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VI.

Bewusstsein und Natur

Die Schwierigkeiten, die das Verhältnis vom Objektiven zum Subjektiven bietet, beruhen größtenteils auf einer unzutreffenden Auffassung der Natur; man kann sie kurz als die dogmatische bezeichnen. In dieser Auffassung wird die Natur als etwas für sich Bestehendes fertig angesehen, als eine äußere, in sich abgeschlossene Macht. Ein für allemal im Grunde der Dinge gegeben steht dann diese Macht, der unendliche Komplex von Beziehungen der Körper in Raum und Zeit, dem menschlichen Geiste als etwas Fremdes gegenüber. Sie hat ihr Gesetz für sich, die eiserne Notwendigkeit des Geschehens, und im Gegensatz zu ihr wird der menschliche Geist ebenfalls als eine Macht für sich betrachtet. Es scheint somit die Aufgabe des menschlichen Geistes zu sein, jene fremde, starre Macht in sein Bewußtsein hinüberzuziehen, sich ihr anzubequemen oder sie zu bezwingen; immer aber so, daß die Natur draußen stehen bleibt, und nur gewissermaßen Abbilder oder Zeichen ihrer Existenz in unser Bewußtsein eintreten. Erkenntnis erscheint dann als dieser Umformungsprozeß von Natur in Bewußtsein, und Naturerkenntnis als eine Art Wiederholung der Natur in unserm Geiste; die erkannten Gesetze, die Begriffe, die Wahrnehmungen gelten nicht selbst als Bestimmungen der Natur, sondern als symbolische Darstellungen. Das Weltbild, das die Naturwissenschaft entwirft, ist also möglicherweise ganz anders gestaltet als die Natur; es unterscheidet sich von ihr weniger durch seine Lückenhaftigkeit als vielmehr durch seine Form, etwa wie eine Karte von dem wirklichen Lande. Man kann die Natur nicht in unsern Geist hineinbringen, wie man das Land nicht ins Zimmer bringen kann; aber man konstruiert dafür die Karte, und wenn sie richtig ist, kann man sich danach richten.

Das Prinzip dieser dogmatischen Auffassung ist demnach, daß sie die Natur als eine fertige Gestaltung bereits vor der Erkenntnis und ohne die Erkenntnis voraussetzt, und daß sich die Erkenntnis ihrer zu bemächtigen hat. Dann muß natürlich auch der Geist als eine solche Macht, unabhängig von der Natur und dem Erkenntnisprozeß, angenommen werden, und es bleibt ewig unverständlich, wie die Dinge im Raume, ja wie überhaupt nur zuverlässige Zeichen davon in die Seele gelangen sollen.

Den verschiedenen Formen, welche die dogmatische Naturauffassung im Materialismus, im Spiritualismus, im sog. monistischen Spinozismus usw. annimmt, ist allen der Charakterzug gemeinsam, daß die Natur in ihrem Wesen vor der Erkenntnis feststeht; das objektive Sein der Natur und das subjektive Sein des Geistes sollen erst durch ihre Verbindung die Erkenntnis ermöglichen.

Dem gegenüber lehrt die kritische Auffassung der Natur, daß der Gegensatz von Natur und Geist, von Objekt und Subjekt überhaupt erst in der Erkenntnis und durch die Erkenntnis entsteht. Die Erkenntnis im Sinne des Kritizismus ist nicht etwa ein subjektiver Vorgang, der sich bloß im Bewußtsein des einzelnen Menschen abspielte, sondern sie ist die gesetzliche Grundlage dessen, was allen Einzelwesen gemeinsam ist, d.h. die Bedingung aller Gestaltung der Erfahrung; sie ist der reale Prozeß, in welchem zugleich die Entwicklung der Natur und die Entwicklung des subjektiven Geistes sich vollzieht. Es sind dieselben Gesetze, nach denen die Körper im Raume auf einander wirken, und nach denen wir sie eben so und nicht anders vorstellen und denken müssen. Nicht von außen kommt etwas in unsern Geist hinein und erzeugt dort ein Abbild der Natur, ebensowenig projizieren wir irgend eine subjektive Vorstellung hinaus in den Raum, sondern die Dinge und die Vorstellungen sind ein und dasselbe, sie entstehen zugleich und unterscheiden sich nur durch die verschiedenartige Gruppierung und Zusammenfassung ihrer Bestandteile zur Einheit. Was wir von der Natur wissen, ist also nicht ein Zeichen für eine draußen befindliche unerkennbare Sache, sondern es ist jene Sache selbst, nur verbunden mit allen den Abänderungen, die dadurch entstehen, daß gerade mein Gehirn und nicht das eines andern mit dieser Sache in Verbindung steht. Wenn ich z.B. den Mond wahrnehme, so erzeugt nicht der Mond am Himmel ein Bild in meiner Seele, sondern er ist, so wie er dort gesehen wird, ein Bestandteil der Zusammenhänge, die mein Ich bilden.

Ich erlebe den Mond. Daß ich dieses Stück Natur psychisch erlebe, ist nichts anderes als der Gehirnprozeß, der in jener Verbindung von Wirkungen besteht; da ich ihn selbstverständlich nur an meinem Gehirn erleben kann, kenne ich ihn nur an mir und nenne ihn Vorgang im Bewußtsein meines Ich. Physiologischen Gehirnprozeß nenne ich denselben Vorgang, wenn ich davon abstrahiere, daß ich ihn gerade in Verbindung mit meinem speziellen Erlebnis habe, d.h. wenn ich ihn in seinem Zusammenhange mit den Objekten auffasse.

Wenn dann die Naturwissenschaft zur Beschreibung dieses Zusammenhangs von Objekten und ihrer Veränderungen sich des Begriffs der Atome oder der Energie bedient, so geschieht dies mit dem Vorbehalts diese Mittel der Darstellung eventuell durch andere zu ersetzen, wenn der Fortschritt der tatsächlichen Erfahrung dies verlangt. Nichtsdestoweniger sind je für den augenblicklichen Zustand der wissenschaftlichen Erkenntnis jene theoretischen Voraussetzungen nicht bloß Zeichen eines Unbekannten, sondern, insofern sie denknotwendig sind, auch reales Naturgeschehen. Nur daß eben diese besonderen Formen des Naturgesetzlichen mit der Entwicklung des subjektiven Geistes zugleich sich wandeln.

Wir haben hier, von den Objekten ausgehend, das subjektive Erlebnis als eine besondere Verbindung von Tatsachen zu gewinnen gesucht. Da wir beides als identisch auffassen, kann man auch vom subjektiven Erlebnis ausgehend die Tatsachen des objektiven Naturgeschehens begründen. Es ist zur Verdeutlichung der Sachlage vielleicht nützlich, selbst auf die Gefahr einer gewissen Wiederholung hin diesen Weg einmal in Kürze zurückzulegen. Bevorzugt ja doch gerade die kritische Weltauffassung diese Form der Darstellung. Wenn wir sagen, Sinnlichkeit und Verstand bestimmen Beschaffenheit und Ordnung der Dinge, so meinen wir dies freilich nicht im psychologischen Sinne; aber wir haben dabei stets mit dem Vorurteil zu kämpfen, als würden dadurch die Dinge in psychologische Vorgänge des individuellen Bewußtseins und damit in subjektive Unsicherheit aufgelöst.

