Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünftes Kapitel

So erwachte Moorfeld zu seinem letzten Morgen in Amerika. Tags nach diesem Abend fuhr er mit der ersten Geschäftsstunde an den Hafen, entschlossen, jede Gelegenheit nach jedem europäischen Seeplatz anzunehmen, einzig bedingend, daß die Anker noch heute gelichtet wurden. Er fand ein Dampfboot, dessen Abfahrt auf zehn Uhr festgesetzt war. Natürlich waren die Plätze besetzt, aber ein junger französischer Arzt, der in Amerika eine Studienreise gemacht, hatte die Artigkeit, ihm seinen ersten Kajütenplatz zu verkaufen. Das Dampfboot hieß – Riego.

Die Stadt New York feierte der Einschiffung Moorfelds ein wildes Abschiedsfest. Wie die Fugen der Alltagsordnung schon seit zwei Tagen oder vielmehr Abenden in ein verdächtiges Schwanken und Krachen geraten, haben wir mitten aus dem erschütterungsvollen Eigenleben Moorfelds heraus im Fluge bemerkt. Aber bei seinem heutigen Erwachen fand er die Pulvermine in voller Explosion. Schon auf der Fahrt nach dem Hafen zeigte die Stadt ein entsetzliches Antlitz. Arbeiter, welche in ihre Fabriken zogen, standen überall in bestürzten Gruppen umher, Kaufläden blieben verschlossen und stierten, wie von einem bösen Traum befangen, mit den Vorhängschlössern der Nacht in den hellen Tag hinein, die belebtesten Passagen waren unverhältnismäßig öde, oder was sich von Menschen und Wagen bewegte, schien wieder in rückgängiger Bewegung vom Tagesgeschäft begriffen – alles trug die Miene der Angst und Verwirrung. Moorfeld, in seinem gräßlichen Seelenkrampf keines äußeren Eindruckes fähig, fuhr durch diese Szene, ohne sie zu bemerken, bemerkte sie, ohne zu fühlen und zu denken. Erst am Hafen drang sich das öffentliche Zittern unwillkürlich seinem Interesse auf. Überall begegnete er bangen Gesichtern. Überall wurde er befragt, was er von den Ereignissen der Nacht wisse, überall liefen Menschen hin und wider, welche ihrerseits Gerüchte darüber ausbreiteten. Seltsam, wie eine große Stadt von den Lebensvorgängen in ihren Extremitäten so unzuverlässig und so spät eine bestimmte Empfindung im Zentrum ihrer Nervengefäße erlangen kann! Im Hafen wußte man wenig oder nichts von dem, was Schreckliches in den nördlichen Ausläufen New Yorks vorgefallen. Im allgemeinen verlautete nur von einer großen Feuersbrunst. Aber niemand wußte zu sagen, was verbrannt, wie weit der Brand um sich gegriffen, ob man überhaupt löschen wollte, und eine Furcht, die alles Blut von den Wangen trieb, rieselte durch die Adern der Bevölkerung, daß sie auf dem Krater geheimnisvoller Verbrechen, gräßlicher Verschwörungen stehe, daß ein unbekanntes Verderben über ihrem Haupte schwebe, von welchem niemand eine bestimmte Vorstellung hatte, welches anzudeuten, allein schon für Mitschuld galt, welches aber durch stockendes, zähneklapperndes Schweigen eben am fürchterlichsten vergrößert wurde.

Als Moorfeld vom Hafenplatze wieder zurückfuhr, sollte es sein letztes Geschäft sein, sich den Prozeß um sein Landlos vom Halse zu schaffen. Er lenkte nach dem Hotel seiner Gesandtschaft, um unter den erforderlichen Rechtsformen seine Vollmachten auszustellen und dann den widerlichen Handel auf ewig zu ignorieren. Ein blutiges Abenteuer begegnete ihm auf diesem Wege. Ein Mensch stürzte dem Broadway herab, gehetzt von einer Meute Rowdies, welche Revolvers nach ihm abfeuerten, abgefeuerte Revolvers nach ihm warfen und ihm mit dem Geschrei: Schlagt ihn tot, schlagt ihn tot! ein deutscher Mordbrenner! wie eine Bande entfesselter Höllengeister zusetzten. Moorfeld schrie seinem Kutscher augenblicklich die Weisung zu, zwischen Verfolger und Verfolgten quer in den Weg zu fahren, aber der Zuruf war offenbar eine Interjektion der Verzweiflung und hätte sie direkt der Vernichtung ausgesetzt. Auch beugte der Kutscher gerade entgegengesetzt aus, und im Nu war die wilde Jagd aus den Augen. Schauerlich tönte es aus der Ferne zurück: Schlagt ihn tot! ein deutscher Mordbrenner!

