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XIII.

Die Idee der Freiheit

Daß man ein und dasselbe Ereignis von verschiedenen Standpunkten aus und in verschiedener Rücksicht beurteilen kann, ob es tatsächlich ist, ob erklärbar, ob erwünscht, ob schön, ob erlaubt usw., das wird man ohne Bedenken zugeben. So ist es aber nicht gemeint, wenn wir von der Doppelstellung der Dinge sprechen, je nachdem sie der theoretischen oder ethischen Beurteilung unterliegen. Unter Beurteilung verstehen wir nicht eine subjektive Stellungnahme zur Sache, die man nach Belieben auch unterlassen könnte, sondern wir wollen damit Arten der gesetzlichen Bestimmung bezeichnen, wodurch Realitäten, wirkliche Gebiete des Lebensinhalts, objektiv erzeugt und geordnet werden. Und dies ist möglich, weil es sich um Realitäten von ganz verschiedenem Charakter handelt. Im Reiche der Freiheit ist der Inhalt der menschlichen Erfahrung das Mittel zur Verwirklichung der sittlichen Persönlichkeit; jedoch dieses Mittel selbst, die menschliche Erfahrung, kann nur durch Naturgesetze in Raum und Zeit erzeugt werden.

Aber wie ist das zu verstehen? Dasselbe Ereignis soll als Mittel zu einem sittlichen Zwecke dienen und doch notwendig bedingt sein; in die Naturnotwendigkeit kann ich nicht eingreifen, und sittlich soll ich mich doch selbst bestimmen. Wie mache ich es also, daß ich trotz meiner naturnotwendig bedingten Handlungsweise in der Wirklichkeit doch sittlich, d. h. als Persönlichkeit, handle?

Dies wäre allerdings nicht zu verstehen, wenn einerseits der gesetzliche Zusammenhang der Dinge in Raum und Zeit als eine fertige Weltordnung in seiner ganzen Totalität gegeben wäre, und andererseits das Sittengesetz als eine äußere Forderung dem gegenüberstände. So ist es aber nicht. Vielmehr ist die Frage praktisch schon gelöst, wie das, was ist, und das, was sein soll, eine Einheit zu bilden vermögen. Denn wir selbst sind solche Wesen, die als Individuen nach Naturgesetzen entstehen und doch das Bewußtsein ihrer sittlichen Bestimmung haben. Wir sind zugleich erkennende, wollende und fühlende Wesen. Das ist Tatsache, an der nicht zu rütteln ist. Es handelt sich nur darum, diese Tatsache verständlich zu machen, indem wir uns erinnern, daß wir unserer Existenz durch unser Gefühl und unfern Willen gewiß sind, während uns unsere Abhängigkeit von der Naturnotwendigkeit erst durch den Entwicklungsprozeß der menschlichen Erkenntnis zum Bewußtsein kommt. Wer nichts davon weiß, daß es eine Naturwissenschaft gibt, der die Gesetzlichkeit des Naturgeschehens zur Voraussetzung dient, für den besteht auch nicht das Problem der Freiheit. Er fühlt wohl die Hemmungen seines Willens, aber nur als Widerstände, nicht als einen Widerspruch für das Denken. Dieser Widerspruch tritt erst im Verlaufe der menschlichen Kultur auf (vergl. S. 86).

