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Sechstes Kapitel

Als Moorfeld unter den stillen Nachthimmel heraustrat, ward ihm eine freundliche Überraschung. Deutsche Handwerker zogen am Hause vorbei und sangen eines ihrer schönen Heimatslieder. Das Lied bewegte sich, von den wohlklingenden Männerstimmen getragen, in wenigen glücklich gruppierten Akkorden, es stieg wie reine Goldstrahlen aus dem Herzen. Moorfeld stand und lauschte. Es war ihm wie die Berührung einer Freundeshand nach dem Anfall eines Straßenräubers. Nie hatte ein Lied eine glücklichere Wirkung. Wie hob sich deutsches Maß von amerikanischer Kraßheit hier so sonnenhell ab! Die Sänger woben ihrer Nation ein Ehrenkleid, von dem sie selbst nichts ahnten.

Moorfeld folgte ihnen durch mehrere Straßen. Es tat zu wohl, von diesen Klangwellen sich so fortspülen zu lassen. Und als erst Wagengerassel und Menschenverkehr aufhörte, die Musik störend zu kreuzen, genoß er um so behaglicher.

So wurde der Zuhörer unversehens in eine Region verlockt, welche nicht nur wenig befahren, sondern selbst wenig betreten schien. Mit jeder Wendung, mit jedem Schritte nahm der Charakter der Einsamkeit überhand. New York zersplitterte sich plötzlich wie ein aufgelöster Rosenkranz in alle Winde. Der Fremde stand sozusagen im freien Felde. Zwar ließ sich die gradlinige Anlage der Straßen auch hier wie überall wahrnehmen, aber die lückenhafte Art, womit diese Linien angebaut waren, gab dem ganzen Bezirke etwas Chaotisches trotz dem mathematischen Grundrisse. Es war offenbar das jüngste Quartier von New York. Die Ansiedlungen bestanden großenteils aus Gärtnereien, wie sie an den Rändern der Städte zu lagern pflegen, bis sie von dem nachrückenden Kulturleben weit und weiter hinausgedrängt werden. Handel- und Gewerbsleben war hier noch wenig vorhanden, die Grundstimmung des Ganzen eine vorherrschend ländliche. In regellosen Entfernungen blinzelten Laternenpfähle, hie und da guckte ein talghelles Fenster in die Dämmerung – zerstreute Lichtpunkte, welche den Wüsten-Charakter dieses Bezirkes noch sinnlicher ausdrücken halfen.

Der Chorgesang war inzwischen verstummt und die Sänger um eine Straßenecke verschwunden. Moorfeld stand plötzlich allein auf diesem unbekannten Boden. Jetzt erst wurde die Einsamkeit einsam um ihn. Er mußte sich wie ein Erwachender besinnen, ob er wirklich noch in New York sei. Ein Glied dieser ewig schlaflosen Stadt, das mit einbrechender Dämmerung schon Nachtruhe hielt, – es war so gar nichts Amerikanisches in dieser Szene. Doch ja, der Charakter des Unheimlichen fehlte ihr, die verdächtige Gauner- und Hochstapler-Luft. Wenn in Europas entlegenen Stadtteilen die Ärmsten wohnen, so wohnen hier, wußte er, höchstens die Neuesten. Es wehte jener beklemmende Atem der Unsicherheit aus diesem Nachtbilde nicht, in das er so unversehens als Staffage gestellt war. Er sah sich daher getrost um einen Führer um, dem er es überlassen mochte, in Ermangelung einer Fahrgelegenheit, ihn auf den rechten Weg zurückzubringen. Zu diesem Ende tat er einige Schritte vorwärts gegen ein einzelnstehendes Haus mit einem Wirtsschilde, welches die Deutschen vermutlich aufgenommen hatte. Das Wirtsschild trug, wie beim Dämmer des Tages und eines roten Lämpchens überraschend zu lesen war, die Aufschrift: Gasthaus zum grünen Baum. Bei diesem Anblicke zweifelte Moorfeld keinen Augenblick, daß er sich in jenem nordöstlichen Ende der Stadt befinde, welches er, wie er sich erinnerte, Kleindeutschland hatte nennen hören. Nur an einem Punkte, wo er sich in einem Lager von Landsleuten fühlte, konnte ein deutscher Wirt es gewagt haben, diese erzdeutsche Firma zu führen. Er kannte also das unbekannte Stadtviertel jetzt wenigstens dem Namen nach.

Er trat in den grünen Baum ein. Ja, hier war Deutschland! Die Gesellschaft deutsche Physiognomien, die Schenkeinrichtung deutsch, die mäßig-große, längliche Gaststube von einer Durchzugswand in zwei gleiche Hälften geteilt, augenscheinlich um der deutschen Sonderungssucht das beliebte »Extrazimmer« zu bieten. Und doch nahm das Publikum dieses Lokales ebenso augenscheinlich eine ziemlich gleiche Glücksstufe ein: gleicher, als manchen vielleicht lieb sein mochte. Die meisten der Anwesenden waren in diesem Augenblicke mit ihrem Abendbrote beschäftigt, welches sie auf deutsche Art einnahmen, d.h. nach der Karte und an gesonderten Tischen, anstatt daß die amerikanische Sitte selbst zum Frühstück und Tee Table d'hote hält. Auch ihre Mienen waren mit ganzer Andacht und Bedächtigkeit bei dem Genüsse; hier wurde nicht amerikanisch gejagt und geschluckt, jeder Bissen ging ins Bewußtsein über, man speiste im Geiste wie in der Form deutsch. Ja, manch ernste Stirn, manch sprechender Blick schien zu verraten, wieviel dem Manne die Mahlzeit wert sei, die er vor sich hatte, wieviel seines eigenen Arbeiterwertes er darangesetzt, sie zu erringen. – Der Ankömmling dachte vornehmer, als daß er mit einem Geldstück in der Hand sich zum Herrn über die Tafelmuße eines dieser Hungrigen aufgeworfen hätte. Mit jener Menschenachtung, die des Gebildeten echtestes Merkmal ist, sah er auf den anwesenden Nährstand, der hier den angenehmeren Teil seiner Standesehre erfüllte, und wollte ihm keinerlei Abbruch tun. Vielmehr nahm er selbst Platz in dem Gastzimmer, bestellte sich ein Souper gleich den übrigen und engagierte sich im Verlaufe desselben den benötigten Wegweiser gelegentlich.

