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Viertes Kapitel

Wir werden nicht erwartet haben, daß die Stimmung, in welcher Moorfeld den ersten Blockhaus-Morgen erblickt, und die wir zu Anfang des Vorigen zu berichten hatten, die bleibende seines neuen Lebens geworden. Wir haben sie gewiß nur als eine Krisis erkannt, welche den Wechsel der Gewohnheiten mit Naturnotwendigkeit begleitet. Diese Krisis ging um so rascher vorüber, je heftiger sie sich eingestellt. Es ist am dritten Tage und wir finden Moorfelds Gemüt wieder im Gleichgewichte. Die Schauder der Fremde haben sich gemildert, die Liebe zum Eigentum ist erwacht. Moorfeld fing an, seinem Boden entgegenzukommen. Lag er auch nicht im schönen Ohio- oder Miami-Tale oder am waldreichen Gestade des majestätischen Erie-Sees, so hätte eine reizvollere Außenseite leicht auch als ein Werkzeug der Landspekulation dienen können, um mancherlei innere Schäden damit zu vergolden, wogegen die umsichtigste Auswahl zuweilen nicht schützt. Moorfelds blinder Griff aber – alles in allem – war kein verfehlter. Erst indem er sein Land mit eigenen Augen sah, indem er das Geschäft des Ankaufes ratifizierte und die betreffenden Dokumente eines näheren als flüchtigen Zuschauerblicks würdigte, ging ihm der Begriff des Geschehenen in einem befriedigenden Bilde auf. John Stuterings sogenanntes »Los« war ein Komplex von zwei »Sektionen«, d.h. eine Bodenfläche von tausendachthundertzwanzig Acres. Das ungefähr war einer der größten Realitäten, welche zu dem gleichen Preis erreichbar. Dieser Boden bestand, wenn nicht aus einer romantischen, doch nützlichen Mischung von Wald und Prärie und war, wie Baum- und Graswuchs zeigte, im Ganzen betrachtet, vortrefflich. So kam es, daß Kenner – unparteiische, oder vielmehr eifersüchtige – den Erwerb des neuen Gentleman-Farmers leicht auf den doppelten und dreifachen Wert schätzten, wozu besonders politische Köpfe noch den Umstand rechneten, daß in dieser Gegend der Ohiostrom sich auf die geringste Entfernung dem Erie-See nähere, ein Kanal-Durchstich über kurz oder lang seine Unternehmer finden und die Bodenpreise wohl auf das Zehnfache bringen könne. Mochten nun solche Konjekturen wert sein, so viel sie wollten, und auch hier die allgemeine Sitte wirken, daß, wenn ein Kauf erst realisiert ist, alles umher von den beneidenswerten, aber versäumten Vorteilen desselben genug spricht: genug, Moorfeld hatte wenigstens keinen Mißgriff getan. Die Raschheit seines Herzens war nicht zugleich ökonomische Übereilung.

Diese Raschheit des Herzens lieh dem Ankaufe Moorfelds übrigens doch auch einigen Wert. Und konnten wir gleich nicht so prompt, als Moralisten vielleicht erwarteten, mit dem Geständnis herausrücken, daß »das Bewußtsein einer guten Tat« ihn für sein Grundstück mit jener Selbstverliebtheit eingenommen, welche gewisse Menschen als »Lohn der Tugend« in Kurs bringen möchten: so fing dieses Bewußtsein doch an, freundlich nachzuwirken, nachdem die Abstoßungskraft des ersten Eindrucks der Natur ihren Tribut gezollt. Moorfeld hatte die Genugtuung, das, was noch Liebhaberei an seinem Unternehmen gewesen, die Auswahl der landschaftlichen Lage, einem reinen realen Bedürfnis geopfert zu haben. Damit war das letzte Moment des Gefühligen von seinem Unternehmen abgestreift, damit erst war es ganz Tat. Und da vor Geistern seines Rangs die Tat überhaupt gut ist, so fühlte er diese gute Tat jetzt, wenn nicht mit der Süßigkeit des Tugendphilisters, doch wie einen frischen stählernen Luftstrom, der all seine Nerven ausheiterte. Er war im Fahrwasser der Unternehmungslust.

Zwar die eigentlichen Geschäfte der Besitzergreifung, die Pläne und Arbeiten der Kolonisation, konnten jetzt noch nicht beginnen; Anhorst machte seine Marktfahrt und Benthal war noch nicht da. Moorfeld fand sich vorläufig auf Ferien gesetzt. Aber als ein guter Wirt, der zum Ernste seines Haushalts entschlossen ist, wollte er diese Ferien nicht ungenützt verpassen. Was einem Manne, der zu existieren gedenkt, außer seinem eigenen Schwerpunkte das Wichtigste sein muß, das ist seine Umgebung. Moorfeld verlegte sich zum Erstlings-Anfang auf die Kenntnis seiner Nachbarschaft.

Der nächste Nachbar war ihm Anhorst selbst. Mit diesem Manne ging es ihm sonderbar. Wir haben bei Gelegenheit der Landauktion bemerkt, daß sein erster Anblick ihm einen fast chevaleresken Eindruck gemacht. Moorfeld verwunderte sich, daß dieser Eindruck nicht wiederkommen wollte. Er vergaß, daß das ausgefieberte, dollarhungrige Volk der Yankee-Bauern damals sein vorteilhafter und daß er selbst jetzt sein verdunkelnder Kontrast sei. Was von Anhorst auf der Oberfläche seines Lebens zu erblicken, das war und blieb der Nützlichkeitsmensch. In den ersten Tagen und Stunden zwar hatte Moorfeld alle Ursache, sich dazu Glück zu wünschen. Anhörst assistierte ihm bei dem Abschlüsse seines Kaufes und dem ganzen Notariatsgeschäfte auf dem Landamte zu Lisbon, er ritt mit ihm auf die Hofstellen der Nachbarn und machte ihn mit den Kommunalangelegenheiten des County bekannt, er half ihm die vorteilhafteste Lage zum Neubau einer Farm wählen und stellte ihm den ganzen Schatz seiner praktischen Erfahrungen zur Verfügung, worauf es in Moorfelds gänzlich neuer und fremdartiger Lage so wesentlich ankam. Er legte selbst wieder Hand an Axt und Säge und hatte im Nu sein Log shanty um eine Kammer erweitert, da Moorfeld bis zur Anlegung einer größeren Hofstelle vorläufig bei Anhörst wohnen blieb. Kurz, er sorgte für ihn wie ein älterer Bruder für den Jüngern, ja, um ein weichlicheres Bild nicht zu scheuen, wie eine Mutter für ihr Kind. Aber das alles tat er, nicht weil es freundlich, sondern weil es – zweckmäßig war. Er tat es, wie die Alpenrose blüht oder die Erdbeere reift, auch an Orten, wo kein Mensch ihrer genießt. Moorfeld fühlte sich kaum Gegenstand davon. Denn ein andermal konnte Moorfeld mit ihm einen Ritt machen, vertieft in die warme, begeisterte Ausführung irgendeines Lieblingsgedankens – ihn treulich anzuhören wäre nur der allergewöhnlichste Gemütsinstinkt gewesen. Aber Anhorst war imstande, mitten in solchen Ergießungen den nächstbesten Begegnenden anzureden: was das Bushel Weizen in Cleveland mache, und ob es wahr sei, daß Mr. Youatts Durham-Kuh zu Petersburg ebensogut milche als Mr. Berrys Ayrshire-Kuh zu Neu-Alexander. Daß man aus freundschaftlicher Aufmerksamkeit die ökonomische auch einmal opfern könne, schien nicht in der Begriffssphäre dieses streng geschulten Mannes zu liegen. Moorfeld achtete ihn deswegen nicht geringer. Er fühlte, daß jede Empfindlichkeit hier eine krankhafte wäre, und unterschied sehr gewissenhaft, wo seine Bildungsaristokratie berechtigt sei und wo nicht. Aber freilich konnte er nicht umhin, – wenn nicht zwischen sich und Anhörst, – doch zwischen Europa und Amerika bei solchen Gelegenheiten Vergleiche zu machen und sich zu fragen: warum hat dieses Land den Ruf, daß es sich leichter und freier darin leben läßt als in der alten Welt, wo der Bauer nicht den hundertsten Teil jener Anstelligkeit bedarf wie der amerikanische Farmer. Und er bedachte bei diesem Vergleiche, wie charakteristisch er sich selbst in den beiderseitigen Redensarten ausdrücke, denn der Amerikaner sagt »sein Leben machen«; der Europäer aber »sein Glück machen«.