Eine entsetzliche Ahnung stieg in Moorfeld auf. Er dachte an die Szene, der er vor zwei Tagen in Kleindeutschland beigewohnt. Es blieb kein Zweifel übrig; hier war ein Riot gegen die Deutschen ausgebrochen.

Ohne Besinnen befahl er dem Kutscher, in das nördliche Stadtquartier zu fahren. Der Kutscher weigerte sich. Nach langem Wortwechsel entschloß sich Moorfeld, auszusteigen und die unermeßliche Strecke zu Fuß auf sich zu nehmen, dem Zufall überlassend, ob ihm unterwegs ein willigerer Kutscher aufstoßen würde.

Aber kaum hatte er einige hundert Schritte zurückgelegt, als ihm wiederholt Menschen entgegen kamen, welche mit hastigen Schritten und erschrockenen Mienen ihm die Worte zuriefen: Kehren Sie um, Sir, die Stadt ist heute in schlimmen Händen! Und je weiter er vordrang, desto sprechender bestätigte alles diese Warnung. Er fand hier einen Revolver, dort einen Schlagriemen, hier eine grimmig zertretene Alarmtrommel, dort Blutspuren auf seinem Wege.

So erreichte er City-Hall. Welch ein Schauspiel! Das Stadthaus, der Sitz der Ordnung und Gewalt, der Thron der bürgerlichen Majestät, der Herzmuskel, von welchem Gesetzeskraft und Ansehen, wie das Blut, bis in die fernsten Äste des öffentlichen Gemeinwesens ausströmen sollte: das Stadthaus fand er wie einen hilflosen Hirsch, an dem die Meute der Hunde mit tödlichen Bissen hängt. Tausende von Rowdies belagerten das Haus. Sie staken teils in den eleganten Uniformen der Löschkompagnien, teils waren sie anständig, ja fein in Zivil gekleidet – ein fürchterliches Gesindel, das mit seinem Wohlstande nicht den brutalen Tiertrieb, sondern die raffinierte, teuflische Bosheit verrät. All diese Banden waren mehr oder minder betrunken, zerfetzt, besudelt, der Park selbst von den vielen Feuerspritzen in einen Sumpf verwandelt, in welchem sich die Herren des Platzes mit johlender Wollust wälzten. Geschrei, Flüche und Pistolengeknall erfüllte die Luft, vermengt mit dem Rufe: Heraus die Deutschen! die deutschen Mordbrenner heraus! welches mit einer so kannibalischen Mordgier gebrüllt wurde, als sollte der Marmor des Stadthauses, wie Jerichos Mauern, davor in Trümmern springen.

An dieser Stelle hatte Moorfeld zugleich das Ziel seines Vordringens erreicht. Nach jeder nördlichen Richtung hin fand er die Straße gesperrt. Die Fortsetzung des Broadways, die Centre-Street, die Chatam-Street, keine Ausmündung war zugänglich. Tief in all diese Straßen hinein lagerten die Banden der Rowdies, trieben sich Gestalten von Ruß, Blut und Brandy in wilde Tiere verwandelt, polternd, heulend und im Besitz aller möglichen Waffen zu jedem Verbrechen aufgelegt, umher. Sie sperrten den Brand ab, wie sie sagten, d.h. sie ließen ihrem Wüten in Kleindeutschland keine Intervention zu.