Da er sich der deutschen Sprache bediente, so konnte er mit Vergnügen bemerken, wie wenig sein Eintreten den Leuten, die offenbar unter sich sein wollten, Zwang auferlegte. Nur im ersten Augenblicke gab sich eine Neugierde kund, wie sie eine ungewohnte Erscheinung in einem Kreise von Bekannten wohl zu erregen imstande ist. Namentlich schien es zu interessieren, ob man einen Mann vor sich habe, der auf eine verdeckte, geschäftskluge Art vielleicht Arbeitskräfte anzuwerben bezwecke, oder das Gegenteil: ob er selbst als ein angehender Schicksalsgenosse der versammelten Kleindeutschen gekommen sei. Moorfeld wußte zu befriedigen und den Geist des Fremdartigen, das um ihn lag, mit dem einheimischen schicklich auszugleichen. Es gelang ihm mit wenigen Griffen, die Unterhaltung dahin zurückzulenken, wo er sie vorgefunden zu haben glaubte. Hierauf überließ er sie wieder ihrem eigenen Gange, dem sie nach wenigen Minuten auch so unbefangen folgte, als ob nichts Neues dazwischengetreten wäre.

Die Szene des grünen Baums, wie sie dem Ankömmling in kurzem erkennbar wurde, war folgende. Der Wirt hieß »der deutsche Kaiser«. Er trug eine körperliche Größe und Masse zur Schau, wie man sie nur hinter dem Vorhang einer Jahrmarktsbude zu erwarten gewohnt ist; frei und unbezahlt sie zu sehen, erhöhte den Effekt seines Anblicks. Sein breites schwäbisches Gesicht drückte übrigens jenes bescheidene Geistesmaß aus, welches den Riesen seines Schlages in der Regel innezuwohnen pflegt, auch stand er bis zum Kindermärchen unter der Autorität eines klugen stumpfnasigen Töchterchens. Dieses Mißverhältnis zwischen scheinbarer und wirklicher Machtfülle hatte offenbar jener heitere Kopf im Auge gehabt, der mit einem besseren Instinkt des Lächerlichen als des Tragischen das bankerotte Kaiser-Ideal Deutschlands auf eine so bedeutungsvolle Persönlichkeit übertragen. Die Gäste des grünen Baums waren deutsche Handwerker und kleine Geschäftsleute; – ein Publikum von höchst gemischtem Schicksale, das aber bei allen, wie es schien, auf demselben Endpunkte angekommen war. Die Unterhaltung bewegte sich über das Thema von schlechter oder fehlender Arbeit, von trüben Aussichten oder unmittelbarer Not. Chorführer von dieser traurigen Konversation waren ein Bäcker mit sachsen-altenburgischer Mundart, ein Schneider aus dem Württembergschen und ein pfälzischer Schreiner; dazu gesellte sich zeitweilig ein Gärtner aus der Frankfurter Gegend, welcher nach jedem Schluck Whisky den deutschen Kaiser zu einem Importversuch von Äpfelwein aufforderte oder die Tochter desselben um »den Zweck des Daseins« befragte. Einer abwesenden Person, deren Ankunft eben erwartet wurde, gedachte man unter dem Titel des »Rector magnificus«, – offenbar ein Scherzname gleich dem obigen, wie überhaupt der Geist jenes Humors, welcher mißliche Verhältnisse mit ihrem ironischen Gegenbilde aufzuheitern liebt, der Gesellschaft des grünen Baums nicht gänzlich versiegt zu sein schien.

In diesem Geiste redete der Pfälzer jetzt zu einem Ecktisch hinüber, der eben erst bedient wurde und offenbar von jenen Chorsängern besetzt war, welche dem tragischen Kunstgenüsse Moorfelds ein so schönes Nachspiel geliefert. Der Pfälzer forderte einen jener Tischgenossen auf: Henning, was bringst du uns Gutes mit? Laß dich hören! Wir ziehen wieder Mäuler, wie gebrühte Katzen.

Der Angeredete antwortete: Iß Käse! Käs erfreut des Menschen Herz.

Wie auf ein Signal erhoben alle Tische ein Gelächter. Es war ersichtlich: der Mensch, der das gesprochen, war die lustige Person dieses Kreises. Er gehörte zu jener Sorte von Gesellschaftstalenten, welche, sie mögen tun oder lassen, was sie wollen, ein für alle Male den Kredit der komischen Kraft für sich haben. Gewöhnlich werden Spaßmacher dieses Genres schon durch ihre Persönlichkeit unterstützt. Henning, der Schriftsetzer, war eine lange, hagre Figur, schlotternd und scheinbar abgespannt bis zum Schatten eines Menschen. Was er sprach, trug er mit äußerster Gleichgültigkeit vor und in einem so hohlen Basse, wie ihn etwa Menschen annehmen, welche am Nikolaus-Abend den Kindern Gespenster vormachen. Seit seiner Geburt, wie er sagte »im letzten Stadium der Schwindsucht« begriffen, hatte er von dieser vielleicht wirklich jenes dumpfe Timbre seiner Stimme sowie den hohläugigen großstarrenden Blick, mit dessen fürchterlichem Rollen er nicht die geringste seiner komischen Wirkungen erzielte. Kurz, Herr Henning war einer jener beliebten Gesellschafter, welche alles um sich her lauschen sehen, sowie sie den Mund öffnen, deren Anblick allein schon erheitert, deren Wort regelmäßig einen Chorus dankbaren Gelächters nach sich zieht, ohne Unterschied, ob es mehr oder weniger witzig geraten ist, ja ob es nur immer verstanden wird oder nicht. Eine solche Szene sah Moorfeld jetzt spielen, ungefähr in folgender Weise.