Über seine Blockhütte hinaus wies die ökonomische Magnetnadel vor allem andern nach New Lisbon. Dort war der Pol für den Landverkehr seines »Townships«. Das soziale Terrain dieser Stadt nahm somit den nächsten Rang unter den Gegenständen seines Interesses in Anspruch.

Leider lag dieses Element in bodenlosester Trübheit. Die Zustände von New Lisbon gehörten zu jenen sittlichen Erscheinungen, welche man nach Jahren nicht durchschauen lernt, aber auf den ersten Augenblick errät. Zweideutig ist der rechte Ausdruck für das Kostüm solcher Mysterien.

So liefen z.B. alle Fäden, denen Moorfeld nach einer greiflichen Autorität zu New Lisbon nachging, in dem Kramladen des dasigen Storekeepers, Mr. Clahane, zusammen und gruppierten sich um Fässer voll Schmierseife, Butter, Schweineschmalz, Whisky, Sirup, Zucker, Kaffee, Mehl, um Haufen von Stiefeln und Schuhen, Röcken und Beinkleidern, Mützen, Umschlagtüchern, Sätteln, Zäumen, Eisen- und Blechwaren, und – um eine schmutzig abgegriffene Brieftasche. Diese Brieftasche war der eigentliche Dämon des Orts. Sie war der Sitz jener geheimnisvollen Kraft, welche in Afrika Fetisch, in Amerika Humbug heißt. Was sie enthielt wußte niemand. Sie enthielt eine lebendige Spinne. Das Netz dieser Spinne war nichts weniger als New Lisbon selbst, die Grundfäden dieses Netzes waren vielleicht angeknüpft in New York, in Baltimore, in Philadelphia, – wer weiß es? wer hat der Organisation der amerikanischen Landjobberei je auf den Grund geblickt? Wer kann sagen, daß Mr. Clahane von der geheimen Polizei der Landspekulatio war und halb Lisbon die Baugefangenen, die er auf die Festung gebracht? Man müßte diese Brieftasche eingesehen haben. Daß eine Stadt auf so ungesundem Platze nicht mit rechten Dingen zugehe, hatte Moorfeld allerdings schon bei ihrem ersten Anblicke herausgefühlt. Das zweite Rätsel blieb nur noch, wie es zuging, daß sie überhaupt im Übel verharrte und nicht weiter wanderte. Dieses Rätsel lag schon in einem durchsichtigeren Helldunkel. Natürlich führte es sich ebenfalls wieder auf Mr. Clahane zurück. Mr. Clahane war Storekeeper, d.h. er versah seine ländlichen Mitbürger mit den Produkten der Industrie und nahm an Zahlungs Statt ihre Naturprodukte dafür. Da fügte es nun ein merkwürdiges Schicksal, daß die Natur stets im Rückstande blieb gegen die Warenwerte des Mr. Clahane. Der hiesigen Natur mochte das allerdings nicht schwer fallen. Wer sich aber vom Schuldbuche des Storekeepers losgemacht, der brachte es wenigstens zu keinem Barersparnis, um den rebellischen Gedanken des Auszuges zu fassen. Konnte aber Mr. Clahane durchaus nicht umhin, auch einmal ein bares Stück Geld herauszugeben, so zahlte er entweder in Banknoten irgendeiner brüchigen Bank, oder er spekulierte auf irgendeine schwache Seite seines von der Passiva zur Aktiva abgefallenen Kunden, und Tausend gegen Eins war zu wetten, daß in den nächsten Tagen hier ein Stallion aus Kentucky, dort ein Uhrenhändler aus Connecticut herbeigeschneit kam und in einem feurigen Vollblutpferd oder einer buntlackierten Stutzuhr das fatale Bar-Geld, der Hebel der Unabhängigkeit, wieder hinwegmanövriert wurde.

Nächst diesem Würdigen war es ein Hochwürdiger und ein Ehrwürdiger, welche sich in die Herrschaft New Lisbons teilten. Die Bevölkerung von mehreren hundert Seelen bestand nämlich aus zwei Konfessionen: Katholiken und Methodisten. Der »Pater« der ersten und der »Reverend« der zweiten trübten nun weiterhin die trüben Verhältnisse dieser Stadtschaft. Die Herren bekämpften sich – wir würden sagen auf Leben und Tod, wenn die Redensart nicht zu europäisch wäre. Aber der Amerikaner bekämpft sich nur auf Leben allein. Die beiden Pfaffen gingen nicht auf ihre gegenseitige Vernichtung, sondern Überbietung und Steigerung aus. So hatte der katholische sein Gotteshaus erst kürzlich in einem Stile aufgebaut, der es zum dominierendsten Gebäude von New Lisbon machte. Die »Kathedrale« war freilich nur aus Schindeln und Latten zusammengenagelt, aber ihre gotische Form imponierte höchlich, und ihr Umfang hätte hundert Lisboner Gemeinden aufnehmen können. Nebenbei, aber ganz im Vertrauen, wollen wir verraten, daß Mr. Clahane das Geld dazu vorgeschossen. Ließ sich doch nun in den Zeitungen aller Seehäfen von dem »Dombau« zu New Lisbon trompeten! ließen sich doch die Abbildungen von New Lisbon jetzt mit der prächtigen Ansicht der Kathedrale bereichern! und ob diese spanische Fliege von Quadern oder Brettern war, lief für die Landjobberei auf eins hinaus. Die Lithographie verstummte für beides, daß aber der Zeichner mit einer schätzbaren Plumpheit und Härte seiner Striche viel näher dem Stein- als Holzcharakter kommen würde, stand von seiner amerikanischen Kunstsinnigkeit ganz von selbst zu erwarten. Dieser Dom-Humbug war erst im laufenden Sommer in Szene gesetzt worden, und der methodistische Humbuger rüstete sich nun gleich umgehend darauf zu antworten. Er wollte nach der Ernte einen Waldgottesdienst, ein sogenanntes Campmeeting, vom Stapel lassen. Zu solchen Monstre-Andachten strömen die Konfessionellen auf hundert und mehr Meilen im Umkreis zusammen, und gelingt es, einen Gastprediger von Ruf dafür heranzuziehen, so hat der Ortsregisseur mit diesem Kassenstück oft einen bleibenden Sieg errungen. Nebenbei, aber ganz im Vertrauen, wollen wir verraten, daß gleichfalls Mr. Clahane es war, welcher dem Reverend zuerst diesen glücklichen Gedanken souffliert hatte. Bei einem solchen Volksauflauf mußte nämlich nicht nur der methodistische Himmel, sondern auch der irdische Storekeeper seinen »Pile« machen; das war klar.

