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Zweites Buch

Erstes Kapitel

Wir begleiten unsern Helden jetzt auf seiner Reise nach Ohio. Er schied aus New York in einer Stimmung, die dem Bleiben eigentlich günstiger als dem Reisen war. Unter andern Umständen hätte er sich wahrscheinlich dem Zuge nach Saratoga angeschlossen. Überhaupt konnte der Plan seines ganzen Aufenthaltes durch den Abend bei Bennet in eine neue Frage gestellt sein. So hatte Dr. Griswold – gleichsam in Konkurrenz mit Bennet – später noch zu verstehen gegeben, es sei eigentlich wünschenswert, daß an der Universität selbst die Lehrkanzel für Literatur und Ästhetik mit europäischer Kunstbildung besetzt werde, und es hätte unsern Freund nur ein Wort gekostet, die öffentliche Stellung, die ihm dieser Wink zudachte, anzunehmen. Sein Zweck, Amerikas Leben und Treiben kennen zu lernen, stand durch eine solche Beteiligung an der Menschenkultur mindestens ebensogut zu erreichen als durch die an der Bodenkultur. Kurz, Moorfeld hätte an jenem Abend Stadt gegen Urwald, New York gegen Ohio in seiner Wahl vielleicht umgetauscht, wenn – die Freiheit dieser Wahl noch bei ihm gestanden hätte. Aber vierundzwanzig Stunden zuvor hatte er sich, wie wir wissen, zugunsten Benthals gebunden. Und er bereute diesen Schritt nicht. War es ihm schon sorgenswert erschienen, einen Charakter wie Benthal so bald wie möglich auf ein Feld der Tat zu verpflanzen, so wurde er in dem Gedanken noch unendlich bestärkt, als er Benthals Braut, Pauline, gesehen hatte. Dieses dunkle, sinnige Mädchenbild hatte er an jenem Abend mit einer seltsamen Regung sich gegenübergesehen. Er bangte für sie. Sie erweckte ihm die Vorstellung, daß sie als Hausfrau in einer großen Stadt an dem verfehltesten und unglücklichsten Platz ihres Lebens stehe. Der ganze Himmel New Yorks, dachte er, müßte über ihrem Haupte voll Damokles-Schwertern hängen. Ahnungen treiben oft mehr als Überzeugungen, und Moorfeld fühlte sich getrieben, das Los Paulinens wie einer Schwester zu bedenken. Dies scheue, schüchterne Mädchenleben dem gefräßigen Egoismus der Welt zu entrücken, schwebte ihm bald als ein natürlicher Beruf seiner Ansiedlung vor. »Jungfräulicher Boden«, wie es der Sprachgebrauch nennt, war allein der Boden des Gedeihens. Ganz von selbst verband sich ihr Bild mit dem Bilde einer stilldämmerigen Urwaldsbucht. Schien sie doch gleichsam ein verkörperter Waldschatten! –

So reiste denn Moorfeld. Er sieht jetzt Amerika außer New York. Vom Hudson an den Ohio zieht er eine neue Linie Landes- und Volksschau in das Buch, das ihm New York auf getan. Aber es wird uns nicht überraschen, wenn Ton und Stimmung auch in dieser Reihe von Bildern wenig erfreulich sein sollte. Er tritt aus dem Hause Bennets in der glücklichsten Herzenswärme, die den jungen, lebhaft fühlenden Mann ergreifen kann. Aber dieser Aufschwung kommt nicht seiner Reise zugute. Nach der Natur der menschlichen Seele dürfen wir vielmehr das Gegenteil annehmen. Der Kontrast ist groß; die Wirklichkeit, die vor dem Musen- und Grazien-Tempel auf der Battery lagert, wird dem Heraustretenden mit ihren schärfsten, nüchternsten Lichtern ins Auge fallen. Ihre Kälte wird kalt, ihre Häßlichkeit häßlich sein; er wird das Gemeine schneidender als je empfinden. Mit dieser Voraussicht wird es rätlich sein, Moorfelds Reisetagebuch aufzuschlagen. Die rosigen Zukunftsträume, welche die Katastrophe von Bennets Rout in seiner Seele entzündet, dürfen wir nicht darin suchen; – sie bilden die duftige Fernsicht seiner inneren Landschaft. Was wir im Vordergrunde sehen, wird so schroff, hart, trocken gefärbt sein, wie es leibt und lebt, und wie ein leidenschaftlich bewegtes Gemüt, dessen Abstoßungskraft wahrhaftig nicht gebrochen ist, bald satirisch, bald ironisch, bald tragisch, stets aber mit der ganzen Fülle des unmittelbaren Eindrucks es auffaßt.

Darum zogen wir's auch vor, unsern Helden seinen Reiseerlebnissen gegenüber sich selbst vertreten zu lassen, indem wir sein Tagebuch mitteilen. Es ist in Briefform an Benthal geschrieben, also in der unbefangensten, die wir wünschen mögen. Mit Saratoga hingegen wird vorläufig noch kein Briefwechsel gepflogen, und zwar aus gutem Grunde. Moorfelds Stellung zu Cöleste lag im Gebiet der reinen Ahnung, sie gehörte den Göttern des Schweigens. Diese Anfänge waren zu anfänglich, als daß das geschriebene Wort sie ausbilden konnte, zumal den Schicklichkeitsgesetzen einer amerikanischen Lady gegenüber. Moorfeld fühlte, der Briefstil könne hinter das vielleicht stillschweigend Vorhandene nur zurückgehen, nicht aber es weiterführen. Er war also klug genug, ein Korrespondenzversprechen, das Höflichkeit ohne Zweifel gewechselt, eben nicht wörtlich zu nehmen.

Mit Benthal aber reiste er gleichsam wie mit einem geistigen Wandergesellen. Reist er doch fast nur für ihn, ein natürlicher Zug seines Gemütes ist's, daß er mit ihm reist. Alles, was der Tag Neues, Charakteristisches, Eindrucksvolles bringt, erlebt er zugleich in der unsichtbaren Gesellschaft Benthals, und indem er es aufschreibt, nimmt es von selbst die Adresse dieses Freundes an. Die äußere Briefform dabei ist Nebensache, Ort und Tag gleichgültig, nur daß sich ein Wanderzug durch Pennsylvanien gleichsam unwillkürlich um die drei Hauptstädte Pennsylvaniens: Philadelphia, Harrisburg, Pittsburg gruppiert und entweder in oder dahin der äußerliche Anhaltspunkt des Datums wird. Diese Ortsangaben fehlen nicht. –

Das schien uns in Kürze die notwendigste Verständigung, die wir den nachfolgenden Blättern vorauszuschicken hatten. Mögen wir uns gestimmt finden, ihnen mit Anteil und Aufmerksamkeit zu folgen.

*

Moorfelds Reisetagebuch von New York nach Ohio.

Nach Philadelphia. – Die Lokomotive braust durch New Jersey. Das Land ist flach und bietet dem Auge wenig Beschäftigung. So weit von den Alleghanies und so nahe am Meere erwarte ich es nicht anders. Dagegen fliegen prächtige Wälder vorüber, die mich auf so altem Kulturboden überraschen. Der Urwald, scheint's, liegt noch überall näher, als man glaubt. Aber der Anblick der Bäume setzt mich in Verwirrung. Ich kenne sie nicht. Die europäischen Bäume haben es fast alle gemacht wie ich: sie sind Pseudonym in Amerika da. Als Europäer geben sie sich sehr selten; namentlich die Eichen sind verstockte Geheimniskrämer; sie kommen unter allen möglichen Formen vor, nur nicht unter der, die wir an ihr kennen. Ich muß es meinen Nachbarn oft auf Treue glauben, daß irgendein prächtiger, aber mir völlig fremder Baum eine Eiche sei. Am besten ist noch die Kastanie kennbar; ich sehe sie sehr häufig und immer als guten europäischen Bekannten; nur ist sie groß und stolz hier, etwa wie sie in Serbien oder in Italien prangt. Bekannt heimeln auch solche Bäume an, die man aus europäischen Parks bereits als Amerikaner kennt; – z.B. Lyriodendron tulipifera mit seinem feinen, zierlich ausgeschnittenen Laub, der hier ziemlich gemein ist. Kurz, der hiesige Baumschlag gibt im ersten Augenblick genug zu schauen, er hält die Imagination in beständiger Aufregung. Nur soll mich's wundern, ob er auch das Gemüt zu fesseln weiß. Fremde Bäume sind eigentlich schauerlich. Wenn sie nicht Kindheitssprache mit uns reden, so bleiben sie unverständlich wie Gespenster. Indes hat mich der Anblick großer Waldfluren doch wieder ganz eigentümlich gepackt. Ich brenne vor Begierde, diesem Naturleben näher zu treten.

Nach Philadelphia. – Ja, dieses Volk ist groß! Ein Freiheitsgeist, dessen Bewußtsein keinen Augenblick unterdrückt werden kann, durchdringt es in allen Klassen und Schichten; überall siehst du den Menschen als Mensch. Mein Mr. Staunton hat ein wahres Wort durch seine falschen Zähne gesprochen, als er sagte: »Im alten Lande fühlt sich selbst der höchst Beamtete als ein Diener; bei uns möchte der niedrigste Dienst gern für ein Amt gelten.« Auf halber Fahrt zwischen New York und Philadelphia erschien ein Gentleman in unserm Wagen, der mit einer Haltung, die einem Staatsrat Ehre gemacht hätte, diplomatisch kühl und höflich von Passagier zu Passagier wandelte, jedem irgendeine intime, gewichtige Depesche zuflüsterte, worauf er mit einer graziösen Handbewegung in seine Busentasche (Brusttasche klingt zu gemein) seinen lauschigen Fuß weiter setzte. Bald kam auch die Reihe an mich. »Es wird Ihnen gefällig sein, mein Herr, die Fahrtaxe zu entrichten.« Und dabei stand der Mann vor mir – »ein Kavalier wie andere Kavaliere.« Da ich unvorbereitet war und ihn etwas länger aufhielt als meine Mitreisenden, fragte er inzwischen meinen Nachbar, was die neueste Rede des Hrn. Clay »gemacht habe« und ob er der Meinung sei, daß General Jackson den Bundesgerichtsspruch für die Cherokees vollziehen werde. Folgte eine kleine, staatsmännische Unterhaltung, indes ich mein Kleingeld zählte. Ich gestehe, die Szene war mir neu. Ich musterte mir den Gentleman-Kondukteur noch mit manchem Blicke; ich konnte aber nicht das geringste Abzeichen an ihm entdecken. Zuletzt war ich »grün« genug, mein Befremden gegen meinen Nachbar merken zu lassen. Mein Nachbar war ein langer, hagerer Mann, aber meine Frage blähte ihn auf wie eine frische Brise ein schlappes Segel. Er streckte Arme und Beine aus wie ein Bachkrebs, der an einer schwierigen Stelle ans Ufer klettert, spuckte weit von sich, zog seinen Vatermörder in die Höhe und sagte »mit Sonnenschein in der Brust«: Ich rate, Mister, ein Kondukteur ist kein Hund, das ist ein Faktum; wozu ein Abzeichen? Sollen Bürger im Dienste ihrer Mitbürger mit Halsbändern herumlaufen und sich zeichnen lassen wie eine Galloway-Kuh, als wären sie die Haustiere der Nation und nicht freie und selbständige Männer, die unter ihresgleichen wandeln? Verdammter Unsinn wär's! Wir sind ein Volk von Souveränen. Was wir voneinander zu wissen brauchen, das ist: wie wir politisch gesinnt sind; darum tragen wir die Abzeichen unsrer Partei. Was wir aber nicht zu wissen brauchen und was in guter Gesellschaft überhaupt keiner vom andern fragt, das ist: wovon er lebt; darum tragen wir keine Abzeichen unseres Gewerbes – der Kondukteur so wenig als der Präsident. So ist es, mein Herr, es war' schade, wenn's anders wäre, das ist ein Faktum. Reisen Sie durch die ganze Union, und Sie werden keinen einzigen Offizianten in irgendeiner Branche finden, der ein Abzeichen trüge. Nicht am Zeichen erkennen Sie ihn, sondern an der Sache selbst, einfach daran, daß er Sie bedient und höflich bedient. Im übrigen ist er Gentleman wie Sie. In Wahrheit, mein Herr, alles was im hundertsten Gliede mit der Livree verwandt ist, das hassen wir mit jenem heilsamen Instinkte der Gleichheit, welcher die unzerstörbare Grundlage der Republik ist. Ein freier und aufgeklärter Bürger der Union duldet kein Abzeichen an seinem Leibe. All men are equal! Wir sind eine Nation von Souveränen. Es täte mir leid, wenn's nicht so wäre. – Klingt das nicht prächtig? Schade nur, daß das Schöne einen so kurzen Moment hat! Denn kaum waren wir eine Meile weiter gefahren, als an der nächsten Station ein Kondukteur seine Streife durch den Wagen machte und uns die Fahrkarte nach Philadelphia abforderte. Wir staunten nicht wenig. Der Mann trug ditto kein Abzeichen, aber seine Legitimation, die wir ihn abfragten, war in Ordnung, und so blieb nichts anders übrig, als die Börse zum zweiten Male zu ziehen. Das ist die Lehre von der Toilette dieser Republik. Bürgermilizen prangen in höchst überflüssigen Uniformen, und Kondukteure perhorreszieren höchst notwendige Abzeichen. – »Wir sind eine Nation von Souveränen«; das ist freilich die Wahrheit: aber auch von Beutelschneidern, – das ist die ganze Wahrheit.