Dem Schriftsetzer wurde sein Abendessen gebracht, Beefsteak mit Kartoffeln. Bedächtig wendete er das Beefsteak um und um und sah es mit einem langen, vorwurfsvollen Blicke an. Dann sagte er ruhig: das Beefsteak seh' ich wohl, aber das Fleisch nicht.

Gelächter.

Der Pfälzer rieb sich vergnügt die Hände. Er freute sich auf den Sprudel der Unterhaltung, die er herankommen sah, und die Sache in Schwung zu bringen, hetzte er an dem Wirte: Haben Sie's gehört, Herr Häberle?

Der monströse Wirt spielte mit den Fingern in seinem Schwarzwälder Hosenträger und lächelte geduldig. Der Pfälzer wendete seine erwartungsvollen Blicke wieder auf den Schriftsetzer zurück. Dieser griff nunmehr zu Messer und Gabel und fing an, seine Portion in Stücke zu schneiden. Dazu brummte er: Das ist ein Beefsteak wie ein Ohrläppchen so groß.

Gelächter.

Was sagen Sie, Herr Häberle? bohrte der pfälzische Schreiner.

Aber der ehrliche Schwabe schmunzelte nur wie einer, der es gewohnt ist, Zielscheibe zu sein, und nie daran denkt, Gleiches mit Gleichem zu vergelten.

Henning sagte: Laß ihn gehen, den grünen Baumwirt. Er ist ja noch ärger als unser Schiffsreeder. Da hatten wir doch täglich zwölf Lot Fleisch auf den Kopf, die Maus nicht mitgerechnet, die ich einst aus dem Suppenkessel schöpfte. Sie war ganz ausgewachsen.

Gelächter.

Aber des Wirtes Töchterlein nahm sich der väterlichen Ehre jetzt an und fragte spitz: Wissen Sie auch, Herr Henning, was die Lendenstücke heute kosteten?

Henning antwortete gelassen: Je teurer die Sachen sind, desto wohlfeiler muß sie der Wirt geben können. Das ist sein Profit.

Gelächter.

Dann fuhr er fort: Weil mein Magen eben falsche Toilette macht, geben Sie mir zu diesem Schönpflästerchen von einem Beefsteak auch ein Flakon Bier.

Gelächter.

Und mit gänzlicher Abspannung setzte er hinzu: Das heißt leben! Wollte Gott, ich wäre die Seeschlange, so würd' ich doch einmal ausgestopft, nach meinem Tode wenigstens. Aber unser deutscher Kaiser, der Mehrer des Reichs, gibt mich auf wie die Rheingrenze. Zum Skelett bin ich ausgedorrt unter seiner Regierung. Die Würmer sterben am Hungertyphus, die sich einst an mich machen; Gott verdamm' mich! man wird mich in Schmalz backen müssen, wenn ich ordentlich aufgespeist werden soll.

Schallendes Gelächter.

Unter diesem Stoßseufzer verschlang der arme Phthisiker sein Beefsteak mit dem ganzen Heißhunger seiner Konstitution. Dazu rollten seine Augen mit einem höchst grimmigen Ausdrucke, nur seine Zunge schwieg. Letzterer Umstand schien der Gesellschaft indes gar nicht gemütlich. Der pfälzische Schreiner suchte wieder Gelegenheit. Nach einer Pause fing er an: Was seh' ich, Henning, du trägst ja noch einmal ein gewaschenes Hemd? Und deine christliche Mistreß Waschfrau, Mitglied von einem Schock Bibelgesellschaften, Konventikeln und Missionen, hat dir doch den Dienst gekündet. War's nicht so?

Der Schriftsetzer nickte.

Sie wollte dir, sagte sie, diesmal nicht aus dem Zimmer gehen, wenn nicht der letzte Cent bezahlt würde? Verstand ich dich recht so?

Der Schriftsetzer nickte.

Ei, das müssen wir hören! Wie lief die Geschichte ab? Wie kamst du zu dem Hemde? Wie kam Frau Appendage oder Affentisch um ihre Six-Pence? Wie ist dir's gelungen, den frommen Klauen des Waschbären zu entrinnen?

Der Schriftsetzer würgte so viel seines Mundvorrats hinunter, daß er zur Not die Eßwerkzeuge als Sprachwerkzeuge frei bekam, und brummte im tiefsten Basse: Inspiration!

Der Schreiner machte eine aufmerksame aber fragende Miene. Der Schriftsetzer illustrierte seine Worte, indem er stumm mit der Gabel an die Stirne deutete und dem Schreiner mit einem Blick voll weltbezwingender Genialität ins Gesicht starrte.

Der Bursche fühlte sich ordentlich imponiert und sagte mit einigen Ehrfurchtsschauern: Um Gottes willen stelle dein Licht nicht unter den Scheffel! Laß uns von deinem Genie profitieren! Wir alle leiden ja an unsrer Frau Affentisch; was hat Kleindeutschland dem amerikanischen Yankee-Tricke entgegenzusetzen, wenn nicht seinen alten ehrlichen Mutterwitz?

Warum man doch Mutterwitz sagt? fragte der deutsche Kaiser, dem dieser Gegenstand freilich sehr fraglich war.

Warum sagt man denn Blasewitz? antwortete Henning mit ruhiger Würde. Das Gelächter, das dieser Belehrung folgte, brachte indes den Schreiner von seinem Thema nicht ab. Er fuhr fort, das Abenteuer des Schriftsetzers mit seiner Waschfrau zu urgieren. Dieser wischte sich endlich mit der Serviette den Mund, um welchen in der Tat ein goldnes Lächeln spielte. Dann fragte er gegen das Wirtstöchterchen hin: Haben Sie ein zartes Gehör, Fräulein Veronika?

Wägerli, es mag mir ein schön' Späßle sein! antwortete das Schwabenmädchen.

