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Zweites Kapitel

Nun, mein Kind, wie nimmst du dich? Kennst du den Herrn Baron – den Herrn Doktor, wollt' ich sagen, nicht mehr?

Die kleine Malwine drückte sich scheu in den Winkel von Wand und Sofa und schüttelte den Kopf.

Ist das nicht derselbe Herr, welcher die Güte gehabt, dich nach Mr. Mockingbirds Schule zu fahren und welcher uns einst einen freundlichen Besuch zum Tee geschenkt?

Das Mädchen blickte aufmerksam auf.

Moorfeld faßte die Kleine unters Kinn: wahrhaftig, meine Möwe hat mich vergessen?

Die »Möwe« wirkte. Malwine machte schnell eine entgegenkommende Bewegung, rief aber unwillkürlich dazu: Ach, Sie sehen so blaß!

Wirst du? zürnte Frau v. Milden, indes Moorfeld einen erschrockenen Blick nach dem Spiegel warf. Sie hat recht, sagte er seufzend, damals kam ich auch von Europa und heute nur – von Ohio! –

Frau v. Milden aber lenkte ab, indem sie ihrem Gaste mit der Frage entgegenkam: Ich werde vermuten dürfen, daß ich die Ehre Ihres Besuchs Herrn Benthal verdanke? Ich bin bereit, Bestellungen an ihn nach Kräften zu besorgen.

Er lebt also?! rief, oder vielmehr jauchzte Moorfeld auf.

Die Hausfrau blickte verwundert: Ging zu irgendeiner Zeit ein Gerücht seines Todes?

Moorfeld schüttet sein ganzes Herz über seinen gestrigen Besuch in Kleindeutschland aus.

Frau v. Milden sieht mit einem fast mütterlichen Blicke in das verstörte Antlitz des armen Leidenden. Sie »ist glücklich«, sagt sie, so »lebhaft empfundene Sorgen« verscheuchen zu können.

Moorfeld atmet leichter. So müssen doch nicht alle Schreckensträume in Erfüllung gehen!

Indem sich aber sein Antlitz jetzt aufheitert, vermißt er den gleichgestimmten Ton bei Frau v. Milden. Er hat in seiner Freude ein scharfes Auge dafür, daß diese Freude nicht geteilt wird. Er glaubt zu fühlen, die Frau atmet nicht die reine Atmosphäre, die sie selbst über ihn verbreitet hat. Es fehlt etwas zwischen ihm und ihr, gleichsam ein Medium, eine Voraussetzung. Selbst ihre Züge, bedünkt es ihm bald, haben seit drei Monaten vieles gelitten. Er wollte das Wort, das ihm Malwines Kindes-Naivität entgegengetragen, leicht wieder zurückgeben können. –

Die Hausfrau nimmt mit ihrem Gaste Platz. Sie richtet Fragen höflicher Teilnahme über seinen Ohio-Ausflug an Moorfeld. Unser Freund antwortet in demselben Tone. Er erzählt vor allem die Geschichte seines ärgerlichen oder wunderlichen Prozesses mit dem Räuber Wogan, indem er annimmt, daß er mit diesem Bericht eigentlich vor Mitinteressenten trete. Frau v. Milden bezeugt dem Ereignisse schuldigen Anteil, – aber auch nur schuldigen, glaubt Moorfeld zu sehen. Er findet keinen Zug, womit die Frau ein persönliches Interesse daran verriete, und auch die feinste Selbstbeherrschung, meint er, müßte in solch einem Falle einen Moment von Durchsichtigkeit haben. Frau v. Milden indes bleibt augenscheinlich außer Partei dabei. Sie geht ebenso unbefangen zu andern Mitteilungen über. Moorfeld antwortete fortwährend, wie einer, der sich wiederholt, denn stillschweigend bezieht er sich auf seine Briefe. Frau v. Milden dagegen sieht sich bei dieser Art zu antworten oft zu Ergänzungsfragen genötigt. Diese Unterhaltung währte gar nicht lange, als Moorfeld erkannte, daß sie schlechterdings auf einer Lücke beruhe. Er spricht endlich direkt von seinem Reise-Tagebuch, und daß er nicht anders als der Meinung lebe, Benthal habe es in seinem »Lorettohäuschen« mitgeteilt. Die Hausfrau stutzt. Sie blickt verlegen. Mit diesem Worte ist ein Punkt erreicht, auf welchem es nicht mehr möglich blieb, reserviert zu sein. Die Dame faßte sich indes, so gut es gehen will, und antwortet gelassen: Ich bedauere, daß uns Herr Benthal dieses Vergnügen nicht gemacht hat. Er war viel beschäftigt. – Er ist ein Verräter! schrie Moorfeld auf einmal wie von einem Dämon inspiriert. Als das Wort gesprochen war, blickte er selbst erschrocken dazu. Es lag ein Gedanke darin, den nicht er denken konnte; ein fremdes Wesen in ihm hatte gedacht.