Daß dem einzelnen die Dinge in subjektiver Gestalt gegeben sind, ist nicht zu leugnen. Damit ist indessen keineswegs gesagt, daß sie nur subjektive Bedeutung haben. Diese können sie vielmehr erst aus einer allgemeinen Geltung gewinnen. Die Wendung, daß unsere Begriffe bestimmend sind für die Ordnung der Dinge, darf vor allem nicht dahin mißverstanden werden, daß es etwa von unserm subjektiven Belieben abhänge, welche Vorstellungen von den Dingen wir uns machen wollen. Es versteht sich ja ganz von selbst, daß dann jede Erkenntnis unmöglich wäre. Was hier Begriff genannt ist, bedeutet garnichts Subjektives. Allerdings entwickeln sich die Begriffe im Denken des einzelnen als psychologische Gebilde, und insofern liegt der Schein nahe, daß sie bloß subjektive Bedeutung haben. Aber diese Entwickelung selbst setzt das Bestehen des objektiven Gesetzes voraus. Die psychologische Form ist es nicht, die den Begriffen ihren Gesetzescharakter gibt. Dieser ist vielmehr logisch. Und das Logische ist allgemeingültig. Daß wir die Vorstellung haben, zweimal zwei ist vier, ist nur darum möglich, weil das mathematische Gesetz objektiv besteht: daß wir ein Urteil bilden können, beruht auf der Realität der logischen Verbindung. Die logischen Urteilsformen, nicht das zufällig psychologische Denken des einzelnen erzeugt die Sicherheit der Erkenntnis. Das Logische ist eben allen psychologischen Störungen enthoben, es ist nicht psychologisch; sondern in unserm psychologischen Vorstellen bedeutet es das Allgemeingesetzliche, wodurch die Übereinstimmung der Gedanken ermöglicht, woran ihre Gültigkeit geprüft wird. Beispiele hierzu liefern die Ausführungen der Abschnitte XXI und XXII.

Wäre die Ordnung der Begriffe in unsere Willkür gegeben, so wäre die Welt nichts als ein Spiel unserer Phantasie, eine Dichtung unseres Verstandes. In Wirklichkeit aber sind es die Anschauungen, die sich uns aufdrängen und durch den Zwang des Begriffs zu einem Inhalt gebunden werden, über den wir nicht frei verfügen können. Begriff bedeutet im Gegensatz zur Phantasievorstellung die Einheit des Gedankens, der der Zwang des Gesetzes zukommt, die also gerade dasjenige ist, was über das bloß Subjektive unseres Innern hinausführt und die Objektivität des Gedachten ausdrückt. Wenn man dies berücksichtigt, so wird es möglich, nunmehr trotz der rein subjektiven Form unserer Wahrnehmungen die Existenz objektiver Ordnungen zu erklären.

Schon die Sätze der Logik und Mathematik, dann die Regelmäßigkeit der Naturerscheinungen, die Gebote der Moral, die Formen des Schönen sind zweifellose Beweise von der Existenz allgemeingültiger Ordnungen. Es gibt also subjektive Vorstellungsgebilde, die allen Subjekten in gleicher Weise zukommen und die man deshalb als objektiv bezeichnet. Wenn dies aber der Fall ist, so gibt es gemeinschaftliche Gesetze für die Subjekte, und die Gesetze, die demnach den Subjekten übergeordnet sind, stellen den objektiven Weltinhalt dar. In dieser Fassung wird somit ausdrücklich die Existenz objektiver, vom Subjekt unabhängiger Bestimmungen anerkannt, und zwar mit der Einsicht, daß diese Bestimmungen zugleich einen psychologischen Sinn haben, insofern Subjekte vorhanden sind, für die sie gelten. Denn ihre Allgemeinheit und objektive Realität besteht ja eben darin, daß sie etwas über das Verhalten der Subjekte festsetzen, daß nämlich unter gegebenen Umständen in allen Subjekten dieselbe Vorstellungsverbindung stattfinden muß. Sie bedeuten also ganz dasselbe, was nach realistischer Ausdrucksweise die Ordnung der Dinge ist.

Was heißt es denn, wenn wir sagen: »hier ist ein Veilchen«, und wenn wir dabei meinen, daß hier unabhängig von allem Bewußtsein ein Ding gegeben ist? Doch nur, daß hier etwas ist, wodurch jedes Subjekt zu der Wahrnehmung eines Veilchens und aller damit verbundenen Wirkungen gezwungen ist. Dies heißt also, hier ist eine objektive Bestimmung, die für alle Subjekte verbindlich ist, ein Veilchen wahrzunehmen, und das ist eben der Gegenstand »Veilchen«. Man kann also ganz wie der naive Realist sagen: »Dieses Veilchen ist ein objektives Ding«. Man denkt dabei nur etwas mit, woran das naive Bewußtsein nicht denkt, weil es eben die Folgen seiner Aussage nicht erwägt; man denkt nämlich zugleich mit, daß Dinge, wenn man von ihnen redet, doch immer von irgend jemand vorgestellt werden müssen: man denkt die vorstellenden Subjekte zugleich mit. Denn ohne diese hat es gar keinen Sinn, von einem Veilchen zu sprechen, weil ein Veilchen ein bestimmter Komplex von Farben, Widerstandsempfindungen, Gerüchen, von räumlich und zeitlich bestimmten Anschauungen, von Begriffen über seine Entstehung, seine Wirkungen, endlich von Gefühlen und Strebungen ist, und weil die Anschauung aller dieser Eigenschaften, sowie ihre Verbindung zum einheitlichen Gedanken eines Veilchens, doch nirgend anders vollzogen wird als in der Vorstellung eines bewußten Wesens. Es wird wenigstens niemand imstande sein, zu sagen, was ein Veilchen sei, außer durch Angabe von lauter Tatsachen, die in irgend einem Subjekt vorgestellt werden. Nur folgt daraus nicht, daß das Veilchen nur im Subjekt sei – dann wäre es bloß subjektiv und vielleicht Schein; es folgt nur, daß es nicht ohne ein Subjekt bestimmt werden kann. Es ist unabhängig vom Subjekt, es ist objektiv; aber diese Objektivität besteht darin, daß es die Bedingung ist für die Übereinstimmung der Subjekte inbezug auf die im Gegenstand »Veilchen« gesetzte Einheit von Vorstellungen. »Es gibt eine Ordnung der Dinge« bedeutet also nichts anderes als »Es gibt Bedingungen für die Übereinstimmung der Subjekte«. Dies sind die Objekte.

Man darf sich nicht daran stoßen, daß die Form des Seins, die wir als subjektiv an unsern Vorstellungen kennen, nun als die allgemeine Form alles Zusammenhangs auftritt, wodurch es scheinen könnte, als käme somit jenen objektiven Ordnungen dieselbe Unbestimmtheit zu wie den subjektiven. Wir haben nur keine Möglichkeit, eine andere Form der Einheit zu denken, als sie die psychischen Mittel unseres eigenen Bewußtseins liefern, aber eben die diesen anhaftende Unbestimmtheit schließen wir aus, indem wir Gesetze eines den Subjekten übergeordneten Systems voraussetzen. Wir würden sonst von den Vorstellungen niemals zu den Gesetzen der Gegenstände kommen; denn wer sagte uns, daß das, was ich hier Veilchen nenne, dasselbe ist, was sich mein Nachbar vorstellt? Phantasie und Wirklichkeit wären überhaupt nicht zu unterscheiden, wenn die Bedingungen zur Bildung von Vorstellungen und Begriffen von Gegenständen nur im Subjekt lägen. Dann wäre alle Erkenntnis unmöglich, denn Erkenntnis setzt gerade voraus, daß es etwas gibt, worin die Subjekte übereinstimmen. Und dies kann nicht in den Subjekten allein liegen, weil man nicht einsieht, warum sich dann in ihnen allen dieselbe Vorstellungsverknüpfung vollziehen soll. Diese Übereinstimmung muß vielmehr den Subjekten aufgezwungen werden durch etwas, was nicht aus ihnen selbst entspringt, nämlich durch Gesetze, die den Subjekten übergeordnet sind und es bedingen, daß sie gesetzmäßige Anschauungen und Begriffe von Gegenständen haben. Diese Gesetze sind das Objektive; aber ihren Sinn erfahren wir in den Subjekten.

