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Fünfzehntes Kapitel

Das Lächeln Buddhas war weder Haß noch Neid, war viel Schlimmeres, war despektierlich, auf deutsch: verächtlich. So etwa: »Kommst du, Idiot, nach zweimonatlicher Seefahrt hierher, wo die schönsten Geishas wachsen, und hängst dich an die ...« – nun, ich sagte es schon. – Ich senkte jedesmal, wenn ich an diesem Buddha vorüberging, die Augen, aber ich fühlte doch, wie sein Blick mich traf, sein Mund sich verzog, sein Bauch wackelte. Einmal, als ich so zur Erde sah, erblickte ich wohl ein Dutzend zierlich kleiner Seidenpantöffelchen, die auf Stelzen durch den Lehm trippelten, und seitwärts davon, in einem jener unzähligen Tümpel sich spiegelnd, die das Beben zurückließ, ihn, den Dickbäuchigen, mit so infam verächtlichen Mienen, daß ich auf – und sechs japanischen Mädchen ins Gesicht sah. Ich kapitulierte. Buddha triumphierte. Ich lieferte mich den sechs Japanerinnen aus. In kostbaren Seidenkimonos und kunstvollen Frisuren, die etwas großen und runden Gesichter weiß gepudert, trippelten sie an mir vorüber. Ich folgte ihnen. Sie lächelten allerliebst und wurden nicht schneller. Was mir auffiel: kein Japaner wandte sich nach ihnen um. Da in diesem Tohuwabohu einer Stadt, die aus Baracken und Lehm bestand, jeder seine schlechteste Kleidung trug, diese japanischen Damen aber gekleidet waren, als wenn sie zu einem Feste gingen, so staunte ich, wie unbeachtet man sie ließ. Bei uns? Großer Gott! die Menschen wären stehengeblieben und hätten im besten Falle dumme Bemerkungen gemacht. – Die kleinen Damen merkten längst, daß ich hinter ihnen war. Aber sie trippelten unbekümmert weiter, blieben an keiner der vielen Buden und Auslagen stehen und gaben auch sonst nicht zu erkennen, ob ihnen mein Interesse Freude oder Verdruß bereitete. Der Weg war weit. Er führte über eine Brücke. Ich war im Zweifel, ob ich zurückfinden würde und wollte umkehren. Da blieben sie stehen und beugten sich über das Geländer. Eine von ihnen wies mit der Hand, die einem Kinde zu gehören schien, auf einen Punkt im Wasser. Ich folgte, stellte mich daneben und sah eine Wildente mit ihren Jungen. Die japanischen Damen waren ganz dem Bilde im Wasser hingegeben. Sie sprachen, lachten, zogen aus den Aermeln ihrer Kimonos kugelförmige kleine Küchelchen und warfen sie ins Wasser. Ein Bild für Götter! ohne Uebertreibung. Wie bewegten diese Frauen Arme und Körper! Es war – ja, wie war es nur? Es wirkte wie eine Einheit: die Brücke, darauf die Frauen – und das Wasser, darin die Mutter Ente mit ihren Jungen. Es wirkte in seiner Einheit wie ein Kunstwerk – als wie die Natur, in der es nichts Gemaltes, Gestelltes, Falsches gab. – Wie war es möglich, daß Menschen hier vorübergingen und nicht einen Blick auf dies Bild warfen? – Die kleine Frau, die mir am nächsten stand, sagte etwas zu mir, das Bezug auf die Enten im Wasser hatte. Ich lachte und sie lachte auch. Und nun sprachen sie alle zu mir, ganz natürlich und unbekümmert, als wenn ich ein alter Bekannter wäre. Ich verstand kein Wort. Trotz des zweimonatigen Studiums auf dem Schiffe. Aber ich gehörte jetzt zu ihnen, war durch das gleiche Interesse für das Bild da unten mit ihnen verbunden. Nur, daß mein Interesse für sie tiefer ging als für die Enten.

