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XXIV.

Unsere Träume

Wenn wir schlafen, so wird der gesamte Lebensprozeß herabgesetzt; Blutumlauf und Atmung sind verlangsamt, der Stoffwechsel ist träger, die Muskeln entspannen sich, die Sinnesorgane erlahmen und schließen uns gegen den größten Teil der Reize ab, die im Wachen das ausmachen, was wir die Außenwelt nennen. Das Zentralorgan des Bewußtseins, unser Gehirn, ruht von seiner Arbeit aus.

Aber der Mensch schläft nicht ganz. Wie derjenige Teil des Nervensystems weiter arbeitet, der Herzschlag und Atmung reguliert, so sind auch einzelne Partieen des Gehirns in Tätigkeit, d. h. einzelne Vorstellungskreise sind dem Bewußtsein zugänglich. Doch es ist eben nur ein Teil, nicht das Ganze. Die Gesamtwirkung des Bewußtseins, das ist die Wirklichkeit unseres Einzellebens; die Bruchstücke unseres Bewußtseins im Schlafe, das sind die Träume. Wir können das Gehirn einer künstlichen Spieluhr vergleichen. Die regelmäßige Umdrehung der ganzen Walze liefert die geordnete Harmonie eines Musikstückes. Sind aber nur noch wenige Zapfen an der Walze stehen geblieben, und wird sie ruckweise gedreht, bald schnell, bald langsam, so erhalten wir bloß noch abgerissene und verzerrte Stücke des Kunstwerks, eine verstimmte Musik, bei der wohl hie und da ein reiner Ton hervorklingen kann, die Verworrenheit aber vorherrscht. Dieser zerbrochenen Spieluhr gleicht das Gehirn im Schlafe; die verworrenen Töne sind die Träume, Reste und Trümmer der wachen Vorstellungstätigkeit. Wir haben im Traume nur das zerrissene Schattenbild der Wirklichkeit, und wenn es uns vorkommt, als ob hier und da die Farben lebhafter glänzen als im Wachen, so ist es darum, weil der Gesamtton so dunkel gehalten, ist, daß dem gegenüber selbst eine schwache Beleuchtung/ schon hell erscheint. Der erste, spärliche Lichtstrahl, der uns aus der Wirklichkeit trifft, ein leichtes Öffnen des Augenlides, läßt die ganze Traumherrlichkeit verbleichen.

Wodurch nun unterscheiden sich die Traumbilder von der Wirklichkeit? In welcher Weise äußern sich die Störungen des Bewußtseins im Schlafe, wie verändern sie das Weltbild des wachen Zustandes, und woher stammen die Trümmer unseres Lebens im Traume?

Was wir irgend einmal wahrgenommen haben, das bleibt, auch wenn es uns nicht gegenwärtig ist, doch in Zusammenhang mit unserm Bewußtsein, es läßt Spuren zurück, es kann als Vorstellung wiederkehren. Jede Vorstellung und jede Wahrnehmung rufen aber, wenn sie ins Bewußtsein treten, zugleich andere Vorstellungen mit ins Bewußtsein, mit denen sie früher einmal zusammen waren. Man nennt diese gegenseitige Verknüpfung bekanntlich die Assoziation der Vorstellungen. Im Laufe des Lebens haben sich nun unter allen Vorstellungen die mannigfaltigsten Assoziationen gebildet, so daß mit jeder Vorstellung zugleich eine große Anzahl anderer bereit werden, ins Bewußtsein zu treten. Dieses ganze Gewirr von Vorstellungen steht zu unserer Verfügung, und so kommt es, daß man sozusagen bei allem an alles denken kann. Aber das Dasein eines vernünftigen Menschen im wachen Zustande besteht darin, daß er nicht an alles denkt, woran er allenfalls denken könnte, sondern nur an dasjenige, was dem jedesmaligen Interesse seiner Beschäftigung und seines Vorhabens entspricht. Der wache Zustand ist also ausgezeichnet erstens durch den Reichtum an verfügbaren Vorstellungen, zweitens durch deren selbsttätige Ordnung und Auswahl. Diese Ordnung geschieht dadurch, daß wir imstande sind, willkürlich eine Vorstellung oder Vorstellungsreihe festzuhalten, indem wir die störenden Vorstellungen hemmen und zurückweisen und die zugehörigen verstärken d.h. die Aufmerksamkeit ihnen zulenken. Sagt uns z.B. jemand, in der Schlacht bei Leipzig sei Maria Theresia von Karl dem Großen gefangen genommen worden, so wundern wir uns darüber nicht und können nicht widersprechen, wenn uns die entgegengesetzten Tatsachen nicht gegenwärtig sind (s. S. 292, 301). Oder wenn wir eine Zahlung, in Empfang nehmen und die runde Gestalt der Geldstücke uns auf die Vorstellung »Schokoladenplätzchen« führt, so werden wir sie statt in das Portemonnaie in den Mund stecken, wenn wir nicht imstande sind, diese störende Vorstellung zurückzuweisen. Im Schlafe ist es nun so; wir beherrschen unsere Vorstellungen nicht; wie sie kommen, so geben wir ihnen nach. Erstens haben wir eine geringere Anzahl von Vorstellungen zur Verfügung als im Wachen, der geistige Horizont ist beschränkt; zweitens ist die Verbindung der Vorstellungen nicht mehr gesichert, unser Denken entgleist auf seinen Bahnen; drittens können wir die Vorstellungen nicht wählen, die störenden nicht abweisen, eben weil das, was uns einfällt, keinen Widerspruch vorfindet. Dies erklärt die Urteilslosigkeit, die Konfusion und die Zerfahrenheit der Träume.

Im Wachen ist uns die Beherrschung unserer Vorstellungen nun noch dadurch erleichtert, daß wir durch unsre Umgebung immer aufs neue gezwungen werden unsre Aufmerksamkeit, wenn sie einmal abschweift, unserem Vorhaben wieder zuzulenken. Vergessen wir auf unsern Weg zu achten, so stolpern wir und passen dann wieder auf. Folgen wir dem Vortrag eines Redners, und flüstert uns die Nachbarin etwas zu, so werden wir bei gespannter Aufmerksamkeit dies überhaupt nicht hören; lassen wir uns aber dadurch stören, so wird uns der fortgesetzte Klang der Rede doch bald wieder daran erinnern, zu welchem Zwecke wir gekommen sind. Diese äußeren Hilfsmittel der Aufmerksamkeit fallen nun im Traume fort. Hier find wir ganz dem zufälligen Spiel innerer Reize hingegeben, wir vermögen weder unsere Aufmerksamkeit selbst zu lenken, noch wird sie durch eine geregelte äußere Einwirkung wieder auf ihren Weg verwiesen. Träumen wir, einen Vortrag zu hören, und träumen wir zugleich, daß uns jemand dabei ins Ohr sage, es ist recht heiß hier, so geht der Vortrag nicht, wie in der Wirklichkeit, weiter, sondern die Vorstellung »heiß« tritt sofort in den Vordergrund, wir sehen vielleicht den Redner als einen glühenden Ofen vor uns. Daher kommt es, daß in unseren Träumen meist eine so völlige Verwirrung und ein schneller Szenenwechsel herrscht. Die Träume gehören deshalb zu denjenigen Erlebnissen, die man streng genommen niemand mitteilen kann.

