Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XXIII.

Kant und Schiller

Das Zeichen des mittelalterlichen Menschen ist seine Fesselung in Ordnungen, die jede Bewegung, jede ungehinderte Entfaltung des eigenen Bewußtseins hemmen. Der Gliederung der Stände, dem Einschluß in Korporationen und Zünfte entspricht die Einschränkung des Geistes in die Autorität von Glaubensregeln und ein unzerreißbares Gewebe von Traditionen. Nicht aus sich selbst soll Menschenleben und -tun verstanden und bestimmt werden, sondern aus einer von außen gegebenen, übergeordneten Macht. Gegen diese Beschränkung erhoben sich Renaissance und Reformation in dem Gefühle, daß die Quellen der Kultur im Wesen der Menschheit selbst wurzeln, in der Realität der Persönlichkeit, die es zu entfalten gilt in Staat, Gesellschaft, Kunst und Religion. Und noch stehen wir heute nach Jahrhunderten in demselben Kampfe zwischen Autorität und Autonomie. Noch haben wir guten Grund, mehr denn je den Lehren des Mannes zu lauschen, der wie kein anderer die Wahrheit festzustellen wußte, daß der Menschheit allein aus ihrer Würde ihr Gesetz fließen könne.

Auf das Selbstbewußtsein gründete Descartes die Erkenntnis; das Recht der Selbstbestimmung im Denken vertrat die Aufklärung. Aber diese verflachte sich in falschem Selbstvertrauen auf die Fähigkeit des Verstandes, den Dingen bis auf den Grund zu schauen, sie »durch Überlegung leiten« zu können. Und als diese kühle Verstandesmäßigkeit im Begriff ist, das heilige Feuer des Gemüts zu verlöschen das in der Tiefe des Menschenherzens flammt, da ruft Rousseau die Menschheit wieder auf, des inneren Lichtes nicht zu vergessen, dessen Strahlen erst den Wert der Richtungen des Lebens erkennen lassen. »Erst der innere Mensch ist die ganze Menschheit«. Doch gefährlich ist es, den unruhigen Wogen des Gefühls sich zu überlassen, wenn nicht zugleich der besonnene Verstand Grenzen und Rechte absteckt für die Freiheit im Denken, Fühlen und Wollen. Diese Grenzen selbst zu ziehen war Rousseaus stürmische Leidenschaft ebenso wenig imstande, wie es heute die blendenden Gedankenblitze eines geistreichen Orakelspenders sind. Dazu gehört ein Genius des systematischen Gedankens – –

Während in Paris die tobende Menge unter dem Losungsrufe »Freiheit und Gleichheit« das Blut einer verlorenen Generation verspritzte, wandelte durch die Straßen von Königsberg ein bedächtiger Professor, nach dessen Spaziergang die Bürger ihre Uhren stellten – Sr. Majestät des Königs von Preußen »getreuester Untertan«, Immanuel Kant. Dieser Mann stand auf dem Boden der Aufklärung, aber, ein glühender Verehrer Rousseaus, übernahm er von ihm die Aufgabe, das Recht der Aufklärung zu bestimmen durch die Untersuchung der Grenzen, die der theoretischen Erkenntnis durch das Wesen des ganzen Menschen gezogen sind.

Unter Aufklärung versteht Kant das Hinaustreten des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündig ist, wer sich seines Verstandes nicht ohne fremde Leitung zu bedienen versteht; selbstverschuldet ist die Unmündigkeit, wenn ihre Ursache Mangel an Entschließung und Mut ist. Und so beschränkt sich – oder wenn man will – so erweitert sich ihm die Maxime der Aufklärung dahin: »Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!« Wage es, selbst zu denken, um dich von Vorurteilen, d. h. von vorgedachten Urteilen anderer, zu befreien. Zu diesen Vorurteilen gehört auch der Gedanke der Aufklärung selbst, daß die verstandesmäßige Betrachtung und Belehrung allein imstande sei, die Tiefen des Menschenbewußtseins zu enthüllen, die im Gefühl und im Willen tätig sind; aber es gehört nicht weniger dazu das Vorurteil, das in der Reaktion gegen die Aufklärung, in der Romantik und Mystik herrscht, daß aus der dunkeln Macht des Gefühls heraus Ordnung des Lebens sich gewinnen lasse. Erkenntnis der Natur, Forderung der Sittlichkeit und künstlerische Phantasie als gleich berechtigte Richtungen eines allgemeinen Vernunftgesetzes nachgewiesen zu haben, das als solches die Autonomie der Menschheit verbürgt, das ist die umwälzende Tat Kants; dadurch gewann er seinen unwiderstehlichen Einfluß auf das gesamte Zeitbewußtsein. (Vgl. »Seelen und Ziele«, Abschn. XIII.)