Praktisch war's wenigstens, versetzte Henning. Und ohne auf die weibliche Zuhörerin weiter zu achten, die ja keineswegs abgelehnt hatte, sprach er mit seiner saloppen, phlegmatischen Manier: »Männerkeuschheit« ist ein schönes Gedicht von Gottfried August Bürger. Aber Gottfried August Bürger hat in Göttingen waschen lassen, nicht in Amerika, wo das Dutzend Wäschestücke einen Dollar kostet, ohne Ausnahme: sind's Taschentücher oder Betttücher. Sonst hätte der Herr Professor wahrscheinlich meine Keuschheit besungen, statt seine Männerkeuschheit: es wäre seinem Kennerauge nicht entgangen, um wieviel sie der Unsterblichkeit würdiger ist. Ich prahle nicht; die Geschichte war nämlich so: Heut morgen stand mir die Stunde bevor, wo mir die Frau Appendage ohne Geld nicht aus dem Zimmer gehen wollte, wie mir angedroht war. Diesem Schicksale gegenüber erfand ich folgende einfache Vorrichtung. Ich blieb liegen. Nicht, daß ich etwa für krank gelten wollte, pfui der Heuchelei! aber ich blieb eben hegen. Punktum. Ich heuchle nicht, im Gegenteile; ich bin immer ein unverblümter Kerl gewesen, und an diesem Morgen war ich's erst recht. Also blieb ich liegen. Das erfindungsreiche Haupt tief ins Kissen gewühlt, die Decke sittiglich bis an das Kinn gezogen, erwartete ich ruhig das Weib des Gewäsches. Es klopft. Herein! Nun müßt ihr wissen, eine echte amerikanische Lady wäre gleich an der Türe in Ohnmacht gefallen über den Anblick eines Mannsbildes im Bette. Aber meine Frau Appendage, Mitglied von soundsoviel Religions- und Sittlichkeits-Kompagnien, trat herzhaft ein. Das verriet schon ihre unerschütterliche Entschlossenheit, sich diesmal Geld auszufechten. Sie warf sich aufs christliche Mitleid und stellte sich, als ob sie mich für unpäßlich hielte: so kam sie um die weibliche Sittsamkeit herum. Ich dachte mir: Warte, du falsches Stück Katzenvieh, du findest doch noch einen Klügern. Also: Guten Morgen, Herr Henning. – Guten Morgen, Frau Appendage. – Ei, du mein süßes Gottchen, fehlt Ihnen etwas? Wollen Sie in die Apotheke geschickt haben? – Danke, danke, es geht wohl. – Nun desto besser; hier bring' ich die Wäsche. – Schön, legen Sie's dorthin. – Wie, mein werter Herr Henning, das Hinlegen allein kann mir nichts helfen! Sie wissen doch, daß ich heute Geld haben muß? – Haben sollen Sie allerdings was, aber Geduld, das ist viel christlicher als Geld. – Sie gottloser Spötter! Ich kenne die Moral und lerne sie noch von ganz andern Geistern, als Sie mir sind. Sie sollen mir sagen, was christlich ist! Zahlen ist heute christlich. Ich will Geld haben! – Da schlagen unsre Herzen vollkommen einig, Frau Appendage, denn auch ich will Geld haben; ich hab's aber nicht. – Das kümmert mich wenig; kurz, ich gehe heute nicht aus dem Zimmer, bis ich nicht auf den letzten Cent bezahlt bin. – In diesem Augenblicke stand ich auf, sie zu bezahlen. – Wer lacht da? Honny soit qui mal y pense! sagt die Königin Elisabeth eine Szene zuvor, als sie den Mortimer zum Giftmorde dingt, und ihm eine Nacht verspricht. Das war ein Weibsbild. Wenn unsereiner so wär'! Aber nein; im Gegenteile, ich war nie unschuldiger als heut morgen, da ich aufstand, meine Frau Appendage zu bezahlen. Auf Ehre, ich zeigte mich ihr wie ein neugebornes Kind, so unschuldig, will ich sagen. Ihr hättet's sehen sollen, wie hübsch dem langen Henning das Kleid der Unschuld zu Gesichte stand. Wenigstens passend sind solche Kleider, sie machen kein Fältchen, ich versichere euch. Aber meine Frau Appendage – Herr Jeses, so soll ich kreischen hören! Gott weiß, was sie hatte; konnte ich ahnen, daß ihr die helle pure Kinderunschuld so ein Dorn im Auge war? Krisch, krasch, krusch! kreischt sie auf, als ob ein ganzes Nest von Kibitzen zerstöbe, und zur Türe war sie hinaus, wie ein Kreisel. Durchs Schlüsselloch rief ich ihr nach: Ei, Frau Appendage, Sie wollten mir ja nicht aus dem Zimmer gehen, das heißt wohl springen wollten Sie draus? Wie Sie meinen, Frau Appendage, ganz nach Ihrem Belieben. Drauf ruf ich meinen Kammerdiener, laß mir Toilette machen – et sic me serfafit Apollo!