Wir haben nunmehr einen großen Vorteil gewonnen, indem wir die Objekte nicht als eine Ordnung fertiger Dinge definieren, sondern als Bestimmungen, wodurch Dinge gesetzmäßig vorgestellt werden müssen.

Zunächst löst sich die Frage, wie es möglich ist, daß es eine Ordnung der Vorstellungen in den Subjekten – die Erkenntnis – gibt, welche die Ordnung der Objekte bedeutet. Denn jetzt handelt es sich ja nicht mehr, wie beim naiven Realismus, darum, daß eine fertige Welt von Dingen, die an sich existieren, in das Bewußtsein der wahrnehmenden Wesen eintritt, sondern die Ordnung der Vorstellungen von den Dingen ist mit den Dingen selbst schon gesetzt. Dasselbe Gesetz, das ausspricht, daß hier ein objektives Ding, ein Veilchen, ist, spricht auch aus, daß dieses als die Bedingung für die Verbindung der Vorstellungen zur Wahrnehmung eines Veilchens gegeben ist. Es braucht garnicht erst etwas in die Subjekte hineinzukommen, um die Vorstellung des Veilchens zu erzeugen, weil der subjektive Vorgang die psychologische Erscheinungsform des Objektes selbst ist. Wir haben nicht nötig, Objekt und Subjekt künstlich zu verbinden, wenn wir uns klar gemacht haben, daß Objekt und Subjekt überhaupt gar nicht getrennt denkbar sind. Es ist dieselbe Einheit, die Eigenschaften und Wirkungen gesetzlich im Objekt verbindet, die auch die Vorstellungen im Subjekt zum Begriff des Gegenstandes notwendig zusammenschließt. In diesem Sinne kann man sagen, daß der Begriff den Gegenstand schafft, wie man auch sagen kann, daß der Gegenstand den Begriff hervorruft, weil nämlich beide, Gegenstand und Begriff, ein und dasselbe sind – nämlich das Gesetz des Daseins; und dieses Gesetz wird nur verschieden bezeichnet, je nach dem Standpunkte, von welchem aus man es betrachtet. Geht man davon aus, daß es objektive Ordnungen gibt, die unser Denken bestimmen, so nennt man das Gesetz oder die Einheit des Seienden den »Gegenstand«: geht man davon aus, daß alles, was wir erfahren, irgendwie vorgestellt werden muß, so nennt man das Gesetz, das die Einheit der Vorstellungen ausdrückt, den »Begriff«.

Wir haben weiterhin gesehen, daß es gar keine Dinge gibt im Sinne fertiger Weltgestalten, die sich in Vorstellungen umsetzen, sondern daß es Gesetze für Vorstellungen gibt, die sich in den Subjekten vollziehen, Einheiten der Bestimmung, durch die erst die Gegenstände der Erkenntnis mit unseren Begriffen zugleich erzeugt werden. Man könnte auch folgende Ausdrucksweise versuchen: Inwieweit der Gesamtzustand der menschlichen Gehirne psychisch eine theoretische Einstimmigkeit bedeutet, nicht in bezug auf Gefühl und Willen, sondern nur auf das Logisch-Zwingende in der Bestimmung der räumlich-zeitlichen Veränderungen, insoweit ist Naturerkenntnis vorhanden. Dieser Zustand ist eben der augenblickliche Zustand der Natur im wissenschaftlichen Sinne. Zum Bewußtsein kommt er uns in der Form des Denkens und ist das Mittel, aus der Unbestimmtheit des Subjektiven Natur als Begriff und Objekt abzusondern.

*

Unsere Denkformen sind jedoch nicht die einzigen Einheiten, in denen sich die Übereinstimmung der Subjekte als ein gesetzlicher Zusammenhang ausspricht. Es kann also sehr wohl verschiedene Arten geben, in denen gesetzliche Einheiten erzeugt werden – die Vorstellungen können nach verschiedenen, gesetzlich bedingten Grundsätzen sich zu Verbindungen zusammenschließen, von denen die Erscheinungen der Natur unter dem Gesetze der Notwendigkeit nur eine der wirklich vollziehbaren ist. Welche andere Arten bedingen ebenfalls Übereinstimmung von Subjekten? Welche Wirklichkeiten gibt es noch?

Als das umfassendste, allerdings auch als das unbestimmteste solcher Gebiete tritt uns zunächst das Leben selbst entgegen; wir meinen damit den gesamten Lebensinhalt, den man, wie früher dargelegt, auch in einem allgemeinen Sinn schlechthin als Natur bezeichnet, das Zusammenwirken alles Seienden, wie es sich in der Entwicklung der lebenden Wesen und der menschlichen Gesellschaft, sowie im Erlebnis und den Erfahrungen des einzelnen überhaupt offenbart. Aus diesem allgemeinen Gebiete treten nun besondere Richtungen hervor, die durch Tatsachen der Kultur ausgezeichnet sind. Es ist dies außer der theoretischen Erkenntnis dasjenige praktische Handeln der Menschheit, das unter dem Sittengesetze sich vollzieht, ferner die zweckmäßige Gestaltung des Lebens unter dem ästhetischen Gesichtspunkt, endlich die Gemeinschaft des Gefühls in der Religion.

Jede dieser Richtungen stellt sich dar als eine besondere Art der Wirklichkeit, oder besser, als eine besondere Form von Gesetzlichkeit, wodurch Verwirklichung von Erfahrung erzeugt wird. Auf diese Weise entstehen Natur, Sittlichkeit, Kunst als selbständige Realitäten, indem dasjenige, was sich uns als Weltprozeß enthüllt, sich nach eigenen Gesetzen gestaltet, nach Weisen der Bestimmung, die wir als Prinzipien der Verstandeserkenntnis, als die Idee der Freiheit und als die Idee der Zweckmäßigkeit bezeichnen. Wie ein jeder Mensch sein Erlebnis in der Form von Gedanken zusammenschließt, zugleich aber mit diesem Erlebnis ganz bestimmte Willensregungen verbindet und Gefühle der Lust und Unlust durchkostet, und wie sich Gedanken, Wille und Gefühle im einzelnen wohl widersprechen können, dabei aber der Mensch doch die ganze, sein Leben umfassende psychische Einheit bleibt, so erweist sich auch der Weltinhalt nach diesen drei Richtungen des Wahren, Guten und Schönen als Natur, Freiheit und Zweckmäßigkeit gegliedert, ohne deshalb in seiner Einheit zu zerfallen.