Berücksichtigen wir dies, so erkennen wir, daß die Natur, sofern wir darunter den gesetzlichen Zusammenhang der Ereignisse in Raum und Zeit verstehen, auf einem Gesetze beruht, das nur eine der Richtungen des Bewußtseins, nämlich die Erkenntnis, umfaßt. Daher fassen wir uns auch selbst als Natur, d. h. als Individuen in Raum und Zeit auf. Wenn wir als erkennende Wesen im Laufe der Kulturentwicklung uns klar werden, daß dieser subjektive Erkenntnisprozeß einer objektiven Gesetzlichkeit entspricht, nämlich der Naturordnung, so haben wir doch nicht zu schließen, daß diese Naturordnung das einzige Weltgesetz sei; sondern es liegt viel näher zu begreifen, daß den subjektiven Mächten des Gefühls und des Willens ebenso reale Bestimmungen entsprechen, wie der individuellen Erkenntnistätigkeit die Naturnotwendigkeit zugrunde liegt. Gefühl und Wille treten als unser individuelles Bewußtsein nur in Verbindung mit unserm lebendigem Leibe auf, also nur, wenn zugleich die dritte Bestimmungsart, die Natur, durch einen Körper in Raum und Zeit an jenen Realitäten beteiligt ist; so sind auch die Ideen der Zweckmäßigkeit und der Freiheit zu ihrer Verwirklichung auf den Bestand der Natur angewiesen. Aber so wenig, wie Gefühl und Wille dadurch aus der Welt verschwinden, daß die mathematische Naturwissenschaft ihrer zur Beschreibung der Körperwelt nicht bedarf, ebensowenig werden die Ideen in ihrer weltbestimmenden Bedeutung durch die Naturnotwendigkeit aufgehoben; sie sind reale Bestimmungen, die über Raum und Zeit hinaus die Ziele weisen, um derentwillen in Raum und Zeit die Gesetze der Natur gegeben sind. Und wie unser Leib mit seinem Nervensystem die gesetzliche Einheit darstellt, in der auf einer gewissen Entwicklungsstufe diese Verbindung der Richtungen des fühlenden, wollenden, denkenden Bewußtseins als ein individueller Geist auftritt, so entspricht dieser Einheit auch eine ursprüngliche Bestimmung im allgemeinen Bewußtsein. Diese ist es, die wir Persönlichkeit nennen.

Unser individueller Geist ist zwar ein Teil der Natur, aber immer nur ein Ausschnitt aus dem allgemeinen Weltzusammenhang, und in dieser unserer Existenz als endlicher, individueller Geist vermögen wir uns niemals so zu erkennen, wie wir als Teil des gesamten Weltzusammenhanges vollständig naturnotwendig bestimmt sind. Denn eine solche naturnotwendige Bestimmung würde die Kenntnis des unendlichen Zusammenhangs aller Dinge in Raum und Zeit voraussetzen. Deshalb kann das Gefühl der Willensfreiheit nie aufgehoben werden, weil die Bedingungen der Natur, unter denen wir stehen, niemals vollständig in unser individuelles Bewußtsein treten können. Sie bestehen nur als eine Voraussetzung unserer räumlich-zeitlichen Existenz; als Voraussetzung unserer Existenz überhaupt besteht aber vor allem die Einheit der Persönlichkeit; und so geschieht unsre individuelle Entwicklung nicht so, daß uns die Aufgabe gestellt würde: »Hier hast du Dein nach Naturgesetzen bestimmtes »Ich«; nun arbeite es nach Sittengesetzen um!« In der Tat wird vielmehr ein noch unbestimmtes Etwas durch die Bestimmungen des Fühlens, Wollens und Denkens zu unserm Einzel-Ich geformt, als Weltinhalt geschaffen, als dieser räumlich-zeitliche Leib und als dieses individuelle Bewußtsein. Es ist also die Einheit unserer freien Selbstbestimmung, deren wir in unserm Gefühl sicher sind, und die uns nun erst im Zusammenhange mit den Dingen in Raum und Zeit als eine scheinbar fremde Bestimmung entgegentritt, als das naturgesetzliche System unseres Leibes und Lebens. Und weil es diese selbe Einheit des Bewußtseins ist, die sich frei fühlt und doch, insofern sie sich erkennt, als Naturobjekt erkennt, wissen wir uns in beiden Fällen als dasselbe Ich, nur von verschiedenen Standpunkten aus betrachtet.