»Es ist gewiß von einem sterblichen Menschen kein größeres Wort noch gesprochen worden« – so schreibt Schiller an Körner – »als dieses Kant'sche, was zugleich der Inhalt seiner ganzen Philosophie ist: »Bestimme Dich aus Dir selbst«; sowie das in der theoretischen Philosophie: »Die Natur steht unter dem Verstandesgesetze«. Diese große Idee der Selbstbestimmung strahlt uns aus gewissen Erscheinungen der Natur zurück, und diese nennen wir Schönheit.« Also Freiheit als Grundlage der Sittlichkeit, Wahrheit als Aufgabe der Naturerkenntnis, Schönheit als Ziel der Kunst, sie alle sieht Schiller durch Kant in dem Worte begründet: »Bestimme Dich aus Dir selbst«. Findet sich auch eine Stelle mit diesen Worten nicht gerade in Kants Werken, so hat doch Schiller mit dem sichern Griff des Genius damit den Grundgedanken des Königsberger Weisen formuliert. Bestimme Dich aus Dir selbst – aber wohlverstanden: Nicht aus Dir selbst, wie du dahinlebst als dieser einzelne, Hinz oder Kunz, als ein irrendes, schwaches, vergängliches Einzelwesen, unterworfen den Antrieben der Sinnlichkeit, den Verlockungen des Augenblicks, den schwankenden Neigungen deines Willens, sondern aus Dir selbst, insofern Du ein Teil bist der ganzen Menschheit, insofern Du ein Vertreter bist dessen, was einen jeden, er sei wer er will, zum Menschen macht, was allen Menschen gemeinsam ist als das Gesetz der Vernunft – bestimme Dich aus der Idee der Menschheit!

Was finden wir an Arten dieser Bestimmung, wenn wir auf das hinblicken, was allen Menschen gemeinsam ist? Auf doppelte Weise können wir die Gesetze dieser Bestimmung ermitteln, denn in doppelter Weise erlebt sich die Menschheit. Sie erlebt sich als die Schöpferin und Vollzieherin der Kultur, die sich in der Geschichte der Menschheit entwickelt als Erkenntnis der Natur, als Ordnung der Sittlichkeit und als Gestaltung der schönen Kunst. Und sie erlebt sich in jedem einzelnen, in jedem Augenblicke unseres Daseins in unserem Ich als Denken, als Wollen und als Fühlen. Und siehe da, jene drei unendlichen Gebiete der Kultur, das tatsächliche Sein, das sittliche Sollen, das äthetische Genießen, sie stimmen genau überein mit den drei psychologischen Formen unseres Einzellebens, mit dem Denken, dem Willen, dem Gefühl.

Stolz konnte der Mensch an des Jahrhunderts Neige stehen, der in der Gedankenwelt Kants die Anleitung besaß, aus der Autonomie der Vernunft, aus der Idee der Menschheit immer wieder den Mut zu gewinnen, in den Wirren des Lebens sich zurecht zu finden und der Kraft ernster, systematischer Arbeit zu vertrauen. Denn die große kritische Untersuchung Kants, die zur reinlichen Scheidung der Gebiete in Erkennen, Wollen und Fühlen führte, gab nicht eine dogmatische Lehre, auf die man nur zu schwören hatte, sondern sie gab eine neue – und die vorläufig einzig fruchtbare – Methode, wie man überhaupt philosophieren konnte. Und so wies sie den Weg zur Freiheit aller Gebiete der Kultur.

Das tatsächliche Sein ist die Natur. Daran können wir nichts ändern, was wir auch wünschen und fühlen. Die Natur folgt ihren eigenen Gesetzen der Notwendigkeit, aber dieses ihr Gesetz muß uns selbst angehören, da wir sie erkennen. Sie stimmt darin vollständig überein mit dem Wesen unseres Denkens; auch im Denken sind wir gebunden an die Gesetze dieses Denkens, das Widersprechende können wir nicht denken, wenn wir auch wollten. Die Mathematik ist unerbittlich. Wir müssen jeden Widerspruch verwerfen als nicht wirklich, auch wenn das unangenehm ist. In der Natur also haben wir eine dieser Bestimmungen aus uns selbst – sie ist das Wirkliche, was so ist, wie es ist, weil es nicht anders gedacht werden kann. Und zu dieser Natur gehören wir selbst mit dem bunten Wechsel unserer sinnlichen Empfindungen, der Sinnenwelt des Farbigen, des Schweren, des Warmen; und alle dadurch bedingten Gefühle und sinnlichen Triebe, uns als lebende Individuen zu erhalten, unser Begehren, unser Leben, wir nehmen sie wahr als eine Bestimmung aus dem Gesetze der Notwendigkeit, das sich in uns vollzieht. Es gibt also eine Bestimmung aus unserem Denken, wir nennen sie die theoretische, derzufolge die Dinge nicht anders sein können, als sie sind, das ist die Natur.