Aber es war gesprochen, es war gedacht. Die Förmlichkeit der konventionellen Haltung war durchbrochen, Frau v. Milden verwandelte sich sichtlich. Sie zeigte das leidende, trostbedürftige Weib. Es ziemt uns Frauen nicht, sagte sie in einem Tone wehmütiger Weichheit, unsre Ausdrücke über Männer so entschieden zu wählen, wie diese es selbst dürfen. Ich möchte Ihr Wort nicht wiederholen, Herr Doktor. Um Ihrer selbst willen nicht. Sie waren sein Freund, ich weiß es. Sie haben gebaut auf ihn, fest, unerschütterlich. Wie hielten wir deswegen auf Sie! So müssen Männer Freunde werden, sagten wir oft. Ein Blick, ein Griff – und es ist der rechte! Denn im alltäglichen Umgang nehmen wir meist für Freundschaft, was nur Gewohnheit ist, und ein so und so oft wiederholtes Sehen der Außenseite gibt gedankenlosen Kredit fürs Innere. Sie wurden Freunde von innen heraus, nicht von außen hinein. Wir fanden unsre Bürgschaft in Ihnen. Wie hätten wir schwache Frauen nicht gläubig sein sollen, wo ein Mann den Mann so rasch überzeugte? Ja, er war zum Vertrauen geschaffen; er war ein Charakter. Ich habe mir nichts vorzuwerfen. Theodor war brav – bis zur Stunde, von der wir alle sprachen: Führe uns nicht in Versuchung!

Moorfeld saß da, – der letzte Blutstropfen aus seinem Gesichte gewichen. Also doch! stammelte es dumpf in ihm.

Trag' dieses Buch zu Mistreß Norbert, hieß Frau v. Milden ihr Töchterchen, indem sie das Kind damit entfernte.

Malwine ging. Moorfeld sah ihr nach, und als sie die Türe geschlossen, sagte er zur Mutter gewendet: Geschlossener Hofraum! Die Exekution kann beginnen. In Philadelphia richtet man so: ein tête-à-tête nur zwischen Henker und Delinquenten. Ich bitte, sprechen Sie, gnädige Frau.

Könnt' ich uns beiden diese Stunde ersparen! seufzte die edle Frau, deren Züge der Schmerz ebenso zu verschönen schien, als Moorfeld wild, ja, gräßlich blickte. Und gleichsam als klängen ihr Moorfelds Worte jetzt erst ans Ohr, sagte sie sanft: Ich richte niemanden. Auch ist er noch nicht gerichtet. Ach, ich erzähle ja nichts als ein paar veränderte Äußerlichkeiten. Urteilen Sie selbst, ob sie ein Schicksal sind.

Moorfeld starrte vor sich hin.

Frau v. Milden begann: Es war am Tage Ihrer Abreise, Herr Doktor. Die letzten Stunden, wenn ich nicht irre, brachten ein wiederholtes Hin- und Wiedergehen zwischen Ihnen und Theodor, wie es solche Gelegenheiten pflegen. Einmal kam Theodor zu spät. Herr Staunton, der zwischen Tür und Angel ihn empfing, kündigte ihm an, Sie wären soeben abgereist. Das sind aber auch Entfernungen! rief Theodor erhitzt und bestürzt, wie flog ich zurück von der Crotonschen Wasserleitung! Und stehendes Fußes wandte er sich, um Sie noch einzuholen. Herr Staunton hielt ihn auf: wie, mein Herr, Sie haben unsern Croton-Aquädukt gesehen? Sie staunen, wie? ein echt römisches Bauwerk, wie? – Verdammt römisch! rief Theodor unwillig über die zudringliche Eitelkeit, – ich glaube in der Tat, die Amerikaner kennen so wenig als die alten Römer das hydrostatische Gesetz, nach welchem das Wasser in Röhren, die untereinander verbunden sind, überall auf denselben Höhepunkt steigt. Kolossale Verschwendung, dieser Aquädukt! in Europa richten wir's wohlfeiler. Herr Staunton horchte mit offenem Munde. Sie sind Ingenieur? war der halb geistesabwesende Ausdruck seiner Überraschung. – Ingenieur, Physiker, Chemiker, Techniker, was Sie wollen! – Wie hoch taxieren Sie ein Jahresengagement in all diesen Branchen? – Sechstausend Dollars! warf Theodor hin, um den Lästigen zu brüskieren. Aber Herr Staunton fuhr mit beiden Händen nach den seinigen und rief: Topp, Sie sind mein Mann! Hätten Sie zweitausend gesagt, – adieu! Soviel Selbstvertrauen erwirbt Beachtung. Kommen Sie in mein Parlour. – Das alles war das Werk einer Sekunde.