Daß Moorfeld nun zu diesen Ortsautoritäten kein Verhältnis haben könne, stand so ziemlich in der ersten Stunde fest. Die beiden Pfaffen verketzerten ihn gleichzeitig. Der Methodist haßte ihn als einen »Papisten« und der Katholik verschrie ihn gar als »Atheisten«, weil Moorfeld als neu ankommender »Sohn der Kirche« versäumt hatte, ihn zum Tee auf seine Farm zu bitten, was des Paters erster Gedanke, aber Moorfelds allerletzter war.

Auch von Mr. Clahane, sagte Anhörst, haben wir wenig Gutes zu erwarten. Meine Marktfahrten an die Seen wird ihm als Konkurrenz erscheinen, denn er hat im Produktenhandel sein Schäfchen sonst ziemlich allein geschoren. Gut, wir werden Feinde haben, antwortete Moorfeld.

Über Lisbon hinaus verengerte sich der soziale Horizont jener einsamen Gegend. Die übrigen Waldnachbarn Moorfelds waren es nur sehr relativ, denn der nächste lag noch immer zehn Meilen fern. Wir werden nicht Ursache haben, Moorfelds Runde durch dieselben auf jedem Schritt zu begleiten, da weder der rohe Stil dieser kulturlosen Farmen noch das stumpfe Menschentum ihrer Inhaber ihm irgendein nennenswertes Interesse abnötigt. Doch wollen wir einzelne seiner Besuche nicht mit Stillschweigen übergehen.

Gleich den ersten können wir mit seinen eigenen Worten nach einem Brief an Benthal erzählen. Noch war unser neuer Ansiedler nicht dazu gekommen, die Geschichte seines Ankaufs, die Charakteristik von New Lisbon, von Anhorst usw. zu Papier zu bringen, als er sich eines Tages hinsetzte, und folgende Zeilen niederschrieb:

Eine kleine Liebschaft! daß mir aber Möwe ja nicht eifersüchtig wird! Anhorst war nach New Lisbon geritten in Besorgung einiger Allotria zu seiner Marktfahrt. Ich saß in meinem Blockpalast allein, spielte Violine, konzipierte in Gedanken ein paar rückständige Briefe an Dich, welche dem gegenwärtigen vorzudatieren sind und, will's Gott, nächstens auch dran sollen. Aber noch binden sich meine Lebensgeister schwer ans Haus, ich warf Violine und Konzepte bald hinter mich und trabte auf ein paar Meilen ins Freie hinaus. Ohne meinen Stallmeister sollt' ich's freilich bleiben lassen, meine wilde Grafschaft zu inspizieren; das Ländchen hat so wenig Weg und Steg als der blaue Himmel oder das grüne Meer. Es ging mir auch darnach. Denn kaum hatt' ich den Platanen und den Fichten, den Eichen, Gummi- und Eisenholzbäumen usw. ihren sechstätigen Herrn und Meister in verschiedenen Fassaden gezeigt, als ich mit meinen Cäsar vollkommen im Irren trieb. Es ging wie mit einem Zauber zu, daß ich mich plötzlich in wildfremden Bezirken sah. Ich war einem Bache gefolgt, welchen ich lange für meinen Bache hielt, denn es ist merkwürdig wie gleich sich hier alle Naturansichten sind. Die stille Quellrinne führte mich aber allmählich tiefer in das Gehölz anstatt auf meine Boccage heraus; ich setzte ein paarmal über, je nachdem mir dieser Ufersaum oder jener wegsamer schien, und als ich endlich meinen Irrtum einsah und den Bach entlang wieder zurückkehren wollte, schlug ich eine Nebenader desselben ein, da der Hauptarm, von jenseits gesehen, unter Schilf- und Sumpfgestrüpp fast verschwand. Dieser Abweg führte mich nun gänzlich ins Oede. Ein unermeßliches Waldlabyrinth verrammelte mir in jeder Richtung den Weg. Stamm an Stamm sah ich nirgends zehn Schritte tief, es war ein Meer von Einsamkeit. Unter diesen Umständen wäre ich froh gewesen, nicht meine, sondern nur irgendeine Farm zu erreichen, aber nicht die leiseste Hieroglyphe einer menschlichen Nähe war rings zu entziffern. Die Merkmale, die den geschulten Hinterwäldler auf seinem chaotischen Terrain leiten, waren mir als Neuling natürlich noch fremd, meinen gelehrten Apparat aber, Taschenkompaß und topographische Karte des County, hatte ich zu Hause liegen lassen. Kurz, das Abenteuer war mehr unbehaglich als romantisch, ich kreuzte stundenlang hin und her, und schon fing ich zu sorgen an.

Auf einmal erfreute mein Ohr die Stimme eines lebendigen Wesens, und mein Auge erblickte ein kleines rotes Röckchen. Es war ein Kind, welches Hühner aus dem Walddickicht zu locken schien. Voll Freude rief ich das Mädchen an, welches Roß und Reiter nicht sobald gewahr wurde, als es emsig die Flucht ergriff. Mir aber war der Fund zu kostbar. Und mußte ich mir meine Wegweiserin erst erjagen, so bebte ich vor dem kleinen Sabinerinnenraub auch nicht zurück. Ich sprang vom Pferde, das hier nicht gut fortkam, und verfolgte das rote Röckchen mit lieblichen Worten und langen Schritten. Letztere waren glücklicher als erstere, denn bald ergriff ich mein kleines scheues Waldfräulein in der Höhlung eines kurzen und dicken Papawstammes, wohin sie zuletzt – für das Auge gar zierlich – ihre Zuflucht genommen. Sie sah wirklich wie die Seele des Baumes aus, so zart und geistig stand sie in dem rauhen Rahmen. Es war ein Bild wie im Kirchenstil gemalt. Ihr Köpfchen kein mutwilliges Apfelrund mit klugem Stutznäschen und braunen Rehaugen – nein, ein ernsthaftes, ehrbares Oval, mit edel gezogener, nachdenklicher Nase, großem, wasserblauem Blicke, der Teint weiß, die Ringellocken gelb wie der Mondschein und ein langes, schweres Gehänge. Kurz, ein Charakterbild echten germanischen Magdtums. Ich redete sie auch sofort deutsch an, und hatte richtig geraten. Das erschrockene Kind zeigte Spuren von Zutrauen. Warum sie mich geflohen, und ob ich denn wie ein Räuber aussehe? Sie rückte etwas scheu zur Seite, hob bedächtig ihr blaues Auge zu mir auf und sagte: ich sähe aus wie ein Herr. – Was ein Herr Schlimmes sei? ich mußte es wiederholt fragen. Zaudernd antwortete sie: Der Vater sagt – aber mehr war ihr nicht abzugewinnen. Sie legte ihren Arm vor die Augen und sagte: ich sag's nicht! Ich schloß das keusche Kind in meine Arme und versucht' es auch nicht weiter, auf die reinen, kindlichen Lippen ein Schmähwort heraufzubeschwören. Ich fragte nach ihrer Familie. Sie war das einzige Kind eines deutschen Farmers in der Nähe, eines ausgewanderten Landmanns vom Niederrhein. Das erklärte mir freilich, was der Vater gegen die Herren hatte. Leider hat man das Landvolk gewöhnt, im städtischen Rock die summarische Quelle seiner Übel zu sehen. Desungeachtet hörte ich mit Verwunderung, daß sie ein Bauernkind sei. Ich faßte sogleich den höchsten Begriff von der Mutter; – es mußte eine mütterliche Mutter sein nach der musterhaften Art, wie sie das Äußere ihres Kindes hielt. Ihr Haar war offenbar schlicht und die schönen langen Locken nur ein Kunstwerk der Zärtlichkeit. Ihr weißes Leibchen, ihr rotes Sergeröckchen, die Schnur von Glasperlen an ihrem Halse – alles so schmuck, so inspiriert! möchte ich sagen. – Was sie hier schaffe? Sie sagte, sie sei ausgegangen, nach Eiern zu suchen, indes wie immer vergeblich, denn – belehrte sie mich – die Hinkel kämen zu ihrer Zeit wohl mit einem Schwarm Küchlein aus dem Walddickicht hervor, aber die Eier ließen sie sich selten ablauern. Sie habe schon den ganzen Vormittag ihre Not mit dieser Aufgabe gehabt. Das alles sprach sie im reinsten Hochdeutsch, indem sie ihre Ehre darein zu setzen schien, das Platt sorgfältig zu vermeiden, das ihr ohne Zweifel mundgerechter war. Auch bewegte sich ihre Zunge etwas schwer dabei, da das Zungenband ein wenig länger als normal. Ihre Rede bekam dadurch etwas Bedächtiges, Abgemessenes, das ihr ungemein wohl stand. Es stimmte wunderbar zu ihrem Charakter von Ernst und Zurückhaltung.