Nach diesem Vortrage brach ein Sturm von Beifall und Heiterkeit los. Die ganze Gaststube erhob sich mit imposantem Tumulte. Alle Arme fuhren mit ihren Gläsern empor, Mann für Mann, Tisch für Tisch stieß an, und wie auf ein Zeichen erscholl's im Chorus: Unser Bruder Henning, der soll leben! Dazwischen sprang der Pfälzer, kirschrot vor Begeisterung, in die Mitte und fing mit bombenähnlicher Betonung der ersten Note zu singen an: Feierlich schalle der Jubelgesang! Auf einmal schrie eine Stimme: Einen Kranz! einen Kranz! eine Bürgerkrone für den Retter Kleindeutschlands! Der Vorschlag zündete augenblicklich; die Gesellschaft ruhte nicht, bis des deutschen Kaisers Vronele einen Strohkranz aus der Küche geholt hatte. Der pfälzische Schreiner ergriff ihn, und um Falstaffs Wort zu bestätigen: ich bin nicht nur selbst witzig, sondern auch Ursache, daß andere Witz haben, – schickte er sich an, die Krönung des witzigen Schriftsetzers mit einer witzigen Ansprache vorzunehmen. Er sprang auf einen Stuhl, hielt pathetisch den Kranz über Hennings Haupt und sprach: Meine Herren! ich fühle die Ohnmacht in mir, eine Rede zu halten. Und da der Mensch die moralische Verpflichtung hat, jedes Talent, das ihm versagt ist, zu gebrauchen, so werden Sie mir Ihr gütiges Mißfallen nicht entziehen, wenn ich meinen Rednermangel hiermit glänzen lasse. – Aber schon stockte er. Der Kreis fing bereits an, ihn auszulachen, als er sich wieder sammelte und fortfuhr: Ruhig! Das war nur eine Kunstpause. Eine Kunstpause, die sich stets dann am geeignetsten einstellt, wenn die Gedanken eine Naturpause machen. Zum Teufel auch mit allen Gedanken! Wozu braucht der Mensch Gedanken? In der Tat, wir brauchen nur einen Gedanken hier! Diesen einen Gedanken – wären wir darauf vorbereitet, wir ließen ihn ausgeschnitten in geöltem Papiertransparent über dem sinnreichen Haupte unsers Gefeierten leuchten. So leuchte er denn mit Flammenschrift in unsern Herzen und mit Flammenzunge sei er ausgesprochen, der große, weltgeschichtliche Gedanke:

Gott verläßt keinen Deutschen!

Henning brummte unter seinem Strohkranze: Das sag' ich auch! Ich gebe die Hoffnung nicht auf, daß ich noch gehängt werde. Und sogleich fiel der Chorus ein: Unser Bruder Henning der soll hängen! Aber ... Feierlich schalle der Jubelgesang! –

In diesem Augenblicke tat sich die Türe auf, und alles begrüßte – den Rector magnificus. Der Eintretende mochte Szenen, wie sie die Gaststube mit ihrem strohgekrönten Mittelpunkte jetzt darstellte, schon gewohnt sein, denn ohne sich umzusehen, durchschritt er einfach grüßend die Stube und begab sich sogleich ins Extrazimmer. Alles drängte ihm nach mit dem Rufe: In die erste Kajüte! auf, in die erste Kajüte! Der deutsche Kaiser kam mit einer Flasche Bier gemächlich hintendrein. – Moorfeld besann sich auf die Gestalt des Rector magnificus. Sie schien ihm so bekannt, daß er über den Mangel seines Gedächtnisses fast erschrak, wenn nicht das fremdartige Bunterlei seines hiesigen Aufenthaltes die Verwirrung genügend erklärte. Als aber der Rector magnificus seine Stimme hören ließ, da löste sich ihm der Zweifel. Es war dieselbe Stimme, die ihm in Mr. Mockingbirds Schule zugeflüstert hatte: Ich danke Ihnen für dieses deutsche Wort. Es war der Hilfslehrer Benthal.

Für Moorfeld gewann die Szene jetzt ein neues Interesse. Es war offenbar: der Angekommene nahm seinen Platz nicht wie jeder andere Gast in dieser Gesellschaft ein. Seine Mission schien eine besondere hier. Und da das innere Zimmer von dem äußeren nur durch eine vorhanglose Glaswand getrennt war, so bedurfte Moorfeld nicht langen Abwartens, um in seinem bequem situierten Winkel, dicht an eben dieser Wand, Augen- und Ohrenzeuge dessen zu werden, was Benthals Ankunft in diesen Räumen für Zwecke hatte. Wenigstens übersah er auf den ersten Blick, daß der heitere Geist, der sich soeben ausgelassen, eine schnelle Wendung zum Ernste nahm: es gab auf einmal gesetzte Mienen, bedächtige Aufmerksamkeit. Benthal nahm ein Tischchen ein, welches über das Niveau der übrigen Gasttische durch eine kleine Estrade erhöht schien, er zog ein Notizbuch aus seiner Tasche, blätterte darin und breitete verschiedene Papiere, Schnitzel, Adreßkarten usw. vor sich aus. Er begann:

Was mich wundert, das ist, daß unter uns Deutschen, wie einst unter den Juden, nicht längst sich die Sage von einem Messias gebildet. So oft ich diese Bezirke betrete, – und ich betrete sie gern, denn man liebt das Vaterland in zwölf Quadratschuhen noch eben so sehr als in zwölftausend Quadratmeilen, – so oft ich diese Schauplätze deutscher Leiden und Kränkungen besuche, geschieht es nicht ohne das Geleite irgendeines beschämenden Gedankens. Heut fiel mir der Name Kleindeutschland aufs Herz. Kleindeutschland! Als die Griechen Italien anpflanzten, nannten sie es Großgriechenland; die Engländer haben ihr New-Hampshire, New-Jersey, New-Caledonien, die Holländer ein Neu-Holland, die Franzosen ein Neu-Orleans gegründet; nur Deutsche vermochten es, an ihr Vaterland den Begriff klein zu knüpfen: sie ertragen, sie wählen den Namen eines Kleindeutschland! Wie wir uns hier versammelt sehen, würde ich sofort die Tilgung dieses Nennwortes beantragen; aber leider! das Schmerzliche unsrer Umstände ist, daß es paßt. Was hilft es, einem toten Stück Erde die Schmach abzunehmen, die dem Lebendigen bleibt? Von uns geht der Name auf diesen Boden über. Wir sind die Kleinen und Kleinlichen hier. Wir erröten nicht, ein leeres und niedriges Dasein auf dieser Sandstätte hinzuschleppen, und glauben, alles getan zu haben, wenn wir den Namen unsers edeln Vaterlandes mit unserer bleichwangigen Existenz ins Spiel bringen. An einer Lüge wärmen wir uns, und indem wir den gemütlichen Traum festhalten, in Deutschland zu sein, kommen wir bloß nicht dazu, in Amerika uns einzuwurzeln, es sei denn in seinen Hospitälern und in seiner Verachtung. Meine Herren! ich beeile mich, Ihre Verzeihung nachzusuchen, daß ich dem Schamgefühle, womit ich hierhergekommen, dieses starke Echo erlaube. Seien Sie überzeugt, nur Ihr Schicksal ist's, das mich demütigt, Ihr Anblick erhebt und begeistert mich. Es gibt nichts Herrlicheres auf Erden als Deutsche. In Ihrer Mitte denke ich mich, wie in einem Märchenkreis von verzauberten Fürstensöhnen. Königlich ist Ihr Erbe und Großtaten werden Sie ausführen, wenn nur erst die Entzauberung gelingt. Aber indem ich weiß, daß der Talisman dazu zwischen Himmel und Erde nirgends sonst wo hegt als in Ihrer eigenen Brust, werden Sie einen starken und eindringlichen Ruf dahin nicht mit Ihrem Mißfallen bestrafen. Diesen Ruf wollte ich vorausschicken, denn er ist der wahre Kugelspruch unsrer Lage. Was ich von Daten und Notizen die Woche über eintreibe, liegt zuletzt nur wie ein Häufchen Asche vor uns; alles kommt auf den Geisteshauch an, der die Funken drin anbläst. Ihr Mut, Ihr Wille, Ihre tapfere Entschlossenheit ist alles, diese Papierschnitzel nichts. Ein deutscher Professor, der ein deutscher Charakter war, pflegte seine Studiosen zu begrüßen: Guten Morgen, Henker, Büttel, Gerichtsdiener, Richter, Staatssekretäre, Minister, Kanzler! denn das alles werden Sie machen aus sich, je nachdem Sie Ihr Kollegium hören. Meine Herren, ich denke wir stimmen dem alten Taubmann bei; und so wollen wir zu unsrer Tagesordnung übergehen.