Theodor folgte wie im Traume. Herr Staunton hieß ihn auf ein feuerflammendes Kanapee niedersetzen, indes er selbst mit großen Schritten das Zimmer durchmaß. Er fing eine weitausholende pathetische Rede von der Größe und Herrlichkeit seines Vaterlandes an. Er schien es darauf abzusehen, den jungen Mann zu betäuben, zu berauschen. Er streckte sich zu einer Art höherem Wesen vor ihm aus. Er pries ihn glücklich, daß die Erde New Yorks ihn trage. Der Winkel am Hudson und an der Manhattanbai sei auf dem ganzen Globus der auserwählteste Sitz für Menschenkultur. Wer es hier zu nichts bringe, der lästere den sechsten Schöpfungstag, er steige von der Höhe seiner Gattung herab zum Tiere und zur Pflanze. Fassen Sie diesen gottbegnadeten Punkt unsers Planeten näher ins Auge! rief er mit ausgestreckten Händen. Denken Sie sich z.B.: Afrika sei ein wohlbevölkertes, zivilisiertes Land, die Spanier seien ein tätiges, aufgeklärtes Volk mit einem hohen Sinn für Handelsverkehr, und nehmen Sie dann an, daß Gibraltar nicht nur der vorzüglichste, bequemste und gesündeste Hafen der Welt, sondern auch durch seine Lage den Vorrang im Handel von Europa zu behaupten berufen sei. Entfernen Sie alle bedeutenderen Nebenbuhlerinnen, welche durch Zufall oder Betriebsamkeit in den übrigen Teilen Europas entstanden, kurz geben Sie Gibraltar unter den ersten Handelsstätten unsrer Halbkugel die erste Stelle. Denken Sie sich hierauf das mittelländische Meer mit seinen Fortsetzungen als einen bloßen Strom, der in unmittelbarer Verbindung mit großen Seen steht, an deren Ufern Menschen von gleicher Erziehung, gleichen Ansichten und Bedürfnissen wohnen, welche dieselben Staatsmaximen befolgen und unter denselben allgemeinen Gesetzen stehen, nennen Sie dieses Gibraltar endlich New York, und ich überlasse es Ihrer eigenen Einbildungskraft, was für ein Schauplatz menschlicher Tätigkeit und Machtentwicklung dieser unschätzbare Fleck Erde sein kann und sein muß.

Ja! rief er aus, indem er von einer Karte Amerikas stehen blieb, vor diesem Bilde muß jedes menschliche Knie sich beugen. Welch ein Anblick! Dieses Profil, diese Gliederung, dieser wunderbare Zusammenhang der fähigsten Organe – welch ein Göttergebilde! Das ist ein Leib, wie die Schöpfung des Prometheus! Aber nicht das Feuer fehlt ihm – beim Himmel, das haben wir selbst! – bloß der Ausarbeitung seines Geäders sind wir die letzte Hand schuldig. Dieser Hudson, dieser Mississippi, dieser Ohio und Missouri, diese Seen und dieser Golf – er beschrieb mit der Hand schwungvolle Linien – welcher Landkörper der Erde hat ähnliche Venen und Arterien aufzuweisen? Alles ist da, bloß in den Kapillargefäßen bleibt uns noch eine letzte Feile. Ein paar hundert Eisenbahnen und Kanäle sind wir diesem Lande schuldig!