Philadelphia. – Ich bin in der zweiten Hauptstadt Amerikas angekommen. Wie sie mir gefällt? Lieber Bruder! Nimm einen Westenstoff, der bekanntlich ein viereckiger Fleck ist, laß das Muster selbst wieder quadrilliert sein, und denke Dir, Du siehst Philadelphia. Die ganze Stadt ist ein großes Quadrat, und wie sich sämtliche Straßen im rechten Winkel schneiden, so besteht sie aus lauter kleinen Quadraten. Ich komme mir in Philadelphia vor wie das Tier »von einem bösen Geist – nicht im Kreis, sondern im Viereck herum geführt«. Ich gehe stundenlang in der Stadt herum und bemerke nicht, daß ich von der Stelle komme. Jede Straße wiederholt die vorhergehende, jedes Karree von Häusern ist wie ein Feld im Schachbrett allen übrigen gleich. Berlin und Mannheim sind mit wahrhaft orientalischer Phantasie gebaut gegen die stocksteife Einförmigkeit von Philadelphia. Die Häuser, die Bäume, die Gesichter könnten aus einer Schneidemaschine herausgefallen sein, so fabriksmäßig uniform ist alles einander. Ja, auch die Gesichter. Hinter jeder Fenstergardine steht genau die nämliche dünnspitzige Fuchsnase, blinzelt das nämliche mißfarbige Augenpaar, das mit einem Blick in den Himmel und mit dem andern in die Dollarkiste schielt, und das von dem blauen und gelben Reflex des Himmels und des Dollars einen verflucht grünlichen Farbenton annimmt, den wir mit einem eigenen Kunstausdruck Quäker-Augen-Grün nennen müssen. In der Tat, diese Fuchsnasen und Katzenaugen sind die physiognomischen Grundzüge der Bruderstadt. Dabei herrscht für ein so großes Straßenleben eine widernatürliche Stille und Sauberkeit hier. Die Stadt soll 300 000 Einwohner haben – und sind sie alle lebendig? fragt' ich unwillkürlich, als ich's zum erstenmal hörte. Die guten Quäker bilden sich freilich ein, ihre Residenz habe ein aristokratisches Air; zugestanden meinethalben; man glaubt nämlich eines jener hocharistokratischen Skelette vor sich zu haben, denen allerdings kein sterblicher Schweißtropfen mehr an die Haut tritt, aus dem einfachen Grunde, weil sie überhaupt nicht mehr lebendig funktionieren und ihre ganze Diät auf einen Hühnerflügel und eine Morrisonsche Pille reduziert ist. So laufen auch hier jene Schweine nicht herum, welchen man in den Nebenstrecken New Yorks begegnet; dafür begegnen Dir auffallend viele Pfarrer hier, was noch ärger ist. So ein Quäker-Pfarrer, der in Vater Penns Bruderliebe macht, ist vollends unbeschreiblich. Da wandelt er einher in seinem langschößigen oxfordfarbigen Rock, den Kopf in einen steifen Kragen eingekeilt, einen Hut mit niedriger Krone und breiter Krempe auf den mausgrauen Haaren, silberne Schnallen an den blankgewichsten Schuhen, und im Gesichte, das eine Mischfarbe von Talg und welken Herbstblättern hat, ein altgebackenes schimmeliges Lächeln, eine unaussprechlich-erlogene Mischung der schärfsten egoistischen Gifte mit süßlichen Ingredienzen – nein, dieses Lächeln ist nicht zu kopieren, ich wiederhole es noch einmal. Im mildesten Falle gleicht es einem Topf voll verdorbener Kompotte, in welchem die Zuckergärung mißlungen ist, in der Regel aber ist es bösartiger. Wahrlich, der wunderliche Girard wußte, was er tat, als er mit fürstlicher Munfizenz sein Girard-College, die größte Privatstiftung der Welt, gründete, aber die testamentarische Bestimmung hinzufügte, daß kein Geistlicher, von was immer für einer Glaubenssekte, die Schwelle seiner Anstalt betreten dürfe. In Europa, wo man herrschende Kirchen hat, lebt der Geistliche, namentlich der katholische, im Korporationsgefühl einer gefestigten und angesehenen Stellung mit einer gewissen Naivität, die ihn zum bequemen, häufig zum liebenswürdigen Gesellschafter macht; hier, wo die Kirche als solche nichts gilt, wo geistliche Gemeinden sich bilden und auflösen wie Teekränzchens, wo es leichter ist, eine Wiese voll Heuschrecken zu hüten, als eine religiöse Gemeinschaft zusammenzuhalten, hier kommt alles nicht auf die kirchliche Autorität, sondern auf die Autorität der Persönlichkeit an; infolgedessen hat sich unter den hiesigen Pfaffen ein Pharisäertum ausgebildet, an dessen Ekelhaftigkeit eine europäische Vorstellung schwer hinreicht. Philadelphia scheint nun die wahre Zionsburg der geistlichen Heuchelei. Ich glaub' es dem alten Girard, der ein munterer Franzose war, herzlich gern, daß er sich diese Rasse vom Leibe halten wollte, vom lebendigen wie vom toten. Die Quäker duzen sich noch wie zu Vater Penns Zeiten und alle Welt nennt sich einander »Freund«. Das verbreitet nun einen Geruch in Philadelphia, als ob alle Leichen seit Vater Penn unbeerdigt herumlägen. Wahrlich, man muß den gestorbenen Geist begraben wie den gestorbenen Körper. Unsre Regierungen tun ganz wohl, wenn sie die Bildung jener Sekten nicht dulden wollen, welche scheinbar auf das reine und unschuldige Urchristentum zurückgehen. Eine infame Lüge ist's, den patriarchalischen Kleingemeindegeist im modernen Industrie- und Interessenleben etablieren zu wollen. So ein Quäker-»Freund« klingt mir immer, wie das »Sei gegrüßt, Rabbi«. Die Kerls sehen auch ganz darnach aus wie Judas und Kaiphas auf der Seelenwanderung begriffen. Was sag' ich? Die jüdischen Pharisäer kreuzigten von Christus nur den Leib, aber das Evangelium ließen sie laufen. Die hiesigen vergössen kein Blut, bewahre! aber sie verurteilten ihren »Freund« Christus auf lebenslänglich zu ihrer vermaledeiten Schweigehaft, und das Evangelium selbst wäre gemordet. Die Schweigehaft ist eine echt pennsyIvanische Erfindung. Man muß diese frommen säuberlichen Straßen mit ihrem heimtückischen Stillschweigen, diesen Virtuosensitz der Langeweile und Scheinheiligkeit kennen lernen, um zu begreifen, wie hier und nirgend anders jenes Henkertum in Glacéhandschuhen, jene teuflische Bruderliebetortur erfunden werden konnte, welche das pennsylvanische System heißt.

Philadelphia. – Als ein gewissenhafter Reisender besucht' ich es auch, – das State penetentiary, mein' ich, das hochberühmte Original des pennsylvanischen Systems. Ja freilich ist's ein Wunder des menschlichen Scharfsinns. Ein einziger Wächter übersieht fünfhundert Zellen! Der Kerl sitzt wie eine Spinne in ihrem Sacke, von ihm spannt sich der ganze grauenvolle Fächerbau des Gefängnisses aus, kein Zellenfenster blickt in das andere und er in sie alle! Ebenso predigt sonntags der Prediger aus diesem Mittelpunkte den Sträflingen das Wort Gottes; an ihre Eisentüren geklammert, strecken sich fünfhundert bleiche Köpfe nach ihm vor, eine ganze Volksversammlung! und jeder einzelne ist einsam, und keiner bekommt den andern zu Gesichte. Das heiß' ich Netze flechten! Das Haus verwahrt gegenwärtig dreihundert Gefangene. Nur dreißig davon sind Deutsche. Und selbst diese büßen größtenteils wegen Pferdediebstahl, ein Vergehen, das in Amerika sehr schwer wiegt, aber in Ungarn sehr leicht. Ei Miklós, warum so traurig, fragt' ich in meinem Geburtsorte einst einen Czikós. Ein Schlingel hat mir mein Pferd von der Herde gestohlen, antwortete der Roßhirt. Dann zeig's den Gerichten an, erwiderte ich. Wo sind Gerichte? Stuhlrichter liegt besoffen auf der Hochzeit von János Jranyi, Vizegespan ist gefahren auf Jagd – Nun was willst du machen? – Bassama! stehl' ich mir anders Pferd, sagte der offenherzige Natursohn, ein Kerl, dem ich mein letztes Hemd vertraut hätte, aber das Pferd hat er mit höchster Wahrscheinlichkeit wirklich gestohlen. Kurz, es ist ein ungeheurer moralischer Unterschied, ob ich jemandem Geld aus der Kiste nehme, oder Geldeswert vom freien Felde weg in Gestalt eines freien Naturgeschöpfes. Das scheint aber der Yankee, der nicht empfinden, sondern nur rechnen kann, nicht zu unterscheiden und unsre armen Deutschen, die von Schiffsmaklern, Agenten, Land-Jobbern usw. vielleicht zehnfach ärger geplündert worden, verzweifeln nun, weil sie sich vier notwendige Beine von fremder Weide holten, in den grauenvollen Pennsylvaniazellen. Ich sage, sie verzweifeln, und das ist wahrlich keine sentimentale Unterstellung. Die statistischen Schneiderellen, die überall das Maß nehmen, haben sich eingebildet, es auch hier nehmen zu können, und glücklich herausdividiert, daß nur zwei Prozent Selbstmorde oder Wahnsinn im Pennsylvaniagefängnis vorkommen. Wohlverstanden: im Gefängnis, wieviel aber draußen als Nachwirkung einer Pennsylvaniahaft, so weit reicht die Schneiderelle nicht mehr. – Mein Besuch in diesem Marterhause traf auf einen Deutschen aus Rheinbayern, ein junger Mann nicht ohne Bildung. Auch seine Gesichtszüge mußten glücklich gewesen sein, ließen aber ihr Einst kaum noch erraten. Das Gesicht war offenbar länger geworden, eine aschfahle Blässe bedeckte es durch und durch, sein Blick stierte gläsern. Und doch war er noch nicht zwei Jahre hier, denn seine erste Frage war, wie der Sturm auf Warschau ausgefallen? Das Bevorstehen desselben hatte er noch »draußen« gelesen. Wie weh ward mir zu antworten! Ich sprach dafür von Börne und von der Rührigkeit der republikanischen Partei in Paris, um nur etwas zu sagen. Er hörte mir mit einem stillblöden Lächeln zu, schien aber von dem Inhalte nicht so bewegt, wie ich meinte; er weidete sich offenbar am bloßen Klang der deutschen Sprache. Auf dem Tische sah ich ein Buch liegen. Es war die Bibel. Das ganze Ameublement einer Pennsylvaniazelle besteht nämlich bloß aus vier Stücken: Tisch, Stuhl, Bettstelle, Bibel. Ich fragte den Gefangenen, ob auch andere Lektüre gestattet würde? Er verneinte es. Ob ihm die Bibel hinlänglich Gedanken gäbe? Es streckte seine Hand nach dem Plafond aus und sagte: In dieser Ecke, mein Herr, denke ich darüber nach, wie der Geist des zwanzigsten Kapitels vom zweiten Buch Mosis mit der katholischen Priesterlehre sich in Einklang bringen lasse. Ich ließ mich, da ich nicht stark in der Bibel bin, auf dieses Problem nicht ein und fragte ihn bloß, ob er dazu die Stubenecke bedürfe? Allerdings, mein Herr, war seine Antwort, ich lebe nur von drei oder vier Phantasien hier und die wohnen in den Zellenecken. Wissen Sie das nicht? Er sah ganz unbefangen dazu aus. Mir ward seltsam zumute. Wer wohnt denn in der zweiten Ecke? fragte ich. In dieser Ecke sehe ich die sechstausend Sklaven kreuzigen, die nach dem Aufruhr des Spartakus gefangen wurden. Die ganze Straße zwischen Rom und Capua gab's eine Allee von Kreuzen und zwar eine Doppelallee. Darunter promenierten die römischen Damen und Herren und genossen des Schattens, – so lange bis der Duft nicht kam. – Ich starrte den Menschen an. – Und in der dritten? – Der Sträfling antwortete: Ich war in Kentucky einst in der üblen Lage, einen Sklavenaufseherdienst nehmen zu müssen. Da unterhielt sich mein Herr einmal mit einer jungen Negerin damit, daß er aus einer gewissen Entfernung mit einem Bowiemesser nach ihrem nackten Leibe warf. So oft er sie getroffen, mußte sie das Messer eigenhändig aus der Wunde ziehen, es ihm zurückbringen, ihm die Hand küssen und sich von neuem aufstellen. Das ganze Spiel dauerte so lange, bis sie hinsank. Voll Abscheu verließ ich das Ungeheuer; in dieser dritten Ecke aber kam die Szene wieder zum Vorschein und – leider muß ich's gestehen – mit einer Art von Genuß. Ach, mein Herr, was sind die Freuden des Einsamen! – Ich war außer mir. Und in der vierten? hatte ich kaum noch den Mut zu fragen. In diese Ecke blicke ich nie! flüsterte der Unglückliche abgewendet; seine Stimme klang hohl und ein Schauder überflog ihn.