Was uns in der täglichen Erfahrung entgegentritt, wird auf dem naiven, unwissenschaftlichen Standpunkte der Weltbetrachtung einfach für das »Wahre«, »Wirkliche«, »Seiende« für die Dinge selbst gehalten. Aber es ist keineswegs das Ursprüngliche, es ist vielmehr tatsächlich schon ein Produkt der Arbeit des Bewußtseins, der Abstraktion und Kombination. Der Unterschied zwischen der naiven und der philosophischen Auffassung besteht nun darin, daß letztere sich über die tatsächlichen Umformungen Rechenschaft zu geben sucht, die der Weltinhalt bei seiner Gestaltung zum subjektiven Erlebnis erleidet, um die möglichen Gattungen von Begriffen, Ereignissen, Realitäten zu unterscheiden und zu erkennen, daß es Grade und Arten der Wirklichkeit gibt. Die naive Auffassung dagegen kennt solche Unterschiede nicht, indem sie die tatsächlich verschiedenen Formen der Realität für ein und dieselbe ansieht und für das Wirkliche überhaupt hält. Auf diesem Standpunkt kann man daher nicht begreifen, wie z. B. neben der Realität, die die Naturvorgänge im Raume als Mechanismus bilden, noch die Realität der Willensfreiheit bestehen könne, ohne daß die eine die andere aufhebt oder stört. Das kommt daher, weil für die naive Auffassung die Welt eben nichts ist als die eine fertige Ordnung der Dinge, und damit ist ihre Weisheit zu Ende. Die Philosophie dagegen unterscheidet Werte der Realität, (logische, psychologische, theoretische, ethische, Gefühlswerte, Begehrungswerte) und grenzt diese als eigene Formen der Realität ab. Gelingt dies der Philosophie, so kann das praktische Leben alsdann bewußtermaßen diejenigen Werte bevorzugen, die je für die Gestaltung der Lebensrichtungen in Wissenschaft, Ethik, Kunst, Religion, Gesellschaft förderlich und vorteilhaft sind, d. h. es kann Realität bestimmter Art nach Kulturprinzipien schaffen. Das ist der eminente Kulturwert der Philosophie, daß sie die Formen des Daseins nach Rechten und Mitteln sondern lehrt.

Auf dem kritischen Standpunkte sagen wir uns nun, daß die verschiedenen Realitäten auf der Art und Weise beruhen, wie der Weltinhalt in verschiedenen Formen zu Einheiten zusammengefaßt auftritt. Denn das ist doch offenbar die Voraussetzung für alles Sein überhaupt, daß es in Zusammenhängen besteht. Diese Zusammenhänge müssen aber zugleich die Bedingungen enthalten, unter denen sie im menschlichen Bewußtsein als Ordnung des Erlebnisses sich ausweisen. Wir können den Weltprozeß als solchen nur erkennen und überhaupt etwas von ihm aussagen, insofern sein Inhalt bereits zu Einheiten gestaltet ist, die sich auf unser Bewußtsein beziehen. Was das Seiende ohne unser Bewußtsein ist, bleibt eine Frage, die man offenbar nicht beantworten kann. Das, was wir das Seiende nennen, hat immer schon eine Beziehung auf die Gesetze, unter denen es sich für unser Bewußtsein gestaltet. Soweit eine solche Gestaltung nicht vollzogen ist, besteht überhaupt nur die unbekannte Bedingung zur Möglichkeit der Erfahrung, daß etwas sei. Über diese Bedingung selbst kann man nichts aussagen, sondern immer nur über die Formen, in denen sie in unserem Bewußtsein auftritt. Sie ist das große X, welches sich erst im gestalteten Erlebnis als Inhalt und Gesetz unseres Bewußtseins ausweist. Jenes X ist das, was Kant das Ding an sich nannte, es ist die bloß gedachte Gesamtheit dessen, was noch wirklicher Weltinhalt werden kann und das sich am besten bezeichnen läßt als eine unendliche Aufgabe für die Menschheit, es zum Erlebnis zu gestalten. Es ist das ewig Bestimmbare, das sich für unser Bewußtsein als Weltinhalt bestimmt, und zwar durch Gesetze, die zugleich die Gesetze des Bewußtseins sind. Damit ist schon gesagt, daß diese Bestimmung sich nicht etwa nach willkürlichen, subjektiven Anordnungen vollzieht, sondern daß sie die objektive Ordnung selbst ist, der auch das subjektive Bewußtsein unterliegt, daß aber diese Ordnung als realer Weltinhalt zugleich mit seiner Realität im Bewußtsein gegeben ist.

So erklärt es sich, daß entsprechend den Richtungen unserer psychologischen Tätigkeit im Denken, Wollen und Fühlen auch drei Hauptrichtungen in der gesetzlichen Gestaltung des Weltinhalts als Natur, Sittlichkeit und Kunst sich unterscheiden lassen. Nicht etwa, daß die subjektiven Vorgänge jene objektiven Realitäten des Welt- und Kulturprozesses hervorbrächten und bedingten; sondern indem jene objektiven Realitäten sich vollziehen, bildet der gesetzliche Zusammenhang, durch den sie selbst bedingt sind, auch zugleich die Bedingung für den subjektiven Zusammenhang im Bewußtsein. Und dies ist das Große an der kritischen Auffassung, daß sie die Möglichkeit nachweist, wie jene Realitätsgebiete, Natur, Sittlichkeit, Kunst, neben einander ohne Widerspruch bestehen können. Dies können sie darum, weil sie ein und dasselbe Bestimmbare – noch nicht Bestimmte – nur in verschiedenen Formen der Bestimmtheit darstellen. Sie sind Realisierungen ein und desselben Weltinhalts unter verschiedenen Richtungen des Bewußtseins. Natur, Sittlichkeit und Kunst sind nicht getrennte Welten, sondern sie sind ein und dieselbe Welt in verschiedenen Gestaltungsgesetzen. Damit ist nicht etwa gemeint, daß sie den Weltinhalt darstellten nur unter verschiedenen Standpunkten betrachtet, – denn das wäre ein subjektives Spiel und kann uns höchstens als Bild dienen – sondern es ist gemeint, daß wir es wirklich mit drei realen Arten der Gesetzesform zu tun haben, deren Einheit durch die Einheit des Bewußtseins in der Persönlichkeit gewährleistet ist. Dieser Punkt, die Einheit der Weltrealitäten, wird uns noch weiter zu beschäftigen haben. Zunächst betrachten wir die einzelnen Arten, in denen der Weltinhalt sich realisiert.

Die erste Stufe der Realität ist das Leben selbst, d. h. jene Mannigfaltigkeit des alltäglichen Erlebnisses, wie sie dem Bewußtsein als die Fülle des Daseins ohne systematische Reflexionen sich aufdrängt. Das allgemeine Gesetz, unter dem diese Realität steht, ist die Ordnung im Nacheinander der Zeit und der Zusammenschluß zum Erlebnis räumlich getrennter Individuen. Das Leben spielt sich ab in der persönlichen Erfahrung der einzelnen, und die Bedingung, daß solche Einzelwesen gleichzeitig nebeneinander existieren können, nennen wir den Raum. Raum und Zeit sind die allgemeinen Bedingungen dafür, daß die subjektive Ordnung des Erlebnisses der einzelnen bewußten Wesen zugleich als objektive Ordnung von Körpern bestimmbar ist. Alles, was uns in Raum und Zeit umgibt, unsere Sinne reizt, unser Gefühl beherrscht, unsere Willenstriebe erregt, unsere Lebensenergie ausmacht, ist schon durch die Einheit des Bewußtseins geordnetes Erlebnis und als solches objektiv. Aber es ist kein reiner Bewußtseinsgehalt, d. h. kein Weltinhalt, der in reiner, einseitig gesetzlicher Weise realisiert wäre, sondern alle Richtungen des Bewußtseins wirken in ihm zusammen. Dieser Weltinhalt heißt das Leben, und diejenige Einheit, in der er sich als Erlebnis realisiert, heißt ein individueller Geist.