Er sichtete seine Papiere zurecht und fuhr fort: Ich habe in Erfahrung gebracht, daß in den Kupferminen am oberen See Bergleute gesucht werden. Eine Gesellschaft hier in New York schließt die Engagements ab und befördert gegen Vorauslage der Kosten an den Bestimmungsort. Anmeldungen Murray-Street No. 218. Ich dachte an Sie, Herr Merbach.

Der Aufgeforderte antwortete langsam und unschlüssig: Ja – aber – in Freiberg baut man auf Silber, Herr Rektor. Ich weiß nicht –

Kupfer oder Silber, in euern Neugroschen läuft's auf eins hinaus, warf der Schriftsetzer dazwischen.

Benthal erwiderte: Ich gebe Ihnen mein Wort, Herr Merbach, ein amerikanischer Kohlengräber aus Pennsylvanien baut in ein paar Wochen auf alles mögliche. Er fragt nicht: bist du fähig? er greift zu und denkt: du wirst fähig. Aber freilich, wenn Sie diese Bescheidenheit ins Aufnahmebureau mitbringen, so kostet sie Dollars. Man engagiert Sie nach der Höhe oder Niedrigkeit Ihres Selbstgefühls. Entdecken Sie dann an Ort und Stelle, daß Ihre deutsche Sinnigkeit viel gewandter sich ins Fremdartige findet, als Sie sich zugetraut, so steigern Sie zu spät. Im tiefsten Hinterland, abgeschnitten von aller Welt, ohne Reisegeld, sind Sie in den Händen des Geschäfts zu jedem Preis.

Der Sachse antwortete: Aufschneiden kann ich nicht, aber in meinem Fach soll mich keiner klein bringen.

Benthal fuhr fort: Die Reise nach Albany kostet drei Dollars. Auf dem Eriekanal etwa fünf bis sechs. Von Buffalo nach Chicago, tausend englische Meilen, zahlt man nicht mehr als dreißig Dollars. Alles mit Verpflegung. Ich empfehle Ihnen, diese Preise zu merken, sonst berechnet man Ihnen mehr. Auch werden Sie im Kontrakt sich ausdrücklich Kajütenpassagier nennen lassen, sonst bringt man Ihnen die Kajüte in Abzug und verwendet Sie auf der Fahrt zu Schiffsdiensten.

Eine Stimme unterbrach diese Anweisung mit den Worten: Er mag tun, was er will, betrogen wird er doch.

Benthal blickte auf und rief mit Verwunderung: Ei, Herr Sallmann, wie kommen denn Sie wieder hieher? Es war der Bäcker aus Altenburg, einer der früheren Gesprächsführer bei Moorfelds Eintritt. Sallmann war eine stattliche Persönlichkeit. Eine wahre Bürgermeisterfigur. Alles an ihm hatte bessere Tage gesehen. Er schien ein Stück so recht aus der Mitte geschnitten eines deutschen Gemeinwesens, einer ehrbaren Häuslichkeit. Die Trümmer des gebrochenen Selbstgefühls waren kläglich anzusehen auf dieser vollen, fast herrischen Gestalt. Er saß da, in düstrer, grimmiger Resignation, und mit einer Stimme voll Bitterkeit antwortete er: Wie ich hieher komme? das will ich Ihnen sagen. Ich höre, Sie kennen das liebe Amerika; wohlan, merken Sie sich auch dieses Stückchen dazu. Ich hatte mein Metier, wie Sie wissen, mit einem kleinen Backofen in Miete angefangen, und da mir fürs erste die Kundschaft fehlte, so trug ich auf eigenem Rücken mein Erzeugnis hausieren. Das war mir freilich nicht gesungen, als ich in Altenburg ebenso die Adresse für unsern braven Moosbach herumtrug, der jetzt im Königstein fault. Aber in Gottes Namen! Keine Arbeit ist hier geschänd't, und Frau und Kind wollen nachkommen so eher, so besser: da greift man aus. Ich hatte mich also auf ein paar hundert Dollars gebracht, auf einmal ereignet sich's, daß ich das Kapital anlegen kann im großen Stil, wie ich mein Geschäft gewohnt bin. Mein Nachbar will abreisen und verkauft mir seine namhafte Kundschaft. Er läßt mit drei oder vier Bread-Drivers austragen, indes ich allein mein Transportgaul bin. Wir waren des Handels bald eins. Als er das Geld hatte, machte er eine Spazierfahrt auf drei Tage, kommt zurück, sagt, er habe sich anders besonnen, und arbeite weiter in seiner Kundschaft. Mein Geld jedoch verweigert er mir mit frecher Lache. Natürlich werde ich klagbar. Aber wie im Schlaraffenland der Dümmste und Faulste König ist, so scheint das Recht hier eine Prämie des lumpigsten Lumpen. Denn was sagt die Jury? Der Mann hat allerdings seine Verpflichtung erfüllt; er ist abgereist. Gegen seine Rückkehr stand aber nirgends eine Verwehrung in meinem Kontrakt, dagegen könne ich denn auch nicht einschreiten. Pfui! meinem Jungen steckt' ich eine Ohrfeige, wenn er mit solchen Diebskniffen mir unters Gesicht trat' – aber we are in a free country! So judizieren sie im Lande der Freiheit!