Hierauf folgte eine weitere Liturgie über den großartigen Tätigkeitstrieb der amerikanischen Nation, über die staunenswerten Untersuchungen, die auf allen Punkten des Landes, wie ebenso viele Jupiters gerüstete Minerven erzeugten, – der Mann verwandelte ohne weiters sein Amerika in einen Olymp von Göttern, indem er dürftige Schulerinnerungen am rechten Orte mit Pomp paradieren ließ. Den Schluß machte ein Engagement für eine der reichsten und mächtigsten Eisenbahnkompagnien Nordamerikas. Den gänzlichen Schluß bildete der kleine Nachsatz, Herr Benthal könne gelegentlich der Trassierungen wohl auch in montanistischer, hydrographischer, chemisch-agrarischer, überhaupt in national-ökonomischer Beziehung die Landschaften ein wenig explorieren und nebenher seine Berichte und Zeichnungen darüber der Kompagnie einsenden. Auf letzteres Offert antwortete Theodor mit großer Kaltblütigkeit: Also von einem Doppelgeschäfte ist hier die Rede! Unsre Eisenbahnkompagnie ist zugleich eine Gesellschaft für Landhandel. Eine glückliche Kombination, die einen ungeheuren Gewinn abwerfen muß! Indes modifiziert das unsre Abrede ein wenig, Herr Staunton. Soll ich die Seele solch eines zweilebigen Körpers sein, wie es den Schein hat, so wären sechstausend Dollars ein wahres Almosen für diese Stellung. Ich würde in diesem Falle eine Tantieme an dem Geschäfte selbst beanspruchen. Herr Staunton traute seinen Ohren nicht. Er hatte den schlichten, blonden Deutschen so geschickt überrascht, wie er meinte, und nun mußte er diese Geistesgegenwart finden! Aber der Eindruck war ein bezaubernder. Herr Staunton strahlte; er fiel mit offenen Armen über Theodor her und rief: Sie sind ein smart man! Sie sind wert ein Amerikaner zu sein! Aber nun genug, Freundchen! Lassen Sie's gut sein. Überlassen Sie sich mir, und Sie sollen es nicht bereuen. Wir können den Baum nicht auf einen Schlag fällen, seien Sie indes versichert: dem Genie bewilligt der Amerikaner alles, alles! Sie sollen nicht zu kurz kommen.

Das, fuhr Frau v. Milden fort, war der Inhalt eines Ergusses, womit Theodor sprudelnd und glühend am selben Abend uns überraschte. Er riß unsere Lebensgeister mit hin, wir vernahmen wiederholt das glückliche Ereignis aus seinem Munde. Sie hören, ich behielt seine Worte, wie ich aus dem Mädchenpensionat noch manche Memorieraufgabe behalten. Wir waren begeistert mit ihm.

Frau v. Milden hielt inne. Sie kämpfte einen Augenblick mit dem Schmerze, den ihr die Natur dieser Mitteilungen aufzuregen schien, bis sie mit unbewegter Stimme fortzufahren vermochte:

Seit jenem Abend aber kam alles anders. Theodor verwandelte sich rasch, im Fluge. Die feste, männliche Bescheidenheit, womit er sonst unser Los, wie eine Würde, ertrug, machte einer wilden, hastigen Emotionssucht Platz. Er erlaubte sich, unsern einfachen Tee mit allerlei Genüssen zu garnieren, die höchstens ein Kind naschen, eine angehende Hausfrau aber nicht wirtschaften lehrten. Daneben fing er an, einzelne Abende ausfallen zu lassen, – seine neuen Klubverbindungen mit den Männern des Kommerzes und der Industrie zögen ihn nach außen. Wir glaubten es gerne. Erschien er dann, so trat er ein wie ein Gott, kramte glänzende Geschenke aus und wurde empfindlich, selbst verletzend, wenn sie ihm nur die Bewunderung meiner Kleinen, von Paulinen aber ein tiefsinniges Kopfschütteln, von mir eine mütterliche Ermahnung eintrugen. Allmählich fing er auch an, sein Äußeres umzuformen. Erst verschwand ein schöner, blonder Vollbart, dann kamen Vatermörder, dann dieses und jenes, nach und nach die ganze Transkription in den steifen, unkleidsamen Komptoir- und Börsenmenschen. Als Pauline ihr Leidwesen um die liebe, vaterländische Tracht bezeigte, antwortete Theodor: sie scheine auch nur zum »Leidwesen« geschaffen, seine Freuden teile sie wenig.