Mich auch. Ich bekam eine entsetzliche Anwandlung in diesem Augenblicke. Es ist ein gewöhnliches Phantasiespiel von mir, daß ich mir einen blonden, lächelnden Kindskopf ins zitternde Greisenalter übersetze; umgekehrt kann ich kein blutleeres Runzelgesicht ansehen, ohne mir sein vollwangiges Jugendbild herauszustudieren. In demselben Sinne tret' ich manchmal vor den Spiegel, um den Menschen darin zu erblicken, der ich selbst nach zwanzig oder dreißig Jahren sein werde. Ein solcher Phantasiespuk war's, der mir jetzt begegnete. Blitzschnell verwechselten sich die Personen und ich stand an seiner Stelle. Hu! fort von hier. Eine Schauderträne trat mir ins Auge. Ich machte, daß ich aus dem Hause kam.

Nun sage mir! In Europa gibt's Zensoren, welche die Gedanken morden, in Amerika Strafhäuser, welche den Menschen an seine Gedanken ausliefern. Was ist der größere Jammer? Ich glaube das Letztere. Streicht, Zensoren! streicht! Phantasie ist ein Bruthaus des Wahnsinns! Verschlinge der Abgrund das pennsylvanische System!

 

Philadelphia. – Schinderhannes war sehr borniert, sein Wesen am Rhein zu treiben. Er hätte Direktor einer amerikanischen Bank sein müssen. Wir lesen die Zeitungen über Amerika viel zu flüchtig in Europa. Sonst würden wir nicht von Vereinigten Staaten, sondern einfach von Raubstaaten reden. Ich war gestern, um mir das Zellengefängnis aus dem Sinne zu schlagen, noch in einer hiesigen » Wistar-Partie«. Mein Wirt, oder vielmehr mein »Freund« hatte mich daselbst eingeführt, wahrscheinlich zur Entschädigung, daß er mir die Baltimore-Ducks, eine delikate Entengattung, um die Hälfte teurer als in New York anrechnete, da sie doch in Philadelphia um die Hälfte billiger sein könnten. (Ich speise nämlich standhaft nach der Karte.) Die Wistar-Partien sollen die hiesigen Elite-Soireen sein, und der Philadelphier läßt sich merken, daß ein Reisender, der von New York kommt, Augen und Mund aufsperren muß über seine bessere Bildung. Aber die Amerikaner haben nun einmal Unglück mit mir. Ich kann sie nirgends in ihrer rechten gloire sehen. Die Wistar-Pastie vollends war ein Rendezvous, wie gesagt, mit dem Schinderhannes. Freilich fand ich die parfümierteste Gesellschaft dort, Menschen, die, wenn es auf ihr Havannablatt und auf ihren East-India-Madeira allein ankäme, die Creme der Gesellschaft wären; als aber besagter East-India-Madeira meine freien und aufgeklärten Bürger etwas unfrei und trübe zu machen begann, da wagte sich der Schinderhannes in Lebensgröße aus seinem Schlupfwinkel. Die Geld-Frommen von Philadelphia sind noch ganz außer sich über die Zerstörung ihres Tempels, der schönen marmornen Nationalbank am Schuylkill, die der gottlose Nabbuchodonosor, General Jackson, geschlossen hat! Ach, es ließ sich so hübsch Bruderliebe darin machen! Die Herren Aktionärs hatten bereits drei Viertel des Nationalvermögens in der Tasche, und nur noch ein weniges, so sackten sie auch das letzte Viertel ein. Da wählte das Land im gemeinen Instinkt seiner Selbsterhaltung den alten Eisenfresser von New Orleans, der nun auch ein Papierfresser wurde, und um die nobleren Instinkte war's geschehen. Die Dollar-Heiligen zu Philadelphia mußten sich begnügen, East-India-Madeira bloß zu trinken, nicht auch zu baden darin: ist das nicht zuviel des Märtyrertums? Darob Heulen und Zähneklappern in Israel und Taufe diverser Hunde auf dem Namen Jackson.

In der Tat, einer der gläubigsten Papier-Priester meiner Wistar-Partie stand, als die Diskussion dieses Gegenstandes schon den Siedepunkt erreicht hatte, mit der fanatischen Prophezeiung auf: Jackson würde am Galgen oder im Gefängnis sterben, die Bank der Vereinigten Staaten aber auferstehen und alle menschlichen Institutionen der Welt überdauern. Ein Kerl, der sich Bischof nannte, weiß Gott von was für einer Winkelkirche, bekämpfte heftig einen englischen Baronet, der die Vorteile und Nachteile des Papiergeldes mit Ruhe auseinandersetzte, aber vom elenden Widerspruch seines Gegners gereizt, zuletzt sich gleichfalls erhitzte und auch die Vorteile mit dem schwärzesten Räsonnement verfinsterte. Es ist hier nicht mehr von Geld und Papier die Rede, es ist die Rede von Catilina und Cicero, rief er mit erhobener Stimme. Die Bank war Catilina, General Jackson Cicero. Um die Verfassung war's geschehen, der Staat war umgestürzt, wenn die Bank bestehen blieb. Oder sollen wir Fremde, meine Herren, nicht so weit unterrichtet sein über Ihre inneren Zustände, daß wir nicht wüßten, wie die Bank zu einer Macht herangewachsen war, welche dem Catilinarischen oder Robbespierreschen Terrorismus nichts nachgab? Der Schrecken herrschte in Ihrer Republik, der Schrecken des Kredits! Wohin das Lächeln der Bank strahlte, da wucherte ein papiernes Zauberleben von Glück und Überfluß empor, wo der Blitz ihres Zornes niederfiel, erstarrte Handel und Industrie zu Nordpols-Winterschlaf. Ganze Städte und Provinzen hielt sie in Abhängigkeit und Gehorsam gegen sich; was sag' ich, die ganze Union lag ihr zu Füßen, denn dreihundertunddreißig über das Land verteilte Schwindelbanken buhlten um die Gunst ihrer Notenannahme zu Philadelphia; Philadelphia herrschte wie der Großkhan der goldenen Horde über ein Heer von Satrapen, Vasallen, Unter-Despoten und Subaltern-Tyrannen. Was war dieser Macht gegenüber die Verfassung? Die Bank zu Philadelphia war die Verfassung! sie wählte, sie machte Präsidenten, Senatoren und Deputierte, sie handhabte Legislative und Exekutive, sie war Papst, Cäsar, Omniarch! Die Gefahren Ihrer Freiheit-Neider! Neider! Neider! schrie der Bischof oder vielmehr das Faß Madeira in ihm mit einer Wut, als wäre er vom Beelzebub besessen, – man bedroht gern unsere Zukunft, wenn man den Flor unsrer Gegenwart nicht leugnen kann. Ob in einem Wahlflecken das Gewissen oder die Guinee votiert, ist ein Ding, das dies- und jenseits des Ozeans besser aus dem Lichte bleibt. Was kümmert uns der späte Verlauf einer Institution, die uns täglich und stündlich mit Wohltaten überhäuft? Lassen wir die politische Seite hier aus dem Spiele, Sir, und halten wir uns an die soziale, Sir! Ist das Papier nicht die Quelle unsres Wohlstands, unsrer Macht, unsrer Nationalgröße geworden? Wer hat unsre Städte gebaut, unsre Kanäle und Straßen gebahnt, unsre Häfen mit Flotten gefüllt, unsre Wälder und Prärien mit Menschen bevölkert; wer führt den Pflug, das Steuerruder, die Bergmannshacke, das Schwert und die Lunte, wenn nicht das Papier? Lassen Sie uns mit Metall wirtschaften, und der Indianer skalpiert uns heute noch am Delaware, statt daß er hinterm Mississippi uns um Gnade bittet. Die Banknotenpresse macht uns zum ersten Volk der Welt; die Bank stürzen heißt den Staat stürzen. War das Privilegium unsrer Nationalbank nicht abgelaufen im Jahre elf und haben ihre eifrigsten Gegner nach fünf Jahren nicht selbst auf ihre Wiederherstellung gedrungen, weil uns der Krieg mit England inzwischen gelehrt hatte, daß ohne Papier kein zivilisierter Staat selbsterhaltungsfähig ist? Wie, Sir? leugnen Sie das, Sir? Als Engländer gewiß, aber als Vernunftwesen nicht. Und wenn der bornierteste Schuft unter der Sonne, General Jackson, gestern sein Veto einlegte, – glauben Sie nicht, Sir, daß mein geehrter Vorredner recht hat: der Kerl baumelt eher am Galgen, als daß morgen die Bank nicht von neuem erneuert wird? Was sagen Sie, Sir? Eine triumphierende Beifallssalve belohnte den brüllenden Logiker. Die Erinnerung an den letzten englischen Krieg, den die Union bekanntlich siegreich geführt, schien eine zu glückliche und beißende Argumentation, als daß der arme Baronet nicht überwältigt sein mußte. Aber das Gegenteil. Gerade diese Anspielung pflanzte er selbst auf sein Bajonett. Und wie dem Manne eine kräftige Bruststimme zu Gebote stand, die durch ein Bataillon engbrüstiger und näselnder Yankeestimmen schlug, so klang es wie eine Gerichtsposaune, als er anfing, seinen Widerspruch aufzubauen. Ganz recht, meine Herren, rief er, daß Sie der letzte englische Krieg den Vorteil, oder besser, das Bedürfnis des Papiergeldes fühlen lehrte; auch wir haben den Napoleon mit Papiergeld besiegt. Der Krieg, der die sittlichen Güter einer Nation verteidigen soll, entzieht derselben in allen Fällen ein mehr oder minder großes Quantum materieller Güter, Kapitalien genannt, und gibt sie der Zerstörung preis, um jene höheren Güter zu retten. Die Kapitalien müssen auf dem Altar des Vaterlandes verbrannt werden wie irgendein Brandopfer; es wird also Zündstoff notwendig sein, sie in Brand zu setzen. Dieser Zündstoff ist das Papier. Das Papier verwandelt die Nationalopfer von Kapitalien in Asche, freilich ohne daß die Opfernden selbst es wissen oder geduldig wollen. Genug, wenn bei der menschlichen Schwäche des Egoismus ein Opfer fürs Ganze nicht anders zu erhalten ist, als indem man es verhüllt und mit einem momentanen, erlogenen Wert ersetzt. Als die karthaginiensischen Frauen aus ihren Kopfhaaren Bogensehnen flechten ließen, als die polnischen Großen die silbernen Särge ihrer Ahnen in die Münze schickten, leisteten sie das Opfer bewußt, der Staat brauchte ihnen nicht Papierwerte dafür vorzuspiegeln. Aber das sind Ausnahmsfälle der Begeisterung, der Verzweiflung, wenn Sie wollen, und in der Regel wird der Krieg von denen, die er verteidigt, die Mittel ihrer Verteidigung nicht anders erhalten können, als indem er sie ihnen scheinbar vergütet, bis sie den wirklichen Verlust kennen lernen, da sie dann freilich betrogen, aber auch gerettet sind. Dies der Krieg. Aber herrscht in diesem Lande beständig Krieg? Leben Sie in einem Krieg mit sich selbst, meine Herren? Bei Gott, so ist es. Sie führen einen Krieg der Reichen gegen die Armen, nein, nicht einmal das! denn in Michigan weiß ich eine Bank, deren ganzes Vermögen in den Metallplatten besteht, womit sie ihre Noten druckt, und in Missouri weiß ich eine andere, deren Barfond ein einziger Dollar ist! Michigan und Missouri sind aufstrebende Staaten, Staateneier, wie sie hierlandes vor der Hälfte der Brutzeit die Schale sprengen, es koste was es wolle. Und wahrlich eine Metallplatte zum Banknotenpressen kostet blutwenig. Ist erst der Strom der Ansiedler da, jene unglücklichen Helotenschwärme von deutschen und irischen Einwanderern, die mit einem zerrissenen Zeltwagen, einem Pferdegerippe, zwei harten Männerfäusten und sechs hungernden Familienmägen auf tausend Meilen von der Kultur wegagentiert worden sind, was bleibt ihnen anders übrig, als zu arbeiten für alles, was man ihnen als Geld anzubieten die Laune hat? zu arbeiten für eine Handvoll jener Lumpen, deren sie selbst ihren Wagen voll besitzen, nur daß diese noch nicht die Papiermühle passiert? So zahlen Sie auf dem Lande, so zahlen Sie in den Städten, und indem die papierne Lüge von Hand zu Hand geht, können Tausende von Auswanderern ihr Glück in die Heimat berichten, bis jene zum Worte kommen, an welchen die Exekution des Bankbruchs vollzogen wird. Leider gelangen nur Bankbrüche ersten Rangs zu einiger Öffentlichkeit, also daß der Ruf der Prosperität und Kalamität in den Vereinigten Staaten fortwährend ein unrichtiger ist. Ich aber, meine Herren, ich habe den Fallissements Ihrer Banken seit dem Jahr 1811 nachgerechnet und gefunden, daß Sie bis heute, also innerhalb einer Generation, für zweihundert Millionen Dollars falliert haben. Schlage ich einen Taglohn durchschnittlich zu 1 1/2 Dollar an, so haben Sie einer einzigen Generation Ihrer Mitbürger 150 Millionen Arbeitstage gestohlen! Damit läßt sich was ausrichten! Das tut Ihnen allerdings keine Nation der Erde gleich. Von dem Geheimnis Ihrer Fortschritte ist das der Schlüssel. Aber sehen Sie bei einer solchen Lage der Dinge von der politischen Seite Ihres Bankwesens nicht länger mehr ab zugunsten der sozialen Seite. Wahrlich noch schwärzer wird letztere dabei. Gestehen Sie, daß Sie mit einer solchen Summe von Robottagen Ihre arbeitende Klasse ärger mitnehmen als die Spartaner ihre Heloten oder die polnischen Magnaten ihre leibeignen Bauern.