Aus dem Leben sondert sich die Natur im wissenschaftlichen Sinne als eine Realität besonderer Art. Es fällt vielleicht auf, daß wir die Natur auch als eine Richtung der Kultur erklären, während sie doch gewöhnlich gerade als Gegensatz zur Kultur aufgefaßt wird. Wir verweisen zur Erläuterung auf das, was wir im vierten Aufsatze über den Doppelsinn des Wortes Natur gesagt haben. Wenn wir von der Natur als einer reinen Kulturrichtung sprechen, so meinen wir damit nicht jenes unbestimmte Etwas des Weltgeschehens überhaupt, sondern wir verstehen darunter die Natur im wissenschaftlichen Sinne, den Inhalt der Naturwissenschaft, den erkennbaren, nach dem Gesetze der Notwendigkeit sich vollziehenden Naturlauf. Nicht der Sturmwind, der unser Schiff zerschmettert, nicht die Sterne, die über unserm Haupte leuchten, sind Natur in unserm Sinne als Teile der Kultur, sondern objektive Natur sind an diesen Erlebnissen nur die atmosphärische Bewegung, insofern sie sich nach mechanischen Gesetzen vollzieht, der nach mathematischer Ordnung stattfindende Lauf der Gestirne und die Ausbreitung der Ätherwellen. Und nur dieses Produkt der Naturwissenschaft ist es ja, welches zum Gegensatz von Notwendigkeit und Freiheit führt. Das Naturgesetz, demzufolge jedes Atom seine vorgeschriebene Bahn beschreiben muß, steht in scheinbarem Widerspruch zur Freiheit des Willens, nicht aber der Sturmwind und Sternenschein, deren Ursachen wir nicht kennen, die wir als ein zufälliges Ereignis betrachten. Daß die Erscheinungen gegen unsern Willen auftreten, bedingt keinen Widerspruch, d. h. keinen Widersinn, sondern bewirkt höchstens ein Gefühl der Unlust oder der eigenen Schwäche. Der Widerspruch tritt allein im Denken auf, wenn man die gesamte Kette der Tatsachen zu verstehen sucht. Erst die Auffassung der Natur als Mechanismus hat den Zwiespalt der Erfahrung erzeugt; vorher existierte die Frage nicht, wie Freiheit möglich sei, da man die Natur nicht als Gegensatz dazu dachte. Daher haben wir bei unserm philosophischen Problem nur die Natur als Gegenstand der Naturwissenschaft in Betracht zu ziehen; denn allein in diesem Sinne ist die Natur als allgemeingültig und gesetzlich eine objektive Realität.

Man wird allerdings sagen, der Sturmwind, der uns scheitern läßt, der Sternenschein, zu dem wir aufblicken, sind ja ebenfalls objektiv real; der Wilde, der Ungelehrte, der von Naturwissenschaft keine Ahnung hat, ist doch den Naturgewalten voll und ganz unterworfen? Gewiß, und der Philosoph ganz ebenso! Aber diese Natur, die hier gemeint ist, ist nicht die Natur, die zur kritischen Frage treibt. Sie ist nicht das Produkt der Naturwissenschaft, sondern ihre noch nicht gelöste Aufgabe. Sie ist lediglich Naturerlebnis . Als Erlebnis besitzt sie, wie wir oben ausführten, ebenfalls Realität, die Realität des Lebens, diese tritt jedoch zur Realität der Freiheit nicht in Gegensatz. Hier ist vielmehr noch alles ungeschieden zusammen, bloßes Ereignis, das ebenso Gegenstand der Erkenntnis wie des Willens oder des Gefühls werden kann, und uns eben darum zum Beispiel dient, daß ein solches Zusammen von Bestimmungsweisen möglich ist. Aber hier zeigt sich gerade, was wir durch die Unterscheidung der Realitäten gewinnen. Das Erlebnis besitzt Realität in gewissem Sinne, indessen seine Allgemeingültigkeit, seine höhere Realität erhält es durch die wissenschaftliche Objektivierung als gesetzliches Ereignis. Es wird als Natur bestimmt, und wir sehen zugleich, daß diese Natur nur ein Teil der Realität überhaupt ist.

Daß aber diese Natur als gesetzliche Realität zur Kultur gehört, erkennt man aus der Überlegung, daß sie sich erst an und mit der Kultur entwickelt. Die Geschichte der Naturwissenschaft ist nichts anderes als die allmähliche Gestaltung des subjektiven Erlebnisses der Menschheit zu einer objektiven Gesetzlichkeit, an die sich nunmehr die einzelnen gebunden wissen. Wir verfolgen nur an einigen Beispielen den Verlauf, wie mit der Entwickelung der Kultur sich immer weitere und fester gesicherte Gebiete hervorheben, in denen die Übereinstimmung der Subjekte sich als gesetzlich bedingt erweist; diese Bedingung eben ist die Natur, wie sie sich durch die Erkenntnis als eine objektive Realität mit dem Ansteigen der Kultur enthüllt.

Je niedriger der Kulturzustand ist, um so weniger objektive Natur gibt es, das heißt, um so ungewisser steht die Menschheit dem Eintreten und Verlauf der Naturerscheinungen gegenüber. Alles Leben wird zunächst bemerkt im Bewußtsein der einzelnen Individuen, und erst die Tatsache, daß sie sich untereinander verständigen können, daß in ihrem Erlebnis Übereinstimmung herrscht, ist das Merkmal, daß objektive Ordnungen bestehen. Aber jene Übereinstimmung ist sehr mangelhaft, diese Ordnungen sind zusammenhanglos. Wohl verständigen sich die Volksgenossen über gemeinsame Unternehmungen, wohl bilden Tages- und Jahreszeiten, der Verlauf der Witterung, die Gewohnheiten des Wildes und dergleichen gewisse Regelmäßigkeiten, die sich aus dem passiven Erleben der einzelnen herausheben als Zeichen, daß es etwas Erkennbares gibt. Jedem selteneren Ereignis dagegen steht der Wilde ratlos gegenüber; es ist für ihn unerkennbar und zusammenhanglos mit den gewohnten Erscheinungen. Die ganze Natur ist durchsetzt von solchen Rätseln und Wundern und erscheint daher als das Werk willkürlicher und unbegreiflicher Gewalten. Je weiter indes die Erkenntnis fortschreitet, um so mehr zieht sich dieses Gebiet des Unerwarteten und Rätselhaften zusammen, um so lückenloser wird der gesetzliche Zusammenhang der Erscheinungen. Das unbestimmte Erlebnis gestaltet sich zur ursächlich begründeten Wirkung. Solche gesetzliche Einheiten in immer größerem und engerem Zusammenhange aus den subjektiven Erfahrungen der Individuen herauszuarbeiten, ist ein Kulturprozeß; durch ihn entsteht objektive Natur als eine Ordnung, die als allgemeingültig erkannt wird. Den höchsten Grad dieser Allgemeingültigkeit und damit der objektiven Realität besitzen die Ereignisse, wenn sie sich in der Form mathematischer Gesetze darstellen lassen.

