Reise durch das Biedermeier
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Schwaben

Offen gestanden, ich weiß eigentlich nicht recht, wie ich nach Schwaben gekommen bin. Schon jenseits des Schwarzwaldes, auf der Pfälzer Seite, wohnen Schwaben. Wir gelangten mittags in ein kleines Städtchen am Fuße des Gebirges. Es hatte zu regnen aufgehört, und die Sonne schien mit weißlichem Glast. In der schlecht gepflasterten Straße war es still wie in einer Kirche. Selten trat ein Handwerker von seiner Arbeit ans Fenster, um nach dem fremden Wagengeräusch auszuschauen. Eine Post gab es hier gar nicht, in einem alten Wirtshause sollten wir nach Pferden fragen. Das Wirtshaus war totenstill. Mit Mühe fand ich die dicke, etwas schmutzige Wirtin aus den wüsten Winkeln des Gebäudes heraus. Es war eine gutmütige, verwunderte Schwäbin. Sie erschrak ernstlich vor dem preußischen Papiergelde: dergleichen habe sie niemals gesehen. Daß ich diese Papierzettel für Geld ausgeben wollte, erschütterte ihren Glauben an meine Solidität völlig. Ich flüchtete zum Golde. Ja, in der Franzosenzeit hätte sie ein paar Napoleondors von weitem erblickt, aber zum Friedrichsdor schüttelte sie ungläubig das Haupt. Die Lage war schlimm. Es wurde zum Krämer des Ortes gesandt, er ließ zurücksagen, das sei wohl Geld, aber hierzulande könne man »es nit brauche«.

Der hohe Berg, den wir passieren mußten, hieß der Kniebis. Wir fuhren über ihn nach Freudenstadt, in dem wir wieder braven Schwabenherzen durch das preußische Papiergeld Schrecken einjagten.

Nach dem Süden hinunter hebt und senkt sich weithin das Gebirge. In diesem Oberlande, dessen »Rauhe Alb« Gustav Schwab für seine Beschreibungen gepachtet hat, wohnt der arme Württemberger, der hölzerne Uhren macht, oder Quirl und Kochlöffel, der pietistisch wird, weil er nicht viel anderes zu tun und sehr wenig zu essen hat, und weil er den Himmel nie anders gesehen als streng und versagend. In diesem Oberland, an den Hängen der Alb bis in die Nähe der Schweiz hängt über Schwaben ein regenschwerer, trüber Protestantismus, den nur hie und da die frische Urkraft dieses kernigen Volkes wie ein Sonnenblitz durchbricht. Erst am Bodensee, wo das Land weich und ergiebig wird, hat sich ein heiterer Katholizismus erhalten. Der Gegensatz zwischen Schlesien und Schwaben ist frappant, in Schlesien ist der düstere, zurückgebliebene Teil katholisch, in Schwaben ist der magere dogmatische Ernst, die Armut und Strenge beim Protestantismus zu finden.

Bergauf und ab ging es in der Nacht weiter durch die Hügel von einem kleinen Städtchen zum andern. Jeder Posthalter nötigte uns ein überflüssiges drittes Pferd auf, weil die »Steig« zu hoch sei. Als der Morgen kam, fuhren wir die letzte Steig hinunter. Stuttgart dampfte unten in einem engen, ringsum geschlossenen Bergkessel.