So oder mindestens ähnlich durfte ein Engländer in der Fremde reden. Was für eine herrliche Sache ist's um einen großen nationalen Rang! Wie blaß stand ich als Deutscher daneben!

Aber sein Räsonnement tat mir in der Seele wohl. Ich weiß nun, was ich den Amerikanern zu antworten habe, wenn sie mir ihre Nationalgröße vorprahlen. Ich werde sagen: hätte Falstaff seinen Sekt bezahlt, so wäre er nicht so dick geworden, und ein Falstaff ist noch kein Riese! Der hiesige Materialismus braucht mir nun ebensowenig zu imponieren, als es der Idealismus gleich anfangs nicht tat. So werde ich Schritt für Schritt freier.

 

Nach Harrisburg. – Pennsylvanien heißt »der Garten der Union«. Soviel ich sehen kann, verdient es diesen Namen. Wohin man blickt, ist der Gesichtskreis voll von Bildern des Wohlstandes und der Zufriedenheit. Farm an Farm reiht sich unabsehbar über die hügelige Bodenfläche eines Landes, dem es nirgends an Wald, Wasser, Weide und, wie es scheint, an Fruchtbarkeit gebricht. Jede Farm liegt in der Mitte des Ihren – für das Auge ein volles Rund. Das Haus umgibt der Blumen- und Obstgarten, lange Feldbreiten von Mais und Weizen schließen sich an, grasreiche Wiesengründe folgen, und das Ganze begrenzt gewöhnlich irgendein Halbzirkel von Wald, dessen Nähe der Farmer gerne sucht. Wie die Flüsse schweifen, die Täler ziehen, sanfte Abhänge, bewaldet oder bebaut, sich durch die Ebene mischen, zerstreute Bauernhöfe nach Ost und West ihre Fronten ins Land kehren, so gibt es auf jedem Hügel von ein paar Ellen Höhe eine freundliche, anmutige Umschau. Kurz das Land ist nicht eben malerisch, aber heiter, behaglich.

 

Nach Harrisburg. – Im Postwagen ist der Mensch fast auf der ganzen Erde unliebenswürdig, der reisende Yankee aber ist ein Ungeheuer. Ich erlebte heute eine Probe davon, die auch einen Holländer toll gemacht hätte. Ich fuhr im Stagewagen nach Reading, oder vielmehr in der Richtung dahin. Meine Reisegefährten waren: erstens, ein Kaufmann aus Sunbury, zugleich Schuldistriktsvorsteher, Milizleutnant, Geschworener, Straßenbaukommissär, Bibelverbreiter, Sträflingsbesserer und Temperance-Ausschuß-Mitglied. Zweitens, ein Indian-Trader, einer aus dem Orden jener spekulativen Industrie-Ritter, welche zur Zeit, wenn die expropriierten Indianerstämme ihre Rente für abgetretene Ländereien ausbezahlt bekommen, mit nichtsnutzigem Hausiererkram, hölzernen Muskatnüssen, hölzernen Feuersteinen, schlechtem Branntwein u. dgl. den fernen Westen bereisen und sich das Blutgeld wieder heimholen. Drittens, die blasse, grämliche Frau eines Philadelphia-Advokaten, welche viel über Unverdaulichkeit klagte und ein noch blasseres Kind auf dem Schöße hielt, ein Würmlein – Gott verzeih's – wie eine Made. Nun höre, wie mir's zwischen diesen drei Menschen erging. Der Indian-Trader hatte mir gleich beim Einsteigen seinen dickbenagelten Stiefelabsatz in die Herzgrube gedrückt und mir das Herz fast abgedrückt. Als er dann saß, legte er seine zwei langen Beine wie Greif scheren auseinander und zwar auf meine Schultern. Dagegen durfte ich eigentlich nichts einwenden, denn das Recht der Beinausstreckung gehört in jeder Lage des Körpers zu den wichtigsten Privilegien des Yankee. Bloß auf dem Wege des friedlichen Vertrages erschlich ich mir so viel, daß er die Beine nach Art eines Viadukts über meinen Kopf spannte, und sich's gefallen ließ, da ihnen die Unterlage meiner Schultern entzogen war, daß ich sie mit meinem Taschentuche oben an die Wagendecke knüpfte. Der Kaufmann von Sunbury, der uns so eifrig von seiner bürgerlichen Vielseitigkeit unterhielt, war im Laufe dieser Anstrengung eingeschlafen und erkor mich zu seiner Matratze, indem er sein ganzes Gewicht so über meinen Körper herlegte, daß ich darunter verschwand und gleichsam vernichtet war. Mit dem Manne ließ sich noch weniger paziszieren. Ich nahm also zur List meine Zuflucht. Ich stahl mich mit meiner eingeklemmten Hand in meine Taschen, was mir nach vielen schmerzhaften Extorsionen gelang. Nun sucht' ich alles Spitzige darin zusammen, Federmesser, Zigarrenspitzen, Haarkamm, und bemühte mich, diesen Gegenständen eine solche Aufstellung zu geben, daß sie als Stacheln die Rippen meines Alps von mir abhalten sollten. Kaum aber freute ich mich meiner kleinlichen Erfolge hierin, als sich das blasse Schoßkind meiner unverdaulichen Nachbarin übergab, und zwar auf mein rechtes Bein. Entsetzt fuhr ich auf, aber die Lady hieß mich ruhig sein, denn ihr Baby wäre eigentlich nicht krank, sagte sie, es komme nur vom schwachen Magen. – Wie gefällt dir dieses ganze Kulturbildchen? Möchte sich doch die Erde ein ganz klein wenig spalten und dies liebenswürdige Volk sanft in ihr Zentralfeuer hinabgleiten lassen. Ich rate, dort wär's gut aufgehoben.

Nach Harrisburg. – Auf der Eisenbahn geplündert, im Stagewagen zerquetscht und bespien, wollt' ich es mit dem Dampfschiff versuchen. Ich wanderte ein paar Meilen zu Fuß dem Tale des Susquehanna zu und bestieg in Lancaster das Boot. Schlechtere Reisegesellschaft hat wohl selten ein Wanderer gefunden als ich Unglücklicher bei dieser Fahrt. Es umgab mich ein Genre von Menschen, das gar nicht zu charakterisieren ist, denn alles fehlte ihnen, um Menschen zu sein, und alles besaßen sie, was zur Bestialität gehört. Ihre Moralität und ihre Sitten waren gleich abscheulich. Eine kalte, dickhäutige Selbstsucht, eine Nichtachtung jedes gesellschaftlichen Anstandes prägte sich so sehr in ihren Zügen, Worten und Handlungen aus, daß ich unmöglich den Wunsch unterdrücken konnte, das Register ihrer Untugenden möchte noch mit einer einzigen vermehrt sein, – mit der Scheinheiligkeit. Diese konnte man ihnen aber nicht vorwerfen. Das Gespräch in der Kajüte strotzte von den frevelhaftesten Gemeinheiten, die aber ohne alle Wärme des Temperamentes, mit einer wahrhaft teuflischen Ruhe und Kaltblütigkeit sich äußerten. Letzter Umstand macht die hiesige Gemeinheit besonders empörend. Den Kerls ist nicht etwa wohl wie den bekannten fünfhundert Säuen, sie sind als Zotenreißer so trocken wie als anständige Menschen. Es ist nicht der geringste Humor in ihren Ausschweifungen. Ein presbyterianischer Geistlicher war an Bord, seine Gegenwart tat aber keinen Augenblick Einhalt. Kurz, ich litt bis zur Verzweiflung unter dieser Reisegesellschaft. Da ich merkte, daß der Geistliche kein Landeskind, sondern in Schottländer sei, so fing ich an, mein Herz gegen ihn zu erleichtern; er antwortete aber mit ziemlichem Phlegma: Das wird man bald gewohnt auf Reisen; außer dem Zwang ihrer häuslichen Verhältnisse sind sie so. Da steht der Verstand still! Der freie Amerikaner außer dem Zwang seiner häuslichen Verhältnisse! Und doch hält er durch die ganze Union diesen Zwang aufrecht und kanonisiert die häusliche Langeweile unter dem Namen lemper, was man für unübersetzbar hält, was aber ganz einfach Muckertum heißt! – Als ich morgens Toilette machte, zirkulierte für die ganze Schiffsgesellschaft ein einziges Handtuch; ebenso hing ein allgemeiner Kamm samt Haarbürste an einem Nagel. Jedermann bediente sich unbedenklich dieser Gegenstände der Reihe nach. Ich hätte gerne gefragt, ob nicht auch eine General-Zahnbürste da sei, aber ich glaube, dieses Mustervolk braucht überhaupt keine Zahnbürste. Was mich betrifft, so protestierte ich feierlich gegen das Gleichheits-Handtuch und verlangte mein eignes. Da fing der souveräne Schweinestall eine Rebellion gegen mich an, und selbst der Kapitän versicherte mich mit der empfindlichsten Miene, daß mein Begehren auf jedem amerikanischen Schiffe Aufsehen erregen würde. All men are equal! Heißt das so viel als: all hogs are equal? Welch eine erlogene Kultur! Zu Hause wandeln sie bis zum Kohlenträger herab auf Teppichen, und im Schiff hat die ganze Bande ein Handtuch! Meinethalben. Ich nähere mich mit jedem Schritt meinem Urwalde, sehe aber nichts anders übrig, als mir ein Reitpferd zu kaufen, ich wüßte sonst nicht, wie ich fort käme. Körper an Körper mit dem Amerikaner zu reisen, ist weder zu Wasser noch zu Lande möglich, so viel belehrt bin ich nun. Gott, was es heißt, ein Volk en détail kennenlernen!

 

Harrisburg. – Wie neugeboren bin ich aus dem verruchten Schiff ans Land gestiegen. Der niedrige Wasserstand hat die heillose Fahrt noch mehr verzögert. Aber das Flußbett war ihm eine große Verschönerung schuldig. Meilenweit war der Susquehanna übersäet von Felstrümmern voll wilden Formenspiels. Bald ragten sie wie Ruinen römischer Triumphbogen aus dem Wasser, bald glaubte man Löwen, Sphinxe, Greife und sonst solch heraldisches Wildbret zu schauen; kurz, die Phantasie war schöpferisch angeregt. Es ist gar herrlich, wenn so ein Felsenbett niederen Wasserstand hat. Da zeigt der Strom doch ein ander' Gesicht als seine platte, geduldige Oberfläche, die nur Schiffsgüter expediert. Man sieht ihm ins Herz, man sieht seine innere poetische Werkstätte und mit welcher Muskelkraft er feilt, sägt, hämmert und bohrt, um aus den Urwaldsblöcken seine Gedanken zu formen, – rohe, zyklopische Riesengedanken! Überhaupt hat die Gegend von Harrisburg einen heldenhaften Charakter. Das Tal des Susquehanna, auf der östlichen Flußseite besonders, zeigt schöne, markige Felsenpartien. Die knorrigen Steineichen darauf glaubt man ordentlich knattern zu hören, wie die Hitze ihr altes Holz sprengt. Hoch über ihnen schweift der Geier und kreischt seinen rauhen Gesang von Hunger und Liebe, daß einem das Herz im Leibe lacht. Wer das Auge hätte, womit so ein Racker unterm vierzigsten Breitengrad in die Mittagssonne schaut!

 

Harrisburg. – Es fängt an, mir ernstlich bange zu werden, welchen Weg die Kulturgeschichte Amerikas einschlagen wird. Von den Tausenden und Tausenden, die jährlich als Neusiedler in ungebahnten Wildnissen sich niederlassen, erwartet man, wie billig, nichts anders als die erste roheste Arbeit. Pioniere der Kultur heißen sie, die Kultur selbst soll ihnen erst nachrücken. Von dieser nachzurückenden Kultur wird man aber wieder die großen See- und Handelsstädte abziehen müssen, deren Leben Taumel ist – Taumel des Geschäfts und Taumel des Genusses. Nun dächte man, läge die Kultur in der Mitte; sie läge in jenen glücklich situierten Städten, die, gleich entfernt von der Roheit des Hinterwäldlers und von der Verderbnis der Seehafen-Aristokratie, Besitzer eines ruhig arbeitenden Kapitals sind, das den bürgerlichen Atmungsprozeß in normalen, gesunden Schwingungen vollzieht. Mit dieser Erwartung betrat ich Harrisburg. Harrisburg ist in jeder Hinsicht ein reinerer Sitz des amerikanischen Deutschtums als Philadelphia. Unsere Kinder sollen nicht englische Affen werden, sagten die deutschen Ansiedler Pennsylvaniens, welche mit einem Grundstock guter protestantischer Bildung herüberkamen, deutsche Schulen anlegten, deutsche Lehrer und Pastoren mitbrachten und sie noch lange, oft mit großer Aufopferung aus Deutschland, namentlich aus Halle, der damaligen Metropole deutsch-theologischer Gelehrsamkeit, verschrieben. Wohlan, die Söhne und Enkel dieser Rektoren, dieser Pastoren, dieser Offiziere aus Washingtons Armee, dieser braven, bildungsfähigen Pennsylvania-Bauern bilden den Grundstock der hiesigen Bevölkerung. Ihr altes Vater-Erbe hat seitdem zehn- und hundertfachen Bodenwert erreicht, das Bauerngut rentiert längst als Rittergut, oder es ist vorteilhaft verkauft – kurz, diese ganze Gesellschaftsklasse ist aus dem bäuerlichen in den bürgerlichen Rang vorgerückt: sie ist der Stadtkern von Harrisburg. Aber wie sieht sie aus, diese deutsch-amerikanische »Gentry«, die es mindestens sein könnte in so gutem Sinne wie die englische? Ihr Wohlstand ist gewachsen, ihre Bildung nicht. Sie hat zu streben aufgehört, genau auf jener Stufe, wo die Not und der Kampf um die Existenz aufgehört hat. Ich habe Häuser von Reichtum und gesellschaftlichem Rang betreten, aber ihre Bibliotheken waren nicht hinaus über den hundertjährigen Kalender, Doktor Fausts Höllenzwang, Theophrastus Paracelsus, Jakob Böhme und Burkard Waldis. Das neueste deutsche Buch, das ich in Harrisburg fand, waren Gellerts Fabeln. Von den bessern deutschen Charakterzügen pflegen sie nur noch den Hang für Gartenkunst; von der anglo-amerikanischen Rasse haben sie den Sport für Pferde angenommen, die aber bei allzu reichlicher Fütterung mehr dick als schön werden. Das ist alles. Eine sanfte, unschuldige Ehe der National- Liebhabereien, kein Durchdringen des National- Geistes mit großen, produktiven Resultaten, keine Kreuzung des Besten und Edelsten von deutsch und amerikanisch zu einem neuen Menschheits-Adel, wie wir es als möglich – träumten!