Übrigens standen diese Freuden selbst noch hinter manchem Meilenstein. Wovon Theodor depensierte, das scheint nur ein glänzendes oder vielmehr lockendes Handgeld gewesen zu sein. Der Abschluß des eigentlichen Engagements ließ auf sich warten. Es ist das ein dunkler, labyrinthischer Handel, den eine Frau schwer durchdringt, wohl auch nicht durchdringen will. Ich habe mich nie in die Karten gemischt. Wenn es indes erlaubt ist, aus Gerüchten, Winken, Andeutungen und dergleichen Halbheiten ein Urteil zu bilden, so dürfte auf Herrn Stauntons Charakter und bürgerliche Stellung ein Schein von Zweideutigkeit fallen. Dieser Herr, wie man sagen will, hat sich von verschiedenen Geschäften mit wiederholten Bankrotten zurückgezogen, was freilich in Amerika anders als bei uns beurteilt werden mag. Das hiesige Kreditsystem und der volkstümliche Geist des kühnen Wagens mögen dafür Maßstäbe haben, welche nicht die unsrigen sind; ich will darüber nicht absprechen. Auch will ich nicht entscheiden, ob er den Versuch, ein fashionables Boardinghouse erst im kleinen, dann im großartigeren Stile zu halten, direkt zu dem Zwecke unternommen hat, um reichere Auswanderer, welche er in Europa selbst schon anzuködern wußte, den Händen einer mystisch-organisierten Landspekulation zu überantworten. Unzweifelhaft dürfte nur sein, daß er in seinem Geschäfte mit Theodor wirklich oder auch wirklich nur als Makler einer großen hinter ihm stehenden Aktiengesellschaft handelte. Er scheint aber außer den Zwecken dieser Gesellschaft noch gewisse ihm allein eigene verfolgt zu haben; wenigstens leuchtete aus all seinen verworrenen Manövern der eine Grundgedanke durch: Theodor in seiner Hand zu behalten. Er brachte den jungen Mann nie unmittelbar in Verbindung mit den Leitern der Gesellschaft, er ließ sein Engagement selbst eine Reihe von verschiedenen Chancen durchlaufen, heute streckte ein unermeßliches Kapital sichtlich und greiflich seine goldgefüllte Hand nach Theodor aus, und morgen war alles wieder so schattenhaft, so entlegen, daß die Hoffnung auf immer Abschied zu nehmen schien. Ich kann diese Vorgänge unmöglich bestimmter schildern, als sie mir selbst erschienen, und Sie sehen wohl, ihr Licht war trübe genug. Herr Staunton bediente sich ohne Zweifel gegen Theodor des Vorgebens, und wer sagt mir, ob und wieweit dieser es nicht gegen uns getan? Augenscheinlich aber war es allerdings, daß Theodor selbst zwischen Hoffnung und Täuschung unendlich herumgetrieben wurde, daß er Tantalusqualen litt, daß man ihn wie einen Schweißhund an der Leine gehen ließ, daß ein unerbittlicher Rechner es darauf abgesehen hatte, ihn durch und durch moralisch mürbe zu machen, ehe er den vorhabenden Zwecken zugeführt wurde. All seine Leidenschaften waren aufgeregt und keine einzige befriedigt; es griff wirklich seinen Körper an; er sah oft recht elend aus.