Moorfeld mußte seine Versuche, an jenen Schauplatz des Unglücks durchzudringen, der Reihe nach aufgeben. Bei dieser verhängnisvollen Unmöglichkeit blieb ihm nichts übrig, als der schwache Trost, daß die Invasion des grünen Baums vielleicht eben im Stadthause selbst ein momentanes Asyl gefunden. Das Geschrei nach dem Blute der Deutschen, das wolfsgierig zu allen Fenstern hineinheulte, schien diese Vermutung zu erlauben. Freilich blieb es dann zweifelhaft, wie lange dieser Schutz ausreichen und ob die anarchischen Rotten nicht zum Sturm selbst vorschreiten würden. Wie frech ihre Diktatur das obrigkeitliche Ansehen mit Füßen trat, davon sah Moorfeld mit eigenen Augen eine Probe. Als das Mordgeschrei nach den Deutschen den wildesten Grad erreicht hatte, trat der Major von New York mit einigen Aldermen auf den Balkon. Meine Herren, harunguierte er die Aufrührer, wir sind soeben mit dem Verhöre der geflüchteten Deutschen beschäftigt und machen Sie darauf aufmerksam, daß Ihre Ungeduld um prompte Justiz nur geeignet ist, das Werk der Justiz aufzuhalten. Ich versichere Sie übrigens als Gentleman, daß eine exakte Gerechtigkeit gehandhabt werden soll. Sie mögen sich, meine Herren, über diesen Punkt vollkommen beruhigen. Bis dahin empfehle ich die Stadt Ihrem Schutz und hoffe zu der Loyalität freier und aufgeklärter Bürger, daß Sie einer so billigen und gesetzlichen Aufforderung Folge leisten werden. – Moorfeld traute seinen Ohren nicht, als er in diesen Worten New York in die Diskretion von Meuterern stellen hörte. Wo bleibt die Polizei? die Stadtmiliz? fragte er staunend einen wohlgekleideten Bürger neben sich. Ich rate, Mister, wir tun wohl, das Wort Polizei und Stadtmiliz heute nicht auszusprechen, antwortete dieser erschrocken und rückte von Moorfelds Seite. Die Rowdies aber waren von der Anrede des Majors noch so wenig befriedigt, daß sie mit einer Feuerspritze vorfuhren und unter betäubendem Gebrüll einen Wasserstrahl auf das Haupt der Stadtobrigkeit schleuderten.

Moorfeld kehrte wieder um. Unvermögend, dem Brennpunkte dieser Frevel einen Zugang abzugewinnen, noch mehr, irgendeine nützliche Tat zu tun, mußte er sich darauf beschränken, in Europa aus Zeitungsnachrichten zu erfahren, wie der Lavastrom dieses Tages noch seinen verderblichen Lauf genommen. Er hatte jetzt keinen Augenblick zu verlieren, sein Geschäft im Gesandtschaftshotel abzumachen. Als Moorfeld dieses Gebäude erreichte, sah er die Fenster des Basements von kriegerischen Gestalten erfüllt, welche Gewehr im Arm, auf alle Fälle gerüstet dastanden. Es war ein braves Häuflein deutscher New Yorker Bürger, welche zum Schutz ihrer Landsleute, die ohne Unterschied der provinziellen Abstammung in das Gesandtschaftshotel der ersten deutschen Großmacht geflüchtet, sich in unerschrockener Bürgerwehrpflicht eingefunden. Sie sagten, sie hätten schon vor Tags eine Lokomotive nach Philadelphia requiriert, um den Zuzug der dortigen deutschen Schützenkompagnie, die jetzt in jedem Augenblick eintreffen werde. Dann möge der Tanz wohl aus einer anderen Tonart gehen. Es habe nicht viel auf sich mit diesen Burschen. Strohfeuer sei's, üppige Büberei, das Gesindel hüte sich wohl, deutsches Pulver zu riechen. Diese Sprache war ein Lichtblick in dem Pfuhl so vieler Abscheulichkeit. Und daß sie nicht übertrieb, bewies die Tat. Kein Rowdy ließ sich blicken in dem weiten Umkreis des Hotels, und doch belief sich die ganze Besatzung desselben kaum auf dreißig Mann.

Moorfeld fand alle Räume des Hauses von flüchtigen Deutschen besetzt. Es war der bunteste Wirrwarr, der sich denken ließ. Männer, Frauen, Kinder, Herrschaften und Domestiken, alle Stufen der bürgerlichen Rang- und Glücksskala, alle Anzüge der Nacht und des Tags, Kostbares und Gemeines, im Moment der Flucht sinnlos übereinander geworfen, was jeder an seinem eigenen Leibe retten zu können glaubte, trieb sich im schauerlichen Kostümball durch das angsterfüllte Gebäude. Dazwischen lag ein Jahrmarktskram von geretteten Fahrnissen auf jedem Schritt und Tritt im Wege; man sah Betten, Töpfe, Waschkörbe, Stutzuhren, Porzellangeschirr, Bücher, Schüreisen, allerlei Handwerkszeug, Nützliches und Entbehrliches, Wertvolles und Lächerliches ohne Wahl zusammengeschleppt. In diesem Wirrnis war das Geschrei der Kinder zu hören, die ihre tägliche Hausordnung vermißten, der Mütter, welche die Bedürfnisse ihrer Kinder unter Jammer und Zeter zu improvisieren suchten, die Fluch- und Zornausbrüche der Männer, welche, scheinbar oder wirklich, sich nach wahrhafter Verfassung sehnten, wohl auch ein oder das andere Waffenstück mit sich führten, da dann dem einen die Munition, dem andern die Büchse fehlte, diese Patrone nicht zu jener Flinte paßte, und mit vielen Worten wenig erzielt wurde.