Das nun war meine Erlöserin aus den Wirren dieser Waldfahrt. Wir ließen die Eier Eier sein und machten uns nach Annettens Heimwesen auf. Ich nahm die Kleine vor mich aufs Pferd, und sie gab mir den Weg an. So kamen wir bald aus dem Walde. In kurzem lag Vater Ermars Hofstelle vor uns.

Der Hufschlag lockte schon von weitem die Eltern vor das Haus. Sie sahen verwundert ihr Kind zu Pferd ankommen, das zu Fuß ausgegangen war.

Ich gab kurz meine einfachen Erklärungen.

Ich kann nicht sagen, daß ich im ersten Augenblicke besonders gastlich angesehen war. Der Deutsche in Amerika hat immer etwas – Verschämtes und Abstoßendes, wenn er auf seinem einsamen Hof überrascht wird. Und Westfäler sind schon von selbst nicht die insinuantesten Menschen.

Der Mann sah mich aus harten und scharfen Zügen wie aus einer eisernen Maske an. Er war schlank und hoch gewachsen – eine lebendige Lanze. Seine Hakennase eine wahre heraldische Siegelprobe von Energie und Charakter, sein Blauauge treu wie der sicherste Ackergrund. Die Mutter eine blasse, reine Frau, eine Erscheinung wie ein Stück Damast. Ganz wie ich sie gedacht. Sie war ohne Zweifel eine Honoratiorentochter ihrer einstigen Heimat. Der Vater Teutoburg, die Mutter Bielefeld, würde dieses westfälische Paar ein neumodischer Jung-Deutscher in seinem Ideen-Assonanzen-Stil charakterisieren.

Die Frau wartete das Benehmen ihres Mannes ab und der Mann mein eigenes. Beide empfingen mich eigentlich gar nicht; es mußte sich aus mir selbst zeigen, »was für ein Vogel ich sei«.

Ich sprach natürlich von ihrem Kinde, der nächsten Veranlassung dieses Rendezvous, und erkundigte mich, wie es hier um die Schule stehe. Diese praktische Frage schien den Nagel auf den Kopf zu treffen. Ich konnte sogleich sehen, daß man damit zufrieden war. Vor allem seufzte die Mutter lebhaft und antwortete: das sei allerdings traurig. Eine deutsche Schule bestände nicht in der Gegend, und zu den Engländern schicke man seine deutschen Kinder gar zu schwer, sie lernten nur ihre eigenen Eltern verunehren.

Ich erbot mich sofort zu Annettens Lehrer.

Die Frau sah ihren Mann an, und der Mann hatte offenbar was gehört, »was sich hören ließ«. Ob ich gut lutherisch sei? war seine erste Antwort darauf.

Doktor Luther hat auch für mich gelebt, sagte ich, nicht ohne einige Verwirrung, und war froh, daß mir die Phrase so durchging. Es geschieht einem doch ganz eigen, wenn man mit seiner weitschichtigen Aufklärung so knapp-positiven Gemütern konfrontiert ist! Verschiedene Stände sind verschiedene Jahrhunderte.

Wir verständigten uns. Ich habe nun eine Anstellung im Urwald, – ich bin Erzieher. Wahrlich, das kleine Abenteuer freut mich mehr, als es scheinen mag. Ich bin, wie du weißt, Kinderfreund. Freilich hat mir eine geistreiche Frau einst gesagt: dann sind Sie Menschenfeind, und ich war wie vom Blitz gerührt, daß sie recht hatte. Aber ist's meine Schuld? Ich leugne es nicht, die Kinder repräsentieren mir die Menschheit reiner als die Erwachsenen. Der mutige Knabe entartet zum servilen Untertan, und wie selten findet das Mädchen zwischen Prüderie und Koketterie den Begriff der Weiblichkeit. Blüten sind Bienenkost, ausgewachsene Frucht oft kaum Schweinekost. Die Nähe dieses Kindes soll mir wohltun. Ich nehm's wie ein glückliches Unterpfand von dem Gott, der mich hierhergeführt.

Nächst dieser Bekanntschaft, die unsern Freund so sehr anmutet, wollen wir von seinen übrigen Nachbar-Besuchen noch zwei erzählen, zwar nicht ihrer Anmut wegen, sondern weil sie sonst nicht ohne einiges Interesse an ihm vorübergingen. Moorfeld machte sie beide tags nach dem hier mitgeteilten Begegnis und diesmal in Anhorsts Begleitung.

Auf dem Wege sagte Anhorst: die Farm, die wir zunächst besuchen werden, gehört einem Amerikaner, Mister Thorne. Wir werden ihn selbst nicht zu Hause treffen – er ist seit einigen Wochen auf irgendein Busineß abwesend. Indes lohnt es sich doch den Gang dahin. Er hat einen Knecht, oder »Hand« wie man hier sagt, der eigentlich ein Tischler, und zwar ein vorzüglicher deutscher Arbeiter ist. Wenn Sie sich einzumöblieren gedenken, so können Sie mit dem Manne gleich Rücksprache darüber nehmen. Er ist auf sein Handwerk sehr zu empfehlen.

Dann sitzt er wohl auch nicht aus Geschmack am Landleben hier? sagte Moorfeld.

Gewiß nicht, antwortete Anhorst.

Können Sie mir seine Geschichte erzählen?

Geschichte eben nicht, aber eine Anekdote daraus, den Dirty Job, der ihn zunächst hieher verschlug. Indes, solche Sachen spielen ja täglich und stündlich.

Lassen Sie immer hören, forderte Moorfeld.