Diese Mitteilung des Mannes erregte unter den Übrigen eine Art dumpfes Entsetzen, welches weit über den Anteil an dem Einzelschicksal hinaus ging. Es war, als fühlte jeder seine persönliche Sicherheit bedroht auf einem Boden, wo solche Gefahren möglich waren. Benthal ließ diese Regungen eines aufgeschreckten Instinktes sich aussprechen, eh' er selbst wieder das Wort nahm.

Ihr Unglück, Herr Sallmann, geht mir nah', sagte er, aber verzweifeln Sie darum am Lande der Freiheit nicht. Es ist die wahre und wirkliche Freiheit, glauben Sie, die sich im Buchstaben so leicht nicht einfangen läßt. Der Buchstabe muß aufs Bündigste und Bestimmteste gestellt sein, denn mit der Auslegung kommt schon die Willkür. So hat die Legislatur von New York kürzlich das Neun-Kegelspiel verboten. Gehen Sie aber auf den Broadway in Gothic-Hall, zweiten Stock, so finden Sie dort nicht weniger als fünf Kegelbahnen nebeneinander. Wird ein verbotenes Spiel hier gespielt? Beileibe nicht; die Partie hat bloß einen Kegel mehr bekommen. Man spielt ein Zehn-Kegelspiel jetzt.

Das sei, wie's sei, seufzte der Bäcker, und stützte seinen Kopf in beide Hände; ruiniert bin ich doch! Adieu Weib und Kind, schlagt euch den Vater aus dem Sinn!

Benthal biß die Lippen und sah mit dem Blicke des schmerzlichen Mitleids auf den armen Verzagenden. Er schien einen Augenblick zu überlegen, dann sagte er entschlossen: Hören Sie mich an, Herr Sallmann, was mir da einfällt. Ein kurioses Mittel, aber es ist amerikanisch. Wir lassen Ihr Abenteuer als Pamphlet drucken und machen den Kerl determiniert schlecht. Natürlich scherzhaft, witzig, mit der besten Miene zum bösen Spiel. In das Pamphlet wickeln Sie Ihre Semmeln und Brote, und verschenken sie Stück für Stück an die Kunden, die Sie gekauft haben. Geht auch der letzte Dollar dabei drauf, – meinen Kopf zum Pfände! die Kunden treten zu Ihnen über. Wagnis und Skandal liebt der Yankee. Sind Sie auf gut amerikanisch betrogen, so soll uns derselbe Landesgeist auch zur Revanche herhalten. Man muß überall das Mittel beim Übel suchen.

Der Schriftsetzer fügte hinzu: Und ich gehe beim Austragen neben Ihnen her und lache für einen halben Dollar per Tag. So haben Sie schon den ersten Lacher auf Ihrer Seite.

Damit war ein heiterer Ton angeschlagen, worauf Benthal seine Tagesordnung fortsetzte. Herr Carrey, Inhaber der großen Kupferfabrik, Chatham-Straße No. 9, hat sich gelegentlich der Präsidentenwahl mit einem Teil seiner Arbeiter entzweit, welche gegen ihn stimmten. Er entläßt sie und ersetzt sie durch neue. Ich notierte mir das für Sie, Herr Bertling.

Eine Stimme in Thüringer Mundart antwortete: ne, ich – hab's verred't. Die Kerls verdienen keinen Deutschen. Wenn mein Vorspann aus Deutschland eintrifft, eröffne ich mein eignes Geschäft.

Sie warten aber schon lange auf diesen Vorspann, bemerkte der Frankfurter Gärtner; und wer sich inzwischen ein Talerchen verdiente, wie? 's wäre besser als in Finger geschnitten; nichts für ungut.

Ist's meine Schuld, fragte der Kupferschmied, daß es bei Ludlow in Brooklyn nur drei Tage dauerte? Was ein gelernter Meister ist und soll sich unter das Volk stellen – Menschen von neunerlei Handwerk, die alle Sättel reiten, kein Teufel weiß, was für einen Professionisten man eigentlich vor sich hat bei so einem Yankee, ein wahrer Rattenkönig von Handwerken, – probieren Sie das, meine Herren: lieber Fuchsprellen, werden Sie sagen. Wie sie die Branntweinblasen hier machen, ist die Konstruktion so, daß man die einzelnen Teile nicht auseinanderlegen und reinigen kann; notwendig wird dabei das Produkt unreinen Geschmacks, und der Destillateur hat noch eine zweite Arbeit mit'm Abziehen. An so einer Blase bekam ich mein erstes Stück; da dacht' ich hollah! jetzt zeigst du den Meister, und schlage die Sache vor nach deiner Art, nämlich mit den Schwarz'schen Apparaten. Was meinen Sie, daß ich Dank dafür hatte? Ausgegrunzt wurd' ich noch. Eingestanden, daß mein Englisch nicht fix war und meine Zeichnung nicht eben korrekt; was schadet's? ein Deutscher merkt doch auf und faßt, was man ihm beibringt. Aber diese langbeinigen Rothaare sind wie ungeleckte Bären. Da ist kein Sinn und Begriff drin. Was hilft der Kuh die Muskate? heißt's da. Wir schrien uns die Ohren taub wie beim babylonischen Turm und fuhren uns vor den Augen herum wie in der ägyptischen Finsternis; sie spuckten mir ihre Tabaksknülle ein paar tausendmal vor die Füße, das war all ihre Kunst. Garstig bekomplimentierten wir uns auseinander.

