Reise durch das Biedermeier
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Salzburg

Auf der Suche nach einem Gasthof gingen wir über die Salzachbrücke. Wie Verstorbene sahen die hohe Festung und die steilen Berge auf uns herab. Der Mond war aufgegangen, das wunderliche Salzburg glich einer steilen katholischen Kirche mit hohen Altären von schwarzem Marmor. Die einzelnen halbitalienischen Häuser am Flusse sahen wie kleine Betaltäre aus, und die Sterne strahlten Segen, Musik und Glanz bischöflicher Gewänder vom Hochaltare. Nur die Salzach, die tief unter der Brücke volle, hohe Wellen warf, störte die Kirchenstille.

Es dünkte mich, wir kämen in eine Stadt, die seit zwei Jahrhunderten hinter den hohen Bergen vergessen worden sei. Als ich an die Haustür eines Gasthofes schlug, erschrak ich vor dem Lärm, den dieses Pochen in der schlafenden Gebirgsstadt hervorrief. Ich pochte einige Male. Es regte sich niemand. Man schläft fest und katholisch in Salzburg. Leise fing es an zu regnen, und uns war noch kalt von der Fahrt. Ich fluchte, da öffnete eine blinzelnde Köchin mit ausgespannten leeren Zügen und ließ uns ein. Ich konnte nichts Besseres tun als schlafen gehen.

Als ich aufwachte, regnete es innig und gemütlich, wie das sonst nur in einem kleinen, gottvergessenen norddeutschen Städtchen passieren kann. Es gibt Orte und Zeiten, da ich es gerne mag, wenn ein ununterbrochener Regen an die Fenster schlägt. Das trockene lutherische Wittenberg zum Beispiel gewinnt dabei ein düsteres Interesse. Aber für Salzburg schickt sich das gar nicht, das ist ohnedies schon römisch-katholisch und düster genug.

Der Archivarius des Königs und ich bewohnten zusammen ein salzburgisches Zimmer, in dem zwei himmelhohe Betten, drei große Tische, einige kleinere, ein Dutzend altfränkische Stühle und viel sonstige Möbel, vermutlich aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges, standen. Es schickte sich nicht, in einem solchen Zimmer zu lachen oder auch nur vernünftige Gespräche zu führen. Wir erzählten einander Gespenstergeschichten und katholische Legenden.

Wir wohnten dicht an der Brücke und sahen durch die umstehenden hohen Häuser über die vom Regen gepeitschte Salzach nach den Bergen. Der Archivarius erzählte traurige Dinge vom Herrn Abälard und seinem unnatürlichen priesterlichen Unglück. Er beschrieb die schöne Heloise und sagte, sie hätte glänzend schwarzes Haar und dunkelblaue Augen gehabt. Ihre Hand sei weich, warm und schneeweiß gewesen. Und diese schneeweiße Hand habe eben Abälard so unglücklich gemacht.

Ich lehnte mit der Stirne an der Fensterscheibe und sah durch die Spalte nach der Festung hinüber. Auf dem dunklen Hintergrunde spielte der geschäftige Regen.

Nachmittags kam die Sonne einer wärmenden Aufklärung, und wir fuhren aus. Aber die protestantische Aufklärung führte viel unerquickliche Kälte mit sich. Schon auf der Brücke überraschte uns das Prasseln eines eiskalten Schloßenwetters voll fataler Vernunft. Dennoch sah der Kampf schön aus. Wie eine schwarze, fliegende Nacht stürzte sich die Wolke kopfüber in die Salzach und umfing mit dunklen, kalten Armen einen Teil der Stadt und der Berge. Auf der anderen Seite lachte die Sonne auf den weißen, italienischen Häusern. Über die Burg und die steinigen Berge zuckte ein stolzes Lächeln.

Salzburg liegt an beiden Ufern der Salzach, rings von Bergen umschlossen, die sich nicht allmählich aus der Erde heben, sondern aus plattem, horizontalem Boden aufragen. Das Auge wird von ihrem Anblick wie geblendet. Es ist, als komme man in ein fremdes Theater, und das Lampenlicht lasse die Augen zuerst erblinden. Man hört Worte, aber keine Reden, sieht Figuren, aber keine Charaktere. Der Blick findet manche Schönheiten, kann sie aber noch nicht zur Harmonie zusammenschließen.