Was an Träumen erzählt wird, das trifft garnicht den Inhalt des Traumbildes selbst, sondern es gibt auf der einen Seite immer mehr, auf der anderen weniger, als der Traum enthielt. Die Übersetzung der schwankenden Traumerscheinung in den festen Zusammenhang der Sprache zerstört die Eigenart und läßt nur das ungefähre Motiv des Traumlebens übrig. Einem mir bekannten Herrn, der ein Jagdliebhaber ist, erzählte ich, daß ich ihn im Traume gesehen habe, wie er mitten in einem Flusse auf einem Wehr stand und eine aus dem Wasser auftauchende Ente schoß. Ich bildete mir ein, den Traum ganz genau berichtet zu haben; aber wie sehr wich die Erzählung von dem wirklichen Traumbild ab! Man wird fragen, wie sich das konstatieren läßt? Nun, das ist eben nur möglich, durch eine sorgfältige und gewissenhafte Aufzeichnung des Traumes unmittelbar nach dem Erwachen. Läßt man auch nur einige Minuten vergehen bis zur Notierung, so sind die Details des Traumes bereits dem Gedächtnisse entschwunden. Wer daher über den Gang, seiner Traumphantasie eigene Studien machen will, der muß Bleistift und Papier bereit liegen haben und die Mühe nicht scheuen, sich sofort zu ermuntern und zu schreiben. Auch diese ersten Notizen werden sehr schnell vergessen, namentlich wenn man darauf noch einmal einschläft; man erinnert sich später eben nur noch an einzelne Züge; und indem, man dann den Traum zu erzählen versucht, bringt man sie in eine logische Verknüpfung, die im Traum durchaus fehlt. So ging es mir oben im erwähnten Falle. Die nächtlichen Notizen hatte ich vergessen, war aber im guten Glauben, das Erzählte geträumt zu haben. Als ich jedoch meine Aufzeichnungen nachsah, ergab sich ein ganz anderes, unbestimmteres Bild als das erwähnte. An dem Ufer, zwischen dem Fluß und einem Walde, war eine Gesellschaft zum Frühstück versammelt, der Fluß war durch ein Geländer abgegrenzt, das ich im Bau, sogleich aber auch fertig sah, während es an dem einen Ende zwischen Flußufer und einer Straße, die sich plötzlich dort befand, zu verschwinden schien. Mein Freund stand in dem Wasser auf etwas, was ich nicht deutlich erkannte, und zwar stand er mit »Gewehr über« auf Posten; schon aber legte er auf einen Gegenstand im Wasser an, den ich ebenfalls nicht erkannte, von dem ich jedoch vermutete, daß er ein Fisch sei; da sehe ich plötzlich hinter ihm eine gelbbraune Ente schwimmen. Durch den Wald kommt ein anderer Bekannter und erzählt Schreckensgeschichten von einem Gespensterweg, den er gegangen u.s.w. – Wir erkennen an diesem gleichgültigen Traumbilde, wie sehr wir nicht nur den ehrlichsten Berichterstattern, sondern auch uns selbst bei der Erzählung von Träumen zu mißtrauen haben. Ich habe gesagt, mein Freund habe auf einem Wehr gestanden und eine Ente geschossen; er hatte aber auf einem von mir gar nicht deutlich vorgestellten Gegenstande Posten gestanden und auf einen ebenso undeutlich vorgestellten Gegenstand angelegt; von einem Schusse habe ich nichts notiert. Außerdem waren noch eine Menge ungenau gesehener Nebenumstände da, die Material genug geboten hätten, den Traum für andere Verhältnisse zurechtzulegen, wenn der Erzähler ein Interesse daran gehabt hätte. Wir sehen hieraus, daß selbst der einfachste Traum eine so große Menge gleichzeitiger Bilder und zwar in so unbestimmten Umrissen darbietet, daß die spätere Erzählung daraus machen kann, was sie will. Der wache Verstand sieht sich gezwungen, die Unklarheiten nach eigenem Ermessen zu deuten; er paßt den Traum der Wirklichkeit an nach Maßgabe der ihm gewohnten Vorstellungen. So erklärt sich die Mehrzahl der sog. prophetischen Träume. Ohne es zu wissen und zu wollen, legt man sich das Traumbild unter dem Einflusse der Vorstellungskreise des Wachens zurecht und ist dann überzeugt, so geträumt zu haben.

Wenn, ich jetzt versuche, die eigentümliche Tätigkeit der Traumphantasie zu schildern, so werde ich mich nur solcher Beispiele bedienen, die ganz sicher beglaubigt sind oder aus eigener Beobachtung stammen. Nun ist es aber das Schicksal der Träume, daß sie sich nicht um große und interessante Dinge, um Haupt- und Staatsaktionen, um Kunst und Wissenschaft drehen, sondern meist um sehr alltägliche und gleichgültige Ereignisse, die uns um so weniger wichtig erscheinen, weil sie nur subjektive Erlebnisse irgend eines beliebigen, höchst unbedeutenden Privatmannes sind. Aber es handelt sich ja nicht um den zufälligen banalen Inhalt, ob jemand von einer Ente oder einer Bratwurst, von meiner oder deiner Tante geträumt hat, und ob das Peter oder Paul gewesen ist, sondern es handelt sich um die eigentümliche Verknüpfung der Vorstellungen, die typisch ist für die Tätigkeit der menschlichen Seele überhaupt. Auch das anatomische Präparat stammt von einer einzelnen, gleichgültigen Person, aber wir studieren daran nicht das Individuum, sondern die Gattung.

Die Konfusion in den Träumen ist so bekannt, daß es weiterer Beispiele nicht bedarf. Betrachten wir nur den bereits mitgeteilten Traum.

Ich sehe einen Bekannten, ich weiß, er liebt die Jagd. Im Wachen würde ich kaum gerade daran denken, aber im Schlafe sind die wichtigeren Beziehungen zufällig in Vergessenheit geraten. Sofort hat er ein Gewehr – auch Soldaten haben Gewehre, daher steht er Posten. Daß dies gerade auf dem Wasser ist, hat seinen Grund in einem äußeren Reize, der Durstempfindung, worauf ich später zu sprechen komme. Da aber die Vorstellung des Wassers aufgetaucht ist, so erscheint eine Ente als Ziel (Augenreiz s. S. 369). Das Bild des Flusses verbindet sich mit dem eines Waldes durch eine lokale Assoziation, indem ich eine bestimmte, oft besuchte Gegend vor mir sah. Der Wald führt durch sein Dunkel zur unheimlichen Vorstellung von Gespenstern – hier mischt sich ein anderes Motiv ein, das der körperlichen Beängstigung, das dann auch zum Erwachen führte.

Während in diesem Traume, wie in vielen ähnlichen, die sich durch schnellen Gestalten- und Szeneriewechsel auszeichnen, der Unterschied vom Wachen sich hauptsächlich in der fehlenden Zweckmäßigkeit der Assoziation zeigt, tritt bei anderen Träumen die Unterdrückung der Urteilsfähigkeit besonders hervor. Um uns einen Widerspruch bemerklich zu machen, gehört, so sagte ich, daß die widersprechende Vorstellung unserm Bewußtsein überhaupt gegenwärtig ist. Ihr Fehlen im Schlafe bewirkt, daß wir uns so häufig über die unmöglichen Situationen des Traumes gar nicht wundern. Wir sehen uns in einer fremden Stadt, ohne zu fragen, wie wir dahin gekommen; wir verkehren mit längst gestorbenen Personen, ohne darüber zu staunen; wir befinden uns in einer Versammlung, nehmen aber keinen Anstoß daran, daß alle Teilnehmer in sonderbar gestalteten Bettstellen liegen. Dies rührt offenbar daher, daß uns das Material zur Beurteilung, die Vorstellung des entgegengesetzten, natürlichen Verhaltens, augenblicklich fehlt; der Widerspruch kann somit nicht zum Bewußtsein kommen. Dauert der Traum einige Zeit an, namentlich, wenn wir uns dem Erwachen nähern und immer weitere Gehirnpartieen ihre Tätigkeit aufnehmen, so beginnen wir auch wohl uns zu wundern; wir suchen dann nach Erklärungen, aber der Mangel an zureichendem Vorstellungsmaterial bewirkt, daß diese Erklärungen äußerst verkehrt ausfallen, obwohl sie uns im Augenblicke vollständig befriedigen. Mir träumte einmal, daß an der Decke eines großen Saales Röhren befestigt waren, an denen sich Wagen von Eisenblech, etwa in der Größe eines mäßigen Koffers, hinschoben. Ich sagte mir, dies sei gewiß die neue » optische Eisenbahn«, versuchte also eine Erklärung, ohne die Sinnlosigkeit zu bemerken. Zugleich dachte ich, das sei die Bahn, auf welcher mein Bruder zum Essen fahre, begriff aber nicht, wie Menschen in den Wagen sitzen können. Trotzdem fuhr ich sogleich selbst auf der Bahn, ohne mir klar machen zu können, wie ich hineingekommen. Ich will fortgehen und lege meinen Wagen auf einen Tisch in der Mitte des Saales, wobei ich bemerke, daß der Wagen eine Blendlaterne ist. Hier hatte die Vorstellung der » optischen« Eisenbahn sich mit der kastenartigen Gestalt des Wagens assoziiert und die Vorstellung der Laterne hervorgerufen. Zugleich sehe ich, daß am Eingange des Saales ein Schutzmann den Leuten, die fahren wollen, solche Wagen austeilt. In einem andern Traume finde ich in einem Koffer eine große Menge Geldstücke, teils Gold, teils blanke Nickelmünzen, ich fühle sie deutlich unter den Fingern. Ich beginne mich zu wundern, wie ich zu so vielem Gelde kommen soll, da werden die Stücke immer weicher, sie lassen sich biegen, sie zerbröckeln; aha, denke ich, das ist Leberwurst und Cervelatwurst in Scheiben geschnitten, und auf einmal fällt mir ein, daß sich wegen der beiden Grundfarben grau, und rot vielleicht die ganze Welt als aus Leberwurst und Cervelatwurst zusammengesetzt erklären lasse. Ich hatte in diesem Augenblick – auf welchen das Erwachen erfolgte – das frohe Gefühl, eine große Entdeckung gemacht zu haben. Es waren eben alle widersprechenden Vorstellungen momentan im Bewußtsein ausgelöscht.