ohne Bildunterschrift
ohne Bildunterschrift

Aber das merkten sie nicht. Glücklicherweise. Etwa zehn Minuten dauerte das. Ich dachte längst nicht mehr daran, umzukehren. Dann brach Mutter Ente die Mahlzeit ab, schnatterte noch ein paar Töne zu den Damen auf die Brücke hinauf. Die winkten hinunter, riefen – und setzten ihren Weg fort. Mit mir. Jetzt sahen auch die Menschen, die vorüberkamen, uns an. Mich wenigstens. Aber die japanischen Damen merkten es nicht. Sie erzählten so viel, stellten, wie ich aus dem Tonfall ihrer Rede entnahm, Fragen, bis sie schließlich dahinterkamen, daß ich sie gar nicht verstand. Da lachten sie laut, aber doch so, daß es für unsere Begriffe noch immer leise klang. Nur von dem Einklang, in dem sie trotz aller Lebhaftigkeit sonst sprachen, hob es sich ab. – Sie wußten von nun ab nicht recht, was sie mit mir beginnen sollten – genau wie ich selbst es nicht wußte. Sie suchten jetzt durch allerlei Zeichen und Gebärden eine Verständigung herbeizuführen. Es glückte wohl ein paar Male, jedenfalls gerieten sie, wenn sie aus meinen Gesten entnahmen, daß ich sie verstanden hatte, in helle Freude und klatschten die kleinen weißen Hände ineinander.

Sehr viel lustiger wurde es, als ich mein japanisches Wörterbuch zu Hilfe nahm und, da sie mein Japanisch – ich muß eine katastrophale Aussprache haben – nicht verstanden, sie selbst die Worte lesen ließ, die ich ihnen zeigte. Das gab ein Raten und Tuscheln und eine Fröhlichkeit ohnegleichen. Ich fragte:

»Wo gehen Sie hin?«

Die Antwort lautete:

»Nach Haus.«

»Wie weit ist das?«

»Ganz nahe.«

»Sie sind sehr schön.«

»Welche von uns?«

»Alle.«

»Sind Sie Amerikaner?«

»Deutscher!«

Auf Ehrenwort: hier setzte Jubel ein. Sie plapperten durcheinander. Die wohl Gescheiteste, die auch die deutschen Worte schneller als ich die japanischen fand, sagte:

»Wir lieben nicht Amerikaner.« Sie sagte es zu ihren Freundinnen auf japanisch. Die beteuerten es lebhaft.

»Von wo kommen Sie?« fragte ich.

»Beten.«

»Ist Feiertag?«

»Der zwölfte,« sagte sie.

Vor einem kleinen Haus saßen junge Mädchen, die aus einem großen Korb Blumen nahmen und sie ordneten. Meine kleinen Freundinnen gerieten in freudige Erregung. Ich kaufte ein paar Hände voll. Sie verteilten sie untereinander und schmückten sich. Ganz instinktiv wählten sie Blumen und Farben, die sich dem Kimono anpaßten, als wenn sie zusammengehörten. Und die Sträuße, obschon sie wirklich groß für die kleinen Hände waren, trugen sie im Arm, als wenn sie damit verwachsen wären. Ja, ich sage es wieder, diesen Menschen steckt die Kunst im Blute. Sie fühlen, was sonst nur der Künstler fühlt. Der Kritiker – wer erfand diese Abart Mensch, zu der, horrible dictu, auch ich gehöre? – stellt begeistert fest, wie formvollendet dies oder jenes Bild gestellt ist. Hier aber ist nichts gestellt. Und wenn wir jetzt um einen Ausrufer herumstehen, der Bijouterieschund mit theatralischen Gesten anpreist, und zwei von meinen neuen Freundinnen ein paar Schritte seitwärts treten, obschon sie von da weder besser sehen noch hören können, so, geschieht das instinktmäßig aus irgendeinem Gefühl für Harmonie. Denn vorhin störten sie im Bilde, jetzt wahren sie dessen Einheit und heben die Wirkung. Zwecklos, sie zu fragen, weshalb sie den Platz änderten. Sie wüßten es doch nicht zu sagen.

Ich bin leichtsinnig und bitte die Damen, sich zu bedienen. Einen kleinen Taschenspiegel, eine Puderquaste, Tusche und nochmals Tusche, dazu eine Art Ring, an dem mit bunten Seidenfäden ein Dutzend glückbringender Porzellangegenstände befestigt sind. Alles das kostet einen halben Jen. Mit zwölf multipliziert macht sechs Jen – und sechs strahlende Puppengesichter. Und wie sie sich dankbar vor mir verbeugen. Einmal, ein zweites Mal und noch einmal. Ich stehe etwas verlegen und verbeuge mich auch. Aber das ist wohl falsch, denn ich sehe in ihre erstaunten Gesichter.

Wie wohlerzogen! Gewiß sind es junge Mädchen aus guter Familie. Sie kommen vom Beten. Ich hätte angenommen, aus einer Familientanzstunde.

Sie sind jetzt völlig mit dem kleinen Spielzeug beschäftigt. Vor allem die Glücksringe erregen sie. Sie haben längst wieder vergessen, daß ich sie nicht verstehe. Sie plappern lachend auf mich ein. Als die Straße jetzt ansteigt, nehmen sie mich bei den Händen und ziehen mich hinauf.