Und darum ist es auch möglich, daß sich ohne Durchbrechung der Naturgesetzlichkeit die Freiheit der sittlichen Bestimmung in der Welt verwirklichen kann. Diese Verwirklichungen vollziehen sich in vollständig von einander unabhängigen Sphären, die nur einen gemeinsamen Zielpunkt haben in dem Bewußtsein, auf dem die Einheit des Ich beruht. Der Inhalt des Einzel-Ich bildet sich in jedem Zeitmoment erst unter dem Naturgesetz als dieser mein individueller Geist, und in ihm erscheint die freie Selbstbestimmung der Persönlichkeit, die von Raum und Zeit unabhängig ist, als ein zielweisendes Moment. Das Naturgesetz allein bewirkt Inhalt, es wirkt konstitutiv, Erfahrung schaffend. Die Selbstbestimmung der Person wirkt dagegen regulativ, sie schafft nicht, sie beurteilt das Geschaffene auf seine Tauglichkeit zum Ziele der Person. Sie gehört damit einer ganz anderen Sphäre an als der Natur; in die Natur greift sie nicht ein, kann sie nicht eingreifen; aber für uns als sittliche Personen ist ja die Natur nur ein Teil von uns, der notwendig bestimmt ist. Dagegen greift die Selbstbestimmung in das Reich der Persönlichkeit ein, sie reguliert die Beziehungen von Person zu Person und bewirkt damit, daß der notwendig bestimmte Teil von uns der Persönlichkeit gegenüber ein anderer wird. In diesem, den Gesetzen von Raum, Zeit und Notwendigkeit entzogenen Reiche der Freiheit bestimme ich als Person mich in meinem sittlichen Verhalten, entscheide über meinen individuellen Geist, wie er sich entschließen soll. Ich weiß nur, daß es geschieht, wie es geschieht, erfahre ich erst in der Zeit, als psychologischen Tatbestand. Wie der Künstler für die Ausführung seines freien Ideals an die Gesetze des Stoffes gebunden ist, den er bearbeitet, und erst an dem Werke des eigenen Schaffens sich bewußt wird, so geht es dem Willen mit dem Leben. Jeder Entschluß, jede Tat, jeder geistige Zustand ist mir nur zugänglich als ein Inhalt, der unter dem Naturgesetze steht. Deswegen erscheint meine Tat stets naturnotwendig bestimmt, obwohl sie frei ist. Denn das Naturgesetz mit seinem räumlich-zeitlichen Inhalt ist die einzige Sprache, die mein individueller Geist versteht. Die Natur ist das Instrument, dessen ich mich als Person bediene, um wirklich in Raum und Zeit zu sein, und dieses Instrument kann nur so arbeiten, wie es seinem Bau entspricht. Aber wie ich es anwende, ist meine Sache als des Baumeisters, der sich seine Wirklichkeit als Person gestaltet. Daß ich nun hier, in diesem Augenblick, mit meinem freien Entschlusse das mathematisch bestimmte Naturgesetz abänderte, um etwa nein statt Ja zu sagen, das ist unmöglich: aber daß ich jetzt Ja, oder statt dessen Nein sagen werde, das habe ich in der Freiheit meiner Persönlichkeit bestimmt in der Gesamtlage der Natur, die ich in diesem Augenblicke als mein individuelles Ich erkenne. Wann ich es bestimmt habe? Etwa bei meiner Geburt? Etwa bei Gelegenheit des Ursprungs der Organismen? Etwa bei der Weltschöpfung? Das kann ich nicht sagen, das zu denken hat keinen Sinn. Denn als Person bin ich ja nicht in Raum und Zeit, bin kein psychologisches Ich, habe es also in keinem Augenblick der Zeit bestimmt, auch nicht seit Ewigkeit, denn dies ist doch nur eine versteckte Zeitbestimmung. Es ist eben von mir bestimmt, weil ich mich frei fühle, aber sagen kann ich es nicht, weil ich nur die Sprache der Natur reden kann, weil ich mich erkenne nur als räumlich-zeitliches Wesen. Und als solches erfahre ich von meinem Ich erst in jedem Zeitmoment, daß ich eine gewisse Verbindung von Inhalt bin, Wie dieser Inhalt ist, und wie er sich entwickelt, ist mir allein in der Form der Naturnotwendigkeit bekannt. Daß ich aber dieser Inhalt bin, und daß er sich so entwickelt, als dieser Charakter, das muß ich meiner freien Selbstbestimmung zuschreiben. Und deswegen wirke ich zwar in der Welt nach meiner persönlichen Freiheit als ein unbedingter Selbstzweck; aber erfahren kann ich mich immer nur als ein bedingtes System in der Zeit.