In diesem Bienenschwarm begegnete Moorfeld denn auch dem Wirte von Kleindeutschland mit Vronele, seiner Tochter. Der deutsche Kaiser war kaum mehr zu erkennen. Totenblässe bedeckte sein vollwangiges Antlitz, er zitterte am ganzen Leibe wie Espenlaub. Sein erstes Wort, als er Moorfeld erblickte, war, daß er mit überstürzter Zunge die Frage stammelte: Kommt Polizei? kommt Polizei? Moorfeld antwortete: We are in a free country!

Vronele hielt sich wackerer. Sie war vor vielen um sich her allein einer vernünftigen und unerschrockenen Rede Meisterin. Die Herrenbuben haben uns ausgebrannt und sagen öffentlich, wir selbst hätten's getan, das ist Evangelium und Epistel an dieser Sache, sagte sie. Da sie uns nicht versimpeln und kleinkriegen konnten – Sie sahen's ja selbst, Herr Doktor – so kamen sie uns so. Sie legten das Feuer bei uns und bei einigen Nachbarn, dann waren sie aber – hurrah! von allen Seiten mit ihren Spritzen da, wie das wilde Heer. Wups hatten sie einen deutschen Maurer beim Flügel und schrien drauf los: Den hätten sie beim Brandstiften ertappt. In einer Minute baumelte der arme Mensch an der Dachrinne. Das war aber meertief erlogen und hat freilich Schein und Art vor den Leuten – die Maurer wollten Arbeit haben, sagen sie, und wollten sich auch rächen für den erstochenen Maurer vom Bowery. Es ist schon recht! Beim Verhör wird alles herauskommen. Es gibt noch Leute, Gott sei Dank! die auch zu reden wissen von dieser Nacht. Die Spitzbuben genierten sich so wenig, daß sie mit hellflammigen Bränden herumliefen; hier löschten sie, dort zündeten sie und schrien immer dazwischen: Tod den deutschen Mordbrennern! die Schinderhunde! und glaubten uns alle auszutilgen, daß kein einziger übrigbleiben wird, der eine Zung' rühren kann! Da müßt' New York nicht gebaut sein, daß neun Katzen keine Maus fangen! Jetzt haben sie vielleicht zugestopft und gnade Gott, wer seine Beine nicht beizeiten über die Achseln nahm! Jetzt ist die richtige Mördergrub' los da droben. Aber es muß einen zahlenden Tag geben! Wär' ich nur ein Mann! Ich wüßt' mir was Besseres, als da vorn im Gesindezimmer zu stehen, Gewehr im Arm, wie auf einem Nürnberger Bilderbogen! Aber unser ganzes Haus will ich verschmerzen, wenn nur die Philadelphier kommen! Selbe Schützen sind die richtigen noch aus dem Freiheitskrieg her, was die ganze Welt weiß. Das ist der Dank jetzt! Engländer und Hessen haben sie aus dem Land getrieben, – ich begreif gar nicht, warum die Yankees allein die Herren im Lande spielen wollen. – Aus dieser weittragenden Reflexion wandte sich das Mädchen dann wieder an die nächste Gegenwart, indem sie sich nach einer jungen Frau umkehrte, die in einem Winkel des überfüllten Hauses auf einer Treppenstufe saß und Ströme von Tränen in ihren Schoß niederfließen ließ. Laßt's gut sein, lieb' Fraule, tröstete sie mit einer naiven Herzlichkeit, Eure Bäckle blieben doch schön, verderbt sie Euch mit dem abscheulichen Kummerwasser nicht. Es wird Euch kein Mensch darum Schlechtes nachsagen. Gewiß nicht. Wär' so ein Haderlump an Euch gekommen wie an mich, Ihr hättet ihn wägerle überwältigt. Guck, was für ein Hutzelmännchen um die Macht mit mir rang! Das war ein Kerl wie aus Mehl und Wasser gebacken, sein Gesicht sah aus wie ein Restchen Schmierseife. Es ist merkwürdig, daß sich solche Buben noch fühlen. Aber der wird denken an eine Schwabenhand! Ich fuhr ihm mit einem großen Kamm über den Kopf. Ich ohrfeigte ihn in die tiefste Schand' hinunter.