Wir sehen in diesen Träumen Beispiele vollständiger Urteilslosigkeit, zugleich verbunden mit dem Bestreben, Erklärungen aufzustellen. Besonders interessant für die Wiederkehr des klaren Bewußtseins ist mir ein Traum, worin ich ganz deutlich einen Beweis dafür gefunden zu haben glaubte, daß im gleichschenkligen Dreieck der eine Basiswinkel doppelt so groß ist als der andere. Ich wunderte mich darüber und suchte mir die Figur, die ich vor mir sah, deutlicher zu machen. Dies ist schon ein Zeichen des beginnenden Erwachens; und schließlich sagte ich mir, vielleicht handelt es sich doch um den Außenwinkel an der Spitze. Aber das Gefühl der Verwunderung einerseits, der Überzeugtheit im Traume andrerseits blieb noch eine Weile nach dem Erwachen bestehen, während die Versuche, die Figur so zu zeichnen, wie sie mir im Traume vorschwebte, leider vergeblich blieben.

Ein ferneres Beispiel des Wechsels von hellen und dunklen Momenten bietet folgender Traum, der sich auf dem Grunde eines allgemeinen Beängstigungsgefühls aufbaut. Ich befinde mich auf der Straße, kann mich aber nur mit größter Mühe fortschleppen. Da kommt ein Ausrufer und teilt mir mit, es nahe sich hier eine große Karawane von wilden Tieren. Sogleich sehe ich Kamele, Löwen, Tiger und andere Bestien heranziehen, und ich fühle mich nicht imstande, dem Zuge auszuweichen. Ich gerate in große Angst, zerrissen zu werden, da merke ich auf einmal, daß ich die ganze Geschichte bloß lese. Hier hatte offenbar das Angstgefühl das Gehirn soweit aufgerüttelt, daß ich mir momentan über das Unwahrscheinliche der Situation klar wurde und sie mir daher als bloße Erdichtung zu erklären suchte. Der Vorgang ist derselbe wie in denjenigen Träumen, in denen man sich selbst sagt, daß man bloß träume. Ein teilweises Erwachen läßt uns an der Möglichkeit des Geträumten zweifeln, und wir beruhigen uns mit der Erklärung, daß wir nicht Wirklichkeit vor uns haben, sondern bloß Traum, träumen aber ruhig weiter. In meiner Lage erklärte ich mir das Seltsame des Vorfalls als Inhalt meiner Lektüre. Nun dauerte aber die Angst vor dem Zerrissenwerden fort, und so kam ich im Traum auf den guten Gedanken, im Buche den Schluß der Geschichte nachzusehen, ob ich noch zerrissen werden würde; leider konnte ich die Buchstaben nicht erkennen, sie zerflossen vor meinen Augen – ich hatte eben keine Antwort auf meine Frage. Diese Konfusion ist für die Traumphantasie höchst charakteristisch; ich fühle mich als Lesenden und will doch sehen, wie es mit mir selbst in der Geschichte werden wird. Planvolles Denken und Handeln ist hier eng verbunden mit vollständiger Unfähigkeit, die Subjekte der verschiedenen Tätigkeiten auseinander zu halten.

Weil uns im Traume jede Korrektur unsrer Vorstellungen durch die Einwirkungen der Außenwelt fehlt, darum halten wir unsere Träume für Wirklichkeit. Wenn wir uns recht lebhaft vorstellen zu fliegen, so wird uns im Wachen der Boden unter unseren Füßen sofort belehren, daß wir es nur mit einer Einbildung zu tun haben. Im Schlafe sind alle Berichtigungen durch die Außenwelt aufgehoben. Der Unterschied zwischen den lebhaften Eindrücken der Sinne und den schwächeren Bildern der bloßen Erinnerung fällt fort. Unser Bewußtsein ist nicht von Wahrnehmungen, sondern bloß von Vorstellungen erfüllt. Diese machen unsere ganze Welt aus, sie sind jetzt unsre Wirklichkeit, es gibt keine stärkere, äußere Welt daneben. Daher sehen wir im Traume alles, was wir denken, auch sofort leibhaftig vor uns. Der Traum spricht in Bildern. Erzählt uns jemand von einer Schlacht, sofort sind wir mitten darin. Wir erhalten einen Brief, aber zugleich steht der Briefschreiber vor uns und teilt uns den Inhalt mit. Mir träumte, daß jemand vor meinen Augen ein Buch einpackte und adressierte, ich wußte nicht an wen, las aber auf der Adresse » Aux deux anciennes« oder auch » Antoines« – das letzte Wort konnte ich nicht recht behalten – es wurde offenbar nicht deutlich vorgestellt. Sofort sah ich den Adressaten dastehen, und zwar in Gestalt zweier ältlicher Damen.

Es ist bekannt, daß, wenn man im Traume etwas fürchtet, z.B. ein Begegnen, es häufig auch alsbald eintritt. Sobald das unbestimmte Furchtgefühl sich auf ein bestimmtes Objekt richtet, also zur Vorstellung wird, ist auch das vorgestellte Objekt anschaulich da. Allerdings habe ich auch nicht selten beobachtet, daß ein im Traume erwartetes Ereignis nicht eintrat. Ein sehr hübsches Beispiel der Malerei des Traumes bildet das folgende, indem mir träumte, es werde eine Erzählung vorgelesen, während ich gleichzeitig alles, was erzählt wurde, dramatisch vor mir sah. Da war ein Tempel in herrlicher Gegend im Sonnenglanz mit den tiefsten, gesättigtsten Farbentönen. Der Held tritt ein. Auf einem Ruhebett liegt die Königin, das Lager aber ist plötzlich ein weißes Roß und die Königin auf demselben eine Löwin, der Held ein Jäger, der vom Pferde springt und sein Gewehr von der Schulter reißt; er macht fertig, indem er eine Operation am Gewehrschloß vornimmt. Hier wache ich auf und behalte die letzten Worte des Vorlesenden. Sie lauteten: »sprang herab und legte ein Loch auf den Munus.« Ich bemerke, daß mir die ganze Erzählung sehr schön stilisiert vorkam. Wir sehen die Täuschung im Traum. Es wird kein Wort deutlich vorgestellt, sondern nur ungefähr dem Klange nach; der Sinn wird nicht aus den Worten entnommen, sondern er wird aus den Bildern erschaut. Daher ist der Traum viel reicher an Inhalt, als seine Beschreibung, sowie man an einem Bilde in wenigen Minuten mehr sieht, als man in einer halben Stunde berichten kann. Die unsinnigen Worte »er legte ein Loch auf den Munus« sind wahrscheinlich aus der Vorstellung des Auflegens eines Zündhütchens und der des Zündlochs entsprungen; was der »Munus« ist, weiß ich nicht. Im Traume war es mir ganz klar, denn ich sah alles. Bemerkenswert ist noch die Verwandlung des Ruhebetts in ein Roß und der Königin in eine Löwin, sowie das Herabspringen des Helden. Der Held war zu Fuß eingetreten, aber weil die Königin zu Pferde sitzt, läßt der Traum ihn herabspringen; schon sind die Subjekte verschmolzen.