Wir mußten ein wenig ins Abstrakte geraten bei unsern Ausführungen. Aber das liegt in der Schwierigkeit der Fragen. Soll die Antwort nicht an der Oberfläche hingehen, so verlangt sie, daß wir hier von der Anschaulichkeit absehen und uns in die Tiefe des philosophischen Gedankens wagen. Manchem werden die Dinge durch Abstraktion klarer; andere ziehen eine mehr veranschaulichende Darstellung vor, selbst wenn sie die Sache weniger korrekt trifft. Sie wirkt dann einführend, die wissenschaftlich strenge Abstraktion vorbereitend oder ihr nachhelfend, auch den einen oder andern scheinbaren Einwurf zurückweisend. Es sei uns daher gestattet, die dargelegte Ansicht noch in einer etwas veränderten Wendung vorzuführen, indem wir an einen Beispiel zu erörtern versuchen, was man sich unter dem Begriff verschiedener Formen der Realität vorstellen kann. Aber man wolle das auch nur als eine Erläuterung betrachten und keine Einwände daraus herleiten, daß sie ein wenig psychologisch gefärbt erscheint. Die erkenntniskritische Darstellung haben wir oben gegeben.

Als Realitäten von verschiedenem Charakter erkannten wir das bloße Erlebnis, seine naturgesetzliche Objektivierung und seine ethische Beurteilung. Wenn wir sagen, ein Ereignis oder eine Tatsache, z. B. der Sternenhimmel, besitzt Realität als Erlebnis, und er besitzt eine höhere Realität als Objekt des mechanischen Naturgeschehens, so wird man geneigt sein zu entgegnen, das sei eine künstliche Abstraktion, durch die der Widerspruch nicht gelöst werde, daß derselbe Sternenhimmel, ein notwendiges Naturgeschehen und zugleich etwa ein Gegenstand der freien poetischen Betrachtung sei. Es gäbe doch nicht zwei verschiedene Naturen, zwei verschiedene Sternenhimmel, den unmittelbar wahrgenommenen und den astronomisch berechneten: es könne doch nur einer der wirkliche Sternenhimmel sein, der andere aber sei dann eine menschliche Erfindung.

Darauf antworten wir mit dem Grundgedanken unserer Ausführung überhaupt; es handelt sich eben um die Frage, was ist Wirklichkeit, was ist Realität? Und da zeigt es sich, daß dies gar nicht etwas so Einfaches ist, sondern daß Realität stets die Beziehung auf ein Gesetz bedeutet, das das Verhalten der Subjekte bestimmt und ihre Übereinstimmung regelt. Es kann sich daher sehr wohl ein und dasselbe Erlebnis in verschiedenen Formen realisieren; denn diese Formen betreffen nicht Dinge an sich, sondern Arten von Verbindungen, die sich im Bewußtsein gesetzmäßig vollziehen. Wir können uns allerdings eine jenseits der Erfahrung gelegene Bestimmung denken als die einheitliche Bedingung für die verschiedenen Realitätsformen, ja wir müssen sie sogar annehmen, wenn wir der Einheit unseres Erlebnisses gewiß sein wollen, aber aussagen können wir darüber gar nichts. Unsere Erfahrung setzt stets schon die gesetzliche Gestaltung in der Zeit durch unser Bewußtsein voraus, und es ist die Einheit dieses unseres persönlichen Bewußtseins selbst, aus der wir schließen dürfen, daß die verschiedenen Gestaltungsgesetze der Ausdruck einer höheren, unserer Erkenntnis unzugänglichen Einheit sind.

Die Frage, was ist der Gegenstand, was ist z. B. der Sternenhimmel, läßt sich immer nur relativ beantworten, unter Vorbehalt der Umstände. Um zu sagen, was die Dinge der Erfahrung absolut sind, müßte man sie in allen ihren unendlichen Beziehungen kennen, und das ist unmöglich. Deswegen kann man sie bloß als einen Hinweis auf mögliche Bestimmungen und in wissenschaftlicher Hinsicht als die unendliche Aufgabe der Erkenntnis bezeichnen; als existierend kommen sie allein vor, insoweit sie in ein Realisierungsgebiet eingeschlossen sind, und hier können sie zugleich sehr Verschiedenes sein.

