Reise durch das Biedermeier
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Sankt Stephan

Es war einer jener goldenen Wiener Morgen, da die Sonne wie ein mutwilliges Lächeln über die Dächer der hohen Häuser läuft, das stündlich größer, wärmer und gefährlicher wird. O Wien, ich werde dich mit deinen hohen Häusern und engen Straßen und deinem Morgen nie vergessen. Die Donau dampft, auf den Bastionen liegt die Frühsonne weiß wie Schnee, blauer Nebel fällt wie Schmelz auf die hereinragenden Berge. Durch die Straßen, durch die Tore, über die Brücken strömen lächelnd und geschäftig die Menschen. An den Straßenecken werden große Vergnügungszettel angeklebt, das Tor der Welt öffnet sich knarrend, alle Herrlichkeiten warten des Fremden, der aus den Fenstern seines Gasthofes in diese lachende, nahe Zukunft blickt.

Ich wohnte in der Vorstadt und übersah das alles: Wasser und Stadt, Berge und Brücken, Zettelträger und Mädchen. Unter mir floß die Donau nach Ungarn. Neben mir arbeiteten in der Leopoldstadt die Riemer, Sattler und Wagenbauer.

Aus den vielen Worten meines Freundes gestern abend hatte ich behalten, daß ihm die schöne Dame für diesen Morgen ein Rendezvous im Stephansdom zugesagt hatte. Das und den Stephan selbst wollte ich sehen. Der Stephansturm ist eine steinerne Pyramide, die ohne abzusetzen, ohne zu ruhen, in die Wolken steigt, leicht und ohne Beschwerden, als ob sich eine Hand zum Himmel hebe. Aus Stein ziseliert, wie der Metallarbeiter ein zierliches Modell ausfeilt für einen Meister, der zugleich Vater einer geliebten, schönen Tochter ist. Heiliger Stephan, wodurch hast du eine solche Arbeit, solch einen Sieg über Stoff und Stein verdient, was hast du getan? Ich weiß es nicht und brauche es nicht zu wissen. Sicherlich bist du über Verdienst belohnt, denn ein solches Werk ziemt den Göttern, nicht den Heiligen. Heilige sind Parvenüs, Götter und Helden stammen aus Jovis' Lenden.

Steinerner, gemeißelter Stephansturm, du hast mich oft an die Sage von unterirdischen Riesen erinnert, den Nachkommen der alten bezwungenen Titanen, die unter uns arbeiten im Schoße der Erde. Einst spielten die Titanenbuben Krieg. Sie splitterten sich dazu Türme aus dem Felsen. Einer der übermütigsten Jungen warf sein Türmchen zu weit in die Höhe, da ist es bei der Geroldschen Buchhandlung in Wien aus der Erde gefahren.

In jener Buchhandlung am Stephansplatz habe ich mir den Turm am fleißigsten betrachtet. Wenn man ihn lange unverrückt ansieht, so hüpfen am Ende die vielen Schnörkel, die sich regelmäßig pyramidenförmig aufbauen, zu einem lustigen Tanze durcheinander. Die Welt dünkt einem dann wie der lustige Spaß eines Konditors, St. Stephan wie eine Baumtorte aus Marzipan. Aber das kann nur passieren, wenn man bereits vom Büchertreiben im Geroldschen Laden verwirrt ist.

Dort gibt es nämlich eine ganz andere Literatur als bei uns. Sämtliche Werke der Karoline Pichler, des Herrn von Kotzebue und Ifflands Schauspiele werden einmal über das andere verlangt. Herr Gerold mit seinem leutseligen schalkhaften Lächeln gibt links und rechts Befehle, die unsterblichen Werke dieser Heroen in dauerhaftes Packpapier zu emballieren. Ich habe nirgends soviel kaufen sehen wie dort, und die Begeisterung, Schriftsteller zu sein, wäre ins Turmhohe gestiegen, wenn die in Leinen und Seide grün und braun gebundenen langen Reihen andere Devisen und Wappen getragen hätten.