Dieses bildliche Sehen begünstigt den schnellen Wechsel der Traumszenen und schafft eine Breitenausdehnung des Traumes, ein gleichzeitiges Auftreten von Nebenpersonen, die nicht weiter in die Handlung eingreifen, aber den Traum komplizieren und die Erzählung erschweren und ausdehnen. Aus diesem ungeheuren Vorstellungsmaterial, das die flächenhafte Ausdehnung des Traumes darbietet, entsteht eine weitere, viel besprochene und mißdeutete Täuschung des Traumes, nämlich diejenige über seine Zeitdauer. Man hat mitunter Gelegenheit, die Zeitdauer des Träumens zu bestimmen, und findet diese ungewöhnlich kurz im Vergleich zu den scheinbar erlebten Ereignissen. Leute, die der Gefahr des Ertrinkens oder Erstickens ausgesetzt waren, desgl. Narkotisierte, erzählen nach dem Erwachen aus ihrer Betäubung, die nur wenige Minuten dauerte, daß sie ausgedehnte Träume hatten, in denen sie Stunden, ja Tage und Jahre durchlebten. Wohl jeder, der zu einer bestimmten Zeit aufstehen mußte, hat die Erfahrung gemacht, daß er, zu früh erwacht, noch einmal einschlummert und plötzlich aus einem langen Traume mit dem Gedanken auffährt, die Zeit verschlafen zu haben, während ein Blick auf die Uhr zeigt, daß nur wenige Minuten vergangen sind. Als ich einmal als Soldat in kalter Winternacht sehr ermüdet auf Posten stand, bemerkte ich in einiger Entfernung Leute, die auf der Straße herankamen. Plötzlich sah ich mich in heiterer Gesellschaft, es wurde gesungen, getrunken, Reden gehalten – auf einmal fuhr ich auf, weil sich mir das Gewehr auf der Schulter verrückte und herabzugleiten drohte. Ich hatte dies alles stehend geträumt binnen wenigen Sekunden; denn die Leute hatten sich erst um ein kleines Stück genähert. Man sieht hier ganz deutlich, daß es ein Augenblicksbild war – die Vorstellung einer heiteren Gesellschaft – das in der Erinnerung sich als successives Erlebnis zeitlich in die Länge zieht.

Aus dem Umstande, daß umfangreiche Geschichten in wenigen Momenten geträumt werden, haben die Mystiker Kapital schlagen wollen, indem sie ein besonderes Zeitmaß für die träumende Seele erdichteten. Man sieht aber, wie sich aus dem Gesagten die scheinbare Dauer des Traumes sehr einfach erklärt. Erstens gewährt die bildhafte Ausdehnung des Traumes eine sehr große Menge fast gleichzeitiger Vorstellungen, unter denen die meisten nur ganz flüchtig und unklar angedeutet sind; indem sich diese in der Erinnerung auseinanderziehen und von selbst vervollständigen, Wächst die scheinbare Vorstellungsmasse des Geträumten ins Ungeheure. Zweitens aber bewirkt der Umstand, daß man das bloß Vorgestellte für wirklich Erlebtes hält, die Täuschung von der langen Zeitdauer des Traumes. Eine Reise nach Amerika stellen wir uns in ihren Hauptmomenten in wenigen Sekunden vor; wir sehen uns auf der Eisenbahn, im Hafen, auf der See. Im Traume glauben wir das alles zu erleben, und weil diese Ereignisse in Wirklichkeit eine beträchtliche Zeit in Anspruch nehmen würden, scheint es, als hätten wir diese Zeit auch im Traume durchlebt. Wir identifizieren im Traume die bloß vorgestellte Handlung mit der wirklichen und schreiben ihr die zu dieser erforderliche Zeit zu, und wir können dies um so leichter, als uns jeder Maßstab der Zeit an objektiven Ereignissen mangelt.

Wir haben bis jetzt gesehen, worauf die Eigentümlichkeit der Traumbilder beruht. Die Traumphantasie folgt jedem Anstoße der Assoziation und nimmt zugleich die erregte Vorstellung für ein wirkliches Erlebnis. Naher der Szenenwechsel, die Konfusion, die Urteilslosigkeit, die Lebhaftigkeit und die scheinbare Dauer des Traumes. Woher aber stammen diese Vorstellungen selbst? Woher nimmt die Phantasie die Elemente, aus denen sie ihre Luftschlösser aufbaut?

Drei Ursachen haben wir für die Erregung der Vorstellungstätigkeit zu unterscheiden. 1) Die Erinnerungen, die aus dem wachen Zustande mit hinüber genommen werden und im Traume nachklingen; 2) Nervenreize, die von der Lebenstätigkeit des eigenen Körpers auch während des Schlafes ausgehen; und 3) Äußere Eindrücke, die während des Schlafes wahrgenommen werden, indem sie teilweise ein Erwachen der Sinne bewirken, ohne zum vollständigen Erwachen zu führen.

Daß der Inhalt unserer Träume sich wesentlich aus Erinnerungen zusammensetzt, braucht nicht weiter bewiesen zu werden; jedem ist bekannt, wie die Erlebnisse des Tages sich in den Traum verweben. Wenn wir uns nicht in allen Fällen auf die bestimmte Veranlassung eines Traumgedankens entsinnen können, so geht uns das nicht anders als im Wachen; wir vermögen auch am Tage nicht immer anzugeben, warum uns gerade jetzt diese bestimmte Erinnerung auftaucht. Ebensowenig läßt sich etwas Sicheres darüber sagen, welche Gedanken uns in den Schlaf verfolgen werden. Mitunter kommen wir von einem wichtigen Problem, das uns am Tage beschäftigt hat, auch im Traum nicht los, mitunter aber ist es wie ausgelöscht, und die gleichgültigsten und unbedeutendsten Erlebnisse treten auf. Es hängt dies offenbar von dem Ermüdungszustande der einzelnen Gehirnpartieen ab. Nach neueren Untersuchungen soll die Traumerinnerung um so weiter zurückgreifen, je tiefer der Schlaf ist. Indes sind wir bei genauerer Beobachtung in überraschend vielen Fällen imstande, die Quellen anzugeben, aus denen unsere Traumbilder als Reminiscenzen stammen. Wenn man einen Traum bald nach dem Erwachen mit dieser Absicht durchgeht, so gelingt es meistens, den Ursprung der einzelnen Vorstellungen zu ermitteln; es ruft nämlich die Erinnerung an das Traumbild von selbst das entsprechende Erlebnis wieder ins Gedächtnis, und zwar ohne Nachdenken und so unmittelbar, daß gar kein Zweifel an seinem Ursprünge bleibt. Als ich den oben erwähnten Traum von der Adresse » aux deux anciennes« notierte, fielen mir sofort zwei alte Damen ein, von denen mir am Tage vorher erzählt worden war; der Traum von der Königin-Löwin und dem Jäger wies sogleich auf eine entsprechende Lektüre am vorangegangenen Abend. Ich verzichte auf weitere Beispiele, die jedem aus eigener Erfahrung zu Gebote stehen, und berühre lieber eine andere hierhin gehörige Eigentümlichkeit des Traumes, die ihm oft den Charakter des Wunderbaren verleiht.