Wenn der Vollmond plötzlich am klaren Himmel sein Licht verliert, rührt der erschreckte Wilde die Trommel und seine Zauberer versuchen ihre Beschwörungen. Die Mondfinsternis ist ihm nicht Natur, sondern ein übernatürliches Ereignis, gesetzlos, zufällig, daher furchterregend. Dieses fragwürdige Erlebnis tritt in die Reihe des gesetzlich Bestimmbaren und damit des objektiv Wirklichen, wenn den Sternkundigen durch die Beobachtung von Generationen die Periode des Saros bekannt ist, nach welcher die Finsternisse alle achtzehn Jahre sich wiederholen. Aber die höchste Stufe des Objektiven, nämlich die mathematische Gewißheit, erreicht das Ereignis erst für den modernen Astronomen, der nicht nur sein Eintreten bis auf die Minute genau bestimmt, sondern auch seinen ursächlichen Zusammenhang in der gesetzmäßigen Bewegung der Himmelskörper nachweist. Jetzt erst gehört das Ereignis zur Natur im wissenschaftlichen Sinne, d. h. zu derjenigen Gruppe der Erscheinungen, die, abgelöst von allem subjektiven Vermuten, von aller Furcht und Hoffnung des Menschenlebens, eine unantastbare Wirklichkeit der Existenz besitzen in dem gesetzlichen Zusammenhange des mathematisch formulierbaren Denkens.

Und das ist denn auch der Entwicklungsgang der Naturwissenschaft gewesen, daß sie gelehrt hat, die Erscheinungen, die dem einzelnen nur als subjektive Empfindungen gegeben sind, durch mathematische Größen als allgemeingültige Realitäten zu definieren. Denn dadurch erst sind sie mit Sicherheit zu bestimmen, wiederzuerkennen und zu beherrschen.

Töne, die wir durch die Stimme hervorbringen, sind zunächst nur ein subjektives Erlebnis. Zwar gestatten sie eine gewisse Vergleichung, aber diese beruht auf dem unmittelbaren sinnlichen Eindruck, nicht auf einer objektiven Bestimmung. Man kann einem andern nicht genau mitteilen, welchen Ton man meint, wenn man ihn nicht direkt vorsingt, und auch dann bleibt es noch unbestimmt, ob man sich nicht selbst über die Höhe täuscht. Selbst die Fixierung in der Notenschrift gewährleistet noch keine absolute Bestimmung der Tonhöhe, wenn man nicht den Kammerton der Stimmung objektiv festzustellen vermag. Eine solche, von der sinnlichen Empfindung unabhängige Objektivität gewinnen die Töne erst, wenn sie durch mathematische Größen auszudrücken sind. Derjenige Ton, der durch 435 Schwingungen in der Sekunde hervorgebracht wird, ist durch diese Zahl absolut definiert, und seine Höhe ist unter allen Umständen zu allen Orten und Zeiten als dieselbe wieder zu erzeugen. Erst durch die Zurückführung auf das akustische Gesetz hat der Ton objektive Realität gewonnen; er bezeichnet jetzt nicht mehr ein bloß subjektives Erlebnis, sondern einen objektiven Vorgang.

Ebenso ist es mit den Farben. Die Erscheinung der Farben war der Menschheit immer bekannt, und in dieser Hinsicht besitzen sie eine gewisse Objektivität, insofern sie nach Regeln technisch erzeugt werden können. Aber diese Stufe der Wirklichkeit beruht nur auf der sinnlichen Vergleichung; wissenschaftlich objektiviert und dadurch Natur im Sinne der strengen Gesetzlichkeit wurden die Farben erst, als Newton gelehrt hatte, sie durch eine Zahlengröße darzustellen, nämlich durch die verschiedene Stärke ihrer Brechung, und noch mehr, als die Undulationstheorie des Lichtes gestattete, die Wellenlänge zu messen, die einer bestimmten Stelle im Spektrum entspricht. Es ist bekannt, wie schwierig verschiedenen Individuen es wird, sich über eine bestimmte Farbennüance zu einigen, ebenso, wie die Farbe eines Körpers von der Beleuchtung abhängt. Soweit es sich hier um subjektive Einflüsse handelt, oder, wie im zweiten Falle, um Bedingungen, die nicht in allen Einzelheiten bekannt sind, weil man die Zusammensetzung der vorliegenden Farbe oder der Lichtquelle nicht kennt, steht der Beobachter dem Verlauf dieses Ereignisses, d. h. dem eintretenden Farbeneffekt, in ähnlicher Ungewißheit gegenüber, wie der Wilde der Mondfinsternis. Dagegen ergibt sich eine vollständige objektive Sicherheit, sobald der Physiker die Wellenlängen der Strahlen kennt, die auf den Körper fallen und von ihm zurückgeworfen werden, weil alsdann alles zahlenmäßig bestimmt ist. Und bei einer solchen Einreihung einer subjektiven Erfahrung in die Gesetzmäßigkeit der Natur handelt es sich dann nicht bloß um die Feststellung irgend einer einzelnen Erkenntnis, sondern es werden dadurch große, neue Gebiete der Wirklichkeit tatsächlich eröffnet; es wird Natur geschaffen, die vorher nicht als Natur, d. h. nicht als gesetzmäßig feststellbares Ereignis vorhanden war.

Wenn sich z. B. ein Stern nahezu in der Richtung auf unser Sonnensystem hin oder in entgegengesetzter Richtung fortbewegt, so kann die Beobachtung auch mit dem schärfsten Fernrohr diese Bewegung nicht bemerken, der Stern mußte früher als unbeweglich gelten; dennoch gibt es jetzt eine Methode, eine derartige Bewegung zu konstatieren. Nachdem es gelungen war, die subjektive Erscheinung des Lichtes als eine meßbare Wellenbewegung zu objektivieren, zeigte es sich, daß in dem von den Sternen ausgesandten Lichte meist nur Wellen von bestimmter Schwingungsdauer enthalten sind, in Folge dessen im Spektrum der Sterne nur einzelne helle Linien an genau meßbarer Stelle auftreten. Bewegt sich nun der Stern mit einer gewissen Geschwindigkeit gegen die Erde, so wird dadurch die Wellenlänge um ein weniges verkürzt, die Strahlen werden im Prisma etwas stärker gebrochen, und die Spektrallinien erscheinen daher von ihrer Stelle gerückt. So minimal auch diese Verschiebung ist, so ist sie doch für die moderne Technik meßbar, und es ergibt sich daraus die Geschwindigkeit des Sternes gegen die Erde, die durch keinen menschlichen Sinn direkt wahrgenommen werden kann. Man erkennt in diesem Falle, wie durch die Zurückführung der sinnlichen Erscheinungen auf meßbare räumliche Beziehungen ganz neue Wirklichkeitsgebiete geschaffen werden. Die Bewegung des Fixsternes wird jetzt ein Teil der objektiven Natur, Man braucht nur an die Entwickelung der Elektrizitätslehre zu denken, um zu verstehen, wie hier Vorgänge, für welche wir gar keinen spezifischen Sinn besitzen, in den gesetzlichen Zusammenhang der Wirklichkeit durch die Fortschritte der Kultur eingetreten sind. Jede Entdeckung, die ein bloß subjektives Ergebnis zu einem gesetzlichen Geschehen objektiviert, eröffnet dadurch neue Mittel, durch welche die subjektiven Zentren des Bewußtseins in Verkehr treten und das Gebiet der Naturobjekte erweitert wird. Die Schallwellen, die Ätherschwingungen, die elektrischen Ströme sind solche neue Naturobjekte, die früher nicht da waren; d. h. sie waren nicht da als eine objektive Gesetzlichkeit, sondern nur in ihren subjektiven Wirkungen, in unserem unbestimmten Erlebnis. Wenn ein Gebiet der Sinneswahrnehmungen, wie Hören oder Sehen, eine Darstellung in mathematischer Theorie erfährt, so gewinnt dadurch die Menschheit ein neues Realitätsgebiet, zahllose Beziehungen treten auf, von denen vorher nichts zu bemerken war. Es würde z. B., wenn es gelänge, die Gerüche auf mathematische Gesetze zu bringen, offenbar ein neues Naturgebiet geschaffen werden, von dem man jetzt nicht sagen kann, welche neuen Verkehrsmittel für die Subjekte es darbieten würde, vermutlich nicht geringere, als sie die wissenschaftliche Akustik, Optik, Wärmelehre, Elektrotechnik und Chemie erzeugt haben.