Man rühmt den Schwaben großen Respekt vor dem weiblichen Geschlecht nach. Die Keuschheit wird dort nicht nur geehrt, sondern auch gelehrt. Es gibt nichts Unschuldigeres als einen schwäbischen Dichter. Sie leben und dichten von der Ahnung eines Kusses. Es ist möglich, daß ihr Hauptdichter Uhland niemals geküßt hat. Und doch ist er ein guter Dichter geworden. Vielleicht deshalb! Der Genuß ist bekanntlich für den Menschen sehr angenehm, aber gedeiht der Dichter nicht besser in der Entbehrung? Besingt man nicht schöner, was man ersehnt, als was man besitzt? Hier im Schwabenlande war der Mittelpunkt des deutschen Mittelalters. Fast alle großen deutschen Kaisergeschlechter haben hier ihre Stammburgen. Aber während sie mächtig wurden, sank die Bedeutung ihrer Heimat. Vielleicht wurde die Vormacht Schwabens durch die vielen Reichsstädte und die Kämpfe seiner Stände gemindert. Eines aber bleibt zu beklagen: daß die klingende schwäbische Sprache der mittelalterlichen Dichtung so wenig Spuren in unserem Hochdeutsch zurückgelassen. Leute, die selbst nicht singen können, plagen uns mit dem Generalbasse alter deutscher Poesie, von dem Klange der alten Lieder aber ist nur wenig in unsere Redeweise gerettet worden. Schwaben ist heute noch eine Taschenausgabe des alten deutschen Volkes und Reiches. Alle unsere Vorzüge und Fehler sind dort am Leben geblieben. Man ist mutig und gesund, idealistisch im großen, materiell im kleinen, aber man hat keine Brücke zwischen beiden. Jeder einzelne will herrschen, jedes Dorf etwas Besonderes sein. Das Wort »Deutschland« ist sehr beliebt für Reden und Trinkgelage. Man hat große Worte und gute Herzen, aber man weiß seine Ideen nicht im Alltag zu leben.

Die Schwaben, gesegnet mit manchem glücklichen Talente der Dichtkunst, haben sich zu Dichtergruppen zusammengeschlossen. Gustav Schwab, weil er bloß um zwei Buchstaben weniger ist als ganz Schwaben, hat sich zum Vogt gemacht gegen alles, was im Norden den Frühling besingen will. Dieser wohlgenährte Gymnasialprofessor, der Uhland mit seinem hübschen Provinztalente so geläufig kopiert, ist der prustende Repräsentant alles dessen, was schwäbelt. Er verwaltet ganz im stillen die deutsche Literatur in Stuttgart und schützt sie vor zudringlichen Geistern. Dabei befindet er sich sehr wohl. Auch die deutsche Literatur befindet sich sehr wohl, sie hat nichts zu tun, als den Sonnenuntergang zu beschreiben und zu schildern, wie die Veilchen blühen und wie Herr Eberhard im Barte über Land geritten sei.

Dieser schwäbische Ton ist uns, mit allem Ernste gesprochen, lieb und wert. Aber es ist ein Ton, eine Melodie. Man will doch nicht das ganze Jahr den schönen grünen Jungfernkranz hören und die Bescheidenheit der schwäbischen Verse. Bescheidenheit ist recht gut, aber man ist noch nichts Besonderes, wenn man nur bescheiden ist.

Der Protest gilt nur der Anmaßung. Diese Dichtung, die eine historisch-romantische Sehnsucht mit glücklichen, weichen Worten wohl zu fassen vermag, hat in diesem kleinen Kreise ihren Wert. Uhland besonders sind einzelne Lieder gelungen, die so schön sind wie Goethes Verse aus guter Zeit. Schwabens Dichter dürfen aber nicht annehmen, an den Grenzen ihres Landes sei die Welt zu Ende. Dies Bergterrassental Stuttgart, diese kleine Residenz mit ihren einzelnen reizenden Vorzügen, mit ihren bescheidenen Landhäusern und Baumgruppen, die sich nach dem Neckar sehnen, diese große kleine Stadt, wo sich alles kennt, wo ein Fremder die Neugier und Forschung des ganzen Ortes rege macht, diese Berge, die in eure Schlafzimmer steigen mit Wald und Käfern, diese Markttage, die alle Gestalten und Spielarten Schwabens zusammenführen – das ist eure Welt! Die erleben wir in euren Liedern. Aber nur in diesem Umkreise ist eure Dichtung berechtigt. Die große Welt der Kühnheit, der vielen Entdeckungen liegt fernab von euch. Man liebt euch, achtet euch und hofft auf euch, auf den tiefen Born eurer Bestimmung und Kraft. Aber ihr wohnt in einem kleinen Tale. Ihr seht das Nächste groß und schön, aber ihr seht nicht weit. Verlangt nun nicht das Unmögliche, wollt nicht ein herrschender, weithin sichtbarer Leuchtturm sein. Ihr seid es nicht, ihr leuchtet romantisch violett-blau wie eine Blume im Tale. Gutzkow hat euch geärgert, aber er hat ganz recht mit seinem Ausdrucke: es bedeutet für euch Weltschmerz, vom Spaziergange keine neuen Gleichnisse mitzubringen.