Es kommt nämlich häufig vor, daß im Traume Vorstellungen auftauchen, von deren Besitz wir während des Wachens keine Ahnung haben. Von den zahllosen Erlebnissen unseres Daseins sinken die meisten in tiefe Vergessenheit, aber sie sind nicht völlig vertilgt, sie sind nur verdunkelt, unter die Schwelle des Bewußtseins hinabgedrückt. Könnte man alles das, was man jemals gewußt hat, sich auf einmal ins Gedächtnis rufen, so würde man sich, wie Kant sagt, für eine Art Gottheit halten und über seinen eigenen Geist staunen. Aber der Tat nach sind uns immer nur eine kleine Anzahl von Vorstellungen zur Disposition, die Neuheiten des Tages und die unmittelbaren Interessen drängen das Frühere zurück. Während des Schlafes nun sinken die Vorstellungskreise, die uns am Tage beherrschen, unter die Schwelle des Bewußtseins und längst Vergessenes gewinnt dadurch wieder Raum aufzuleben. Wenn die Sonne am Abend geschieden, so tauchen die Sterne am Himmel auf, deren schwächeres Licht durch die Sonne überstrahlt war; so tauchen auch im Traume Regungen wieder empor, die durch die herrschende Macht des wahren Lebens verdrängt waren. Daher kommt es, daß uns im Traume häufig Szenen entgegentreten, die wir im Wachen kaum beachten. Man träumt von einer gleichgültigen Begegnung, von einem vertauschten Überschuh oder einem zerbrochenen Knöpfchen. Mit Vorliebe aber führt uns der Traum in die vergessenen Erlebnisse der Kindheit und Jugend zurück. Wir finden uns oftmals an solchen Orten wieder, wo wir als Kinder gespielt haben; Personen, an die wir am Tags niemals denken, tauchen im Traume plötzlich auf. So können von uns im Traume in der Tat auch Dinge entdeckt werden, auf die wir im Wachen darum nicht kommen, weil unser Bewußtsein zu lebhaft durch andere Vorstellungen erfüllt ist; es entsteht dann der Schein, als sei uns eine überirdische Offenbarung gegeben worden, während es sich nur um die Erinnerung an etwas Vergessenes handelt. So wurde einer Dame, die einen verlegten Schlüssel durchaus nicht wiederfinden konnte, der Ort desselben im Traum bezeichnet, wo sie ihn dann am Tage fand. Hier war die im Wachen unterdrückte Vorstellung in der nächtlichen Ruhe wieder erstarkt. Ein vielzitiertes Beispiel ist das von Maury mitgeteilte. Ein Herr, der seine Kindheit in Montbrison und Umgegend verlebt hatte, beschloß nach zwanzigjähriger Abwesenheit den Schauplatz seiner Kindheit wieder zu besuchen. »In der Nacht vor der Abreise träumt ihm, er sei in einer ihm ganz unbekannten Ortschaft und begegnet daselbst auf der Straße einem gleichfalls unbekannten Mann, mit dem er sich unterhält und der ihm auch seinen Namen sagt.« Einige Tage darauf kommt er in die Nähe von Montbrison in eine Ortschaft, die er sogleich als die im Traume gesehene erkennt, und begegnet daselbst dem Manne, mit welchem er sich im, Traume unterhalten hatte. Das Gespräch bestätigt den Namen und die übrigen Verhältnisse, wie sie der Traum gezeigt. Es stellte sich heraus, daß der fremde Mann ein Freund seines verstorbenen Vaters gewesen, den er als Kind öfters gesehen, nachher aber vergessen hatte. Daß es sich um eine Erinnerung handelte, bewies der Traum noch in interessanter Weise dadurch, daß die Züge des Mannes in Wirklichkeit gealtert waren, während sie im Traume jugendlich erschienen, wie sie vor zwanzig Jahren gewesen. Noch ein Beispiel aus eigner Erfahrung möchte ich anknüpfen. Ich hatte einmal zu einer Aufführung einiger Szenen aus »Nathan dem Weisen« einen Prolog zu machen und konnte lange keinen passenden Schluß dazu finden. Nachdem ich eines Abends darüber nachgedacht, träumte mir in der Nacht, ich hätte den Schluß fertig, und zwar müßte er lauten: »Auch hier sind Götter – tretet ein!« Und ich machte es so. Erst später, als ich wieder im Lessing blätterte, fiel mir das Motto zu Nathan ins Auge: » Introite, nam et hic dei sunt.« (Tretet ein, denn auch hier sind Götter.) Hier ist offenbar im Traume eine Erinnerung an das Motto, das ich ja in früheren Jahren gelesen hatte, wieder aufgetaucht, während ich im Wachen es so vollständig vergessen hatte, daß mir der Gedanke als neu erschien.

Wie längst vergessene Eindrücke als Erinnerungen auftauchen, so können im Traume auch Gefühle und Wünsche auftreten, deren wir uns im Wachen entweder nicht bewußt werden, weil sie zu schwach sind, oder die wir als unvernünftig sofort unterdrücken und zurückweisen. In dieser Hinsicht kann uns der Traum unter Umständen als ein Seelenspiegel dienen, in welchem wir manche innere Regung entdecken, die uns sonst verborgen bleibt. Haben wir uns irgend eine Taktlosigkeit oder eine Unbesonnenheit zu Schulden kommen lassen, so sind wir am Tage selten geneigt, das einzugestehen; der Verstand weiß tausend Gründe zu unserer Entschuldigung, oder wir schieben mit einem gewissen Trotze die ganze Angelegenheit beiseite, was dann im Drange der Geschäfte auch meist gelingt. Ist aber der Verstand, der geschickte Selbstanwalt, eingeschlummert, sind die dringlichen Tagesgedanken verstummt, so tritt die unterdrückte Stimmung des Gemüts wieder in ihre Rechte und gibt den Traumbildern eine Färbung, die uns das eigene Unbehagen erkennen lehrt. Die verletzte Person erscheint im Traum, und wir sehen uns durch sie in allerlei peinliche Situationen versetzt. Jemand, der einem Freunde ein Versprechen nicht gehalten, träumte, daß er an den Fenstern desselben gebückt vorbeischlich, um nicht gesehen zu werden; plötzlich sprang ihm sein Freund auf den Rücken, drückte ihn rittlings zu Boden und zwang ihn, so fortzukriechen. Wenn man sich im Traume heftig mit jemand zankt, so wird man beim Erwachen meist finden, daß man gegen ihn irgend etwas auf der Seele gehabt hat. Aber es darf freilich niemals vergessen werden, daß der Traum kein reiner, sondern ein verzerrender Spiegel ist. Der einzelne mag sich selbst prüfen, ob er in seinen Träumen Zügen begegnet, die ihm eine Lehre zu geben vermögen: ganz falsch jedoch wäre es, aus den Träumen einer Person etwa auf ihren Charakter schließen zu wollen. Wir sind im Traume nicht derselbe wie im Wachen, das heißt wir sind keine verantwortliche Person mehr. Nur demjenigen sprechen wir Zurechnungsfähigkeit und somit Verantwortlichkeit im moralischen Sinne zu, der im Vollbesitze seiner geistigen Kraft ist, der Traum aber entspringt überhaupt nur aus der Störung dieses Vollbesitzes: die Aufhebung des normalen Zusammenhanges des Bewußtseins ist die Bedingung des Traumes. Verbrecherische und unsittliche Absichten, die wir im Traume haben, beweisen nichts gegen den Träumenden. Denn der Begriff des Sittlichen kann sich nur erstrecken auf das Gebiet des objektiv Wirklichen, weil er aus dem Verhältnis des Menschen zu anderen Menschen und zu äußeren Objekten fließt. Die bloße Vorstellung, als etwas rein Subjektives, unterliegt gar nicht dem sittlichen Urteil; höchstens kann sie im praktischen Sinne gefährlich sein, weil Vorstellungen den Handlungen vorausgehen; wir haben daher die Pflicht, gefährliche Vorstellungen zu unterdrücken; aber beurteilen können wir immer erst Handlungen. Im Traume, in welchem wir keine Macht über die Vorstellungen haben, können wir daher auch nicht sündigen. Wenn wir im Traume verbrecherische Pläne schmieden, so folgt daraus noch nicht, daß wir verbrecherische Anlagen haben; sondern erst im Wachen wird sich entscheiden, ob wir jene Pläne mit Abscheu verwerfen, oder ob wir sie billigen, und dann erst wird unser Verhalten sittlich oder unsittlich. Im Traume fehlt uns die Fähigkeit zu urteilen, das bloße Auftauchen der Vorstellung aber kann gar nichts besagen. Der Psychologe, der Dichter, der Jurist, indem sie sich in die Seele des Verbrechers versetzen, haben ebenfalls die Vorstellungen dieses Unglücklichen; und etwas anderes geschieht im Traume nicht, nur daß die eigentümliche Darstellungsart des Traumes die Vorstellungen sofort in anschauliche Bilder umsetzt und uns daher mitten in die verbrecherische Handlung hineinstellt, von der wir vielleicht vorher gelesen haben. Es ist daher ganz falsch zu sagen, daß man nur das träume, was man auch im Wachen denke. Gewiß, man denkt im Wachen häufig an einen Mord, aber immer mit einem Gefühl des sittlichen Abscheus. Im Traume fehlt dieses Gefühl wegen der Lückenhaftigkeit des Bewußtseins, und die Anschaulichkeit des Traumes läßt uns den Mord ausführen. Es wird sich hoffentlich niemals ein Staatsanwalt finden, der gegen einen Traum die Anklage erhebt. Wir ständen sonst auf dem Standpunkte des römischen Kaisers, der einen Untertanen hinrichten ließ, weil er geträumt hatte, daß er dem Kaiser den Kopf abgeschlagen. Die Phantasie ist eben nicht die ganze Persönlichkeit. Ebenso wäre es unsinnig, aus einem Traum auf das Schuldbewußtsein schließen zu wollen. Denken wir uns einen Unschuldigen in Anklagezustand versetzt, so kann die Aufregung sehr wohl bewirken, daß er im Traume sich als Verbrecher sieht und alle Einzelheiten der Tat in der Phantasie durchlebt, und diese Vorstellung kann selbst so lebhaft sein, daß er durch Worte und Gebärden sie kund tut. Daraus seine Schuld zu folgern, wäre ein verhängnisvoller Irrtum.