In solch einem Augenblick fragte ihn Pauline einmal: ob er schon Briefe aus den Urwäldern Ohios habe? Ich verstand diese Frage wohl, und auch Theodor hat die Erinnerung an das stille Naturleben mitten aus seinen städtischen Geschäftsfoltern heraus keineswegs mißverstanden. Desungeachtet gab er ihr als Antwort zurück: Frägst du des Urwalds oder des Doktors wegen so? Sie hören es! Das geschah in meiner Gegenwart. Pauline erblaßte, stand auf, ging in das Nebenzimmer und weinte den ganzen Abend darin. Auch ich geriet außer Fassung diesmal. Ich bin sonst geneigt, manche Ungezogenheit, manche Laune dem Geschlechte nachzusehen, das, wenn es nicht das starke, doch gewiß das freie ist: aber diese niedrige Bosheit empörte mich. Ich ließ dem Menschen eine ernsthafte Rüge angedeihen. Es ist wahr, das Mädchen ist eine etwas schwere Natur, sie artet viel ihrem Vater nach. Es mochte nicht ganz gewählt sein, daß sie einem Manne, der mit vollen Segeln dem high life zuzufliegen meint, zu verstehen gibt, sie sehe die rauhe Farmersaxt lieber in seiner Faust. Es ist wahr, sie hat die ganze Wendung seines Geschicks mehr mit einem stillen ahnungsvollen Grauen als mit lachendem Mitgenuß angesehen. Aber wenn sie keinen Begriff davon hat, daß das Weib, unbeschadet seiner tiefen und wahren Empfindungen scheinen muß: so kannte Theodor längst ihr Naturell und hat sie, eben so wie sie ist, gewählt, geschätzt, vergöttert. Sie ist unverfälscht wie die Elemente! war sein Lieblingsausdruck. Und er hatte recht damit. Das Mädchen ist eine strenge, geradlinige Weiblichkeit. Sie ist wie eine Fackel, sie flammt in jeder Richtung nach oben. Theodors Wort, überall sonst ein eifersüchtelnder Scherz, war hier eine freche Entheiligung. Auch erkannte er sein Unrecht und tat mir reuige Abbitte. Aber solche Äußerungen kehrten öfter, es schien seine Absicht, Zwietracht zu säen. Er beträgt sich fortwährend herrisch, launenhaft, nachlässig, oder, noch ärger, gnädig und prahlerisch und meint mit irgendeinem goldenen Gehängsel ganze Reihen von Kränkungen gut zu machen. Auch bleibt er wiederholt weg. Eben jetzt haben wir ihn länger als je, eine volle Woche lang, nicht gesehen. Er ist aber weder verreist, noch gestorben, denn andere Leute haben ihn gesehen. –

Das ist Benthal von heute, – schloß Frau v. Milden aufstehend. Als Moorfeld sprechen wollte, fiel ihm die sensible Frau rasch ins Wort: Ich bitte, sagen Sie mir nichts zum Troste. Ich danke vorweg für Ihre gute Meinung. Ich weiß, was ich zu denken habe. Ich weiß, daß Sie einen Versuch machen werden, das Schwungrad, das ihn ergriffen hat, aufzuhalten. Das werden Sie tun, aber versprechen können Sie nichts. Dann reichte sie Moorfeld die Hand zum Abschiede und sagte mit einer schmerzlichen Heiterkeit: Doch, bester Herr! Eins können Sie mir versprechen: Vor ihr wollen wir fest bleiben. Wenn Sie Pauline irgendwie sehen sollten, verraten Sie nichts! Ich zeige dem Mädchen die heiterste Miene, und noch, denk' ich, ahnt sie die Möglichkeit ihres Unglücks nicht. Ach, sie hat keine Vorstellung von der schlechten Seite des menschlichen Herzens!

Auf dieses Versprechen reichte Moorfeld seine Hand. Sie zitterte heftig in Frau v. Mildens Hand. Nur mit einem stummen Blick vermochte er sein unaussprechliches Inneres auszudrücken.

Trunken von Schmerz wankte er zur Türe hinaus.

Als er am Fuß der Treppe angelangt war, öffnete sich die Türe des Basements, wo die Eigentümerin des Hauses wohnte. Pauline trat zu der Türe heraus. Sie hatte eine Arzneischale in der Hand. Als sie Moorfeld ansichtig wurde, schrak sie heftig zusammen. Der volle Gegensatz zwischen einst und jetzt überwältigte sie bei diesem Anblicke. Sie sank mit einem gebrochenen Schmerzensruf an ihm nieder. Moorfeld eilte schnell, sie zu stützen. Die Berührung eines fremden Arms schien allein schon mächtig, das züchtige Mädchen aus ihrer Ohnmacht aufzurütteln. Sie entwand sich den Armen Moorfelds, stützte sich halb lehnend gegen das Treppengeländer und hauchte ihm die Worte zu: Ich bitte, schonen Sie meine Mutter. Noch tragen ihre Ahnungen nicht so weit, wie die meinigen. Ich nehme mich übermenschlich zusammen.

Menschen! Menschen! rief Moorfeld mit einem zerrissenen Blick zum Himmel, weint, wenn ihr weinen müßt, miteinander, denn soeben sagte mir Frau v. Milden dasselbe!

Mit wilder Hast stürzte er zum Hause hinaus.


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