Und Anhorst erzählte, indem der Weg eine reizlose Gegend durchmaß:

Es war drüben in Pennsylvanien im Mercer County, Stadt Mercer. Dort hatte ein Mr. Baine für einen Kaufmann, ich weiß nicht mehr welche Arbeit übernommen, einen Neubau oder Anbau seines Ladens, gleichviel. Mr. Baine war aber mehrerseits beschäftigt und übertrug die Arbeit an Herrn Rapp, unsern deutschen Tischler. Man machte einen Akkord auf 38 3/8 Dollar, mit der Bedingung, daß der Bau in einer bestimmten Zeit, sachgerecht und zur gänzlichen Zufriedenheit des ursprünglichen Kontrahenten, des Kaufmanns, zu vollenden sei. Das geschah. Unser Tischler plagte sich zwanzige Tage lang unter der heißesten Augustsonne und stellte sein Werk her. Als er zu Ende war, forderte er von Mr. Baine seine akkordmäßigen 38 3/8 Dollars. Mr. Baine beanstandet die Bezahlung, da man ja erst das Urteil des Kaufmanns, der eben verreist sei, abzuwarten habe. Der Kaufmann kommt, und unser Rapp, der sein Geld braucht, bittet jetzt diesen darum. Der Kaufmann natürlich wendet ihm einfach den Rücken: er kenne ihn gar nicht, er habe nichts mit ihm zu tun. Der Tischler geht wieder zu Mr. Baine. Dieser antwortet: er habe mit dem Kaufmann Rücksprache genommen und gehört, daß die Arbeit keineswegs probehaltig sei. Der Deutsche merkt jetzt, worauf es abgesehen, und nachdem er erst noch zwischen dem Kaufmann und Mr. Baine ein paar Wochen lang hin und her gelaufen, reicht er endlich seine Rechnung klägerisch ein. Zu Ende Oktober erhält er den Termin. Mr. Baine kam mit seinem Advokaten, der Kaufmann mit einem Komitee von »sachverständigen und unparteiischen« Zimmerleuten. Der Deutsche kam allein. Er mochte bei so klarem Rechte einen Advokaten für überflüssig halten oder die Kosten schwer empfinden, er vertraute sich. Die Verhandlung beginnt. Der Advokat der Gegenpartei liest den Kontrakt zwischen Mr. Baine und Herrn Rapp vor, hierauf wird der Kaufmann vereidigt und befragt, ob er mit dem Bau zufrieden sei? Durchaus nicht, antwortete er mit fester Stimme. Nun werden die sachverständigen Zimmerleute vereidigt und befragt, was das Resultat ihrer Besichtigung gewesen sei? Sie antworteten, daß sie den Bau in einer nicht sachgerechten Art und Weise aufgerichtet gefunden. Der Tischler stand wie vom Donner gerührt. Die Eidesaussagen allein waren es ja, auf welchen seine Hoffnung geruht. Diese Hoffnung versagte ihm jetzt, er sah mit Schrecken, daß solch ein Prozeß auch verloren werden könne. Tränen traten dem vierzigjährigen Mann ins Auge. Aufgefordert, was er zu seiner Verteidigung vorzubringen habe, stotterte er mit mutloser Stimme folgendes: Ich habe drei lange Jahre lang für den Stadtrat in Breslau gearbeitet, Fußböden gelegt, Türen, Fenster und Gesimse gemacht, aber nie nicht! ist mir ein Stück zurückgegeben, oder getadelt worden. Mr. Baine hat meiner Arbeit täglich nachgesehen und mich oft aufgefordert, ich möchte es nicht so genau nehmen, auf ein paar Fugen käme es ja nicht an, den Fußboden zu hobeln verbot er mir förmlich. Zwanzig Tage habe ich unter der siedigsten Sommerhitze geschafft; ich frage bei Gott und Welt, ob es erlaubt ist, daß so etwas unbezahlt bleiben soll. Ich frage jeden ehrlichen Tischler, der meine Arbeit versteht, ob 38 3/8 Dollars ein übermäßiger Preis dafür ist. Gewiß, das ist es nicht, meine Herren! Die Nennung des Preises veranlaßte den Richter nun auch nach dem Kontrakt zwischen Mr. Baine und dem Kaufmann zu fragen. Der Verteidiger verwarf zuerst diese Frage als ungehörig, gab aber zuletzt, mit Zustimmung seiner Klienten, nach. Der Kontrakt wurde verlesen. Er lautet mit dem vorigen ganz gleich, nur in der Ziffer ergab sich eine kleine Verschiedenheit. Nicht 38 3/8, sondern 200 Dollars hatte sich Mr. Baine von dem Kaufmann bedungen! Und der Kaufmann fügte noch hinzu, daß er diese Summe teils in Geld, teils in Waren dem Br. Baine bereits bezahlt. Diese Mitteilung war eigentlich unbesonnen, denn der Kaufmann bewies damit augenscheinlich, daß ihm die Arbeit ja doch gut genug gewesen und nicht, wie er dem Deutschen gegenüber geschworen: »durchaus nicht!« Aber dieser kleine Fauxpas wurde nicht mehr bemerkt, denn im ganzen Gerichtssaal machte sich ein Unwille laut, – ein Unwille gegen den Deutschen. Er nämlich, nicht Mr. Baine war es, den jene Entdeckung direkt tot machte. Daß sich ein Mensch für 38 Dollars zu einer Leistung hergibt, die ein anderer auf 200 schätzt, das war dem Amerikaner tief verächtlich. Der Amerikaner war wieder einmal recht groß dem schoflen Deutschen gegenüber. Und so fällte denn der Richter, wie er auf Grund der beiden eidlichen Aussagen wohl nicht anders konnte, zuletzt den Urteilsspruch: daß der Deutsche seinen Kontrakt nicht erfüllt habe; doch dürfte er allerdings der Großmut des Mr. Baine zu empfehlen sein, welcher ihm wenigstens einen Teil der akkordierten Summe möge zukommen lassen. Keinen Cent soll er haben, der verfluchte Dutchman! rief Mr. Baine, und damit war die Sache zu Ende. Der Richter machte nur noch seine und des Konstablers Rechnung, die er dem Deutschen schnell, denn es war Essenszeit, überreichte, und woran dieser zehn Monate lang zu bezahlen hatte. Von allem entblößt, griff er vor sechs Wochen zu, auf jener Farm sich als Knecht zu vermieten, – ums augenblickliche Brot.

Anhorst hatte inzwischen Moorfelds Pferd ins Auge gefaßt und machte jetzt einige Bemerkungen über die inkorrekte Schule desselben. Freimütig antwortete Moorfeld: Nicht doch, nicht doch! Wir müssen solche Geschichten künftig nur zu Fuß erzählen.

Schweigend erreichte das Paar die Farm. Man fand den Tischler Rapp beim Ausbessern des Fenzenzauns, den ein paar mutige Bullen über Nacht eingerissen. Schon aus der Ferne hatte man ihn die schweren Pflöcke einrammen gehört. Es war ein Mann von mittlerer Statur, die Haare schon hoch in dem Scheitel ausgefallen, der Körper ein wenig gebeugt, und wie es schien, nicht mehr allzu kräftig. Sein Gesichtsausdruck war unbeholfene Arglosigkeit und ein tüchtiges, aber beschränktes Selbstvertrauen. Moorfeld fand ganz das Charakterbild aus jenem Prozesse in ihm.

Er fing ein Gespräch mit ihm an, das sich, wie es in deutscher Zunge geführt ward, zunächst auch auf deutsches Heimatsandenken bezog. Die Augen des Tischlers leuchteten wie trunken, und aus tiefster Seele brach er in den Ausruf aus: Ach, hätten wir in Deutschland Gewerbefreiheit, es wäre das erste Land in der Welt! Und die politische Freiheit Amerikas ist Euch gleichgültig? fragte Moorfeld, – indes mehr um die Begriffe des sogenannten gemeinen Mannes darüber kennen zu lernen, als in irgendeiner direkten Absicht.