Dadurch, daß der Traum jede Vorstellung versinnlicht und als etwas Äußerliches, Objektives darstellt, entsteht noch eine weitere Eigentümlichkeit, nämlich das dramatisierende Verfahren des Traumes. Wenn wir im Wachen plötzlich einen Einfall haben, so wissen wir zwar nicht, woher er kommt, aber den Wahrnehmungen gegenüber wissen wir doch, daß wir es mit einer Vorstellung zu tun haben, die aus uns selbst aufsteigt. Im Traume, wo alles nur unsere Vorstellung ist, schafft die Phantasie für jede neu auftretende Idee sofort ein sinnliches Bild, und so treten die eigenen Einfälle uns als von außen gegebene Wahrnehmungen gegenüber. Die Vorstellungen konkreter Objekte, ein Löwe, eine Straße, werden sogleich gesehen; ein Gedanke aber, ein Vers, ein Witz, wenn sie uns von außen entgegentreten sollen, können entweder nur gelesen oder gehört werden.

Die Assoziation führt uns daher im Traume sofort ein Buch vor, in dem wir lesen, oder eine Person, mit welcher wir sprechen.

Daß wir im Traume andere Personen sprechen hören, ist weiter nicht auffallend; aber wundersam erscheint es, daß uns oft andere Personen die Auskunft geben, auf welche wir uns selbst vergeblich besonnen haben. Jemand träumte, daß er sich im Traume mit einem anderen auf einen witzigen Streit einließ und sich ärgerte, daß der andere jede seiner Bemerkungen schlagfertig übertrumpfte. Hierhin gehören auch manche der nicht seltenen Träume, wo wir selbst in einem Examen sitzen und uns zu unserm Ärger vergeblich auf die Antwort zu einer gestellten Frage besinnen, die sodann ein anderer ohne Anstoß gibt. Indem wir nämlich befürchten, die Antwort werde uns vorweggenommen, realisiert der Traum, wie früher bemerkt, sofort diese Befürchtung und der Nachbar antwortet in der Tat. Hierbei kann es nun vorkommen, daß uns wirklich die richtige Antwort nachträglich einfällt, und diese, als von außen gegeben, aus dem Munde des Nachbars zu klingen scheint; es kann aber auch sein, daß wir bloß die dunkle Vorstellung haben, der Nachbar sage etwas, und uns einbilden, es sei die richtige Antwort. Denn bei der Urteilslosigkeit des Traumes sind wir geneigt, jede beliebige, sinnlose Phrase als höchst bedeutend und geistvoll anzustaunen.

In ähnlicher Weise geht es uns auch mit Empfindungen, die wir im Traume machen; sie werden, als plötzliche Einfälle, ebenfalls häufig einem anderen zugeschrieben, der sie uns als Belehrung gibt. Mir träumte, ich trete in einen Zigarrenladen und frage nach etwas Neuem. Der Kaufmann bringt einen Arm voll riesiger Zigarren, wie man sie als Aushängeschilder an Schaufenstern sieht, und sagt, das seien Zigarren mit Musik. Darauf nimmt er eine Zigarre in den Mund und steckt an das andere Ende einen großen Blasebalg mit einem Gummi-Ballon als Windkessel. Ich dachte bei mir, das sei doch eine sinnreiche Vorrichtung, weil die Zigarre zu groß sei, um sie bloß durch Einziehen von Luft in Brand zu erhalten. Wie erstaunte ich aber, als ich nun beim Bewegen des Blasebalgs nicht bloß die Zigarre deutlich glühen und sprühen sah, sondern auch Musik wie von einer Mundharmonika vernahm, indem an der Zigarre einige Zungenpfeifen angebracht waren. Der Händler ließ mich dann die Musikzigarre auseinandernehmen und wieder zusammensetzen, und ich freute mich so über diese Erfindung, daß ich nachdachte, ob sie schon patentiert sei. Ich will noch bemerken, daß die Elemente des Traumes Reminiscenzen des vorhergehenden Tages waren, an welchem ich Zigarren gekauft und über die Zungenpfeifen in der Akustik unterrichtet hatte. Die Traumphantasie hatte sie in dieser Weise verschmolzen, und da der Verstand nicht wach genug war, um den Unsinn zu durchschauen, so imponierte mir die Erfindung so, daß ich sie nicht mir selbst zutraute, sondern sie dem Zigarrenhändler imputierte.

Nächst den Erinnerungen sind es an zweiter Stelle die inneren Reize aus der Tätigkeit unserer Organe, welche die Assoziationen des Traumes bestimmen. Die regelmäßigen Prozesse der Atmung, des Blutumlaufs und der Verdauung, die während des Wachens kaum beachtet werden, machen sich im Traume, wenn die äußeren Reize abgedämmt sind, leicht bemerklich. Daß Verdauungsstörungen unruhigen Schlaf und beschwerliche Träume hervorrufen, weiß jedermann. Daher erklärten die Traumdeuter des Altertums, daß Träume bei vollem Magen nichts bedeuten; wer prophetische Träume haben will, darf nichts zu Abend gegessen haben.

Bei Störungen der Atmung wird die bei jedem Atemzuge wiederkehrende Beklemmung von der Traumphantasie in ihre Sprache übersetzt, indem sie Verlegenheit auf Verlegenheit häuft. Die Bilder wählt sie aus den Lebensgewohnheiten der Träumenden. Eine junge Dame träumt, sie will zum Ball gehen und kann mit der Toilette nicht fertig werden; die Hausfrau kann die Schlüssel nicht finden, während die Gäste schon ankommen; der Prediger steht auf der Kanzel ohne Vorbereitung. Man will verreisen und findet erst seine Kleider, dann sein Gepäck nicht; man eilt auf den Bahnhof, aber bei jedem Schritt bleibt man stecken, man kann die Füße kaum heben; dann kann man den Billetschalter nicht finden, man irrt von einem Korridor zum andern; schließlich fällt einem der Name der Station nicht ein, oder der Beamte zögert mit der Herausgabe der Fahrkarte; man stürzt auf den Bahnsteig, aber der Zug steht nicht auf der gewohnten Stelle, man muß weite Umwege machen, um ihn zu finden, atemlos kommt man an, aber alle Wagen sind besetzt, und in dem Augenblicke, in welchem man einsteigen will, fährt der Zug ab; trotzdem sitzt man darin, aber man merkt, daß man seinen Hut, das Gepäck, wichtige Besorgungen vergessen hat, und erwacht endlich mit Herzklopfen. Man darf das aber nicht so auffassen, als ob die im Traume ausgestandene Angst das Herzklopfen verursachte, sondern meistens liegt die Sache umgekehrt, die körperliche Störung ruft unheimliche Vorstellungen hervor. Irgend ein körperliches Unbehagen, Atemnot, Kopfschmerz u. dergl. wird im Schlafe nicht als solches erkannt, sondern macht sich nur dadurch geltend, daß es sich mit Vorstellungen assoziiert, die erfahrungsgemäß Unbehagen hervorrufen und im Traume als ängstigende Erlebnisse auftreten. Die Fortdauer des Reizes häuft die Verlegenheiten an, bis die Starke der Störung zum Erwachen führt und nun erst in ihrer körperlichen Natur erkannt wird. Ein Druck auf die Brust, verringerte Luftzufuhr bewirken Beklemmungen, die von der Phantasie auf irgend ein Ungetüm bezogen werden, das man sofort vor sich sieht. Das ist der Alp, dessen Gestalt sich nach der Gewöhnung der Assoziation richtet; früher sah man Kobolde und Geister, jetzt irgend ein Tier aus dem zoologischen Garten oder ein über uns fortfahrendes Automobil.