Diese Mischung von Nationalitäten, eher zu einem Zerrbilde als zu einem Ideale, finde ich wie in einem Spiegel in dem Sprach-Kauderwelch des Pennsylvania-Deutsch abkonterfeit. Es wird einem ach und weh, an einem lebendigen Organismus eine so fortschreitende Verödung – möchte ich als Arzt sagen – zu beobachten. Ein Fischer z. B. spricht: Below werden die Fische umgepackt, inspected und dann wieder vereingepackt again. – Ein Tischler erklärt: Wenn Sie ein loghouse bauen wollen und dasselbe inwendig geplasterd und von außen geclapboardet wird, so kostet es siebenhundert Dollars. – In einem hiesigen deutschen (?) Blatte fand ich folgende Blüette; ich bemerke aber, daß die Sprache darin noch lange nicht die verdorbenste ist.

 

1. Sechs Monate nach der Hochzeit.

Well, liebe Härriett, willstu heute abend auf den Ball gehen? Du weißt, wir sind höflich eingeladen worden. – Just wie du sagst, William, du weißt, ich wünsche nichts zu tun, als was dir Vergnügen macht. – Well, denn Härriett, suppos wir gehen, das ist, wenn du perfektly willens bist; nau, sag' aber nicht ja, just weil ich so sage; denn du weißt, wo du bist, da fühle ich mich vollkommen glücklich. – Ei, lieber William, ich weiß, daß du auf dem Ball Vergnügen haben würdest, und wo du vergnügt bist, da habe ich auch, of cours. Was für 'nen Dreß soll ich antun, William? meinen weißen Gaun oder den groben mit pink Trimmings, oder den schwarzen Merino, oder den weißen Satin? Du weißt besser, was mir gut steht. – Liebe Härriett, du bist schön in jedem Dreß. Nau, nimm heute abend deine eigene Wahl. Ich denke aber, dein weißer Satin Dreß steht dir ausnehmend schön. – Nun sieh, William, ich wußte, daß du just meine Gedanken haben würdest. O wie glücklich werden wir heut abend sein!

 

2. Sechs Jahre nach der Hochzeit.

Härriett, reich mir mal' die Zuckerbohl, du hast mir just einen Teelöffel voll in meinen Tee getan. – Well, William Schnuck, du juhst wahrhaft Zucker genug in deinen Tee, um ein Barrel Essig süß zu machen. Hier Tschanni, witt du die Finger aus der Schüssel tun? Susen, sei still! was die kleine Sau net kreischt; wahrhaftig 's ist genug, um eins närrisch zu machen. Witt du still sein! Da! da! (sie schlägt) du kleiner Satan! – Ei, Härriett, was hat denn das Kind getan? Du bist wahrhaftig zu schnell. – Ich wollt', Mister Schnuck, du tatst deine eigne Büßnes meinten; du bekümmerst dir allsfort, um was dir nichts angeht. – Wäll, Härriett, ich möchte wissen, wer ein besseres Recht hat als ich? Du zankst und maulst ja auch immerwährend. – Däddi, Tschanni zerreißt Eure Zeitung zu Stücken. – Tschanni, komm her. Wie kannst du dich unterstehen, meine Zeitung zu zerreißen? Da, du Räskel! wie schmeckt das? Und nau pack dich ins Nest. – Ei William, du Bösewicht, wie kannst du mein Kind so unvernünftig schlagen? Komm her, Tschanni, armes Kind! hat's weh getut? never min; da, da, nimm ein Stück Zucker; so, das is'n schmär Bübchen. – Härriet, ich will dir sagen, du verdirbst die Kinder ganz und gar. Du weißt, ich mittle mich niemals drein, wenn du ein Kind bestrafst. Es ist erstaunlich, was ein Weibsmensch niemals recht tun kann. – Nie recht tun? Wahrhaftig, Mister Schnuck, wenn niemand hier im Hause recht täte als du, so wundere ich, was am Ende aus uns werden sollte. – Härriett, du sprichst wie ein Narr, ich will's nicht länger ständen. Du bist anfangens so schnappisch und beißig, wie 'n Bschidog, und wenn noch irgendeine Ehescheidung im Land zu haben ist, will ich sie haben. – Hallo, was das Männchen so wütig ist! Well, gute Nacht, Mister Schnuck, träume nichts Böses! –

 

Kannst du dir in dieser Sprache einen Dichter denken? Eine Nationalität aber, die keiner Dichter fähig ist, gleicht einem Baum, der keine Blüten treibt. Sie ist abgestorben. Das ist der Fall mit dem Pennsylvania-Deutschtum.

Nimm mir diesen Brief nicht übel, lieber Bruder. Sein ganzer Inhalt zeugt gegen dein Ideal. Aber nicht wahr, wir sind nach Wahrheit ausgegangen?

 

Harrisburg. – Mein Pferd ist gekauft. Ich bin mit meinem Entschlüsse vortrefflich zufrieden. Das Reiten hat etwas Aufheiterndes, Idealisches, Dramatisches, – es ist die schönste Szene zwischen Mensch und Natur. Mein Brauner ist ein leichter und kräftiger Traber, echtes Rassepferd, nur die Schule fehlt etwas; der Amerikaner ist nicht der beste Zureiter. Aber es ist jung, und ich werde es noch erziehen. Dann wollen wir in Huf und Gehirn manch schönen Rhythmus miteinander tanzen. Warum soll ich nicht eine eigene Gangart erfinden: die lyrische? Pegasus hat sie gehabt, aber sie ist seitdem vergessen worden; die Flügel sind nur ein Symbol davon, ich will den Begriff selbst wiederherstellen. Apropos! die Art, wie das Tier zum Kaufe stand, ist originell genug. Es war einer jener charakteristischen Yankeepuffs, welche das hiesige Volkstum so weltbekannt kennzeichnen. In dem Harrisburger Advertiser las ich die Annonce: »Ein Pferd zu verkaufen gegen die Insertionsgebühr. Bei Mr. Bradley, Washington Square.« Ein Pferd gegen die Insertionsgebühr! Mein erster Gedanke war: dieser Mr. Bradley sei selbst ein Puff; existierte er aber, so verdiente er sich jedenfalls einen Besuch. Und siehe! er existierte wirklich. Mr. Bradly in Washington Square war ein munterer alter Fuchs mit grauem Kopf, zwei hellen Äuglein und einer glühroten Nase. Sein Tier kostete hundert Dollars. Darüber läßt sich sprechen, sagt' ich, für ein Reitpferd ist's ein Preis; aber für eine Insertionsgebühr? wie geht das zu, Mister, he? Sehr einfach, Mister, sagte der alte Schelm; kündige ich das Pferd mit seiner ganzen Beschreibung an, so brauch' ich die halbe Spalte, und es kommt doch niemand, die Sache ist zu gewöhnlich. Diese Annonce dagegen spart mir Geld und zieht brav. Steht mir der Käufer einmal im Hause, so läßt sich schon eher ein Geschäft machen; die Hauptsache ist, daß er hereinkommt. – Sehr wahr, Mister; aber der Zeitverlust von Seiten des Publikums? Wißt Ihr auch, daß man Euch verklagen könnte auf den Wortlaut der Annonce und wahrscheinlich recht behielte in diesem Lande, wo Zeit Geld ist? – Gar nicht, Mister; ich würde in diesem Falle ein Redaktionszeugnis vorlegen und beweisen, daß ich wirklich 100 Dollars Insertionsgebühr bezahlt; welcher Gerichtshof der Union kann dem Redakteur seine Preise vorschreiben? – Ist das nicht echt yankeesch? In der Tat wurden wir bald des Handels eins; es handelt sich wunderleicht mit dem Amerikaner, wenn er Menschen vor sich hat, die seinen Kram verstehen. Und meine gute ungarische Pferdekennerschaft ließ sich kein X für ein U machen. Das Tierchen ist übrigens wirklich preiswürdig, heißt auch Cäsar, wie in diesem bombastischen Lande überhaupt alle Pferde entweder Cyrus oder Cäsar heißen. Wäre der Fall seltner, so würd' ich vielleicht abergläubisch sein und sagen: Nun reis' ich mit Cäsars Glück! Indes wollen wir sehen.

 

Nach Pittsburg. – Mein Weg geht jetzt durch die Region der Alleghanies. Leider halten sie nicht, was sie bei Harrisburg zu versprechen schienen. Dort schlitzte der Susquehanna das Gebirge bis auf sein innerstes Knochengerippe auf und zeigte Fels und Gestein. Das sehe ich nun schon lange nicht mehr. Fels und Gestein ist überpolstert mit dem philiströsen Alluvialboden, – und diese Polster heißen die Alleghanies. Nirgends hat sie der Vulkanismus kräftig gehoben und zerrissen, er begnügte sich mit einer leichten Verbiegung und Verschiebung der neptunischen Tafelschichten, und nichts kann eintöniger sein als die parallele Regelmäßigkeit dieser Gebirgszüge. Ihr Material ist ein Gemengsel von Trapp und Granit, metamorphosiertem Gneis- und Glimmerschiefer, der wilde Phantast Melaphyr oder Augitporphyr, Trachit oder Dolomit spielt keine seiner hochromantischen Rollen hier. »Ein unentwickeltes Bergsystem« nennt die Wissenschaft solch mürbes Pastetengebäcke, – genug, das Genre ist langweilig, es heiße, wie es will. Die Amerikaner sehen es freilich vom Nützlichkeitsstandpunkte aus und sind außerordentlich zufrieden damit. Eine solche Bodenfiguration erleichtere den Verkehr, sei der Kanalisierung günstig, ja, sie rühmen sich, Wasserscheiden zu haben, über welche bei Überschwemmungen ein Kahn schon natürlicherweise hinwegkomme! Gut für die Ökonomie des Volks, aber gewiß schlimm für die Entwicklung seiner höheren Anlagen. In der Tat wird mir im Anblick dieser Alleghanies die prosaische Sinnesrichtung Bruder Jonathans ein gutes Stück klarer. Genauer hingesehen, kommt aber auch sein Materialismus zu kurz dabei. Denn seine Gebirge, indem sie nur Hoch-Plateaus sind, bieten dem Wind und Wetter viel breitere Flächen, ermangeln der »geschützten Lagen«, und Höhen sind hier rauh, in welchen bei uns noch Rebe und Kastanie blühte. Unermeßliche Strecken fallen so für den Anbau aus; bedenkt man aber dazu, daß auch die fruchtbaren Flußtäler, als Bruthäuser des Fiebers, in starken Abzug zu bringen, so wird Amerika überhaupt viel kleiner, als die Götzendiener der Quadratmeilen gewöhnlich ausrechnen. – Ich sprach von Wind und Wetter, die sind gleichfalls prosaisch in den Alleghanies. Gestern erlebt' ich ein Gewitter, das war so zahm, daß es mir fast aus der Hand fraß. Alles, was ein Gewitter in europäischen Mittelgebirgen gleicher Höhen an Effekten der Optik und Akustik leistet, fehlt hier. Engpässe, Schluchten, Abgründe, reichgegliederte Bergwandungen, Zacken, Spitze, Kante – nichts dieser Art wirkt hier auf die atmosphärische Landschaft zurück. Überraschende Lichtwechsel, kühne Wolkenbildungen, starke Donner, phantastische Echos gehören nicht zum Heerbann des Alleghany-Gewitters. Der Himmel ist so arm wie die Erde. Droben geistlos, drunten formlos – so reise ich durch dieses »unentwickelte Bergsystem«.