Blicken wir in klarer Nacht zum Sternenhimmel, so haben wir zunächst ein subjektives Erlebnis; dieses kann nach verschiedenen Richtungen als ein Objekt bestimmt werden. Eine erste Objektivierung ist die rein empirische als Anschauungsobjekt; werden gewisse Stellungen im Gedächtnis behalten und bezeichnet, so können sich schon verschiedene Individuen danach richten, Zeit und Ort ihres Aufenthalts in gewisser Hinsicht bestimmen. Die Sterne sind Objekte geworden. Was sind sie aber? Dem einen sind sie glänzende Nägel am Kristallgewölbe des Himmels, dem anderen Öffnungen darin, wodurch wir in die Feuersphäre blicken, jenem sind sie Leuchten, die Gott den Menschen alle Abende ansteckt, diesem Engel, die im Himmel schweben; dem Astronomen sind sie lediglich mathematische Bestimmungspunkte, dem Astrophysiker selbstleuchtende Sonnen oder abhängige Trabanten, deren Bahnen, deren Geschwindigkeit er berechnet deren chemische Zusammensetzung er zum Teil anzugeben, vermag. Jedoch die Wissenschaft ist nicht abgeschlossen; wer sagt uns, wie wir die Sterne sonst noch auffassen werden? Wir müssen also eine dieser Realitäten im Begriffe festhalten, oder wissenschaftliche Untersuchung ist überhaupt nicht möglich. Und diejenige Realität, die das allgemeinste Geltungsgebiet besitzt und, wie auch unsere Erkenntnis sich im einzelnen gestalten mag, ihrem Charakter nach unzweifelhaft feststeht, ist die der Gesetzmäßigkeit der Bewegung. In dieser Hinsicht nennen wir die Sterne Natur.

Aber es gibt noch andere Formen, in denen das Erlebnis gesetzmäßig Gestalt annimmt. Das bloße Erlebnis, das wir unter dem Nachthimmel sehen, ist tausendfältig mit andern Erlebnissen verbunden, und diese Erlebnisse zeigen sich unter anderem in einem Zusammenhange mit unserem Ich, dessen wir uns in der Form des Wollens bewußt werden. Aus diesen Zusammenhang zielt die Idee der Freiheit. Wir können bei jedem Erlebnis fragen: »Soll das sein? Wollen wir, daß dies sein soll?« Freilich, wenn wir einmal die Sterne als Natur objektiviert haben, können wir nicht mehr fragen: »Sollen sie sein?« Denn dies eben ist das Zeichen der Notwendigkeit, daß die Natur ist, wie sie ist, und die Frage, wie sie sein soll, keinen Sinn hat. Aber das Erlebnis selbst, soll es sein? Sollen wir jetzt hier stehen und zu den Steinen aufschauen? Sollen wir nicht vielleicht arbeiten? Oder schlafen? Das Erlebnis kann also auch eine Bestimmung erhalten inbezug auf unseren Willen; insofern aber dieser daran beteiligt ist, ist das Ereignis, gleichviel wie es sonst noch bedingt sein mag, unter der Idee der Freiheit beurteilt. Wir können die Forderung, daß etwas sein soll oder nicht sein soll, gar nicht stellen, wenn nicht vorausgesetzt ist, daß es auch anders sein könnte. Wir haben also in der Bestimmung der Dinge, daß sie sein sollen oder nicht, eine neue Art der Beziehungen innerhalb unseres Erlebnisses, wovon sich in der Naturgesetzlichkeit nichts findet. Diese Beziehungsform, auf der das moralische Urteil beruht, nennen wir die Idee der Freiheit. Wir können uns dem moralischen Urteil nicht entziehen, wir sind mit unserem Erlebnis durch eine uns übergeordnete Bestimmung verknüpft, wodurch es uns als gut oder böse entgegentritt. Die Freiheit besteht nicht darin, daß wir ein Sittengesetz beliebig aufstellen könnten, sondern darin daß wir es besitzen; denn dies bedeutet die Fähigkeit, moralisch zu urteilen, und setzt voraus, daß wir den gegebenen Dingen nicht bloß passiv ausgeliefert sind, sondern eine Stellung zu ihnen nehmen können, ob sie sein sollen oder nicht. Und in dieser Stellungnahme liegt unsere Freiheit, liegt die Gestaltung des Erlebnisses zu einer persönlichen Tat. Das Erlebnis wird uns gegeben, aber wie wir es in der Einheit unserer Persönlichkeit aufnehmen, darin sind wir frei. In welcher Richtung dies geschehen soll, ist uns durch das Sittengesetz als eine objektive Realität vorgeschrieben. Während uns das Naturgesetz keine Wahl läßt, besteht das Sittengesetz darin, daß wir es durch die freie Bestimmung über unsere Persönlichkeit in der Welt vollziehen, das heißt selbständig eine Ordnung schaffen sollen, die Gemeinschaft guter Menschen.