Kopfschmerz erregt häufig den Traum, daß man bei dem Bestreben, schnell vorwärts zu kommen, an enge Türen oder Öffnungen gerät, durch die man mühsam hindurchkriechen muß; man hofft dadurch ins Freie zu gelangen, aber schon steht man vor einer neuen, noch engeren Öffnung, die sich in größerer Höhe vom Erdboden befindet, das Durchkriechen wird immer schwieriger, bis man zuletzt mit dem Kopfe stecken bleibt. Es zeigt sich hierbei eine Eigentümlichkeit des Traumes, die durch vielfache Beobachtungen feststeht, daß nämlich im Verlauf des Traumes seine physische Ursache in immer deutlicheren Bildern vorgestellt wird, bis zuletzt das affizierte Organ selbst im Traume erscheint, Mir träumte, daß ich in einem Museum Gegenstände hinter den Scheiben von Glasfenstern betrachtete, darauf solche in Schaukästen mit kleinen Fächern; dann sitze ich in einem Pavillon, der aus gitterartig verschränkten Stäben nach Art eines Vogelbauers gebildet ist, und eine Dame bietet Brezeln in einem gitterartig durchbrochenen Porzellankorb an; es fällt mir auf, daß ihre Hände den Korb mit ausgespreizten Fingern halten, und während ich die Hand ergreifen will, erwache ich. Jetzt bemerke ich, daß ich auf den ausgespreizten Fingern meiner eigenen Hand gelegen und diese stark gedrückt habe. Der ganze Traum ist offenbar von dem Druckgefühl beherrscht, das die Haut streifenweise durch die gespreizten Finger erhalten hat. Im Anfang ist der Reiz zu schwach und wird nur undeutlich vorgestellt, bewirkt aber schon durch Assoziation des Streifenhaften die Bilder von Fensterkreuzen, dann von Scheidewänden kleinerer Fächer; je lebhafter der Hautreiz wird, um so deutlicher tritt das Gitterartige hervor, der Pavillon, der durchbrochene Korb, das schleifenförmige Gebäck, bis endlich das Bewußtsein von der Lage der Finger selbst erwacht und diese im Traume an einer fremden Hand vorgestellt werden.

Hungergefühl erweckt Träume von angenehmen Gastmählern, Übersättigung läßt uns leicht von Speisen träumen, die wir mit Widerwillen massenhaft verschlingen müssen. Der Durst äußert sich fast immer dadurch, daß er uns im Traume Wasser zeigt; wir müssen durch eine Überschwemmung waten, oder wir sehen einen Teich, oder einen Fluß wie in dem anfangs erwähnten Traume. In diesem weist das Frühstück der Gesellschaft und das Stehen des Jägers im Flusse deutlich auf den Reiz von Hunger und Durst hin.

Solche Reize, die aus der allgemeinen Körperdisposition stammen, können in der Tat zu prophetischen Träumen Anlaß geben, indem sie körperliche Zustände, Schmerzen, Erkrankungen usw. im voraus anzeigen. Eine Störung im Organismus vermag, bevor sie deutlich hervorbricht, sich in ihren Anfängen im Schlafe schon bemerklich zu machen, wenn infolge des Fehlens der äußeren Reize das Bewußtsein für die inneren Vorgänge des Leibes geschärft ist. Alle im Traume auftretenden Reize werden nämlich für viel stärker gehalten, als sie im Wachen sind. Ich träumte öfter, daß ich Arznei einnähme, die ich gegen Migräne anzuwenden pflege; jedesmal nach diesem Traume wachte ich mit Migräne auf; selbstverständlich erregte hier das Gefühl des Kopfschmerzes bereits im Schlafe durch Assoziation die Vorstellung des gewohnten Heilmittels. Dieser leicht durchschaubare Traum ist das Muster für ähnliche, oft komplizierter auftretende Ankündigungen bevorstehender Krankheiten im Traume. Sehr häufig wird der Eintritt von Zahnschmerzen prophetisch angekündigt. Der noch schwache Reiz, der den heftigeren Schmerzen Stunden oder Tage lang vorhergeht, läßt uns im Traume den Zahnarzt sehen oder irgend eine Zahnoperation überstehen, Ereignisse, die dann zu unserm Leidwesen in Wirklichkeit eintreten. Mehrfach ist beobachtet, daß jemand träumte, er werde an einer bestimmten Stelle von einem Tiere gebissen, und daß dann an dieser Stelle ein Geschwür aufbrach; hier wurde die bereits vorhandene Schmerzhaftigkeit von der Traumphantasie als Verwundung symbolisiert. Es ist sehr natürlich, daß die durch Krankheitsdisposition erzeugte Herabstimmung des Gemeingefühls beängstigende Träume bewirkt, aber diese können immer nur prophetisch sein für denjenigen, der seinen eigenen Körperzustand in dieser Form wahrnimmt. Wenn dagegen ein Kandidat träumt, daß er im bevorstehenden Examen durchfällt, so wird der Traum sich nur dann als prophetisch erweisen, wenn sich der Kandidat dem Examinator gegenüber ebenso schlecht vorbereitet zeigt, wie er in seinem eigenen Traumbewußtsein sich selbst erscheint.

Zu den durch innere Reize hervorgerufenen Träumen sind auch die aus subjektiven Erregungen des Gehörs- und Gesichtssinns zu rechnen. Blutzudrang zu Ohr und Auge verursacht uns schon im Wachen Ohrensausen oder Funkensehen. Im Schlafe entstehen daraus bestimmte Objekte des Traumes; wir hören Kanonendonner oder ein Konzert, oder wir wohnen einer Gesangsprobe bei; das Klopfen der Arterien erscheint als Hammerwerk einer Fabrik. Beim Auge sind die subjektiven Reize, die von dem leichten Druck des Blutes auf die Netzhaut herrühren, sehr häufig, ja sie fehlen eigentlich niemals und beleben den Inhalt der Träume. Wir brauchen nur die Augen zu schließen, und schwach zu drücken, so sehen wir sofort verschiedene Farben und Muster. Im Traume werden daraus Schmetterlinge, Blumen oder Vögel, die durch ihre glänzende Farbenpracht auffallen. Diese Augenreizträume zeichnen sich dadurch aus, daß die leuchtenden Gegenstände meist in der Mehrzahl erscheinen, erst sieht man einzelne, dann immer mehr. Hierhin gehört das nicht seltene Finden von Geld im Traume; je genauer man hinblickt, um so mehr Geldstücke liegen da. Es kommt dies daher, daß die vielen Lichtpunkte der Netzhaut einzeln in gleicher Weise als Gegenstände versinnbildlicht werden. Bei allgemeiner Verstimmung werden diese Lichtpunkte zu ekelhaften und erschreckenden Objekten, es erscheinen Schlangen oder häßliche Fratzen und unheimliche Gestalten. So sah ich einmal in einem Angsttraum Blitze in Gestalt schwarzer Männer aus heiterm Himmel fallen. Es ist wahrscheinlich, daß der Hauptteil der Traumbilder aus der Umdeutung subjektiver Gesichtseindrücke durch Assoziation herrührt.

Bisher betrachteten wir die subjektiven Ursachen, Erinnerungen und Reize, die den Traum bestimmen und seine Hauptelemente bilden: sie geben dem Traume seinen wesentlichen Reiz durch diese Subjektivität, in der unser Ich den Traum als etwas von der Außenwelt gänzlich Unabhängiges besitzt. Aber völlig frei von den Einflüssen der äußeren Körper ist der Mensch selbst im Schlafe nicht: die Sinne setzen ihre rastlose Vermittlerrolle noch fort, wenn sie auch freilich nur seltene und schwache Reize dem Bewußtsein zuführen. Am leichtesten empfindlich, bleibt das Ohr, nächstdem die Haut sowohl für Druck als für Temperaturempfindungen. Ohr und Auge sind ja in der Stille und dem Dunkel der Nacht nur wenig äußeren Reizen ausgesetzt, die Haut dagegen fortwährend, da der Mensch doch auf irgend einer Seite liegen muß, die Haut also immer Druck und Spannung erfährt.