Die allgemeine Lektüre in Österreich ist noch sehr altmodisch. Man lebt noch im Zeitalter der deutschen Klassiker. Karoline Pichler, Hofschauspieler Lemberg, der nebenbei ein sehr liebenswürdiger Mann ist, Braun von Braunthal, der Ritter, gehören alle zu den Klassikern. Holde Zeit der Klassiker, wo der Dichter noch zerstreut und ungezogen sein darf!

An jenem Morgen ging es bei Gerold sehr stürmisch her. Alles wollte Karoline Pichler besitzen. Ich saß über Bonapartes Briefen an Josephine, die eben angekommen waren. Über dem Lärmen und Napoleons Liebesversicherungen hätte ich beinahe überhört, wie es vom Stephan elf schlug; die Stunde des Rendezvous.

Mein Bekannter lehnte schon, seine Lorgnette lässig in der Hand haltend, an einem Pfeiler, als ich in die Kirche trat. Die großen, kühlen Kirchen der katholischen Christenheit scheinen wirklich nicht bloß zu kirchlichen Zwecken erbaut zu sein. Dieser bärtige, alte Student war auch nicht ihretwegen gekommen. Gott weiß, was er für eine Religion hatte. Im allgemeinen teilte er jene französischen, halb deistischen Ansichten, jene aufklärerischen Gedanken, die von Prosa und Unerquicklichkeit starren.

Die Gesetze des ABC, des Einmaleins, der Trivialität sind diesem Genre ein und alles. Der Herrgott wird berechnet wie der Transito, Ahnung und Poesie gelten ihnen als lässige Spielerei.

Manches Männlein und Fräulein war im Dome des heiligen Stephan zu sehen. Die fröhliche, skrupellose Sonne des Spätmorgens schaute lachend durch die hohen, schmalen Fenster und belebte diesen heiteren Katholizismus.

Ich wandelte von einem Altar zum anderen. Die kleinen Altäre sind ein liebenswürdiges Zugeständnis an die Sündhaftigkeit der Welt, die Einsamkeit zu zweien sucht. Der Protestantismus ist für die Ehe, der Katholizismus für die Liebe.

Eine hohe Dame im seidenen Gewande rauschte an mir vorüber nach dem Hochaltare. Sie war es. Eine herausfordernde, imponierende Gestalt. Blasser war sie als am Abend vorher. Aber das Auge war voller Freiheit und Leidenschaftlichkeit – durchaus nicht von gedankenloser Leidenschaft, sondern wie jene großen, festschließenden Augen, die zuweilen plötzlich irre werden in ihrer stolzen Sicherheit, erweichen, voll Gedanken stillestehen und die runde, blasse Wange zu betrauern scheinen.

Beim Vorübergehen hatte sie mich mit ihrem herausfordernden Blicke gemessen und mich gezwungen, ihr vorauszugehen und mich umzublicken. Da sah ich, wie sich ihr Blick nach innen kehrte, als sie in der Nähe des Hochaltares niedersank. Dann zog sie einen Handschuh aus, um unter die schwarzen Locken zu fahren, die sich um die weiße Schläfe gelegt hatten. Die Hand war etwas zu groß, um für schön gelten zu können, aber sie war interessant. Aber ich irre mich, sie war verführerisch, und das ist etwas ganz anderes. Ihre gesättigten Formen waren mit jenem leichten Gelb überflogen, das zuweilen südliche Kraft und eine männliche Tüchtigkeit der Empfindung anzeigt.

Ihr Verehrer kam mit seinen Sporenstiefeln herangeschlürft, so leise als es sein schwerer Schritt gestattete. Aber Frauen erkennen am Tritt ihren Liebhaber, auch wenn sie ihn niemals gehen sahen. Sie blickte von Rosenkranz und Andacht auf, nickte mit dem Augenlide und betete weiter.

Sie erhob sich, lenkte meinen Freund mit dem Blicke und schritt durch die Kirche ins Freie.

Katholische Mädchen gehören dem Liebhaber und dem Herrgott zur gleichen Zeit einträchtig nebeneinander. Sie sind nicht so töricht, einem von ihnen Eifersucht zuzutrauen.


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