Daß wir hierher gehen, die Augen aufmachen und die Sterne sehen, das ist das Erlebnis. Unter den Denkmitteln des Verstandes ist dies alles Naturnotwendigkeit, verursacht durch lauter physiologische Gesetze; aber unter der Idee, daß etwas sein soll oder nicht sein soll, steht das Ereignis unter dem Sittengesetze. Es ist entweder gut oder verwerflich vielleicht auch indifferent, darauf kommt es jetzt nicht an. Jedenfalls ist es moralisch beurteilbar, und das wäre es nicht wenn es bloß Naturereignis wäre. Unter der Idee der Freiheit entsteht aus denselben Bausteinen wie die Natur, wenn gleich nach einem anderen Plane, das Gebäude der menschlichen Handlungen. Die Beziehungen der Notwendigkeit sind dadurch nicht aufgehoben, es sind nur andere Beziehungen dazu gekommen, und zwar für ein Gebiet, für welches jene nicht ausreichen; nämlich diejenigen Einheiten, durch welche das Erlebnis in der Willensrichtung der Persönlichkeiten geordnet wird, und deren Gesetz sich eben durch nichts anderes klarlegen und beweisen läßt als durch das zweifellose Bestehen der Forderung: »Du sollst!«

Wir verstehen jetzt, wie Freiheit mit Notwendigkeit, Sittlichkeit mit Natur ohne Störung zusammen existieren können. Bezögen sich die Gesetzlichkeiten auf eine ursprünglich fertige Ordnung der Dinge, so stände man allerdings vor einer Unbegreiflichkeit. Nun haben wir aber auseinander gesetzt, daß alle Realität ihren besonderen Sinn gewinnt durch ihre Beziehung auf die Subjekte, daß von der Ordnung der Dinge der Erfahrung erst die Rede sein kann, insofern sie sich im Bewußtsein der Menschen aufbaut. Wie die Bestimmtheit im Naturgesetz, so ist auch die Selbstbestimmung im Sittengesetz eine Ordnung, die erst in der Entwicklung der Kultur zu Tage tritt. Je weiter die Kultur fortschreitet, um so klarer zeigt es sich, daß das Erlebnis der Menschheit sich unter verschiedenen Gestaltungsgesetzen zu reinen Kulturformen ordnet. Das Naturgesetz bedingt die Übereinstimmung der Subjekte inbezug auf die Erkenntnis der anschaulichen Dinge, das Sittengesetz schreibt die Übereinstimmung inbezug auf den Willen der einzelnen vor. Erkennen und Wollen sind empirisch nur in den Subjekten gegeben, sie sind charakteristische Betätigungen, wodurch das Subjekt seinen Inhalt von Vorstellungen zu einem Weltinhalt vereinigt. Als solche aber sind sie nicht regellos und willkürlich, nicht selbst wieder subjektiv bestimmt, sondern objektive Realitäten, an welche alle Subjekte gebunden sind, demnach ihnen übergeordnet. Das Zusammenbestehen von Notwendigkeit und Freiheit erklärt sich also dadurch, daß sie außerhalb des Bewußtseins nicht in Frage kommen können, weil sie nichts anderes bedeuten als Ordnungen im Bewußtsein, Gesetze für das Erkennen und das Wollen, die demnach für erkennende und wollende Wesen gelten. Gäbe es keine solchen Wesen, so gäbe es auch weder Natur noch Freiheit; nur Wesen, die sich zur Kultur entwickeln, sehen sich vor die Tatsache gestellt, daß das, was sie erkennen, und das, was sie wollen, sich nach besonderen Gesetzen zur Naturordnung und zur sittlichen Ordnung zusammenschließt.

Hätte die naturalistische Weltauffassung recht, so käme das Gesagte darauf hinaus, daß ich nach einer ursprünglichen Bestimmung mich notwenig entwickle und demnach keine Freiheit besitze. Diese Auffassung ist auch für die theoretische Erklärung der Welt unentbehrlich, und der Vorzug der kritischen Auffassung ist, daß er jene vollständig und unbeeinträchtigt in sich aufnimmt. In der Zeit greift die Freiheit nicht in die Natur ein.