In diesem Sinne ist Natur niemals etwas Abgeschlossenes, sondern entwickelt sich mit der Erkenntnis und unter fortwährender Korrektur durch die Erkenntnis zu einem System, das als eine gesetzliche Verbindung der Erscheinungen sich immer deutlicher von den Vorgängen sondert, die wir in den individuellen Systemen der menschlichen Leiber erleben. Diese aber lösen sich dadurch nicht von der Natur, sondern lassen die Art ihrer Verbindung mit ihr um so genauer erkennen, je strenger die von ihnen unabhängigen Erscheinungen gesetzlich bestimmt werden als das System des objektiven Naturgeschehens.

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Die Natur als Produkt der Erkenntnis auffassen, heißt keineswegs an der Realität der Naturerscheinungen rütteln. Denn Erkenntnis ist ja gerade der Vorgang, wodurch objektive,, allgemeingültige Tatsachen festgelegt werden. Aber diese idealistische Auffassung des Seins ermöglicht ein Verständnis für die Realität der Objekte, wonach nun die subjektive Realität der Vorstellungswelt in gleicher Linie mit ihnen gestellt werden kann, indem sich beide als ein notwendiger Zusammenhang derselben gesetzlichen Entwickelung ergeben, nicht als ein Übergang zweier verschiedener Arten des Seins in einander.

Ein Körper ist nämlich nichts anderes als eine gesetzliche Bestimmung, daß sich gewisse Veränderungen im Raume vollziehen müssen, die wir als Wechselwirkung mit andern Körpern, oder – mit dem modernen naturwissenschaftlichen Ausdruck – als Energieumwandlungen bezeichnen. Zu dieser Bestimmung gehört es auch, daß, wenn der Körper zu meinem menschlichen Leibe in eine gewisse räumliche Beziehung tritt, Veränderungen in diesem meinem Leibe auftreten. Nun ist mein individueller Geist seinerseits nichts anderes als eine gesetzliche Bestimmung, daß eine außerordentlich große Anzahl von räumlich-zeitlichen Veränderungen eine Einheit bilden, die als ein »Ich« erlebt werden. Unter diesen räumlich-zeitlichen Beziehungen findet sich auch die immer wiederkehrende, die ich meinen Leib nenne. Seine Veränderungen werden daher als Veränderungen meines Ich erlebt, und somit erlebe ich einen Körper, der auf meinen Leib wirkt, eben als eine Veränderung am Inhalt der gesetzlichen Bestimmung, die mein individueller Geist heißt. Dieses »Erleben« ist nur die Bezeichnung dafür, daß eine Veränderung des Systems stattfindet, das mein Ich heißt; aber es bedeutet nicht, daß eine andre Art des Seins zu der Veränderung meines Leibes hinzutrete.

Was »Erleben« ist, das kann man niemand beschreiben, es ist eben die unmittelbare Erfahrung, die jeder an sich macht, und wodurch er weiß, daß er existiert; die Erfahrung, daß ein Inhalt Veränderung erleidet. Farben, Widerstände, Temperaturen usw. erfüllen als Qualitäten von Gegenständen Raum und Zeit; diese Tatsache und die Tatsache ihrer Veränderung, verbunden mit dem Zustande, den wir unser Gefühl nennen, ist unser Erlebnis. Wieweit wir etwas »erleben«, soweit reicht unser Ich. Woher aber das »Erleben« kommt, das kann nicht erklärt werden, weil es die ursprüngliche Tatsache ist, auf die alle Erklärungen zurückweisen; es ist das gegebene Ereignis, das Grundphänomen, das vorausgesetzt werden muß. Erlebnis ist also die Form, in welcher uns Bestimmungen des räumlich-zeitlichen Inhalts überhaupt entgegentreten. Wir kennen es nur an unserm eigenen Ich und sonst nirgends in der Welt; aber wir haben unwiderlegbare Gründe, dies Erleben bei zahllosen anderen Einheiten vorauszusetzen, und diese nennen wir bewußte Wesen oder individuelle Geister.

»Ich bin ein Geist« heißt somit: »ich erlebe etwas«. Dieses »Etwas«, das ich erlebe, ist der Inhalt meines Ich; es wird erlebt. Der Inhalt und das Ich sind nicht zu trennen, eines ist ohne das andere nicht denkbar. Insofern der Inhalt als eine Einheit erlebt wird, haben wir ein Ich, einen Geist, ein Erlebendes, insofern aber jede Einheit eine Mannigfaltigkeit voraussetzt, die eben in ihr eins ist, haben wir einen Inhalt, ein Erlebtes. Das, was wir das Geistige zu nennen pflegen, hat also gar nichts an dem Inhalt des Erlebten zu bewirken, es ist nur der Beziehungspunkt, die Einheit, wodurch ein gewisser Inhalt jenes System bildet, das ich mit dem Charakter der Bewußtheit als mein Ich kenne. Aber alles, was ich erlebe, erlebe ich als Inhalt so, wie es ist. Die Veränderungen, welche die Körper und mit ihnen mein Leib gegenseitig erleiden, sind diejenigen gesetzlichen Beziehungen im Raume, die wir als Natur bezeichnen. Ob sie erlebt werden oder nicht, das ändert an ihnen und ihren Gesetzen gar nichts. Sie bleiben genau, was sie sind, und was wir nach wissenschaftlichem Sprachgebrauch unter Körpern verstehen. Wenn sie von einem Ich erlebt werden, so verwandeln sie sich dabei nicht in etwas Geistiges, sondern sie bilden jetzt nur durch die Verbindung mit dem Leibe eines Menschen neuen Inhalt, eine Mannigfaltigkeit flüchtigerer und unbestimmterer Art, deren Einheit inbezug auf die Körper immer noch das Gesetz (System) ist; für sich genommen aber erlebt sich dieser neue Inhalt (als Mannigfaltigkeit in der Einheit) selbst und heißt dann ein » Ich«. Daß also in der Naturgesetzlichkeit des räumlich-zeitlichen Weltinhalts das Phänomen des Erlebens, das Ich-sein, sich vorfindet, ändert nichts an der Notwendigkeit des Geschehens, an der naturgesetzlichen Bestimmtheit. Nur läßt sich diese Bestimmtheit nicht in der Einheit des Ich definieren, sondern allein durch die Einheit des Gesetzes (Systems), wodurch die Körper in ihrer räumlich-zeitlichen Mannigfaltigkeit bestimmt sind ohne Rücksicht darauf, daß sie Teile des Inhalts eines individuellen Ich bilden und in ihm erlebt werden. Die Naturwissenschaft sieht davon ab. Man kann sagen: Dieselbe Einheit gesetzmäßiger Bestimmungen, die wir aus der Erfahrung als individuellen Geist kennen, insofern wir sie selbst erleben, heißt ein objektiver Vorgang oder Körper, wenn sie ohne Rücksicht auf dieses Selbsterlebnis betrachtet wird und nur bestimmt werden soll durch die Wechselwirkung, in der sie mit andern räumlichen Systemen steht. Will man die letztere Bedingtheit hervorheben, so nennt man den betreffenden Gegenstand physisch; derselbe Vorgang heißt psychisch, wenn er, wie in der Psychologie, als Bestandteil des Erlebnisses eines individuellen Geistes gegeben ist. Komme ich von der Naturwissenschaft her, so sage ich, es gibt körperliche Systeme, die sich selbst erleben; aber für mich haben sie in dieser Hinsicht kein Interesse. Komme ich von der Psychologie her, so sage ich, alle Dinge gehören als Bestandteile irgend einem Bewußtsein an. Veränderungen, die ich in mir psychisch erlebe, sind für einen zweiten, äußern Beobachter nur physische, aber insoweit dadurch Veränderungen am Inhalt seines eigenen Systems (Leibes) entstehen, ändert sich auch sein Erlebnis. Die Menschen wirken aufeinander immer nur durch physische Mittel, optisch, akustisch, mechanisch usw. Das aber bedeutet nicht, daß hierbei eine Umsetzung von Psychischem in Physisches und umgekehrt stattfinde, sondern daß die Zusammenhänge im Raume, nämlich dieses Gehirn und jenes Gehirn, sich verändern, womit diese Abänderung psychisch in den Individuen erlebt wird. Die Gehirne der Menschen gehören einem Zusammenhange der Dinge im Raume an, der für jedes dieser Gehirne zum Teil derselbe ist, zum Teil aber durch andere Zusammenhänge gestört wird. Daher stimmen die Einheiten, die sie erleben, in gewissem Grade überein, während sie im übrigen die Unterschiede zeigen, wodurch eben ein Individuum vom anderen sich trennt. (Vgl. Seite 116.).