So fand Moorfeld die Residenz seines Gesandten. Daß er seine Angelegenheit im Flug oder vielmehr gar nicht austrug, brauchen wir bei dieser fürchterlichen Gestalt der Umstände kaum zu erwähnen. Ein ziemlich jugendlicher Sekretär empfing ihn, mit welchem sich Moorfeld nicht einmal zuerst über seine Sache, sondern über das öffentliche Unglück des Tages unterhielt. Die jungen Männer blickten sich bald in ihre Parteiverwandtschaft, und ohne Umstände berichtete der Sekretär die Abwesenheit seines Chefs mit folgenden Worten: Se. Exzellenz sind auf dem Stadthause. Wir protestieren, wir machen verantwortlich und tun, was wir vermögen, das heißt, nichts. Wer sollte auch imstande sein, ohne Kriegsflotte einem Seevolk zu imponieren? – Seinen Prozeß führte Moorfeld später von Europa aus durch den Hof- und Gerichtsadvokaten B**, den ihm der Sekretär der New Yorker Legation mit tiefer Hochachtung empfahl. Dieser ausgezeichnete Jurist führte ihn zu einem Ende, welches der Ungunst der Umstände die möglichst günstige Seite abgewann. –

An da Ponte dachte Moorfeld zu spät Vor den unaufhörlichen Schlägen der letzten Stunden war das Schattenbild dieses Unglücklichen in seiner zernichteten Seele zurückgetreten. Indem wir diesen Bericht schreiben, wird dem Andenken Metastasios in Wien ein Denkmal gesetzt. Der Dichter des Don Juan starb in New York in einem Hospitale.

Wir begleiten nun unsern Helden auf seinem letzten Gange in Amerika. Er eilt von dem Gesandtschaftshotel in der Whitehallstreet nach der Statestreet, schneidet die Nordseite der Battery und lenkt nach einer kurzen Strecke in der Washingtonstreet der Weststreet zu, dem Landungsplatz der Bremer, Hamburger und Havrer Schiffe. Als er über die Battery ging, bot ihm ein grausiger Anblick den letzten Abschiedsgruß. Schon aus der Ferne sah er an einem Baume des Parks die langgestreckte Gestalt eines Menschen hängen. Er vermutete, jener Unglückliche sei's, den er zuvor über den Broadway herab verfolgen gesehen. Als er näher kam, erkannte er in der Leiche eine Gestalt aus Kleindeutschland. Es war der Schriftsetzer Henning. –

Im Geleite aller Furien erreichte Moorfeld den Landungsplatz. Endlich schaukelt ihn die Jolle, die ihn an Bord des Riego bringt. Endlich besteigt er die Bretter, die in einem andern Sinne die Welt bedeuten, denn sie führen gleich dem Ideale erlösend von Zone zu Zone, und nur durch die Schifffahrt lernt die Menschheit ihr eigenes Ich kennen. Die öffentliche Unordnung hatte die Einschiffung vieler Passagiere verspätet, und auch Moorfeld ließ noch vom Schiffe aus sein Reisegut abholen. Alle übrigen Vorgänge waren für ihn die Phantasmagorie eines Traumes. Er hörte die Passagiere in den mannigfachsten Sprachen, Ansichten und Parteinahmen die Schandtat dieses Tages besprechen, er hörte das Prasseln des Stadttumults aus der Ferne und unterschied namentlich einen Augenblick, in welchem ein starkes, heftiges Gewehrfeuer lauter als je aufloderte, was ohne Zweifel die Ankunft der Philadelphia-Schützen bedeutete: er sah und hörte und – sehnte sich nach der alles verschlingenden Betäubung der Seekrankheit. Nach einer dumpf durchharrten Stunde fing die Maschine zu arbeiten an, das Boot setzte sich in Bewegung – hinaus ging's. Mit jeder Achsenumdrehung des Rades verlor die Stadtansicht New Yorks an Bestimmtheit der Umrisse. Die Luft war grau und nebelschwer und tauchte schlammfarbig wie in die Hefe eines Lethe das verschwindende Stadtbild ein. Zuletzt blieb nur noch die Rauchsäule von Kleindeutschland übrig, die von der bleiernen Luft nach unten und in die Breite gedrückt als ein trüber, häßlicher Klecks zwischen Himmel und Erde hing. Es war in der Nähe der Narrows, wo ein ankommendes Auswandererschiff am Riego vorbeidampfte. Das dichtgedrängte Verdeck erblickte diese Rauchspur des eingeäscherten Kleindeutschlands, hundert Hände wiesen sich's einander als das erste Zeichen New Yorks, und aus hundert deutschen Kehlen donnerte der Jubelruf in die Luft:

»Vivat das freie Amerika!«


 << zurück