Aber es besteht eine zweite Bestimmung der Dinge, die moralische. Das sittliche Sollen ist das Gesetz, das sich die Menschheit selbst gibt aus ihrem Willen. Wenn uns auch das Denken zu sagen zwingt: Dies mußte so geschehen, dieser Mensch war von der Not getrieben, er sah keinen anderen Ausweg, sein Urteil war getrübt durch die Angst vor Schande, er konnte nicht anders, als das ihm vertraute Gut angreifen, so fordern wir trotzdem: Er sollte nicht! Es darf nicht sein! Es gibt eine Bestimmung, die sich nicht darum kümmert, was geschieht und geschehen konnte, was wirklich ist und was zu geschehen pflegt, was bequem ist und üblich, sondern welche die Dinge darauf hin beurteilt, wie sie sein sollen. Das ist die Bestimmung des Vernunftwillens: Das Gute soll sein. Diese Bestimmung hat keine Ursache außer sich. Warum soll das Gute sein? Aus keinem anderen Grunde, als weil es gut ist. Das ist eine Selbstbestimmung des Willens, eine Bestimmung also aus Freiheit. Diese unbedingte Forderung, die nur aus uns selbst fließt, insofern in uns die Idee der Menschheit wirksam wird, daß wir gemeinsam sein sollen, jeder mit gleichem Rechte wie der andere, daher in jedem sein Recht achten müssen, diese Bestimmung aus unserem eigenen Wesen: »Du sollst!«, sie nennt Kant den kategorischen Imperativ. Handle aus Pflicht! Es gibt keinen Widerspruch dagegen aus dem Gefühl der Neigung, dies oder jenes lieber nicht zu tun, keine Entschuldigung aus dem Gefühl der Schwäche, es nicht zu können – Du sollst, Du hättest sollen, so spricht die nicht unterdrückbare Stimme des Gewissens, die sittliche Freiheit. Ihr entspricht im Leben der Menschheit jene Bestimmung, die wir die Idee des Guten nennen.

Diese beiden Bestimmungen des Wahren und Guten liegen nun im Leben des einzelnen im Widerspruch. Unausgesetzt im Kleinen wie im Großen kämpfen wir den Kampf zwischen Pflicht und Neigung, und dieser Zwiespalt offenbart sich im Gefühl. Was wir sind und was wir sein wollen, beides erleben wir zugleich im Gefühl, beides begleiten wir mit unserem Gefühl. Aber das Gefühl ist etwas durchaus Subjektives, ein Zustand, der nur dem einzelnen zukommt. Diese Farbe ist mir angenehm, einem anderen mißfällt sie; diese Handlung erfreut mich, jenem ist sie widerwärtig. Kann es nun im Gefühl auch eine Bestimmung von allgemeingültiger Bedeutung geben? Was kann diesem psychologischen Zustande entsprechen als ein Weltgesetz, worin die Einheit von Sein und Sollen sich vollzieht? Die Natur zwingt jeden durch die Unerbittlichkeit ihres Geschehens zur Anerkennung ihres Seins – das Denken des Wahren ist allgemeingültig. Das Sittengesetz gilt für jeden unbedingt verpflichtend, der Wille zum Guten ist allgemeingültig – beides, weil sie Bestimmungen im Bewußtsein der Menschheit überhaupt sind. Aber das Gefühl, das Allersubjektivste, dem einzelnen allein angehörig, woher soll es Geltung für alle erlangen?

Es gibt zwei Arten, wie die Realitäten des Wahren und des Guten, das Reich der Erkenntnis und des sittlichen Willens, der Notwendigkeit und der Freiheit, vermöge des Gefühls verbunden und zu einer höheren Wirklichkeit ergänzt werden können. Die Religion ergänzt die Moral durch das Gefühl des Vertrauens auf die göttliche Ordnung, daß das Sittengebot in der Welt vollziehbar sei. Diese Richtung des Gefühls haben wir in besonderen Abschnitten behandelt. Die zweite Ergänzung durch das Gefühl ist die Kunst. Sie ergänzt die Moral durch das Gefühl eines allgemeingültigen Wohlgefallens, das mit der bloßen Vorstellung des erfüllten Gesetzes verbunden ist. Hier ist es nicht der Glaube, sondern die Phantasie, die eigene freie Tätigkeit der Vorstellungsbewegung, die uns Wille und Natur vereint zeigt.

Der Künstler besitzt die geheimnisvolle Kraft, auf die Gemüter der Menschen so zu wirken, daß in ihnen ein gleiches Gefühl erweckt wird, wie es ihn bei seinem Schaffen beseelte. Und das tut er nicht etwa, indem er auf die Überzeugung des Denkens wirkt – dann wäre er ein Forscher und Lehrer; auch nicht so, daß er auf den Willen wirkt – dann wäre er ein Führer und Erzieher. Weder aus dem Naturgesetz noch aus dem Sittengesetz, weder aus dem Denken noch aus dem Wollen läßt es sich erklären, daß es eine wirkende Macht gibt, die Schönheit heißt, daß es eine Kunst gibt, daß es ästhetische Urteile gibt, ein allgemeingültiges Gefallen.

Hier liegt der Punkt, wo der Philosoph aus der systematischen Zergliederung der Begriffe auf das lösende Wort kam, das Schiller und Goethe mit Jubel begrüßten, weil es sie aus ihren tastenden Versuchen befreite: das Schöne hat an sich nichts zu tun mit der Natur und dem Wahren, nichts mit dem sittlichen und dem Guten. Was es damit zu tun hat, ist zwar eine sehr wichtige Frage, indessen die Kunst hängt mit der Erkenntnis und der Moral nur zusammen, weil es dieselbe Menschheit ist, die nach ihrer eigenen Idee in diesen drei Richtungen strebt und sich entwickelt. Aber das Schöne ist eine Bestimmung für sich. Das ästhetische Gefallen ist wie das Erkennen und das Wollen eine Bewußtseinstätigkeit mit ihren eigenen Gesetzen. Ihre Einheit gewinnen sie erst in der freien Persönlichkeit, in welcher der Mensch sich seiner Aufgabe bewußt wird, alle drei Gebiete zu umfassen.