Wir fuhren in großer Verwirrung zwischen den Bergen umher. Am Untersberge ließ der Führer stillhalten und erzählte eine lange Geschichte. In diesem Berge sitze Kaiser Karl, den man auch Barbarossa nenne, lasse seinen Bart wachsen und sammle fünfmalhunderttausend Mann. Wenn aber sein roter Bart einmal fünffach um die Tafel geschlungen werden könne, an der er mit seinen Paladinen zeche und täglich zehn Flaschen Johannisberger trinke, dann werde er heraustreten und in Deutschland nach dem Rechten sehen. Im Jahre 1830 habe es einen großen Spektakel gegeben. Die Salzburger hätten schon gedacht, der Kaiser werde mit seinen fünfhunderttausend Mann aus dem Berge treten. Das österreichische Militär habe alle Tage scharfe Patronen gefaßt. Aber der Feldherr Barbarossa habe wohl nur große Heerschau abgehalten, denn es sei später wieder ganz still geworden. Übrigens sei der Untersberg nicht ganz geheuer, ein Bäcker, ein Fleischer und ein Weinhändler seien darin hintereinander verschwunden. Überhaupt müsse der Kaiser in letzter Zeit dergleichen Geschäftsleute viel brauchen. Namentlich seit Salzburg an Österreich gekommen und Handel und Wandel dadurch sehr gelitten hätten, sei es gar nicht auszuhalten. Ständig verschwänden Geschäftsleute.

Merkwürdig genug führt wirklich die Chronik das Jahr 1830 an, in dem der Kaiser mit seiner großen Armee herauskommen werde. Der Archivarius meinte, der Ausgang sei enge, der Kaiser könne nur langsam seine Kräfte entwickeln, man könne nicht wissen. Darauf erwiderte der Führer, das Gouvernement wisse alles.

Der Berg sieht sehr muskulös und starknervig aus. Neben ihm hat sich der Stauffen en wie eine phrygische Mütze hingestülpt, wie ein Rest der großen Erdrevolution, deren Spuren ringsum deutlich zu sehen sind. Vorübergehende sagten uns, bei Hallein sei eben ein Berg ins Tal gestürzt. Das durften wir nicht versäumen. Die stummen Berge handeln so selten, vielleicht war das ein Vorposten von Barbarossas Heer. Wir fanden wirklich ein kleines Erdschlachtfeld. Die Straße nach Hallein war von einem auseinandergefallenen Berge gesperrt. Wie verarmte einzelne Personen und Familien steckten hie und da Bäume oder umgeworfene Häuser Hand und Arm aus dem Erdschutte. Der Sturz war ohne romantischen Eklat langsam, nach vielem Geseufze und Gestöhne, eingetreten. Kein Mensch war verunglückt, aber die armen Leute, die jetzt bei hereinbrechendem Abend erst merkten, daß sie keine Schlafstelle mehr hatten, sahen recht traurig aus. Der eine hatte eine Axt, der zweite einen Bock, einer ein Spinnrad gerettet. Sie trieften vom Regen, denn sie standen schon ein paar Stunden und wußten nicht, was sie tun sollten.

Dergleichen kann oft in diesen Gegenden vorfallen. Der Typus der Bergformationen ist steil und senkrecht, und das Fleisch späterer Erdschichten hat sich nur weich an die Urknochen gelegt. In einem regnerischen Sommer löst sich leicht eine Schicht von der kompakten Bergmasse.

Durch stille Dörfer, in denen eine Menge hoher Mastbäume aufgerichtet standen, fuhren wir zurück. An den hohen, glattgeschälten Bäumen flatterten bunte Bänder. Buben und junge Männer kletterten daran des Sonntags in die Höhe, und die Mädchen jubelten dem zu, der am höchsten kletterte. Das Abendrot vergoldete die Feste Salzburg, daß sie stolz und prächtig wie ein Sieger aussah. Wie Purpur schlug sie sich die Röte des Himmels um die Schultern und sah höhnend herunter auf das kleine Geschlecht mit seinen alltäglichen Sorgen, das sich im Schweiße abquält. Die Nacht kam, und wir fuhren im Dunkeln durch die bergige Stadt bis an unseren Gasthof, ließen uns Tee kochen und tranken ihn aus blau bemalten kleinen Tassen.