Die naturalistische Weltauffassung hat nur insofern nicht recht, und die kritische geht darin über jene hinaus, daß wir sagen: Allerdings entwickle ich mich notwendig insofern ich in der Zeit bin; aber die Bestimmung über meine Entwicklung ist kein Vorgang in der Zeit, sondern für die Zeit, sie selbst ist zeitlos. Deswegen bin ich frei, weil meine Selbstbestimmung, die über meine Entwicklung entscheidet, nicht in irgend einer Zeit diese Entscheidung festgestellt hat. In jedem Moment jedoch, in dem ich mir meiner individuellen Existenz in der Zeit bewußt werde, bin ich als ein Glied des räumlich-zeitlichen Weltinhalts bestimmt, weil mir dann auch meine Selbstbestimmung als ein Glied dieser Zeitreihe erscheint. Daß dies so ist, das liegt in dem Wesen des Bewußtseins, sowohl in der Form des Naturgesetzes als in der Form der Idee Bestimmungen zu vollziehen, Systeme in Raum und Zeit zu schaffen, die ihrer als individuelle Geister bewußt werden, und Persönlichkeiten als freie Selbstzwecke darzustellen, die sich in ersteren zur Wirklichkeit gestalten.

Infolge der gemeinsamen Wurzel von Erkenntnis und Wille in der Einheit des überempirischen Bewußtseins entwickelt sich in der Zeit mit und durch die Reihe der naturbedingten Einzelwesen das Einzelbewußtsein dieser Individuen vom tierischen Triebleben bis zum Selbstbewußtsein der Persönlichkeit im Menschen. Was ich die Persönlichkeit nannte, als die Einheit der zielbestimmenden Idee des Guten, das ist, wie gesagt, unserm Einzel-Ich immer nur in der Zeit als das psychische Ereignis gegeben, das wir unsern Willen nennen. Ebensowenig wie die volle Naturbestimmtheit finden wir das Gute jemals in unserm Ich verwirklicht, sondern beide sind nur die gesetzlichen Voraussetzungen für die Möglichkeit unserer Existenz als erkennende und wollende Individuen, und wir erleben jedesmal nur eine Stufe der Entwicklung zu einem unerreichlichen, weil unendlichen Ziele. Aber in jeder dieser Stufen finden wir die gesetzgebende Macht des Bewußtseins in doppelter Hinsicht tätig. Als Naturgesetzlichkeit schafft sie unsern momentanen Zustand, wie wir ihn erkennen, als ein System von Vorstellungen; und damit zugleich setzt sie als Freiheit einen Gegenstand für den Willen, der nun jenes System von Vorstellungen – nämlich unsern eigenen Zustand – unter der Idee des Guten beurteilt.

So geht das Reich der sich zur sittlichen Person entwickelnden Wesen parallel dem Reiche der sich als Natur erkennenden Wesen. Die Möglichkeit der Entwicklung beider Reiche aber beruht auf der Einheit des Gesetzes, das die Gemeinschaft aller Einzelwesen und ihre gegenseitige Arbeitsleistung bedingt. So wenig wie die einzelne Zelle, der einzelne Organismus, sei er Pflanze, Tier oder Mensch, ja ebensowenig wie die einzelne chemische Molekel existieren kann, sondern nur existiert durch die gegenseitigen Beziehungen zu ihrer Umgebung und ihresgleichen, ebensowenig kann das einzelne wollende Wesen bestehen, sondern es setzt den Willen anderer voraus. Wie die Natursysteme vom kosmischen Urnebel bis zum menschlichen Gehirn, so durchlaufen die Willenssysteme zahllose Stufen. Wir wissen nicht, wie weit die Sondergestaltung eines natürlichen Systems fortgeschritten sein muß, bis es sich als ein einheitliches Einzelbewußtsein aus dem Weltzusammenhang ausscheiden kann; die nächstliegende Annahme ist, daß diese Konzentration des Individuums mit dem lebenden Organismus zusammenfällt. Dann aber tritt auch zugleich das Triebleben auf, zunächst ungeschieden in den psychischen Tätigkeiten, eine dunkle Gemeinschaft von Vorstellung, Wille und Gefühl, als das bloße Streben nach Zustandsänderung. Mit der Differenzierung der Organe und der Entwicklung des Nervensystems scheidet sich dann das bewußte Vorstellen vom Willen und Gefühl, das organische System fühlt sich in den höher entwickelten Systemen als eine Einheit, erkennt seine Umgebung bis zu einem gewissen Grade und wählt unter den Handlungen, die sich ihm darbieten. Auf der höchsten uns bekannten Stufe des individuellen Bewußtseins, des menschlichen, ist die Unterscheidung soweit vorgeschritten, daß sich das Individuum nicht bloß als Einheit fühlt, sondern sich selbst als ein Ich, als eine Stufe zur Persönlichkeit, erkennt; neben den Trieb, der sich seines Zieles nicht bewußt ist, und den Triebwillen, der sein Ziel mit Bewußtsein verfolgt, ist dann der Vernunftwille getreten, der sich seine Aufgabe im Sittengesetze vorschreibt. Wie im einzelnen Menschen die allmählichen organischen Entwicklungsstufen noch erkennbar sind, welche die Natur zu seiner Bildung durchlaufen hat, so sind auch die Willensstufen des Triebes und des Triebwillens noch neben dem Vernunftwillen erhalten. Und so läßt sich auch keine bestimmte Grenze angeben, weder im Leben des menschlichen Kindes, noch zwischen Tier und Mensch, wo das Bewußtsein auftritt, daß das individuelle Erlebnis unter dem Gesichtspunkte des sittlichen Sollens zu gestalten ist, d. h. wo die moralische Verantwortlichkeit der Person anfängt. Alle jene Stufen sind die durch das Naturgesetz in Raum und Zeit bedingten Mittel, um Wesen zu ermöglichen, in denen sich die Persönlichkeit, d. h. die freie Selbstbestimmung zum Guten, als eine Gemeinschaft sittlicher Wesen vollziehe.