Während das Gefallen am Angenehmen stets mit dem Interesse an der wirklichen Existenz des Gegenstandes und meist mit Interesse an seinem Besitz verbunden ist, ist das ästhetische Wohlgefallen unabhängig davon und kann deshalb Anspruch auf allgemeingültige Anerkennung erheben. Wenn wir bei einem Stilleben denken, diese Weintrauben müssen gut schmecken, so ist das kein ästhetisches Urteil. Ebensowenig beurteilen wir ein Gemälde, eine Dichtung ästhetisch, wenn wir dabei Gesichtspunkte der Erkenntnis, der Moral oder der Religion zugrunde legen. Wir können natürlich alles nach solchen Gesichtspunkten beurteilen, aber daraus folgt nur, ob etwas wahr oder gut ist, nicht jedoch ob es schön ist. Wenn man das Gemälde betrachtet, worauf Abraham dargestellt ist im Begriffe seinen Sohn zu opfern, so kann man fragen, ob die Tat wirklich geschehen ist; dann haben wir ein Urteil der Erkenntnis. Man kann fragen, ob sie geschehen sollte, ob sie sittlich war, dann haben wir ein ethisches Urteil. Aber gegenüber dem Meisterwerke verstummt jede Frage nach dem Stoff, ob das Dargestellte wahr oder gut ist, ja wenn die Frage nach der Möglichkeit sich nur meldet, so ist das schon ein Zeichen, das wir vom ästhetischen Ziel abweichen, daß der Künstler sein höchstes Ziel nicht erreicht hat. Im Kunstwerk muß sich alles aus dem Kunstwerk selbst verstehen. Dann nehmen wir es hin, wie der Künstler es gab: dann ist es eben schön aus eigner Macht, wie das Licht hell ist und der Mord schlecht aus eigenem Gesetz. Beim Angenehmen, beim Nützlichen geht die Lust und das Interesse an der Sache voran und das Gefallen ist eine Folge davon, beim Schönen geht das Gefallen als eine allgemeine Wirkung voran, und die ästhetische Lust ist eine Folge davon, so wie man ein Bild nicht schön findet, weil man es begehrt, sondern es vielleicht begehrt, weil es schön ist.

Die Kunst ist wie die Natur und die Sittlichkeit ein Kulturgebiet, das keinen Bedingungen unterliegt und keinen Zwecken dient als denen, die in ihrem eigenen Wesen gesetzt sind. Damit gab Kant unseren großen Dichtern den Schlüssel zum Verständnis des Ästhetischen aus seinem Wesen heraus und zur Unterscheidung von anderen Gebieten. Der Künstler ist seinem eigenen Gesetz überlassen wie die Natur, selbst ganz in der Natur und mit der Natur gestaltend; das war es, was Goethe an der Kritik der Urteilskraft entzückte; und zugleich ist der Künstler frei in seinem Ideal, sein eigener Gesetzgeber; das vor allem zog Schiller zu Kant hin. Ein glückliches Geschick wollte es, daß die Entdeckung des mächtigen Denkers zusammenfiel mit der lebendigsten Entfaltung der künstlerischen Kraft in unseren größten Dichtern. In seinen gesammelten Aufsätzen »Kant-Schiller-Goethe« hat Karl Vorländer die gegenseitigen Beziehungen dieser Meister erschöpfend dargestellt.

Die klassische Ästhetik der Deutschen ist ein Geschenk der Gottheit, das keinem anderen Volke bisher in so wunderbarem Zusammenwirken der größten Genien verliehen ward. Wohl hatte einst Athen unsterbliche Dichter und Künstler zugleich mit Meistern der Philosophie gesehen; aber Platon hatte die Kunst nur für Nachahmung und Täuschung gehalten und die Dichter aus seinem Idealstaat verbannt. Kant dagegen lehrt, daß gerade im freien künstlerischen Gestalten die Entwicklung der menschlichen Persönlichkeit sich vollendet.

Die Vereinigung von Natur und Wille ist ein Ideal, aber wir können dieses Ideal als vollendet vorstellen, und dann haben wir das Gefühl des Schönen. Wie ist es möglich, daß sich der Mensch dieses Gefühles bemächtige? Das ist die Frage, mit der Schiller, der ausübende Künstler, anknüpft an die Analyse Kants, des systematischen Philosophen.

Der Mensch empfängt die Eindrücke seiner Sinne nicht nach seinem freien Willen, er empfängt sie von der Natur, als Natur; und nicht weniger ist er der blinden Macht des Affektes unterworfen, er ist in einem Zustande des natürlichen Triebes, jedem Vorgange, der sein Inneres erfüllt, sich hinzugeben wie einem Zwange, der von außen kommt. Dieses Sichüberlassen an den Stoff des Erlebnisses nennt Schiller den »Stofftrieb« im Menschen. Aber der Mensch ist zugleich ein Vernunftwesen, das sich selbst sein Gesetz gibt, d.h. er stellt an sich die sittliche Forderung, gut zu sein. Mit jenem sinnlichen Triebe kämpft daher ein anderer Trieb, der sich darauf richtet, das ursprüngliche und freie Wesen der Persönlichkeit als bestimmte Einheit zur Geltung zu bringen, die Dinge dem Willen zu unterwerfen, sie zu formen aus eigener freier Selbstbestimmung zu einer idealen Gestalt. Schiller nennt ihn den »Formtrieb«.