 

Als ich am nächsten Morgen wieder auf der Brücke stand, und die alte Sonne mir warm und lachend in die Augen schien, als die Salzach morgenvergnügt durch ihr Bett sprang, und von oben herunter die Festung und der Mönchsberg im Morgenscheine wie junge Ritter aussahen, da gefiel es mir wohl. Voll fröhlicher Hoffnung stieg ich hinauf zu den Bergen. Der Weg nach dem Kapuzinerkloster geht mitten aus der Stadt steil hinauf. Ein Mönch stand am Wege und betete. Die braune Kutte stach widrig schmutzig von der Reinheit seiner Umgebung ab. Das Gesicht war mager und unkultiviert, die Lippen bewegten sich unheimlich. Für ihn gab es den jungen Sonnenschein und die herrlich lachende Natur nicht.

Oben hinter dem Kloster begann ein fröhlicher grüner Wald, in dem ich höher und höher stieg. Es ist keiner der geringsten Vorteile des Lebens in Salzburg, so schnell mitten aus der Stadt in einen rauschenden Bergwald steigen zu können. Auf seiner Höhe steht ein Haus, dort aß der Archivarius Butter, Brot und Käse und lobte sie sehr. Aus den Fenstern sah man in die abgeschlossenen Täler. Links unten manövrierten österreichische Reiter aus Salzburg. Sie sahen aus wie kleine Puppen, an unsichtbaren Fäden gezogen.

Der Weg zur Festung ist sehr steil und die Lebensmittel werden unter Schweiß und Ächzen hinaufgetragen. Es ist auffällig, daß man noch nicht auf den Gedanken gekommen ist, sich diese Arbeit durch Winden oder Maschinen zu erleichtern. Der Führer sagte uns, nur der Gouverneur dürfe den steilen Weg herauf reiten, hinunterreiten könne er ihn nicht. Der Gouverneur reite aber nie herauf.

Als Merkwürdigkeit wurden uns unten in der Stadt zwei große Reitbahnen gewiesen. Die eine war von Tribünen umgeben und bildete einen vollständigen Turnierplatz. Ich fingierte mir ein modernes Turnier, der Archivarius verteilte die Rollen und spielte den Kampfrichter. Professor Jarcke und Armand Carrel brachen die erste Lanze. Man bedeutete uns aber, wir dürften nicht soviel Spektakel machen und wies uns hinaus.

Dicht dabei ist das große Felsentor. Es ist ganz in Stein gehauen und von respektabler Menge.

Langsam und ermattet vom Schauen und Laufen wandten wir uns zum Markte hin, an den die Domkirche anschließt. Die Straßen waren still und andächtig, auf dem Markte plätscherte ein Springbrunnen.

Die Domkirche ist das erste Gebäude dieser Art, das nicht im gotischen Stil erbaut ist. Das erste Zeichen des nahenden Südens. Alle ihre Formen sind breiter und üppiger, die Säulen fester. Die asketischen, langen, schmalbackigen gotischen Kirchenfiguren hören auf. Die Gebäude breiten sich aus, um die weiche Luft in größerer Ausdehnung aufzunehmen. Die Dächer werden platter und runder, damit die Schatten breiter fallen. Nun machten wir einen Spaziergang durch die tieferliegenden bischöflichen Gärten, durch altfranzösische schattenlose Gänge mit kolossalen Statuen. Alle Bildsäulen deuteten auf die Sinnlichkeit des Krummstabes in Salzburg.

Die Wasserkünste des Lustschlosses in Hellbrunn, das die Salzburger Hellabrunn nennen, sind noch erhalten.

Man fährt durch eine schöne Allee von Hellabrunn nach Salzburg. Wir waren einstimmig betrübt, daß die schönen Gemächer des bischöflichen Freudenschlosses jetzt schon so leer ständen; etwas Sünde und viel Freude sind doch besser als viel Tugend und säuerliche kleine Vergnügen.


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