 

Nach Pittsburg. – Auch die heutige Strecke war arm an Naturschönheiten. Manch freundliche Ansicht – aber man wird das Freundliche doch endlich müde, wenn es ewig das Nämliche bleibt. Es fehlt gar zu sehr an Abwechslung. Die amerikanische Landschaft gleicht jenen Weibern, welche eben nichts zu sein wissen als Geschlecht. Da ist ein gewisses Inventar von natürlichen Mitteln; wirken sie – gut; wenn nicht – nicht. Aber Holz und Wasser ist noch nicht Wald und Fluß. Überall fehlt der Natur Sinn für schöne Gruppierung; sie weiß nicht zu überraschen, nicht zu zürnen, nicht zu versöhnen; was Licht und Schatten, was die Macht der Nuance sei – nichts weiß sie, nichts. Jener Ober-Chinese, der den Ausdruck erfunden hat »Vorratskammern der Natur«, verdient Entschuldigung; was ich von dem Lande hier sehe, hätt' ich ihn selbst erfunden. So und so viel Zentner Braunkohle, Eisenstein, Gips, Mergel, das ist hier die Natur. Ob diese »Bodenschätze« (auch ein verfluchtes Wort!) mit einer malerischen Oberfläche das Auge erfreuen, dafür ist nirgends gesorgt. Auch von »Kulturlandschaft« ist eigentlich nur unter deutschen Händen die Rede. Amerikanische Kultur entstellt das Land eher, als daß sie es verschönert. Der Amerikaner ist nicht Bauer, nur Freibeuter. Er setzt seinen Fuß auf die Erde, haut, sticht, sengt und brennt in sie hinein und verläßt sie dann wieder. Er hat kein Gemütsverhältnis zum Boden, auf dem er sitzt. Sein Haus liegt da wie ein viereckiger Kasten, der vom Möbel-Transportwagen herabgefallen ist. Es blickt dich an, so kalt, so nüchtern, ohne Horizont, ohne Perspektive. Kein Blumengarten, kein Baumschatten umgibt es mit traulichem Gehege. Die Felder sind ein wüster Anblick, kaum aus dem Gröbsten gearbeitet, hastig, oberflächlich, denn die Arbeit ist teuer, das Land wohlfeil, man preßt's eilig aus, verkauft und verläßt es dann. Die Zickzack-Zäune, die sog. Virginia-Fenzen vollenden den widerwärtigen Anblick. Es ist geradezu eine Marter für das Auge, einen weiten Landstrich zu sehen, angefüllt mit dieser Unzahl gebrochener und geknickter Linien, – die »freie Natur« in lauter Dreiecke ausgenestelt. Und wie die einzelne Farm, so die Gruppe. Ihr Nebeneinander gibt so wenig ein harmonisches Bild, als zusammengeflossene Kleckse ein Gemälde geben. Ein Dorf suchst du vergebens hier. Ist das Blockhaus-Stadium überwunden, so baut sich das Nest aus Stein oder Fachwerk auf, übertüncht sich mit schreienden Lackfarben und nennt sich Stadt. Die Kaffern heißen dann Ladies und Gentlemen, ihre ABC-Schule Universität, ihr Gemeindehaus City-Hall, sie führen Eau de Cologne, abonnieren ein Pariser Moden-Journal und auf den Karten findest du die ganze Hühnersteige unter dem Namen Athen, Rom, Troja, Karthago, Syrakus, Petersburg, Nanking. Oft kommt die ganze Stadt auf dem Transportwagen, noch glänzend vom Hobel her, und stellt sich auf wie aus der Puppenschachtel. Fällt dir vor solch einem lackierten Ding irgendein bemooster Dorf-Knorren in Franken oder Schwaben ein, so vergehen dir alle Sinne. Es sind gar zu scharfe, schneidende Lichter in diesem Lande.

 

Nach Pittsburg. – Müde und hungrig erreichte ich gestern abend ein einzelnes Haus an der Straße, ein sogenanntes Privat-Entertainement, das sich aber doch mit seiner Aufschrift auf einer Schindel, welche an einem Pfahl steckte, ein County-Hotel nannte. Ich resignierte auf ein sumptuoses Souper in dieser Taverne und nahm mit zufriedenem Herzen, was da war – eine Tasse schlechten Tee dazu ein paar Eier und gebratenen Speck. Indem ich an diese Tafelgenüsse aber Hand anlege, fährt ein Gespenst aus einer dunkeln Stubenecke auf, ein alter gelber Knochen, ein Mensch wie eine Leiche und donnert mich an: Halten Sie ein, mein Herr! Die sündige Kreatur soll nicht Speis und Trank genießen, ohne ihm, dem Geber aller Gaben, zu danken. Ich starrte den Klappermann an wie einen Verrückten, diagnostizierte auf Gehirnvertrocknung und glaubte deshalb ihm sein Attentat verzeihen zu müssen. Ruhig setzte ich mich an mein Gericht. In diesem Augenblicke aber riß mir die Wirtin so Tasse als Schüssel vom Munde weg und rief: Wenn Sie der Aufforderung unsers frommen und ehrwürdigen Reverend nicht Folge leisten, mein Herr, so habe ich für Gottesleugner kein Brot unter meinem Dache; dazu ist mir das Heil meiner Seele zu lieb. Was war zu machen? Ich selbst hätte hungern können, aber meinem Gaul zuliebe betete ich. – We are in a free country! Mit diesem Zucker schluckt man solche Pillen hinunter.

 

Nach Pittsburg. – Gewitzigt von gestern abend, dirigierte ich mich heute in ein Städtchen, dem ein frequenteres Hotel zuzutrauen war, als daß es die Andachtsübungen seiner Gäste überwachen sollte. In der Tat war es so frequent, daß ich's von oben bis unten besetzt fand, als ich ziemlich spät vortrabte und den schläfrigen Steward herauspochte. Er schleppte mich ein halb Dutzend Etagen unters Dach hinauf und warf meinen Leichnam in eine enge niedere Bodenluke wie in die Wolfsschlucht. Ich fiel fast um, als sich beim Eintreten ein Schwaden schwüler Stickluft mir auf die Lunge legte, auch glaubt' ich's rascheln zu hören. Desungeachtet behauptete der Aufwärter, es sei der einzige freie Raum im Hause. Unter diesen Umständen hieß ich ihn das nötigste Bettzeug mitnehmen, ich wolle mich lieber auf irgendeinem Balkon oder Vorhaus, oder wie es sonst käme, einrichten. Indem wir deliberierten, gingen wir im ersten Stock an einem allerliebsten niedlichen Zimmer vorüber, das offenstand und unbewohnt war. Hier ist's ja frei, bedeutete ich dem Hausknecht. Das ist das parlour of the Ladies, sagte er gleichgültig und ging weiter. Ich starrte ihn an, wie gestern den Reverend. Wie? ein müder Reisender soll um Mitternacht auf ein Zimmer verzichten, weil am Tage darin die Weiber plaudern? Augenblicklich warf ich meine Betten hinein und hieß den Burschen mir zum Auskleiden leuchten. Aber Sir, es ist das parlour of the Ladies! blökte der Golem und hatte fast Lust, mich am Ärmel fortzuziehen. Ich schleuderte ihn aber sehr unsanft auf den Gang hinaus – ich war wie ein angeschossener Eber. Gestern kein Nachtessen, heute kein Bett – der Teufel hole diese Volkssitten. Ich zog mir die Stiefeln aus. Der Ölgötze auf dem Gang glotzte mich an wie einen, der die Welt aus ihren Angeln hebt, und brummte: Was wird Mister und Mistreß dazu sagen; ich muß es melden. Meld' es dem Peter Bell! rief ich, aber wer mir heraufkommt und mir die Nachtruhe stört, dem jag' ich eine Kugel durch den Kopf. Damit wies ich ihm die Mündung meiner Pistolen, warf die Tür ins Schloß und war für diesmal zu Hause. Es ließ sich niemand mehr blicken. Ich erleichtere mein Herz, indem ich noch diese Zeilen an dich schreibe und den hübschen Kanarienkäfig mit dem Behagen eines Eroberers durchmustere. Ginge die Reise nicht so langsam, ich müßte längst in Ohio sein. Aber die Tage sind heiß und ich mache Kreuz- und Querzüge in allen Richtungen von der Straße ab. Will mich indes doch sputen, denn du siehst wohl, wie wenig behaglich ich reise. Im Urwald sind wir eine Welt für uns und wollen auf zwanzig Meilen ein Beispiel sein. Ja, allmählich geht der Umschlag in mir vor, ich halte nicht mehr zu diesem Lande, um Muster zu sehen, um Muster zu geben. Diese Freien müssen durch uns Verknechtete ein wenig freier werden. Gute Nacht, Bruder.

 

Nach Pittsburg. – Lieber Bruder! Ich habe dir heute eine schmutzige Novelle zu erzählen, die ich zuletzt mit meinem Tränen wusch. Ja, es ist mir verhängt, ich soll dieses Landes nicht froh werden. Ich spreche von meiner Nachtherberge. Wollte mich heute einmal in ein Privathaus zu Gaste bitten, an einen traulichen deutschen Familienherd. Denn eine deutsche Farm war's, die abends vor mir lag, – man kennt solche Hofstellen schon meilenweit. Der Garten, der sich sanft um einen schwellenden Hügel wand, strotzte von köstlichem Edelobst – das zieht nur der Deutsche. Feld und Hof umkränzten grüne lebendige Hecken und nicht jene abscheulichen Fenzenzäune des amerikanischen Stils – es sind nur deutsche Zäune. Und wie die Furchen des Ackers, die Bewässerungsrinnen der Wiesen gezogen waren, der Schwung und Schluß in dem ganzen Feld- und Waldwuchs umher, das alles verriet die Hand, die die Natur nicht beraubt, sondern sinnig pflegt, die deutsche Hand, die das Genie hat, ihre Erde so zu zieren wie der Franzose seinen Menschen. Es war nach längerer Zeit wieder die erste deutsche Farm, die mir begegnete – der Gedanke, hier Einkehr zu halten, tat mir in der Seele wohl. Meines Wegs zog ein junger Mensch von wohlgefälligem Äußern. Er saß ritterlich in seinem Sattel, handhabte volle prächtige Glieder und sah mit einem warmen, fast schwärmerischen Blick in die Welt hinaus; mich überraschte seine Jünglingsschönheit. So, dacht' ich, müßten die Coopers und Irwings aussehen, ein gewöhnlicher Amerikaner ist selten schön; soll er der Sohn jenes Hauses sein, so sei mein Eingang gesegnet.

Letzteres äußerte ich denn auch, indem ich das Gespräch anknüpfte.

Der Sohn dieses Hauses?! rief er schnell und mit Abscheu, Gott bewahre mich davor!

Wieso? fragt' ich betreten, ist der Besitzer dieses Landgutes ein schlechter unmoralischer Mensch?

Nein, war die Antwort.

Dann ist sein ganzes Verbrechen wohl nur, daß er ein Deutscher ist? erwiderte ich nicht ohne Gereiztheit.

Ja, er ist ein Deutscher, bestätigte der Jüngling, aber mit einem unnachahmlichen Zug von Verachtung; auch gebrauchte er nicht das Wort German, sondern Dutchman.

Mir wallte das Blut, und nur ein Blick in sein schönes Auge begütigte mich wieder so weit, daß ich dem Verächter mit Mäßigung seine Gründe abfragen konnte.

Der Jüngling war mir willfährig, obwohl ich zu bemerken glaubte, daß es mit Widerwillen gegen das, was er zu sprechen hatte, geschah. Er zog die Zügel an, ließ sein Tier kurzen Schritt gehen und erzählte mir folgendes:

In Philadelphia war einst eine Schiffsladung von deutschen Paupers gelandet, unter andern eine Familie, die aus Mann, Frau, zwei Knaben und einem Mädchen bestand. Sie wurden auf zeitweilige Dienstbarkeit versteigert, wie es zur Schadloshaltung des Kapitäns in Fällen der mangelnden Bezahlung für die Überfahrt gebräuchlich ist. Mein Vater erstand den Mann, Martin oder Merten, wie er sich aussprach, Mr. Howth, ein Nachbar von uns, die Frau mit dem Mädchen; die Knaben wurden an einen dritten Ort vergantet. So ging die Familie in drei Bruchstücke auseinander, sie zeigte übrigens keinerlei Leidwesen darüber, namentlich der Mann nicht. – Als mein Vater den deutschen Mann auf seinem Wagen mit nach Hause nahm (ich war als junges Kind mit dabei, erinnere mich aber sehr wohl daran), da huckte dieser ein gewaltiges Bündel von Lumpen auf seinen Rücken auf, ein Ding, das einen entsetzlichen Gestank verbreitete. Mein Vater befahl ihm sofort das Zeug an sein Weib zu überlassen, oder noch besser, es in den Delaware zu werfen. Der Mann bat aber so dringend, so untertänig, seine Habe, wie er den Schmutz nannte, behalten zu dürfen, daß es ihm endlich erlaubt wurde, aber unter der Bedingung, hinten beim Neger damit Platz zu nehmen. Kein Weißer des hiesigen Volks hätte sich das gefallen lassen, der Deutsche aber nahm es hocherfreut an.