Im Stofftrieb geben wir uns der Welt hin, im Formtrieb fordern wir die Welt für uns zur Verfügung unserer Vernunft. So werden wir hin und her geworfen zwischen Naturtrieb und Wille, zwischen sinnlicher Neigung und sittlicher Pflicht. Wäre es möglich, beide Triebe in eine geregelte Wechselwirkung zu bringen, so würde in ihnen die Idee der Menschheit zu schöner Wirklichkeit gelangen. Aber dem Naturgesetz können wir uns nicht entziehen, und doch setzt der sittliche Wille Freiheit voraus. Wie ist es nun möglich, daß der Mensch dennoch unter dem Naturgesetze frei sein kann und beiden Trieben zugleich genügt? Schiller sagt: Indem er ästhetisch fühlt.

Es gibt nämlich unter den Tätigkeiten des Menschen eine, in welcher die beiden Triebe zusammenwirken, so daß sie sich nicht stören, sondern ergänzen. Dieser Zustand ist das Spiel. Im Spielen geben wir uns den Empfindungen der Sinne hin, wie sie auf uns einströmen, aber wir wollen uns ihnen hingeben; im Spiele fügen wir uns dem Gesetze, aber wir haben das Gesetz selbst gegeben; im Spiele sind wir gebunden und zugleich frei. Im Spiele machen wir das sinnliche Leben zur idealen Gestalt, und die ideale Gestalt empfängt sinnliches Leben. So ist der Mensch gerade dort in voller Bedeutung Mensch, wo er spielt. Denn nur dann ist er nicht von der Natur bezwungen und übt die Pflicht aus Neigung aus.

Das Leben freilich, wie es wirklich ist, das ist kein Spiel, kann es nicht sein, denn es ist nur möglich unter dem Ernst des Sittengesetzes. Dort ist unabänderliches Sein, hier unverbrüchliches Sollen. Wohl aber können sie beide aufgehoben werden im Gefühl. Ich kann nicht immer, wie ich will, aber ich kann mir einen Zustand vorstellen, in welchem mein Wille in der Wirklichkeit kein Hindernis findet, und diese Vorstellung gibt mir ein Gefühl der Freiheit. Das Gefühl, worin die Aufhebung von Leben und Gesetz zum freien Scheine des Spiels erfolgt, dieses Gefühl heißt schön; dieser Zustand ist der ästhetische. In der schönen Kunst – so urteilt Schiller – bringen wir die Freiheit zur sinnlichen Erscheinung, ordnen die Natur nach unserm Willen, und das ist die Schönheit. Unsere Vorstellungen bewegen sich beim ästhetischen Genusse in einem freien Spiele, nicht regellos, aber nach Regeln, die wir, wie beim Spiele, selbst gewählt haben. So heben wir in der Kunst den Stoff des Lebens zu uns empor, indem wir ihn in unserem Gefühle frei zur Form gestalten, und wir versenken uns selbst aus dem blassen Reiche des Denkens in die bunte Sinnenwelt, wir leben selbst anschaulich und mitgerissen aber nicht mehr unterworfen der Macht der Triebe. Dieses neue Gebiet neben die Wirklichkeit zu stellen ist jedoch nur darum möglich, weil es sich in unserer Phantasie vollzieht und insofern Schein ist. Was wir in der Kunst darstellen wollen, ist nicht die Wirklichkeit selbst, sondern der Schein, unter welchem wir die Wirklichkeit zu erblicken wünschen. Wir begehren das Schöne nicht, wie wir das Angenehme und Nützliche begehren; darum, weil es nicht durch die Existenz seines Gegenstandes wirkt, sondern nur durch das Gefühl, das mit seiner Vorstellung verbunden ist; und so ist es gleichgültig, ob der Gegenstand existiert oder nicht, wenn nur der Schein existiert. Dieser Schein bedeutet tatsächlich eine höhere Wirklichkeit und Wahrheit, in der der Widerstand der Natur besiegt ist. (Vgl. »Seelen und Ziele«, Abschn. XVII.)

Diese Begriffe Spiel und Schein hat Kant beide in seiner »Kritik der Urteilskraft« (1790) als wesentliche Momente für das ästhetische Verhalten bereits hervorgehoben, ihre Eigenart aber nicht weiter ausgeführt. Schiller war bei seinem Nachdenken über das Schöne auf verwandte Gedanken gekommen und brachte daher hier Kant das vollste Verständnis entgegen; denn nur das verstehen wir ganz im Gedankengange eines anderen, was wir schon selbst annähernd gedacht oder durchlebt haben; dann wird uns plötzlich das Dunkel gelichtet, und wir vermögen nun selbst wieder ein Stück über den Lehrer hinauszukommen. Schiller insbesondere brachte als Künstler die ganze Fülle der ästhetischen Erfahrung aus seinem eigenen Leben hinzu, die Kant naturgemäß fehlte. Und so wurde er in diesen beiden Punkten ein Förderer und Weiterbildner der von Kant begründeten klassischen Ästhetik der Deutschen.

