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Zwischen »Gewiß« und »Jawohl«:
was ist da für ein Unterschied?
Zwischen »Gut« und »Böse«:
was ist da für ein Unterschied?
Was die Menschen ehren, muß man ehren.
O Einsamkeit, wie lange dauerst Du?
Alle Menschen sind so strahlend,
als ginge es zum großen Opfer,
als stiegen sie im Frühling auf die Türme.
Nur ich bin so zögernd, mir ward noch kein Zeichen,
wie ein Säugling, der noch nicht lachen kann,
unruhig, umgetrieben, als hätte ich keine Heimat.
Alle Menschen haben Überfluß;
nur ich bin wie vergessen.
Ich habe das Herz eines Toren, so wirr und dunkel.
Die Weltmenschen sind hell, ach so hell;
nur ich bin wie trübe.
Die Weltmenschen sind klug, ach so klug;
nur ich bin wie verschlossen in mir,
unruhig, ach, als wie das Meer,
wirbelnd, ach, ohn Unterlaß.
Alle Menschen haben ihre Zwecke;
nur ich bin müßig wie ein Bettler.
Ich allein bin anders als die Menschen:
Doch ich halte es wert,
Nahrung zu suchen bei der Mutter.

Der Abschnitt wird vielfach mißverstanden, indem man die Analogie von Zeile 1 und 2 übersieht und übersetzt: »Zwischen Gewiß und Jawohl (der bestimmten, männlichen und der zögernden, weiblichen Bejahung) ist zwar kein wesentlicher Unterschied. Wie groß dagegen ist der Unterschied zwischen Gut und Böse!« Unsere Auffassung wird übrigens durch Abschnitt 2 gedeckt. Man versperrt sich auch den Weg zum Verständnis der folgenden tragischen Klagen des vereinsamten Individualisten inmitten der »ungebrochenen«, daseinsfreudigen Menschenwelt, wenn man die bittere Ironie der Zeilen 3 und 4 als platte Ermahnung faßt. Die Klagen über Vereinsamung dessen, der »unter Larven die einzige fühlende Brust« ist, sind religionsgeschichtlich überaus interessant als die Kehrseite des religiösen Individualismus. Es handelt sich hier um eine typische Erscheinung, die mit der Erlangung einer prinzipiell höheren Entwicklungsstufe stets notwendig verknüpft ist. Besonders interessant, weil in China die soziale Psyche den Sieg errungen hat über die individuelle.

»O Einsamkeit, wie lange dauerst du?« Wir folgen hier der überwiegenden Tradition. Andere wollen erklären: »Des Weisen Erkenntnis ist unbegrenzt und unermeßlich«.

»Nur ich bin wie zögernd, mir ward noch kein Zeichen.« Das» Zeichen« ist das Orakel, das vor jeder wichtigen Unternehmung befragt wird (im Altertum durch Schildkrötenschalen, die angebrannt werden und aus deren Rissen man die Antwort liest) und das gesprochen haben muß, ehe man etwas unternehmen kann. Hier wohl weiter zu fassen. Vgl. die Klagen Kungs, daß ihm kein Zeichen zuteil werde (Gespräche, Buch IX, 8).

»Unruhig, ach, als wie das Meer«. Wir folgen hier dem Text Wang Bis. Die andere Lesart ist »unruhig wie umdüstert«.

 


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