Man werfe daher nicht ein, es setze eine supernaturalistische Durchbrechung der Naturentwicklung, ein übernatürliches Eingreifen voraus, wenn man lehrt, daß im Menschen die Idee der Freiheit, die sittliche Persönlichkeit auftrete als eine Bestimmung über der Natur; es sei nicht einzusehen, warum durch den gesetzlichen Entwicklungsgang der Natur auf einmal ein Riß gemacht werde, der den Menschen als Vernunftwesen über die Natur erhebe und die ganze Reihe seiner organischen Vorfahren davon ausschließe. Und andererseits könne man doch unmöglich von der Ewigkeit der sittlichen Person sprechen, wenn es Zeiten gegeben hat, in denen Rieseneidechsen die höchstentwickelten Individualitäten der Erde waren. Wo war denn dann die sittliche Persönlichkeit? Und wie kam sie in die Natur hinein?

Wir erinnern daran: Die sittliche Persönlichkeit ist überhaupt nicht in der Zeit, sondern sie ist eine Zielbestimmung für alle Entwicklung in der Zeit. Sie ist niemals in die Natur hineingekommen, aber sie findet in der Natur ein Mittel zur Verwirklichung. Naturnotwendigkeit und Freiheit sind Bestimmungen des Bewußtseins überhaupt, und die organischen Wesen sind die Stufen, in denen sich diese Bestimmungen vollziehen. Der Mensch ist nur eine dieser Stufen, auch er soll erst zur Persönlichkeit werden. Aber er ist eine Stufe auf diesem Wege, von der wir durch unser Selbstgefühl wissen, daß die Entwicklung des individuellen Bewußtseins bei ihm den Grad erreicht hat, seine Aufgabe als Selbstzweck zu erkennen. Die Persönlichkeit ist nicht im Menschen auf einmal aufgetreten, sondern als zeitlose Bestimmung des Gesetzes hat sie sich den Menschen durch jene unendliche Reihe von Vorstufen gebildet, die uns die Biologie enthüllt. Und sie ist auch überhaupt garnicht im Menschen wie der Inhalt seines Ich, sondern als ein Richtpunkt des Willens, ein Gesichtspunkt der Beurteilung. Der zeitlosen Bestimmung des Sollens gegenüber gibt es keine Vergangenheit und keine Zukunft, sondern nur einen Maßstab für das, was in der zeitlichen Entwicklung der Natur sich gestaltet. Und dieser Maßstab, an den Menschen angelegt, ist sein Vernunftwille. In der Natur aber ist dieser Wille nicht zu suchen und nicht zu finden. Nicht im Innern der Natur liegt die Bestimmung über ihr Ziel und ihren Zweck, sondern in dem Gesetze der Vernunft, das die Natur zum Mittel bestimmt für das Reich der Freiheit.


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