Die Harmonie der Gemütskräfte ist nach Schiller das ideale Ziel, das im ästhetischen Schaffen angestrebt wird. Es ist nun eine weitverbreitete Meinung, daß sich Schiller bei diesem Bestreben, die Strenge der Kantischen Pflichtforderung zu verbinden mit dem Verlangen nach anmutiger und schöner Gestaltung des Lebens, in einen Gegensatz zu Kant gestellt habe. Es ist die übliche Formel, Schiller habe den ethischen Rigorismus Kants gemildert.

Aber diese Auffassung trifft nicht die Sache. Was verstehen wir unter ethischem Rigorismus? Wir können kurz sagen, er ist die Ansicht, daß wir bei der Bestimmung, was Pflicht sei, in keinerlei Weise darauf Rücksicht zu nehmen haben, was das Leben glücklich mache oder schön gestalte. Das hat Kant allerdings gelehrt, ebenso wie er lehrte, daß die Kunst sowohl von Gesichtspunkten der sinnlichen Lust als der Moral unabhängig sei. Kants ganzes Interesse war darauf gerichtet, die einzelnen Gebiete der Kultur in Natur, Moral, Kunst und Religion streng voneinander zu scheiden und zuerst einmal festzustellen, wo die Grenzen unseres Erkennens, unseres Wollens, unseres Fühlens und Glaubens liegen. Da fragte er: Welches ist das Kennzeichen dafür, daß eine Handlung rein moralisch ist? Wann bezeichnen wir sie als sittlich? Und er sagte: Das Kennzeichen ist einzig dieses, daß sie nur aus Pflicht, aus Achtung vor dem Gesetze geschieht. Es werden immer andere Motive mitspielen; ich kann eine Handlung aus Neigung vollziehen. Ein Freund gerät in Not; ich kann ihm helfen, vielleicht mit Selbstaufopferung; aber weil er mein Freund ist, helfe ich gern, es macht mir Freude. Sehr schön und löblich. Aber ich kann daraus nicht erkennen, ob ich sittlich, das heißt aus Geboten der Pflicht handle; wahrscheinlich ist es so; aber daß mir etwas Vergnügen macht, ist kein Kennzeichen der moralischen Handlung, denn auch nicht-moralische Handlungen können zeitweise Vergnügen machen. Also daß ich dem Freunde gern helfe, macht die Handlung selbstverständlich nicht schlechter; ich handle pflichtgemäß; aber ob ich bloß aus Pflicht handle oder vielleicht bloß aus Neigung, das kann man nicht mehr feststellen, wenn beide Motive sich vermischen. Deshalb muß ich, um eine Handlung moralisch beurteilen zu können, vollständig absehen von meiner Neigung und meinen Ansprüchen auf Glück und mich allein halten an den kategorischen Imperativ der Pflicht. Von dieser Kantischen Vorstellung der Pflicht sagt nun Schiller, ein nicht zu verachtender Teil des Publikums finde sie sehr demütigend. Es könnte scheinen, als sollten damit alle Grazien aus dem Leben vertrieben werden und nur eine finstere Strenge, eine karthäuserartige Gemütsstimmung imstande sein, den Menschen vor der Unsittlichkeit zu bewahren. »Offenbar«, schreibt er an Gottfried Körner, »hat die Gewalt, welche die Vernunft bei moralischen Willensbestimmungen gegen unsere Triebe ausübt, etwas Beleidigendes, Peinliches in der Erscheinung ... Daher kann eine moralische Handlung niemals schön sein, wenn wir der Operation zusehen, wodurch sie der Sinnlichkeit abgeängstigt wird ... Es muß vielmehr, damit die Grazie zu ihrem Rechte komme, das Ansehen haben, als wenn die Natur bloß den Auftrag unserer Triebe vollführte, indem sie sich, den Trieben gerade entgegen, unter die Herrschaft des reinen Willens beugt ... Aus diesem Grunde ist das Maximum der Charaktervollkommenheit eines Menschen moralische Schönheit, denn sie tritt nur alsdann ein, wenn ihm die Pflicht zur Natur geworden ist.«