Goldige Kinder, denke ich und frage mit Hilfe meines Buches nach ihrem Alter.

»Siebzehn – dreizehn – fünfzehn – vierzehn – sechzehn – dreizehn –«

Sonderbare Eltern, denke ich, die ihre Kinder am Nachmittag in einer Stadt wie dieser ohne Aufsicht lassen. Oder droht dieser Unschuld in Japan keine Gefahr? Niemand belästigt sie. Sie selbst sind arglos. Ihnen kommt gar nicht der Gedanke. Das Gegenspiel von Mann und Frau, das die Atmosphäre jeder Großstadt bestimmt – hier besteht es nicht.

Wir befanden uns plötzlich in Yoshiwara. Jede größere Stadt Japans hat diesen Lunapark. Mehr als der Vergnügungspark interessierten mich diese Mädchen. Sie kamen vom Beten hierher, mußten also schon stundenlang von Hause fort sein. Aber das Leben und die Buntheit hier schienen sie nicht zu interessieren. Verkaufsbuden, Kinos und Theater. Wo wollten sie hin? Sie schienen jetzt eilig. – Ich fragte sie und sie gaben zur Antwort:

»Nach Hause.«

Sie konnten doch unmöglich hierher gehören! – Links hinein! Die Straße verengte sich. Die Häuser wurden stattlicher. Villenartig. Peinlich sauber und gepflegt. Vor einem dieser Häuser blieben sie plötzlich stehen. Verbeugten sich tief. Mehrmals. Ich tat das gleiche. Dann trippelten sie, ohne sich umzusehen, in das Haus hinein und verschwanden.

Ich stand noch eine Weile davor. Mit einem Gesicht, das bestimmt nicht klug war. Dann bog ich eilig wieder in die Hauptstraße, stieg in eine Rikscha und fuhr nach Haus.

Es war schon dunkel. Als ich in die Nähe des Tempels kam, war es mir, als hätte sich der Buddha von seinem Sitz erhoben und säße nun auf der Straße, mir den Weg versperrend. Der Rikschakuli patschte im Finstern in den Tümpel. Das Wasser spritzte hoch auf. Der Kuli schrie entsetzt. Er glaubte wohl, die Erde tue sich auf. Ein Ruck – und er machte kehrt. In einem Tempo, in dem ich nie wieder, weder in Japan, noch in China, noch in Singapore einen Kuli laufen sah, raste er den ganzen Weg zurück.

Siehe! ich stand wieder in Yoshiwara. Buddha hatte sich als stärker erwiesen. Sein Wille geschehe! – Ich bog in die Seitenstraße, suchte und fand das Haus. Das Haus der Liebe. Eine ältere Japanerin empfing mich. Sie erledigte, englisch sprechend, das Geschäftliche mit einer Delikatesse, als wenn eine Dame der besten Gesellschaft dem künftigen Manne ihrer Tochter gegenübersäße und nun gezwungen wäre, sehr gegen ihre Natur, nach Erledigung des Ideellen auch die materielle Seite der Ehe zu erörtern. – Sie war von meiner Begegnung mit ihren Schutzbefohlenen bereits genau unterrichtet. Sie schob eine Gardine zurück. Im Nebenraum saßen auf einer Matte die sechs. Fröhliches Lachen empfing mich. Die alte Dame schob den Riegel vor die Haustür. Dienerinnen brachten den Tee. Die Samisen erklangen. Das Puppenspiel begann. Ein Spiel von Kindern. Gegenseitiges In-die-Hände-klatschen. Doch dabei blieb es nicht.

ohne Bildunterschrift
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Als die Dienerin zum letzten Male mit frischem Tee die kleine Treppe hinabstieg und vergaß, die Tür hinter sich zu schließen, schlug die Sonne ins Zimmer. Sechs Puppenherzen erschraken und sechs weiße Hände griffen hastig nach der Puderquaste.

Draußen wartete der Kuli, der mich hin- und wieder zurückgefahren hatte. Er war mir also in die Nebenstraße gefolgt. Hatte ich vergessen, ihn zu bezahlen? Stunden waren vergangen. Ich entsann mich, ihm einen Jen gegeben zu haben. Er forderte auch nichts, sondern begrüßte mich höflich und bat mich einzusteigen.

Ohne Zweifel: er war mit Buddha im Bunde.

Auf den Trümmern der Stadt stieg der neue Tag empor.

Ich aber dachte darüber nach: was ist das für ein Volk, in dem selbst die Dienerinnen der Liebe noch keusche Scham umhüllte?


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