Wir wollen indes nicht übertreiben. Nicht alles gehorcht dem dicken Held der Maikäferclique. Pfizer, ein feiner und tatstarker Geist, überrascht durch eine stolze, allgemeine Bildung und eine große kühne Spekulation. Er ist jetzt der einzige Schwabe, der den »Briefwechsel zweier Deutscher« schreiben kann. Es ist sehr zu beklagen, daß er sich zu sehr durch Parteistandpunkte bestimmen läßt, nicht sowohl schaffen als bessern will und für die freie Welt des nach außen geoffenbarten Lebens kein empfangendes, sondern nur ein geistreich neckendes Herz besitzt. Der puritanische Hauch der schwäbischen Täler hat auch seine stolze Brust berührt. Es ist auffallend, daß die geistreichsten, frischesten Männer Schwabens von der Freude, der rücksichtslosen roten Farbe des Lebens, dem Atem der Gottheit, wenig wissen wollen. Sie wird stets nach ihrem moralischen Passe gefragt. Die Moral in Ehren, aber sie ist die höhere Polizei der Bildung, die Poesie deren Grundlage.

Bei aller Kritik, für die dieser Volksstamm reichen Stoff liefert, trotzdem man die Schwaben starr, kleinstaatlich, hausschüchtern, trotzig und philisterhaft nennen möchte, sind sie doch der kernigste, innerlichste und schöpferischeste Stamm des deutschen Oberlandes. Ein Stamm, aus dem nach langem, unscheinbarem Hinbrüten immer wieder ein neuer stolzer Zweig hervorbricht.

Der Schwabe wird nicht vor vierzig Jahren klug, sagt das Sprichwort. Aber mit vierzig Jahren wird er klug, dessen kann sich nicht jeder andere rühmen. Und wenn ein Schwabe vor vierzig Jahren klug wird, so ist er sehr klug.

Die Bezeichnung ist genauer aus dem besonderen Sinne des Wortes klug zu erklären: ein gewandter Weltverstand, ein geschmeidiges, wendungsreiches Element der Schlauheit ist in Schwaben nicht zu Hause. Aber wenn eine Potenz des Geistes sich offenbart, so ist sie gewaltiger als jede Klugheit. Zur kleinen Schlacht, zum raschen Schleudern der Wurfgeschosse, zu Wendungen und Manövern ist der Schwabe nicht geschickt. Aber er schleudert ganze Felsen und Gebirge, wenn sein Geist in den Krieg zieht.

Vielleicht ist es ergiebiger und amüsanter, von den Schwaben zu hören und zu lernen, als in ihrer Mitte zu weilen. Vielleicht ist der Schwabe am liebenswürdigsten und größten, wenn man ihn nicht sieht.

Schiller war ein Schwabe. Hier in Stuttgart ist seine Poesie zur Welt gekommen. Ein Herr von Schaffenstein hat auf die liebenswürdigste Weise erzählt, wie sich die Zeit der Wehen und Geburt nach außen geoffenbart habe. Er war ein Vertrauter Schillers auf der Karlsschule. Aus seiner Mitteilung geht auf eine rührende Weise hervor, mit welch schwerer Gewalt sich der Genius losringt und die harte Schale zu sprengen trachtet.