Man sieht, daß Schiller nicht die strenge Fassung des Kantischen Pflichtbegriffes angreift, sondern nur darüber hinaus im wirklichen Menschen nach einem Ausgleich sucht, jene Pflichterfüllung auszubilden. Er will, daß sich der Mensch zu einer Charaktervollkommenheit erziehe, die ihm »das Siegel der vollendeten Menschheit« aufdrückt, indem sie ihm die Pflichterfüllung zur Natur werden läßt. Einen solchen Ideal-Menschen nennt er eine »schöne Seele«. Die schöne Seele handelt sittlich, wenn sie nach ihrer Natur handelt. Sie darf ihrem Affekt die Leitung des Willens überlassen und dennoch, so sagt Schiller, läuft sie nie Gefahr, mit den Entscheidungen desselben in Widerspruch zu stehen. »Daher sind bei einer schönen Seele die einzelnen Handlungen nicht sittlich, sondern der ganze Charakter ist sittlich. Man kann ihr auch keine einzige zum Verdienst anrechnen, weil eine Befriedigung des Triebes nie verdienstlich heißen kann. Die schöne Seele hat kein anderes Verdienst, als daß sie ist. Mit einer Leichtigkeit, als ob bloß der Instinkt aus ihr handelte, übt sie der Menschheit peinlichste Pflichten aus, und das heldenmütigste Opfer, das sie dem Naturtriebe abgewinnt, fällt wie eine freiwillige Wirkung eben dieses Triebes in die Augen. Daher weiß sie selbst auch niemals um die Schönheit ihres Handelns, und es fällt ihr niemals ein, daß man anders handeln und empfinden könnte.«

Die von Kant geforderte unbedingte Unterwerfung unter die Pflicht darf man nicht etwa verwechseln mit der bedingungslosen Unterwerfung unter das, was herkömmlich als konventionelle Sitte gilt. Es handelt sich nicht um die philiströse Beschränkung auf das Gebräuchliche, sondern im Gegenteil um die freie Entscheidung der Persönlichkeit aus der Idee der Menschheit. Es kommt nicht darauf an, was die Gesellschaft zufällig für erlaubt hält, sondern was der Bestimmung des Menschen als eines Selbstzweckes entspricht, der seine Persönlichkeit niemals und unter keinen Umständen sklavisch binden darf als ein bloßes Mittel für andere. Und die »schöne Seele« Schillers bedeutet nicht etwa eine weiche Seele, die sich von den Eindrücken des Behagens tragen läßt und in der Welt hinträumt; auch nicht eine schwache Seele, die vor dem Ernst der Pflicht sich zurückzieht mit dem Troste, daß wir ja doch nicht vollkommen sein können. Auch diese wäre eine Sklavenseele, die sich zum Mittel ihres eigenen Gefühles hingäbe. Vielmehr stimmt die schöne Seele darin mit dem sittlichen Charakter überein, daß sie die unbedingte Selbstbestimmung aus der Idee der Menschheit, das heißt aus der Pflicht, voraussetzt; sie unterscheidet sich vom sittlichen Charakter nur dadurch, daß ihr diese Pflichtbestimmung nicht in der Form des Willens, sondern in der Form des Gefühls zum Bewußtsein kommt.

Da Schiller nicht, wie Kant, das Kennzeichen der Pflicht, sondern die Gefühlslage des sittlich handelnden Menschen im Auge hat, so fällt es ihm nirgends ein, Kant das Recht zur strengen Scheidung von Pflicht und Neigung zu bestreiten. Er sagt: Wie der Scheidekünstler, so findet auch der Philosoph nur durch Auflösung die Verbindung und nur durch die Marter der Kunst das Werk der freiwilligen Natur. Um die flüchtige Erscheinung zu erhaschen, muß er sie in die Fesseln der Regel schlagen, ihren schönen Körper in Begriffe zerfleischen und in einem dürftigen Wortgerippe ihren lebendigen Geist aufbewahren ... Wir verdanken es dem unsterblichen Verfasser der Kritik, daß die Moral selbst endlich aufgehört hat, die Sprache des Vergnügens zu reden, d.h. daß wir einsehen, die Vernunft selbst und nicht das Vergnügen ist der Grund, warum wir sittlich handeln ... Der Beifall der Sinnlichkeit ist nicht imstande, die Pflichtmäßigkeit des Willens zu verbürgen ... In der Sache selbst kann (nach den Beweisen Kants) unter denkenden Köpfen, die überzeugt sein wollen, kein Streit mehr sein, und ich weiß, kaum, wie man nicht lieber sein ganzes Menschsein aufgeben als über diese Angelegenheit ein anderes Resultat von der Vernunft erhalten wollte.« »Ich bekenne gleich vorläufig, daß ich im Hauptpunkte der Sittenlehre vollkommen Kantisch denke. Ich nehme mit dem rigidesten Moralisten an, daß die Tugend schlechterdings auf sich ruhen müsse ... Gut ist – nach den Kantischen Grundsätzen, die ich in diesem Stück vollständig unterschreibe – was nur darum geschieht, weil es gut ist. Pflicht kann nicht nur, sondern soll schlechterdings ihre bestimmende Kraft bloß sich selbst zu verdanken haben, und nichts würde meinen bisherigen Behauptungen widersprechender sein, als wenn sie das Ansehen hätten, die entgegengesetzte Meinung in Schutz zu nehmen.«

Nach alledem kann kein Zweifel bestehen, daß Schiller über die Begründung der Moral ganz ebenso dachte wie Kant. Man wird dagegen an die beiden bekannten Disticha erinnern:

Gewissensskrupel.

Gerne dien' ich den Freunden, doch tu' ich es leider mit Neigung,
Und so wurmt es mir oft, daß ich nicht tugendhaft bin.

Entscheidung.

Da ist kein anderer Rat, Du mußt suchen, sie zu verachten, Und mit Abscheu alsdann tun, wie die Pflicht Dir gebeut.