Als wir zu Hause ankamen, wies ihm mein Vater eine unsrer verlassenen Negerhütten an, wie sie aus der Sklavenzeit Pennsylvaniens noch auf den Höfen standen, seitdem aber unbewohnt und unbenutzt geblieben waren. In dieser verlassenen Hütte nun deponierte Martin jenes schmutzige Bündel, und bald diente dasselbe statt eines Vorhängeschlosses, denn Gestank und Ekel trieb auf zwanzig Schritte Distanz jeden Menschen aus dem Umkreis; zum Hineintreten war außer Martin selbst einer der Unsrigen nie zu bewegen. Inzwischen vermehrte der Deutsche diesen Schatz noch täglich mit allen Lumpen, die er habhaft werden konnte; zerfetzte Kleider, abgelegte Hosen, vernutzte Strümpfe, das alles sammelte er wie toll zusammen und hinterlegte es in seiner Depositenbank. Sonst waren wir mit dem Manne ganz gut zufrieden, er arbeitete fleißig und umsichtig, verstand die Landwirtschaft vortrefflich, und wo sie vom deutschen Stile abwich, zeigte er sich ganz besonders aufmerksam, die Ursache davon zu begreifen und zu lernen, was zu lernen war. Dabei erlaubten ihm seine Begriffe von häuslicher Ökonomie kein einziges Mal, sich vom Hause zu entfernen, obwohl ihm mein Vater wiederholt die Freiheit einräumte, sein Weib zu besuchen. Wozu die Schuhe zerreißen? war immer seine Antwort; und als die Frau mit dem Töchterchen in fünf Jahren einmal zu ihm kam, ließ er sie hart an, daß sie die Schuhe nicht spare. Auch seine beiden Knaben besuchten ihn einst, die waren barfuß hergelaufen und kamen schon gnädiger weg; nur fragte er sie, ob sie unterwegs hübsch gebettelt? Trotz alledem wollten wir den Menschen nehmen, wie er war, und der Vater hatte sich so sehr an Martin gewöhnt, daß er beschloß, nach Ablauf seiner Dienstzeit ihm ein fünfzig Acres zu verlehnen samt einem Häuschen, das zu derselben Zeit leer werden sollte. Als nun diese Zeit bis auf acht Tage heranrückte, kam Martin eines Morgens zu meinem Vater und redete ihn an: Squire, wollen Sie mir wohl erlauben, morgen hinüber auf die Auktion nach Bedford zu gehen? – Auf die Auktion nach Bedford, Martin? was wollt Ihr auf einer Auktion erwerben? erwiderte mein Vater; es werden, soviel ich aus den Zeitungen ersehe, zwei Sheriff sales über zwei Farmen morgen abgehalten, davon jede dreihundert Acres Landes und Wohn- und Wirtschaftsgebäude hat, die wenigstens auf fünftausend Dollar geschätzt werden. Die wolltet Ihr doch nicht erstehen? – Ja, wenn's auf den Willen ankäme! Indes habe ich so lange meine Schuhe gespart und diesmal kommt mir es just in den Schuß. – Nun so geht, erwiderte mein Vater; nehmt den alten Rappen und hier ist ein Dollar als Zahlungsgeld für Euch und das Tier; aber daß Ihr nachts wieder zu Hause seid! Wirklich war Martin pünktlich auf die Nacht zurück, hatte aber seinen Dollar gespart und mit dem Pferd nichts als ein paar Pfund Brot genossen, die er vom Hause mitgenommen. Das Tier fiel nämlich mit solchem Heißhunger über den Hafer seiner heimatlichen Krippe her, daß ihm seine Diät nur allzu sprechend abgemerkt wurde. Ich war mit meiner scharfen Kinder-Aufmerksamkeit bei der Fütterung zugegen und verstand mich darauf, denn das Pferdewesen war seit dem frühsten Knabenalter meine Leidenschaft. – Am folgenden Morgen sprach Mr. Gordon, der damalige Sheriff, bei uns vor und gratulierte dem Papa von wegen des guten Kaufes, den er mit Hawkes Farm getan. Ich habe Hawkes Farm gekauft? hörte ich den Vater verwundert ausrufen; welcher Müßiggänger trägt solch unnütze Reden durch die Grafschaft? Der Sheriff schüttelte den Kopf und zog statt aller Antwort das Auktionsprotokoll aus der Tasche, in das mein Vater sogleich neugierige Blicke tat. Wen erblickte er als Käufer der Farm? Niemand sonst als unsern deutschen Knecht Martin. Wir trauten unsern Sinnen nicht. Der Mann wurde augenblicklich gerufen und zur Rede gestellt. Verzeihung, Squire, sagte er unbefangen, ich habe die Farm gleichsam stillschweigend auf Ihren Namen gekauft, da ich als Redemtionist noch nicht mein eigener Herr bin, sondern erst nach acht Tagen es werde. Unser ganzes Haus starrte den Menschen sprachlos an. Aber wie in aller Welt, Ihr verdammter Narr, wollt Ihr denn die Farm bezahlen, mein Name ist ja noch nicht meine Kassa! Da lächelte der Kerl verschmitzt in sich hinein und stolperte nach seiner Hütte, wo er den bewußten Sack mit seinen stinkenden Lumpen auf den Fußboden auszuschütten begann. Wir waren ihm gefolgt und sahen seinem Treiben mit verhaltener Nase durch die Türe zu. Es war ein Sack, der wohl an die hundert Pfund wiegen mochte, aber wie gesagt, lauter Abfälle von allen möglichen Verbrauchsgegenständen enthielt: durchgeschwitzte Hemden und Strümpfe, Fetzen von Flanelleibchen, Hosen und Pferdedecken, dazwischen Stücke von altem Eisen, zerbrochene Hufeisen, Nägel, Zinn, Blei, Kupfer – alles dies fiel aus dem Sack. Nachdem er ihn gänzlich geleert, kehrte er ihn um und hielt ihn über einen Trog, indem er mit einem Taschenmesser nun auch die Nähte des Sackes, der um und um geflickt war, aufzutrennen begann. Und siehe da! es fiel ein Louisdor heraus, und noch einer und wieder einer, und ein vierter, fünfter, sechster und das ging so fort, bis der ganze Sack nur noch ein löcheriges Gerippe ohne Zusammenhang war. Dann war aber auch die Summe voll und Hawkes Farm in blankem barem Gelde bezahlt bis auf den letzten Dime. Sehen Sie, das ist meine Schatzkammer, sprach der Langverschwiegene bei dieser Enthüllung; nicht wahr, es ist eine so schöne Schatzkammer, als die Bank der Vereinigten Staaten nur sein kann. Ja, ja, staunen Sie nur! Hätte ich gleich bei meiner Ankunft im Lande etwas gekauft, so wäre ich sicherlich betrogen worden oder durch eigene Unkenntnis zugrunde gegangen. Gegenteils hatte ich die Überfahrt und die Erfahrung umsonst, gab den edlen Herren Amerikanern kein Lehrgeld, sondern wendete es so, daß sie mir noch draufzahlten. Ja, ja, sind verdammt pfiffig, die Herren Amerikaner, aber ein Deutscher kann's auch sein. Und dazu lachte der Lump mit einer Selbstzufriedenheit – verdammt seien meine Augen, wenn wir nicht alle schauderten! Dieser totale Begriffsmangel von menschlicher Ehre und Würde, dieses hündische Wegwerfen seiner selbst, diese fünfjährige Niedertracht einer freiwilligen Sklaverei mit Weib und Kind um einer lumpigen Handvoll Dollars willen, und die Meinung dazu, das alles wäre nur weltklug, weltklug im amerikanischen Sinne – wir waren außer Fassung bei dieser Art, sich mit dem niedrigsten Knechtssinn in das freieste Land der Erde einzuschleichen. Warum ich nicht der Sohn jenes Hauses sein wollte, mein Herr! Wohlan, jenes Haus ist's, wovon ich dieses Geschichtchen erzählte. Es ist Hawkes, oder wie es jetzt heißt, Martins Farm. Die Buben sind indes aufgewachsen, gleich mir, und können die höchsten Staatswürden erreichen, die unsere freie und herrliche Verfassung allen Bürgern dieses Landes zugänglich macht; aber noch einmal: Gott behüte mich, aus diesem Blute entsprossen, Gott behüte mich, der Sohn dieses Hauses zu sein!

So erzählte der Jüngling. Dichterisch wie seine schöne Persönlichkeit mich ansprach, wünschte ich nichts mehr, als ich hätte aus seinem Munde eine Dichtung vernommen! Aber leider! jedes Härchen ist deutsch an dem alten Martin; das Porträt ist vernichtend wahr. Und wenn ich nun künftig die schmucken Muster-Höfe der Pennsylvania-Deutschen vorüberreite, so werde ich den stinkenden Sack im Hintergrund riechen – und auch um diese Freude ist's getan!

Der schöne Jüngling bot mir Herberge in seinem eigenen Hause – es war mir nicht möglich, Besiegter, in die Pforten des Siegers einzuziehen. Aber auch von Martins Farm lenkt' ich mein Pferd weg. Ich führte es sachte ab in ein Gehölz, bettete mich diese Nacht ins Gras und weinte über die Nation, welcher alles verliehen ist, nur eines nicht: der alleinseligmachende Nationalstolz.

Später ging der Mond auf, es war das erstemal, daß er mich kalt ließ. Armer Proletaire, dacht' ich, was kann man Elenderes sein, als ein Trabant dieser Erde!

 

Nach Pittsburg. – Heute fiel mir das Herz wie nie. Ich sah den ersten Hinterwalds-Anbau. Grausenhaft! Ich finde kein Wort, das Unversöhnliche eines solchen Anblicks für das europäische Gefühl zu beschreiben. Ist's denn möglich? Was man längst gelesen hat – muß man's mit leiblichen Augen sehen, um es doch noch anders zu finden, als es die Einbildungskraft im Lesen sich dachte? So lesen wir: der Hinterwäldler brennt den Urwald nieder, den er in Ackerland verwandeln will, und denken nichts weiter dabei. Wir stellen uns vor, die Bäume fallen in Asche zusammen und auf diesem Aschendünger, den wir vielleicht noch mit der Egge hübsch ausebnen, erhebt sich das glatte wallende Kornfeld. Wie erschrak ich! Ich bieg' um eine Waldecke und vor mir liegt so ein ausgebranntes Waldfeld. Aber die Bäume sind nicht niedergebrannt, sondern nur angebrannt; sie stehen noch da mit ihren ganzen riesenlangen Stämmen, ja mit ihren Zweigen und Aussprüngen: aber das alles verkohlt! schwarz von oben bis unten! Nun denke dir so einen Wald von rußigen Stummeln; wie sich das abhebt vom samtenen Himmelsblau, vom goldnen Korn dazwischen! Diese Millionen schwarzer Ruten und Spieße aus dem blonden Ährenfeld aufstarrend, in den veilchenblauen Himmelsatlas hineinfahrend! Du bist im Augenblick wie vor die Stirne geschlagen. Der Zügel war mir entfallen, der Puls glaub' ich, stand mir still, so starrte ich mir dieses Bild an – das erste Bild von der Hinterwaldspoesie! Pennsylvanien, das alte Kulturland, geht zu Ende, und dieses Schauspiel werde ich nun öfter haben. Freilich wird sich Aug' und Gefühl dann abstumpfen dagegen – aber – ja, was ich sagen wollte? Aug' und Gefühl dann abstumpfen! Das ist's. Auf dieses eine läuft alles hinaus. Aug' und Gefühl abstumpfen! Leb wohl, Bruder!

 

