhebt, da ziehe hin, dort weilt Undine, dort seufzt die Quadratur des Staates, die du erfunden hast. Ich hege keinen Groll gegen dich, ich kämpfe nur mit Lebendigen.«

Vier berühmte Reaktionäre lesen nichts von dem, was über sie geschrieben wird: Karl von Bourbon, sonst der Zehnte genannt, Willibald Alexis, ein junger Anfänger, Henrik Steffens, der philosophische Dichter aus Norwegen, und Herr von Fouqué.

Sollte der Rittmeister von Fouqué je sterben, so stirbt er gewiß an keiner gewöhnlichen bürgerlichen Krankheit, an der jeder Lump sterben kann. Er stirbt am Adel wie Abälard an der Liebe. Schon als Kind hat der Don Quichotte mich nie amüsiert. Ich habe immer meinen Freunden nicht geglaubt, wenn sie sagten, er mache ihnen Spaß. Zum kindischen Spaße war mir die Sache zu ernsthaft und zum Ernste zu kindisch. Aber ich habe dem Don Quichotte auch nie gezürnt. Und der Ritter Friedrich de la Motte Fouqué ist der Don Quichotte der nordischen Ritter und Edelleute.


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