Die Länge des Bergkessels hinauf, in dem Stuttgart liegt, zieht sich die Hauptstraße der Stadt, die Königstraße, wo das Haus Cotta und das Haus Seydelmann liegen. Ein breiter flacher Platz breitet sich rechts in die Absenkung hinein. An seinem Ende liegt das Schloß, das Theater und alle Nebengebäude. Darunter auch das Haus, in dem früher die Karlsschule untergebracht war und in dem Schiller zum Dichter wurde. Dahinter breitet sich der Park nach der Talöffnung, in der man in einer Entfernung von einer halben Stunde dem Neckar bei Cannstadt begegnet. Das Schloß und seine Umgebung sehen behaglich und vornehm aus, ohne übertriebene Ansprüche zu erwecken. Vorne auf der Fassade steht eine Krone. Deshalb nennen die mediatisierten Herren, die hier wohnen und denen die moderne Souveränität sehr kostspielig und nicht genehm ist, ihren Souverän, den Schloßherrn, Kronenwirt. Diese wohlfeile Entschädigung für die verlorene Herrschaft wird ihnen niemand mißgönnen.

Zwischen den Flügeln des Schlosses, dicht unter den Fenstern des Königs, ist ein stiller, schattiger Platz. Hier soll ein Standbild Schillers aufgestellt werden, doch bringt eine starke Opposition einen anderen Ort in Vorschlag. Es sollte mir leid tun, wenn sie Erfolg hätte. Ein Denkmal ist ein Sinnbild des Genius. Der Schillersche sollte hier den Raum der trockenen Karlsschule neben sich sehen, wo er geschmachtet und gerungen hat.

Herr von Schaffenstein kann gar nicht genug beschreiben, wie das kein Mensch von Schiller erwartet habe. Der Genius hat so wenig von sich merken lassen, daß der Aufseher gerade auf den armen Friedrich ein besonders ärgerliches Auge geworfen hatte. Ja, Schiller wurde des öfteren wegen seiner mangelnden Waschbeflissenheit von ihm als »Schweinepelz« apostrophiert. Das Wort will nicht recht zu den »Göttern Griechenlands« passen und muß billigerweise jede für Schiller schwärmende Dame sehr irritieren. Außerdem wird die dichterische Jünglingsgestalt durchaus einem Storche ähnlich beschrieben, mit langen, mageren Armen und ebensolchen Beinen, die in weißen, äußerst schmalen Hosen steckten. Der Unterschenkel sei mit Gamaschen bekleidet gewesen und habe durch den unterlegten Filz den Schenkel an Umfang und Dicke übertroffen. Auch der Hals habe sich lang und mager präsentiert. Stellt man sich nun noch Fäustchentoupets und einen langen hartnäckigen Zopf am Hinterhaupt vor, so erkennt man wohl, welche Arbeit es für den Genius bedeuten mußte, in stolzer Grazie durch diese Maske durchzubrechen.

Eine weiße Papageiennase und rote Augenbrauen, die sich über tiefen dunkelgrauen Augen zusammenschlossen, beherrschten sein Gesicht. Doch habe darüber schon von früh auf ein pathetischer Ausdruck gelegen. Die Lippen waren dünn, die untere stand, wie in der habsburgischen Familie, etwas vor und erzeugte beim Sprechen den Eindruck großer Energie. Das Kinn war stark, die Wangen blaß und eingefallen und von Sommerflecken betupft, die Augenlider waren meist entzündlich gerötet, das Haupthaar sah buschig und dunkelrot aus. Der Kopf, mehr einem Geist als einem menschlichen Wesen zugehörend, zeigte Mut und viel Ausdruck. Die Stimme war kreischend und unangenehm, Schiller beherrschte sie so wenig wie sein Gesicht.

Rechnet man hierzu den bedenklichen schwäbischen Akzent, so erklärt sich wohl, wie die Vorlesung seines »Fiesko« in Mannheim unglücklich ausfallen konnte. Alle seine Hoffnung war zunächst auf Annahme und Darstellung dieses Stückes gesetzt, als er von Stuttgart dahin floh. Die bedeutendsten Schauspieler hörten zu. Einer nach dem andern schlich fort. Jeder erklärte, an dem Stücke sei gar nichts, es sehe dem Verfasser der »Räuber« ganz unähnlich. Wie sauer hat es die Welt Schiller gemacht. Wahrlich, er mußte seine eigene Welt erfinden, um des Glückes und der Begeisterung teilhaftig zu werden.


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