Nach Pittsburg. – Ich ritt unter der heißesten Mittagssonne über eine menschenleere Prärie. Ich war dem Verschmachten nahe. Meiner Karte nach sollten zwar einige menschliche Wohnsitze nicht fern sein – Connesville, oder Smithfeld, oder Union – aber möglich, daß sie auch nur auf der Karte existierten, möglich, daß ich mich verirrt – kurz, ich ritt über eine unabsehbare Grasebene, und nichts war da, gar nichts. Die Luft glühte wie in einem Hochofen. Kein Vogel, kein Schmetterling, kein Tierlaut weit und breit; was nicht Salamander war, schien tot zu sein. Nur Eidechsen schwänzelten zwischen den verbrannten Grasripsen hin und wieder, die aus den geborstenen Erdritzen hervorkamen, um im tiefsten Moos vielleicht ein verspätetes Tautröpfchen zu lecken. Ich und mein Pferd litten martervoll. Die Zunge hing dem armen Tier weit aus dem Halse, und doch konnte ich ihm meine Last nicht ersparen, denn auf dem heißen Boden, gepeitscht von dem glühenden Steppengestrüpp, war kein menschliches Fortkommen. Ich teilte mit dem Tier redlich den Rest meiner Bouillontafeln und Schokolade, aber zuletzt half alles nichts mehr, was uns allein nottat, war ein Trunk Wasser. Meiner Meinung nach ritten wir auf ziemliche Nähe dem Monongahela entgegen, und ich war sehr beunruhigt, daß das Pferd die Witterung des Wassers nicht hatte. Aber es regte sich auch kein Lüftchen. Endlich merkte mein Auge auf der gradlinigen Fläche eine kleine Erhebung. Der Boden formte sich zu einem jener platten Hügel, die man hier Bluffs nennt, und die, wo sie die Prärie unterbrechen, gewöhnlich einer menschlichen Wirtschaft zur Anlehne bieten. Und wirklich war es so. Als ich dem langgestreckten langweiligen Hügelding näher kam, lag denn so ein viereckiger Farmkasten glücklich vor mir. Aber um das Haus herum regte sich nicht die geringste menschliche Spur; die Tür stand sperrangelweit offen. Die ganze Avenue war nichts weniger als wirtlich. Desungeachtet sprang ich mit beiden Füßen aus den Steigbügeln und war mit einem Satz im Innern der Hütte. In demselben Augenblick erhob sich eine Stimme darin: Um Gottes willen, einen Trunk Wasser! Es war eine Frau, welche angekleidet auf dem Bette lag und offenbar nur einen menschlichen Fußtritt erwartet hatte, um so zu flehen. Die Frau hatte das Fieber. Matt schlug sie die Augen auf, ich las darin, daß ich der Mann nicht war, den sie erwartet, aber Überraschung, Bestürzung las ich nicht darin. Es war die tiefe hohle Gleichgültigkeit der resignierten Verzweiflung. Ohne mich zu besinnen, ergriff ich den Wasserkrug, der bis zum letzten Tropfen geleert war. Die Frau beschrieb mir mit schwacher Stimme die Richtung zu der nahen Quelle und warf sich nach dieser Anstrengung wieder hin wie einer, der ein gutes Testament gemacht hat. Cäsar, der den Wasserkrug sah, trabte instinktmäßig mit mir, und seinen Nüstern mehr als dem todesmatten Gemurmel der Frau verdankt' ich das direkte Auffinden der Wasserquelle. Wir labten uns so eilig als möglich, das Tier ließ ich an dem weidigen Plätzchen, mit dem Krug eilte ich an den Mund der Fieberkranken zurück. Die arme Leidende leerte ihn sofort wieder zur Hälfte. Sie schlug die Augen auf, die einst ein schönes Veilchenpaar waren, ihre Züge verrieten Jugend und weibliche Reize, aber alles hoffnungslos zerstört von Fieber und Seelenleiden. Wir fingen zu sprechen an. Sie war die Tochter eines Marburger Professors; ihr Mann, wie ich hörte, der blühendste und geistvollste Studiosus, der im Hause ihres Vaters Zutritt gehabt. Demagogenhetzen vertrieben ihn. Ich sprach von dem Aufopferungsmut, womit sie sein Schicksal geteilt. Ein schmerzliches Lächeln überflog das Antlitz der Dulderin. Verzeihung, mein Herr, ich war ja Miß Temple von Templetown und unsere Tees gratulierten mir lebhaft zu der Lustpartie. Also Coopersche Roman-Ideale! Welcher Unstern sie in diese wasserlose Steppe verschlagen? Das traurige Lächeln wiederholte sich wieder. Als uns der Landagent hierherführte, waren wir umrauscht von Wasserkräften. Dort floß der Monongahela und hier ein Nebenfluß von ihm. Der eine ist ausgetrocknet, Sie müssen über sein spurloses Bett geritten sein. Der andere ist nur bei Hochwasser hier, sonst auf drei Meilen entfernt. – Da hast du das Ganze der deutschen Auswanderung. Zur Hälfte betrügt man sich selbst, zur Hälfte wird man betrogen; Resultat: ganzer Ruin! Die wenigen Worte hatten das arme Weib wieder so erschöpft, daß sie seufzend aufs Lager zurücksank. Sie trank fortwährend Wasser, aber immer mit weniger Labnis. Der Mann war nach Milch aus, d. h. es mußte ihm gelingen, seiner Milchkuh habhaft zu werden, da das Vieh halbwild hier im Freien weidet. Ich konnte es nicht über mich bringen, die Ärmste einsam zu lassen, obwohl sie es wahrscheinlich tagelang ist. Ich suchte mir die Zeit zu vertreiben. Einen meiner ersten Bücke in der Hütte hatte ein Bücherregal auf sich gezogen; das musterte ich jetzt. Ich fand eine schöne juristische Literatur aufgestellt, dazwischen deutsche und englische Klassiker, Chateaubriands Natchez, Dudens Missouri und ähnliche Phantasiewerke über Amerika. Alles von dickem Staub überzogen. An der Wand hing eine Flöte, deren Mundloch das Kunstwerk einer Spinne ausfüllte. Die Tinte im Tintenfaß war vertrocknet und hatte sich in dürre Krusten gespalten. Neben diesen Betrachtungen griff ich wieder zum Krug und ging hinaus, ihn von neuem zu füllen. Ich entdeckte jetzt einen Pfad, dessen Steigung verhältnismäßig merklich war und der eine Art Aussicht versprach. Ich machte ein paar hundert Schritte darauf vorwärts und übersah bald das Terrain. Der Bluff war eine Erderhebung wie etwa der Kreuzberg bei Berlin oder das Laaer-Wäldchen bei Wien oder der Röderberg bei Frankfurt: von mehreren Seiten vollkommen und wie es schien sterile Ebene, nach einer aber hügeliger Abhang, wo die Quellwasser absickern mochten; in dieser Richtung war auch Feldanbau und etwas Wald. Ein Mann kam von dort herauf, – es war der Mann! Ich erkannte ihn am Milcheimer, den er bei sich hatte, und der leider! leer war. Die Kuh würde nun vor Abend nicht zum Hofe kommen, sagte er. Wir maßen uns übrigens mit unerquicklichen Blicken. Er mich mit Mißtrauen und einer störrischen Menschenscheu, ich ihn einem Ausdruck von Mitleid und Enttäuschung, der vielleicht nicht ganz schmeichelhaft war. »Der blühendste und geistvollste Studiosus« war ein gelbes Gerippe, den das Fieber durch und durch entfleischt hatte, physisch und moralisch aufgezehrt. Ich sprach von Europa, er war still; ich sprach von Amerika, er war stumm; ich sprach von der Wissenschaft, er schwieg; ich sprach von der Landwirtschaft, er antwortete nicht. Ich glaubte endlich sein Herz besser zu treffen und sprach mit menschlichem und ärztlichem Anteil von der Krankheit seiner Frau zu ihm; er unterbrach mich trocken: Das Fieber müssen wir alle durchmachen; – Sie werden auch nicht verschont bleiben, setzte er hinzu und sein Blick fiel mit einem Ausdruck von Neid auf meine Gestalt. Mein Anerbieten, womit ich ihm dienen könne, nahm er übrigens ohne Umstände an; ich möge ihm von Pittsburg ein paar Pfund Pulver und Schrot schicken, er verschieße leider viel und treffe wenig, die Hand zittere ihm noch. An letztere Bemerkung suchte ich wieder teilnehmend anzuknüpfen, er ließ sich aber außer dem Nützlichkeitspunkt in nichts weiter ein und war stumm wie zuvor. Ich fühlte, wie ich ihm zur Last fiel, und nur um der Frau Lebewohl zu sagen, begleitete ich ihn bis an die Hütte zurück. Die Frau war aber eingeschlummert. Ich brauchte mit meinem Abzüge entsetzlich wenig Umstände zu machen. Ich schied aus dieser Farm, wie man sich mit gebildeten Ägyptern begrüßt, – wenn sie Mumien sind und in den Hypogäen liegen.

Das ist das Land, in welchem niemand zugrunde geht, wenn er arbeiten kann! Richtig, gewiß; denn von den Zugrundegegangenen braucht man bloß zu sagen, sie konnten nicht arbeiten. Vom Fieber braucht man nichts zu sagen. O Herr, schicke uns alle Jahre eine Pest, und nimm dafür eins unsrer Vorurteile von uns. – Amerika ist ein Vorurteil.

 

Pittsburg. – Endlich bin ich hier angekommen. Pittsburg ist mit Philadelphia und Harrisburg die dritte Hauptstadt Pennsylvaniens. Sie gefällt mir so wenig wie die beiden andern. Philadelphia, ein aalglattes Quäkernest, Harrisburg, eine Motte und Runzel aus dem vorigen Jahrhundert, Pittsburg brauch ich nicht weiter anzuschwärzen, es ist schon so schwarz genug. Pittsburg ist eigentlich keine Stadt, sondern eine große bituminöse Steinkohle, welche jahraus, jahrein entsetzlich dampft und stinkt, die Luft verpestet und die Geldbeutel füllt. Letzteres entschädigt denn in bekannter Weise den Yankee für alles andere. Die große und volkreiche Stadt hat keine einzige Promenade, auf der man den Kohlenruß ein wenig von sich schütteln könnte, was doch so sehr Bedürfnis ist. Diese Gartenlosigkeit scheint überhaupt ein Grundzug amerikanischer Städte, selbst New York verdankt sein Hoboken den Holländern. Ich werde mich in diesem Rauch- und Schmauchschlot auch nicht länger verweilen, als nötig ist, um verschiedenes ein- und nachzukaufen, dann geht's an den Ufern des Ohio weiter. Der Ohio entsteht hier; die Vereinigung des Alleghany und Monongahela bilden ihn. Der Alleghany ist klar und hell, der Monongahela trüb und schlammig – nehm' ich den Ohio für ein Bild meiner Ansiedlung oder vielmehr des menschlichen Lebens überhaupt? Eine Mischung des Heitern und Trüben, des Lichten und Dunklen, welches die ewigen Gegensätze unsrer Schicksale sind? Wie Gott will! Ich entziehe mich dieser Mischung nicht, liebe sie aber freilich am meisten in dem, was wir bei uns »eine Melange« nennen, da nämlich das lichte Element fette Sahne, das dunkle kräftiger Mokka-Kaffee ist. Solche Schicksalstassen schlürfe ich gerne. Dazu eine brave Pfeife echt Türkischen, einen guten Freund, dem man ein gutes Gedicht vorliest, und muß es sein, irgendein »süßes Schnäbelchen« für die schwächste Seite des menschlichen Herzens, – sufficit! Gott, was man bescheiden ist! und doch handeln sie einen noch herab, und das Leben wird dem Mindestfordernden zugeschlagen.

Meine Sachen, die ich nach Pittsburg adressiert hatte, sind angekommen; ich packte vor allem meine Violine aus und spielte mir steirische Ländler vor. Gott weiß, es ist auch höchste Zeit, daß ich mir ein bißchen Humor ans Bein zeche; soeben laufe ich diese Blätter durch, die von hier an dich abgehen sollen, und erschrecke über das Grau in Grau. Wahrlich, es ist sehr praktisch von mir, einem Kompagnon, den ich mir nachlocken will, eine solche Reisebeschreibung zu liefern! Wärest du nicht der große, heroische Benthal, so würf ich das ganze Geschreibsel in einen Kohlenschlot, wie sie mir zu Dutzenden in das Fenster hereinstarren. Aber ich sehe dich schon, wie du diese Blätter ruhig beiseite legst: – nun gut; das ist Amerika, und das bin ich!

Recht auch; man muß diesem Lande Trotz bieten. Leider! ein Poet trotzt nicht, er zertrümmert. In der Tat, es wird mir täglich und stündlich klarer: ohne dich ist meine Ansiedlung eine Unmöglichkeit. Ich spüre einen Vernichtungstrieb in mir, der einem Kolonisten schlecht zu Gesichte steht. Mein Gehirn ist wie ein Nest von unausgebrüteten Blitzen; es kommt mir oft vor, als müßt' ich Unglück anrichten oder unglücklich werden, wie's keine Zunge nennt. Wie ein Orpheus mit klingenden Saiten die Hölle zu zähmen – dieses Schlags ist meine Poesie nicht. Die Orpheus-Sage ist der Ausdruck der höchsten und mir wahrhaft unbegreiflichen Milde des griechischen Geistes. Ich hätte das infernalische Gesindel zum Kampfe fordern müssen; ich glaube überhaupt: Kampflust ist meine Sangeslust; ich bin ein metrischer Husar. Das Pack, das einem die Blume des Lebens gestohlen hat, das höhere idealische Selbst, mit wohllautenden Akkorden noch anzuleiern, das erfordert eine große Stärke – in der Schwäche! Darum bist du so ein Prachtmensch, weil dich dein Herrgott aus einem Zeug geschnitten hat, das ich für den besten menschlichen Stoff halte. Du wirst dich mit den Höllenhunden nicht auf die Mensur stellen, du wirst ihnen aber auch kein Adagio in die haarigen Ohren träufeln: du hättest deine Eurydike überhaupt nicht mehr auf die Erde zurückgeführt. Nein, du hättest es unternommen, die Hölle selbst wohnlich für sie einzurichten, du würdest die Hölle urbar gemacht haben. Und ich glaube, es wäre dir gelungen.

Ich kann dir nicht sagen, mein lieber Rector magnificus, wie ich mich freue auf deinen Amtsantritt im Urwald. Es muß eine Lust sein, einen Mann, wie dich, sich rühren zu sehen. Ich glaube, die Alten hatten recht, wenn sie die Landschaft vernachlässigten über den kräftigen und anmutigen Menschen darin. Und das taten sie doch mit griechischen Landschaften, was täten sie erst mit amerikanischen! Höchstens ließen sie den Menschen auch daraus weg. Mein Wirt hier hat ein Söhnchen von wunderlieblicher Knabenschönheit; ich lächelte ihn freundlich an, faßte ihn sanft unterm Kinn und streichelte ihm die reizenden Goldlöckchen aus der kostbaren Antonius-Stirn. Das achtjährige Bübchen schnitt aber ein beleidigtes Gesicht dazu und sah mich so pedantisch-altklug an, daß ich's in seinem Innern deutlich sprechen hörte: Darüber sind wir hinaus, du deutscher Narr, du schmeicheltest mir weit besser, wenn du mir das erste Priemchen Kautabak in den Mund schöbst. Es ist gräßlich, ein Volk, von dem man nicht einmal die Kinder lieben kann! – Deß sattl' ich mein Gäulchen noch einmal so eifrig und will nun in Ohio das Plätzchen aufstöbern, wo weder das Fieber noch die Langeweile grassiert, wo es einem so recht bergesfrisch und waldheimlich und wasserkühl zumute wird, daß ich mit gutem Gewissen sagen darf: liebe Deutsche, kommt zu mir, deutsche Feen haben das für euch geschaffen! denn ich hoffe, die Feen sind auch ein wenig emigriert wie die Menschen.

Hol's der Teufel! Indem ich schreibe, wälzt mir der nächste Schlot eine Rauchsäule durchs offene Fenster, daß Herculanum und Pompeji daran ersticken könnten. Und schließ' ich das Fenster, so erstick' ich wieder. Ich schließe demnach dieses Briefpaket, es bleibt nichts anders übrig. Adieu! ich hoffe, von Ohio soll alles besser klingen. La belle riviere nannten die Franzosen den Ohio, und die Franzosen wissen, was schön ist. Aber warum behaupteten sie ihn nicht? Geht's uns mit allem Schönen so? Du hast recht: der Mensch kann nur beginnen!


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