Es ist nun eine der interessantesten Seiten des Traumlebens, zu beobachten, in welcher Weise äußere Sinnenreize von der Phantasie in den Traum hineingebaut werden. Als die Höllenmaschine unter Napoleon I. explodierte (24. 12. 1800) schlief dieser im Wagen; der Knall erzeugte ein scheinbar langes Traumbild, er glaubte, den Tagliamento zu überschreiten und von den Kanonen der Österreicher empfangen zu werden, und erwachte mit dem Ausruf: »Wir sind unterminiert!« Einem Komponisten träumte, (nach Bolkelt), er halte Schule und frage einen Knaben, ob er ihn verstanden. Der schreit wie ein Besessener: »O ja!« Ungehalten hierüber verweist er ihm das Schreien. Doch schon schreit die ganze Klasse: »Orja!« hierauf »Eurjo!«, und nun erwacht er von dem wirklichen Feuerjo-Geschrei auf der Straße. Man sieht, wie der äußere Reiz, sofort in ein Traumbild verwebt wird und zugleich bei der Annäherung des Erwachens immer deutlicher in seiner eigentlichen Natur auftritt. Jemand träumte, er werde von Straßenräubern überfallen, die ihm einen Pfahl durch den Fuß schlugen; beim Erwachen fand er einen Strohhalm zwischen seine Zehen geklemmt. Eine Falte im Betttuch eine schlechte Lage führt zu den unangenehmsten Situationen. Nicht immer geht es dem Träumenden so gut wie dem jungen Mädchen, dem ein Zipfel des Betttuchs zwischen die Zähne kam, worauf es träumte in einen köstlichen Apfelkuchen zu beißen; ein junger Mann, dem die den Mund verstopfende Bettdecke den Atem benahm, träumte, er stehe vor einem Ofen, der ihm Rauch und Feuer entgegenblase. Eine zu heiße Wärmflasche unter den Füßen bewirkte den Traum einer Aetnabesteigung. Die so häufigen Verlegenheitsträume, in denen man sich plötzlich in mangelhafter Toilette auf der Straße oder in Gesellschaft sieht, rühren fast immer von Kältereizen her; eine Verschiebung der Bedeckung im Schlafe bewirkt teilweise Abkühlung des Körpers, und sofort entsteht die Vorstellung, daß der Körper an den frierenden Teilen seiner gewohnten Bekleidung entbehre.

Man hat es auffallend finden wollen, daß die Träume häufig gewissermaßen zweckmäßig auf den Reiz zugespitzt erscheinen, durch den das Erwachen erfolgt. Maury träumte z.B. während einer Krankheit von der französischen Revolution, wobei er sich mit den Machthabern unterhielt, vor Gericht gestellt, zum Tode verurteilt, auf den Richtplatz geschleppt wurde, bis ihm das Fallbeil den Kopf vom Rumpfe trennte. Die Bettstange hatte sich losgelöst und war ihm auf den Hals gefallen. Hatte sich nun dieser ganze Traum erst im Moment des Erwachens gebildet? Derartig scheinbar dramatisch zugespitzte Träume haben nichts Wunderbares, wenn wir bedenken, was oben über die scheinbare Zeitdauer des Traumes gesagt wurde. Der Reiz führt während der kurzen Zeit des Erwachens ein entsprechendes Traumbild herbei, das seiner Breitenausdehnung wegen schon umfangreich genug erscheint; dieses Bild aber assimiliert aus den vorangegangenen Träumen noch beliebigen Stoff, woran es niemals fehlt, weil der Traum ja so viel verschwommene und bildsame Nebenvorstellungen liefert. Eine Unterredung, ein Volksgetümmel kann auf alles Mögliche bezogen werden; der Schlag auf den Hals gibt im Augenblick des Erwachens die Vorstellung der »Guillotine«, mit der sofort die französische Revolution assoziiert ist. Und nun wird alles früher Geträumte in diesem Sinne gedeutet. Die Zeitordnung ist im Traume selbst fast gar nicht vorhanden, wir bringen sie größtenteils erst bei der Reproduktion des Traumes in die Erlebnisse hinein; und die äußeren Reize sind so vieldeutig, daß sie an jedes Traumbild angeschlossen werden können; das Knarren eines Wagens auf der Straße kann z.B., wenn man von einer Reise träumt, als Geräusch der Bremsen, wenn man aber im Traume sich zu Hause befindet, als Schritt eines Kommenden auf der Treppe aufgefaßt werden. Die Traumphantasie ist unerschöpflich.

Der Erfolg, der eintritt, wenn ein äußerer Reiz in die Traumvorstellung hineinspielt, läßt sich jedoch in keiner Weise vorausbestimmen, weil wir den Zustand des Träumenden nicht kennen. Jemand, dem man im Schlafe Wasser ins Gesicht spritzte, sagte: »Bitte, nimm eine Droschke, es regnet ja fürchterlich«, ein anderer dagegen begann Schwimmbewegungen zu machen; daß man im Gesicht naß wird, läßt sich eben mit jeder beliebigen Situation assoziieren. Im Wachen können wir unter Umständen um den Zusammenhang zweier Situationen verlegen sein, weil wir urteilen und wählen; im Traume haben wir kein Urteil und keine Wahl, wir sehen uns eben in beiden Situationen zugleich, mögen sie noch so widersprechend sein, z.B. daß wir eine Rede halten und uns dabei das Gesicht waschen. Erwachen wir darüber, und waren die beiden Situationen einigermaßen vereinbar, so staunen wir über die Großartigkeit der Traumphantasie; waren sie es nicht, so lachen wir entweder über die Bizarrerie, oder, was das Häufigere ist, wir vergessen den ganzen Traum sogleich. Denn unser Gedächtnis behält leicht nur das, was in sich selbst sinnvolle Anordnung trägt, oder wenigstens von uns in solche Ordnung gebracht werden kann; das Sinnlose können wir uns nur mit größter Mühe einprägen. Man behält leicht hundert Worte hintereinander, wenn sie vernünftige Verse bilden, aber zehn sinnlose Silben sind schwer zu erlernen. So erinnern wir uns auch bei den Träumen meist nur an die sinnvolleren, den Unsinn vergessen wir, und so sind wir leicht geneigt, die Traumphantasie ihren Leistungen nach zu überschätzen.

Wegen des unsicheren Erfolges, mit welchem die äußeren Reize wirken, dürfte es sich auch nicht empfehlen, künstliche Träume zu bestimmten Zwecken zu erzeugen. Man hat versucht, durch Einflüsterung von Worten und Namen ins Ohr die Traumphantasie zu lenken. Ein englischer Offizier konnte auf diese Weise bewogen werden, die Einzelheiten eines Duells durchzumachen. Man erzählt, daß ein abgewiesener Liebhaber, der jedoch die Gunst der Mutter besaß, von dieser die Erlaubnis erhielt, der schlummernden Geliebten seinen Namen ins Ohr zu flüstern. Sie wurde ihm auch wirklich gewogen und nahm ihn zum Manne, indem sie erklärte, daß sie ihn in lebhaften, oft wiederholten Träumen liebgewonnen habe. Der Mann kann offenbar von Glück sagen, daß sich der Reiz seines Namens bei seiner Angebeteten gerade mit angenehmen Traumbildern verschmolzen hat; er hätte ebensogut die Träumerin in übler Laune treffen und als Scheusal verarbeitet werden können. Bei einem andern Versuche wurde zwar von einer Person des Namens geträumt, den man im Schlafe eingeflüstert hatte, aber nicht gerade von der Person, die gemeint war, sondern die bloß ebenso hieß. Es ist also jedenfalls ratsam, sich mehr auf die Energie des Wachens als auf das Glück des Traumes zu verlassen.

Alle Erfahrungen über den Traum führen darauf hinaus daß die geheimnisvolle. Tätigkeit der Traumphantasie sich durchweg erklärt aus der Störung und Unvollständigkeit unseres Bewußtseins im Schlafe. Weil uns der Maßstab der Vergleichung fehlt, halten wir die Traumbilder für wirkliche Erlebnisse, während sie nur Verstümmelungen der Wirklichkeit sind. Daraus folgt, daß es irrtümlich ist, wie die Mystiker wollen, den Traum für eine andere und höhere Art des Bewußtseins zu halten, in welchem wir dem Weltgeist näher sind als sonst. Nicht in ein höheres, dem Wachen unzugängliches Geisterreich führt uns der Traum, sondern er nimmt uns nur denjenigen Teil unseres Ich fort, der uns unser Verhältnis zur objektiven Wirklichkeit erkennen lehrt, er degradiert uns zu dem Zustande von Wesen, die nur in urteilsloser Dämmerung hinleben. Eine metaphysische Bedeutung hat der Traum nicht. Schon das wirkliche Leben des einzelnen ist ein unendlich kleiner Ausschnitt aus dem großen Weltganzen und seiner umfassenden Gesetzmäßigkeit und Bestimmung; es ist schon lückenhaft und widerspruchsvoll genug, was unsre Seele im Laufe des wachen Lebens erfüllt; aber es kann doch etwa noch einer Skizze verglichen werden, die einen Moment und eine kleine Stelle des großen Weltalls mit annähernder Deutlichkeit herausgreift. Die Träume aber sind von diesem Ausschnitt wieder nur ein Ausschnitt – zerreißen wir die Skizze in tausend Stücke, nehmen wir zwei oder drei heraus, Neben sie willkürlich aneinander und machen einige Tintenkleckse darauf – das ist das Bild, das die Träume von der Wirklichkeit geben, – verdorbene Reste eines flüchtigen Stückwerks.


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