Wenn ich dem Monde physische, nicht psychische Existenz zuschreibe, so will ich damit nur sagen, daß es sich um gesetzliche Zusammenhänge handelt, die ganz unabhängig davon sind, ob sie von jemand erlebt werden oder nicht; und wenn ich meiner Vorstellung vom Monde psychische Existenz zuschreibe, so will ich damit nur sagen, daß jene gesetzlichen Zusammenhänge oder Teile von ihnen augenblicklich zu denjenigen gehören, die ich als mein Ich erlebe; darum bleiben sie nicht weniger physisch auch in diesem neuen Zusammenhange mit den Prozessen in meinem Gehirn; und der physische Mond ist nicht weniger psychisch, insofern sein objektives Gesetz von jemand gedacht wird.

Man wird vielleicht meinen, daß mit dem vorgestellten Inhalt das Wesen des Psychischen nicht erschöpft sei, daß eben doch der Charakter der Bewußtheit als eine neue Seins-Art hinzukäme durch die vorstellende Einheit des Bewußtseins. In dieser Einheit besteht allerdings die Eigenart des Psychischen; daß sie aber außer dem Inhalt etwas sei, beruht auf einer Täuschung. Niemand wird in seinem Bewußtsein außer dem, was er sich vorstellt, z. B. den Mondschein, noch eine besondere Tätigkeit des Vorstellens finden; er findet nur vielleicht noch einen neuen Inhalt, nämlich den Gedanken, daß er etwas Vorgestelltes, nicht etwas wirklich Wahrgenommenes vor sich hat, daß der Mond nicht tatsächlich am Himmel steht; oder er findet, wie z. B. wenn wir uns besinnen, einen dunklen, unklaren Inhalt, aus dem sich dann ein Teil allmählich deutlicher hervorhebt; oder er findet auch, ein Gefühl der Anstrengung, das mit dem willkürlichen Wechsel der Vorstellungen verbunden ist; er findet dieses Streben und Wollen selbst; dies alles aber, eben weil er es in sich findet, ist als Inhalt seines Bewußtseins zu bezeichnen. Man mag auch unbedenklich den Prozeß des Vorstellens eine Tätigkeit nennen, weil er mit dem Gefühl, ihn zu wollen, mit einem vorgestelltem Ziele, verbunden ist. Nur wäre es unrichtig zu meinen, daß man mit diesem Vorstellen etwas Äußeres zu einem Innern machte; man ändert vielmehr nur die Zusammensetzung eines Inhalts. Man hört wohl den Ton, aber man hört nicht das Hören. In dem Akt des Vorstellens haben wir also nicht eine Umwandlung des räumlich-zeitlichen Inhalts unseres Ich etwa in Form des Psychischen durch die Tätigkeit des Bewußtseins zu sehen, sondern nur den tatsächlichen Vorgang am Inhalt, insofern er eine Einheit bildet. Wollte jemand sagen, die Verbindung zur Einheit im Ich nenne er eben den Übergang des Physischen ins Psychische, so braucht man ja über Worte nicht zu streiten; sachlich muß nur festgestellt werden, daß der Ausdruck »Übergang« irreführend ist. Durch das Bewußtwerden findet keine Veränderung der Existenz statt außer der neuen Gruppierung der Bestandteile zu Einheiten.

Einen Einwurf wird man dieser Auffassung zunächst immer wieder entgegenhalten. Man wird sagen: Wenn ich den Mond sehe, so finde ich in meinem Bewußtsein Helligkeit von bestimmter Gestalt, ich fühle die Schönheit der beglänzten Landschaft, ich habe eine weihevolle Stimmung der Ruhe; in meinem Innern sind Empfindungen und Gefühle. Der Naturforscher aber sagt uns: Im Raume sind nur Ätherwellen von gewisser Schwingungsdauer, strahlende Energie, die sich in der Netzhaut und im Gehirn in chemische Prozesse umsetzt; da sind nur Energieumwandlungen in den Nervenzellen, Erweiterungen der Gefäße, Änderungen der Blutzirkulation. Wo und wie geht denn das Physische der Bewegung in das Psychische, in Empfindung und Gefühl über? Denn etwas Verschiedenes sind sie doch einmal.

Was hierauf zu erwidern ist, das ist alles im früher Gesagten schon enthalten. Ich formuliere es kurz dahin: Empfindung und Gefühl ist der Inhalt der Natur, wie er in seiner Einheit im menschlichen Gehirn, das ihm angehört, sich selbst erlebt; der Energieumsatz im Raume ist dieser selbe Inhalt, wie er, abgesehen von jener sich selbst erlebenden, Einheit, in den Einheiten gesetzlicher Systeme bestimmbar ist. Eine Umwandlung des Inhalts findet dabei nicht statt,, außer in bezug auf die Gruppierung der beteiligten Elemente. Daß aber das Körperliche und Räumliche der sinnlichen Empfindung mit dem spezifischen Ichbewußtsein des Gefühls vereint auftritt, liegt daran, daß beide Bewußtseinsinhalt sind, den die Erkenntnis scheidet in den als gesetzlich erkannten, daher objektiven Teil und in den zunächst nur als individuellen Bewußtseinsinhalt erlebten Teil, das subjektive Erlebnis der Einzelwesen. Daß endlich auch der objektive Teil, obwohl er das bezeichnet, was ganz unabhängig von seinem Erlebtwerden existiert, doch nur durch solche Mittel beschrieben werden kann, die aus seinem Erlebtwerden entnommen sind, ist dadurch bedingt, daß für den Menschen als Einzelwesen alle Existenz zunächst in. der Form des Psychischen gegeben ist.


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