Aber wie kann man gegenüber den zahlreichen und begeisterten Erklärungen Schillers für Kant glauben, daß diese Xenien gegen Kant gerichtet seien? Sie persiflieren doch ganz sichtlich die sinnlose Auslegung des Kantischen Pflichtbegriffs, als ob die Tugend die Neigung ausschlösse. Wie könnte die Entscheidung anders gemeint sein als ironisch? Man sieht dies schon daraus, daß die Disticha den Schluß einer Reihe bilden, in der unter dem Titel »Die Philosophen« ein scherzhaftes Wort über die verschiedensten Systeme gesagt wird. Und wenn dabei Schiller auch die eigene Ansicht in die spöttische Beleuchtung des Witzes rückt, so ist das eben nur die wahre Freiheit des Humors, der in launiger Stunde auch einmal über sich selbst lächelt.

Auf der anderen Seite war Kant keineswegs der Ansicht, daß der sittliche Mensch sich gegen die Freuden des Lebens mißtrauisch verhalten solle. Auch er erkannte durchaus an, daß zwischen Schiller und ihm ein sachlicher Zwiespalt nicht bestehe. In Kants Nachlaß findet sich inbezug auf Schiller der bezeichnende Satz: »Personen, die am innigsten mit einander im Sinne sind, geraten oft in Zwiespalt dadurch, daß sie in Worten einander nicht verständlich sind«. Es wäre eine ganz falsche Vorstellung, die man sich von Kant machte, wenn man wegen seiner strengen Betonung des kategorischen Imperativs und der sprichwörtlichen Regelmäßigkeit seines Lebens sich ihn als einen griesgrämigen, finsteren Eiferer mit mönchischen Neigungen und abhold den Lebensfreuden vorstellen wollte. Wir haben in seinen Werten viele Züge des köstlichsten Humors. Sein jetzt erst vollständig vorliegender Briefwechsel zeigt ihn uns in seiner reinen, teilnehmenden Menschlichkeit. Seine Schüler rühmten die jugendliche Munterkeit und unzerstörbare Heiterkeit und Freude auf dem Antlitz des allbeliebten Lehrers. Schiller selbst spricht von Kants heiterem und jovialischem Geiste. Wir wissen, wie er die Freuden des Mahles und der frohen Geselligkeit zu schätzen wußte. Dieser Mann konnte unmöglich einer asketischen Lebensansicht huldigen und um der Tugend willen der Menschheit die Freude am Genuß und an der Schönheit verbieten wollen. Vielmehr betont er direkt, daß es zur Pflicht gehöre, das Gefühl der Zufriedenheit nach erfüllter Pflicht zu gründen und zu kultivieren, d.h. die Moral mit dem Gefühl des Wohlgefallens zu verbinden; nur dürfe man die Pflicht nicht aus dem Gefühl ableiten. Wohl aber sei es berechtigt, nicht nur die Ansprüche auf Glückseligkeit festzuhalten, sondern auch die Pflichterfüllung in das Gefühl aufzunehmen, so daß sie uns zur Freude wird. »Wir sollen danach streben, unsere Pflicht gegen Gott und die Menschen gern zu erfüllen.« In seinen handschriftlichen Aufzeichnungen äußert er sich mit Rücksicht auf Schiller: »Ich habe immer darauf gehalten, Tugend und selbst Religion in fröhlicher Gemütsstimmung zu kultivieren und zu erhalten. Die mürrische, kopfhängende, gleich als unter einem tyrannischen Hohn ächzende, karthäusermäßige Befolgung seiner Pflicht ist nicht Achtung (vor dem Gesetz), sondern knechtische Furcht und dadurch Haß des Gesetzes ... Die Unterwerfung beweiset Achtung, die Freiheit der Unterwerfung, je größer sie ist, desto mehr Anmut.«

Hier spricht Kant vollständig wie Schiller. Ja es ist bezeichnend für die Übereinstimmung beider Männer, daß eine Stelle aus Schillers ästhetischen Briefen, die sich Kant ausgeschrieben hatte, als Teil seines Nachlasses herausgegeben wurde, ohne daß der gelehrte Herausgeber, noch auch ein verdienter Kommentator Kants bemerkten, daß die Stelle von Schiller sei. Aber auch ehe Kant Schiller gelesen hatte, schrieb er schon in der Kritik der Urteilskraft: »Das moralische Gefühl kann dazu dienen, die Gesetzmäßigkeit der Handlung aus Pflicht zugleich als ästhetisch, d.h. als erhaben oder auch als schön vorstellig zu machen, ohne an seiner Reinheit einzubüßen.«

Diese Worte besagen nichts anderes, als was Schiller mit seinem Begriff der schönen Seele erreichen wollte: Es gibt eine moralische Schönheit, einen ästhetischen Zustand, in welchem das strenge Pflichtgebot, ohne an seiner Reinheit einzubüßen, zur Natur, zur selbstverständlichen Übung wird.

»Des Gesetzes strenge Fessel bindet
Nur den Sklavensinn, der es verschmäht.
Mit des Menschen Widerstand verschwindet
Auch des Gottes Majestät.«


 << zurück weiter >>