Politische Freiheit, erwiderte der Tischler – wo ist sie denn? und blickte dabei um sich, wie um ein verlorenes Taschenmesser, – ich seh' nichts von. Ich war in Pittsburg, als sie im vorigen Jahr den Präsidenten wählten, – Prügeln sah ich wohl, aber keine Freiheit. Da liefen sie die eine Straße herauf mit schwarzen Kokarden und die andere Straße mit roten, und wie sie an der City-Hall zusammenstießen, ging der Tanz an. Es war ein Krawall – Riot heißen sie's – von einigen tausend Personen, und da wählten sie den Präsidenten, daß man bis in die Nacht die Pistolen hörte, und das Blut lief herum wie in einem Schlachthaus. Es sind gar unbändige Menschen hier. Wo wir Deutsche einen Wortwechsel führen, da rennen sie gleich mit Messern und Schießgewehr gegeneinander los. Immer geschossen, immer gestochen! Wie das unvernünftige Vieh! Es ist, als ob sie gar nichts im Schädel hätten, alles in der Faust. Nein, Gott weiß, ich habe einen Ekel an den großen Städten. Aber auf dem Lande sitzt die Freiheit eben auch nicht zu dick. Bäume umhauen, Fenzen machen, Blockhäuser bauen, Wild schießen, Vieh hüten, das ist die erste Freiheit. Man sieht die Leute wie Sklaven sich rackern, wer nie in der Näh' war, hat keinen Begriff von. Dabei wohnen sie halbe Tagereisen auseinander, und kommen sie zusammen, so versteht oft keiner den andern nicht, die ganze Gemeind' ist neunerlei Volk. Das macht sich dann irgendein verlaufener Yankee prächtig zunutze. Der tut in solch einer Wüstenei einen Storeladen auf, und damit ist er König. Vom Kleinsten bis zum Größten, alles, was der Mensch braucht, führt er in seinem Kram. Wer nicht fünfzig Meilen weit in die Stadt fahren oder reisen will, der findet jeden Brettnagel bei ihm, und jede Zwiebel nimmt er an Zahlungs Statt. Die ganze Gemeind' steht in Rechnung bei ihm, er spielt absolut den Meister. Der hat dann die Stimmen von selbst. Ich möcht's keinem raten und ihm die Wahl verweigern. Diese Rackers sind meistens auch Postmeister, und so ein Kerl ist imstand und hält einem die Briefe auf, wenn man ihn nicht auf den Stimmzettel schreibt. Ja, ja, das tun sie. Sie sind wie Räuber, sie erlauben sich alles. Einem Amerikaner ist jedes Mittel recht. So bringen es die Leute von Amt zu Amt, die Gegend wird volkreicher, es kommen oft die besten Köpfe heran, aber der Ladenhalter hat für ewige Zeiten das Prä. Hat er vielleicht noch einen Advokaten zum Schwager und einen Pfaffen zum Vetter, so fliegt er auf, wie ein Luftballon. Es ist merkwürdig, was sich so ein Flötz Ehren und Würden zu begehren traut. Dann prahlen sie aber noch in den Zeitungen: Wieder hat es einer unsrer Mitbürger zum Gouverneur eines Staates gebracht, der früher ein Grobschmied oder ein Schweinmetzger war, das ist die Herrlichkeit eines freien Landes! Ach, geht mir fort. Ich wollte, wir hätten Gewerbfreiheit in Deutschland, keinen Nagelschnitzel gäb' ich für eure Herrlichkeiten!

Moorfeld hörte diese Rede mit Staunen an. Sein Blick fiel zum zweiten Male, aber mit einem ganz andern Ausdruck auf den armen Tischler. Er erfuhr hier von neuem, wie fähig der Deutsche sei, objektive Verhältnisse groß und richtig zu beurteilen, und wie wenig Mangel an Weltklugheit in seinen persönlichen Angelegenheiten einen Schluß auf sein übriges Denkvermögen zulasse. Eh' er die Farm verließ, bat er den Tischler, er möge es ihn wissen lassen, wenn der Eigentümer der Farm ihm etwa einen längeren Dienstvertrag anbieten wolle. Der Tischler sagte es unter frohen Ahnungen zu.

Nach diesem Besuche lenkte das Paar wieder dem Heimwege zu, – Moorfeld fragte im Vorbeigehen: Wer kommt morgen dran?

Wären wir gemeldet, antwortete Anhörst, so könnten wir noch heute hinüber reiten; von hier sind's nur fünf Meilen, und vom Hause weg fünfzehn. Aber, es wird Abend, wir kämen direkt zum Tee und sind nicht gemeldet.

Moorfeld blickte groß. Tee? gemeldet? Mich dünkt, wir sind im Hinterwalde.

Wir, aber Lady Brubaker nicht, oder vielmehr Lady Morgan, wie sie sich nach der hiesigen Gewohnheit, europäische Namengrößen zu adoptieren, nennt.

Die Lady Morgan ist wohl eine betrübte Witwe?

Doch nicht, Herr Doktor, sie ist die Frau eines deutschen Narren, Michael Braubacher, der sich aber yankeesiert hat und nun Brubaker prononciert wird. Ein trauriges Hauswesen! und aufrichtig gesagt, ich selbst ließ' es links liegen; es regt sich die Galle, nur daran zu denken. Der Mann hat bei einem Bankrott ihrer Familie in New York sein Vermögen eingebüßt, die Humbuger von Schwager und Schwiegervater treiben sich nun in aller Welt herum, während er selbst noch immer Mittel wußte, aus Deutschland sein letztes Tausend Taler herauszuziehen, womit er diese Farm hier anlegte und wenigstens Frau und Kind redlich ernährt. Desungeachtet! Wenn Sie den Ton hören werden, der dort über Deutsch und Deutschland herrscht, so haben Sie wahrlich zu würgen daran. Das Weib spricht von ihrer Nationalität, als ob sie in ihrem New Yorker Schaukelstuhl alle Flotten der Welt kommandierte; die Nation ihres Mannes aber tritt sie mit Füßen. Leider! der deutsche Michel duldet's. Es ist so weit gekommen, daß ihn seine zwei Buben in seinem eigenen Haus old dutchman schimpfen dürfen, und wie er nur den Mund öffnet, um von Deutschland zu erzählen, so lachen sie ihm ins Gesicht. Die »Ma« ist alles, der »Pa« gar nichts. Mordio! Von allen dummen Streichen, die der Deutsche in Amerika macht, ist es sicher der dümmste und unverzeihlichste, eine amerikanische Frau zu heiraten.

Anhörst wundert sich, daß während dieser Worte auf Moorfelds Lippen ein – Lächeln entstanden. Es spielte freilich ein wenig ins Diabolische, aber er hatte sich auf ein zornvolles Rechtsum! gefaßt gemacht.

Moorfeld dagegen sagte: Reiten wir hin!

Anhörst blickte ihn fragend an, erwiderte aber nichts. Er fühlte, er kannte seinen Mann noch viel zu wenig, um sich über das, was Widerspruch schien oder nicht, ein Urteil zu erlauben. Hatte er doch das Seinige getan! –

Die Wanderer trabten frisch und erreichten Braubachers Farm noch im vollen Tageslichte. Es war ein kahles Gehöft, ganz im lieblosen Yankeestil. Keine lebendige Feldhecke, kein Baum vor dem Hause, keine Blume am Fenster, nichts, was den schönen Natursinn eines Deutschen verriet. Sie traten ein. Die Hütte war noch roh genug und durfte vielleicht nur darum nicht mehr Blockhaus heißen, weil sie zwei Wohnräume enthielt. Und einer davon nannte sich auch richtig »Parlour«.

Die Ankömmlinge waren so glücklich Mister und Mistreß zu Hause zu treffen. Nach den ersten Begrüßungsformeln führte Anhorst, auf einen Wink Moorfelds, den Mister zu einer landwirtschaftlichen Umschau vor das Haus und Moorfeld blieb mit der Mistreß allein. Die Hinterwäldler-Hausfrau wiegte sich in ihrem Schaukelstuhl und – garnierte ein Bonnet.

Moorfeld lobte das Häubchen im elegantesten Englisch. Er zeichnete der Lady Morgan sogleich auf ein Pergamentblättchen seines Notizbuches das Muster eines Bonnets von Madame Dasse in Paris vor, welches kurz vor seiner Abreise nach Ohio den Ton der diesjährigen Saison angegeben. Der Stoff glatter Tüll, erklärte er seine Zeichnung, rechts eine Bausche mit einigen Rosen, links zwei Marabouts an die Wange herabfallend, hinten eine weiße Atlasschleife. Der Fond recht tief am Scheitel zu tragen, mit einer Neigung gegen die Stirn wäre es provinziell.

Die Lady Morgan maß ihren Gast mit erstaunten Blicken. Aber Moorfeld beherrschte seine Miene vollkommen. Die Dame merkte nichts und war ehrlich genug zu seufzen, das reizende Modenbild werde sich in dieser »verdammten Wildnis« leider nicht wohl präsentieren lassen. Moorfeld seufzte mit. Er heftete sein Auge mit einem bedeutungsvollen Ausdruck auf die arme Leidende und warf, gleichsam vom Mitgefühl abgepreßt, das Wort hin: Es könnte in kurzem sich vieles ändern in dieser Wildnis. Mrs. Brubaker blickte aufmerksam. Es ist wahr, es werden neuester Zeit starke Landkäufe hier gemacht, sagte sie, zweifelhaft, was sie eigentlich zu sagen habe. Mein Ankauf ist nicht der Rede wert, antwortete Moorfeld, ohne Umstände das Wort auf sich beziehend, und mit der vornehmsten Gleichgültigkeit. Aber für eine Probe, fuhr er fort, bedurfte es einstweilen nicht mehr. – Für eine Probe? Von welcher Probe sprechen Sie, Sir? fragte Mrs. Brubaker, indem sie anfing, ganz so gespannt zu werden, wie Moorfeld beabsichtigte. Moorfeld schien zerstreut und tändelte mit dem Bonnet. Wie hübsch sich das in einem elegant dekorierten Salon, unter strahlenden Girandolen und Kandelabern, zur Tanzmusik eines guten deutschen Orchesters ausnehmen wird! phantasierte er wie im Traume vor sich hin. Die Farmersfrau machte ungeduldige Bewegungen. Ihr Geist ist bei deutschen Geigen und Flöten, mein Herr! sagte sie empfindlich, aber nicht ohne ahnungsvolle Aufregung. Ah, Madame, Sie sind nicht für den Urwald geboren! fuhr Moorfeld plötzlich auf und sah seine Wirtin mit jener Dreistigkeit an, die den Kavalier als Galan der Bürgersfrau auszuzeichnen pflegt. Die New Yorker Bürgersfrau hatte darüber auch, wenn nicht ein deutliches Gefühl, doch eine dunkle Ahnung und versuchte eine Miene aus den besten Tagen ihrer Impertinenz. Aber ihre Eitelkeit war bereits erregt; sie hütete sich, mit dem merkwürdigen Farmer-Galanthomme zu brechen. Moorfeld sah fast mit Augen, wie der kalte Stolz und die heiße Neugierde in ihrem Innern gegeneinander zischten.

Was ich da von Flöten und Geigen phantasiere, rückte er vertraulich heraus, ist nicht ganz ohne. Wenn Sie mich nicht verraten, Madame, so will ich Ihnen ein Geheimnis ausplaudern. Geheimnis eigentlich nicht. Es wird bald genug Stoff der Tagespresse sein. Aber eine Dame von so gutem Geschmack – das Getändel mit dem Bonnet dauerte fort – ist im Grunde näher dabei interessiert als die dumme Publizistik, die nicht überall so ungalant sein soll, den Vortritt zu haben. Lady Morgan horchte hoch auf. Eine Gesellschaft deutscher Edelleute – lassen Sie mich das Wort nicht entgelten, Verehrteste, es klingt barbarisch, ohne Zweifel, aber wer das Unglück hat, mit dem Adel behaftet zu sein, leidet mindestens an einem unverschuldeten Unglücke; er verdient weniger den Abscheu als das Mitleid aufgeklärter Republikaner. Ich bin nicht republikanisch gesinnt, sagte Lady Morgan verlegen lächelnd. All men are equal, ist nicht all women. Frauen sind dem Prinzip der Gleichheit nicht hold. – Mon Dieu! rief Moorfeld, dann hört die schönere Hälfte der Union auf, Republik zu sein; und Lady Morgan mußte sich's schon gefallen lassen, eine leichte Artigkeit in einer boshaften Wendung gegen ihr vergöttertes Vaterland hinzunehmen. Moorfeld fuhr fort: Eine Gesellschaft deutscher Edelleute, disgustiert von der Juli-Revolution, geriet auf den Einfall, sich ein Reduit, eine Art Adelskolonie in Amerika zu gründen, wenn das erkrankte Jahrhundert einst die Hahnemannsche Kur empfehlen sollte, einer deutschen Republik in eine amerikanische zu entfliehen. In der Wahl des Orts wollten wir die alten Bourgeoisstaaten des Ostens wie die langweiligen Wüsteneien des Westens gleichmäßig vermeiden und entschieden uns zunächst für Ohio. Doch, um die ganze Wahrheit zu sagen, gestehe ich allerdings, daß noch zwei Versuche in zwei andern Staaten gemacht sind. Mein Probekauf ist nur einer von dreien.

Wir drei werden nun – das ist der Plan – als gewöhnliche Farmer wirtschaften, und ohne alles Aufsehen unsere Lokalverhältnisse beobachten. Nach Jahresfrist schicken wir dann unsere Berichte ein, und welcher am günstigsten lautet, jenes Terrain wird erwählt. Bei einem Ankauf von einer halben Million Acres mochten wir einige Vorsicht nicht ganz verschmähen. Übrigens sind wir nicht anspruchsvoll. Wir achten die fremde Nationalität, der wir uns anschließen, und fordern bloß, daß sie uns wieder achte, das ist unsre ganze Prätention. Der Chef des Unternehmens, der gefürstete Reichsgraf von Tettan, ist der liberalste Aristokrat, der sich denken läßt. Ein Muster von einem liebenswürdigen Gentleman. Sie haben vielleicht den General Lafayette bei seinem letzten Besuch in den Staaten gesehen? Ein so populärer, leutseliger Charakter ist der Reichsgraf. Nur nicht so trikolor. Der Graf legt seiner Geburt einen hohen Wert bei, aber er schätzt sie nicht als persönliches Privilegium, sondern als einen Teil der Nationalehre. In der Tat, Nationalstolz ist vielleicht die einzige Leidenschaft des deutschen Reichsgrafen. Darin geht er etwas weit, ich gestehe es. Europa ist voll von Charakterzügen seines National- sports, und er vermehrt sie noch fortwährend. Ein paar davon werden den Mann kennzeichnen. Als vor drei Jahren in Haymarket der berühmte arabische Hengst Almansor, Vater Abdallah, Mutter Mirza, zum Verkaufe stand, war die ganze haute volee d'Angleterre in einer Art Aufregung. Das edle Tier sah sich vom Morgen bis zum Abend von der Creme der Gesellschaft umschwärmt: Herzöge waren seine Stallbedienten. Die Pairs des Landes überboten sich in enormen Summen, die Wetten überboten sich über den Sieg der Bieter, kurz Almansor war der Löwe des Tags. Der Reichsgraf ging damals mit Plänen anderer Art in London um, war auch eben erst angekommen, ich glaube, der ganze Lärm verhallte an ihm allein spurlos. Aber ein müßiger Reitknecht aus seinem Gefolge, der sich auf eigene Hand Haymarket ansah, fand Gefallen an Almansor und fragte in aller Unschuld nach dem Preis. Die anwesende Stallaristokratie umwiehert ihn mit Gelächter. Der Stallion klopft ihm hochgnädig auf die Schulter: Guter Freund, dieses Pferd bezahlt ein deutscher Kavalier nicht! Der Reitknecht läßt sich das nicht zweimal sagen. Er tritt vor den Grafen: Erlaucht, da draußen steht ein Gaul, den ein deutscher Kavalier nicht bezahlen kann. Der Graf horcht und hört, was geschehn. Wie ein Blitz reitet er nach Haymarket. Er steht vor Almansor. Was kostet der Araber? fragte er und zwar auf deutsch wie sein Reitknecht. Der Stallion ist betreten, besinnt sich aber und hat die Unverschämtheit zu antworten: Fünfzigtausend Pfund, Sir. Der Graf zeichnet – »präsentiert das meinem Intendanten«, sagt er – zieht eine Pistole und schießt das Pferd nieder. »So füttert ein deutscher Kavalier englische Raben.«

Moorfeld weidete sich an dem Schuß, der der erschrockenen Lady fast persönlich durch den Leib zu gehen schien; dann fuhr er, sich leicht auf dem Stuhle wiegend, zu plaudern fort: In ebenso großem Stil, aber reizender für Frauenohren war jenes Impromptü, welchem ich selbst diesen Winter in Paris beiwohnte. Unter den Feinen der Feinste, unter den Brüsken der Brüskeste – der Graf ist wie sein Boden. Zu einem Maskenballe der Herzogin von – Livadien, lassen Sie mich sagen, denn die enthusiastische Philhellenin hieß in der Tat scherzweise so – hatte ein Kränzchen der fashionablen Kavaliere gewettet, wer unter ihnen in der kostbarsten und originellste Maske erscheinen würde. Der Reichsgraf setzte zum Besten Griechenlands zwanzigtausend Franken, daß er die Wette gewinnen wolle. Er erschien aber im Habit eines – Hausierers, trug das Tuch und die Wäsche eines servierenden Laden-Kommis, dazu nur noch am grünen Bande seinen Tabulettkasten von Ebenholz vor sich an der Brust. Mit diesem Kasten promenierte er ausrufend durch die Appartements – Messieurs et Mesdames, achetez, achetez, s'il vous plait! Objets de toilette, objets de fantaisie, bijoux, parfums, avancez, Messieurs et Mesdames!

Lachend und glossierend drängten sich die reizenden Damen des Balls um die drollige Charaktermaske, der Graf teilte nach links und rechts seine Quelquechoserien aus, und die Ware fand um so schnelleren Abgang, als man sie ohne Zweifel für unecht hielt. Aber, – welch ein angenehmes Staunen wogte, erst flüsternd, dann laut und immer lauter, durch die Säle, als man die Entdeckung machte, daß der blitzende Inhalt der vielerlei Schächtelchen und Kästchen, daß die Bonbonnieren mit Türkisen oder Rubinen, die Ringe und Ohrringe, die damaszierten Flakons mit ihren Steinen, die reichbesetzten Damenuhren von Breguet, die Kolliers von Bot, mit großen Chrysoprasen geschmückt, die massiven, antik gearbeiteten Armspangen, die modernen Berliner Eisengürtel mit Saphiren oder Amethysten à jour gefaßt, kurz, daß der ganze Galanteriekram echt war! In Wahrheit, Madame, der Graf hat an jenem Abend einen Wert von hunderttausend Franken verschenkt für zwanzigtausend Franken zugunsten Griechenlands und – für den Nachruf: Der artige deutsche Kavalier! – Wir wollen nun sehen, schloß Moorfeld aufstehend, wo wir in Amerika die Stelle finden, dies Treiben des lustigen alten Europa möglichst originalgetreu fortzusetzen. Aber, bitte, Madame, verraten Sie mich nicht. Wir möchten den Zynismus der Land-Jobberei nicht vor der Zeit aufregen, und dann – kommt ja alles noch, wie gesagt, auf mein und meiner Kollegen Referat an.

In diesem Augenblicke kam Mr. Braubacher mit Anhorst zurück, hinter ihnen zwei schmalleibige Knaben mit matten Augen und bleichen Gesichtern, verzärtelte New Yorker-Sprößlinge. Einer derselben pflanzte sich sogleich vor Moorfeld hin und rief: Ma, ist das auch ein Dutchman? Aber die Ma klapste mit eigener feiner Hand den Frager auf den Mund und zürnte ernsthaft: Unartiger! Wie oft habe ich dir gesagt: German heißt ein Deutscher, nicht Dutchman! Dann wandte sie sich mit einem verzerrten Lächeln zu Moorfeld: Entschuldigung, Sir! deutsch – dutch – es liegt den Kindern so im Munde. – Hat nichts zu sagen, Madame; ich werde es an meiner Bemühung nicht fehlen lassen, den lieben Kleinen einen regelmäßigen deutschen Sprachunterricht zu verschaffen. – O, ich wäre unendlich dankbar, Sir, grinste Lady Morgan übersüß. Die Kinder aber staunten ihre Ma, Mister Brubaker seine Mistreß, Anhorst seinen Moorfeld an, und Moorfeld griff mit einer kavaliermäßigen tour de main nach seinem Hut, und empfahl sich nach allen Seiten im herzlichsten Einverständnis.

Unser Paar hatte die Farm lange hinter sich, als Anhorst endlich eine Art versteinertes Schweigen brach:

Darf ich mir erlauben, Sir, Ihrer – wickedness meine ganze Huldigung darzubringen?

Bitte! Ich habe der Gans bloß ein wenig Vogeldunst gestreut, antwortete Moorfeld. Er erzählte seinen Einfall. Sie hat nun ein Jahr lang Besserungsfrist, sagte er, und kommt der Reichsgraf nicht, so kommt vielleicht doch die Karbatsche. Ihren Mann will ich inzwischen auch noch ein wenig abrichten.

Anhorst bezeigte sich ungemein erfreut über das Gehörte. Vielleicht gefiel ihm Moorfelds Puff darum so ungewöhnlich, weil er nicht bloß ein müßiges Spiel des Witzes, sondern eine praktische Tat mit einem bestimmten sittlichen Zwecke war. Unter diesem Gesichtspunkte begriff er das Geistreiche leicht und lebhaft.

Es war das erstemal auf dem abendlichen und teilweise nächtlichen Nachhauseritt, daß diese so ungleich gearteten Männer sich besser als je verstanden. Jeder schien bei sich selbst den andern zu widerrufen, daß er ausschließlich Prosaiker oder ausschließlich Schöngeist sei. Diese Meinung transpirierte mit einer warmen Ausstrahlung durch ihr Gespräch. Anhorsts und Moorfelds Unterhaltung in dieser Stunde war von jener Art, welche dauernde Freundschaften zu begründen pflegt. So erreichten sie ihren einsamen Waldwinkel.


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