Danken Sie Gott, rief Benthal, Sie haben sich ein Kapital gerettet. Wie in aller Welt wandelt Sie die Großmut an, Herr Bertling, daß Sie den Schwarzschen Brennapparat so ohne weiteres zum besten geben? Werden Sie nicht selbst Ihr Hauptgeschäft damit machen, wenn Ihr Vorspann, wie Sie sagen, anlangt? O Deutschland, wann wirst du aufhören, die Welt auszustatten, und anfangen, an dich selbst zu denken! Anstatt die eigenen Kunstgriffe für sich zu behalten und fremde dazuzulernen, machen Sie's umgekehrt; den Schwarzschen Apparat geben Sie hintan und tauschen nichts ein dafür von der hiesigen Technik. Herrn Ludlow auf Brooklyn kenne ich nicht, wie ich mir überhaupt in drei Tagen nichts Amerikanisches kennenzulernen getraue, aber lassen Sie die Fabrik Carrey ja nicht ungesehen als Fachmann. Sehen Sie sich die großen Arbeiten für die südlichen Zuckersiedereien an, das kommt uns in Deutschland doch nicht vor. Was sag' ich? Betrachten Sie den nächstbesten amerikanischen Nagel! Er hat an seinen vier Ecken seine scharfe Widerhaken, die ihn unausreißbar mit dem Holze verbinden, ist auch gegossen, nicht geschmiedet. Ich wollte, es läge auf allen deutschen Agenturen nur ein einziger solcher Nagel auf, daß wir bis ins Kleinste ein Bild davon bekämen, wie verschieden von uns hier fabriziert wird. Mancher deutsche Professionist wäre dann weniger rasch, auf seine Profession auszuwandern.

Der Rector magnificus hat recht, sagt ein Berliner Maschinenbauer; ich kam herüber in der Meinung, wenigstens Werkführer oder Faktor zu werden mit meinen Kenntnissen. Es ist mir auch nicht bange, daß ich's in einigen Jahren bin, für den Anfang aber muß ich froh sein, auf halben Sold einen halben Lehrling zu machen. Es sind ganz andere Konstruktionen hier. Es ist ein Unterschied wie Feuersteinschloß und Perkussionsschloß; jeder Stift wird hier anders gehandhabt.

Und manches Metier kommt gar nicht an, setzte ein Hanauer Goldarbeiter hinzu. Ich fragte um Arbeit herum. – Sind Sie ein Uhrmacher? hieß es überall. Ich bitt' einen: Goldarbeiter und Uhrmacher! Ob im Schmuckfache gar nicht gearbeitet wird? fragt' ich weiter. – Wenig, das kommt von Paris und London. Vergebens verdolmetsche ich den Leuten, daß wir Hanauer es nach Paris und London schicken, – wer glaubt es einem? Und so arbeite ich jetzt auf Probe in einem Geschäft, – ums Wasser! rief der Hanauer mit Zorn und Mißmut.

So verhält es sich, sagte Benthal, nur eines verschweigen Sie, meine Herren. Eine rasche Kenntnis des Englischen, eine rasche Umwandlung in die Nationalformen des »sham« würde Sie als Maschinenbauer wie als Schmuckarbeiter ganz anders akkreditieren. Sie müßten kein deutsches Wort mehr hören. Indes rechte ich freilich nicht mit Ihrem vaterländischen Gemüte, wenn es sich auch »beim Wasser« noch wohler befindet in – Kleindeutschland!

Der Sprecher hielt sich einen Augenblick lang über seinen Papieren auf, um diese Worte gehörig nachwirken zu lassen. Das betroffene Schweigen der beiden Vorredner bewies auch, daß er diesen Zweck, momentan mindestens, erreichte.

Hierauf fuhr er fort: Für Sie, Herr Poll, habe ich die Nachricht, daß in einer Apotheke auf dem Bowery eine Stelle offen ist. Sie trägt freilich nur fünf Dollar monatlich bei freiem Board; aber wie Ihnen die Verhältnisse bekannt sind –

Der Angeredete – ein munterer Lockenkopf in den letzten Faden eines studentischen Samtrocks – rief mit erschrockener Stimme: Bei freiem Board? wie schade! Pardon, Herr Rector magnificus, aber auf eine Kondition mit Beköstigung muß ich verzichten. Ich habe keinen Magen für dieses nasse glitschige Brot, für dieses ewige Schweinefleisch, für diese trocknen, ausgekochten Braten, für diese Talg- und Tran-Meere von öligen Saucen, für diese schlechten Gemüse, für diese alten Hülsenfrüchte, für diese Fuder von Pfeffer, Salz und Gewürzen, die ein Aufputz sein sollen für alles, aber bloß Gaumen, Zunge und Zahnfleisch zerfressen, für dieses abscheuliche Tischgetränk von gewärmtem und gewässertem Brandy, für diese –

Es ist wahr, unterbrach ihn Benthal, man muß sich die hiesige Küche erst anerziehen. Ich z.B. aß nur einmal in der Woche amerikanisch, dann zweimal, dreimal usf., bis ich mich vom grünen Baum entwöhnt hatte. Man fällt auf Listen, wie Demosthenes, vorausgesetzt, man hat auch von seinem Willensernste etwas.

Der Lockige antwortete mit einer Art komischer Tragik: Gewisse Dinge liegen außer unsrer Selbstbestimmung, Herr Rektor. Deutsch zu hungern, wird mir leichter, als amerikanisch zu essen. Auf Ehre!

Benthal zuckte die Achseln und sagte: Zufällig habe ich noch etwas an der Hand für Sie. Es kam mir ein Brief zu Gesichte, ein deutscher Arzt in einer Shaker-Gemeinde bei Pittsburg freut sich darin über den Aufschwung seiner Praxis, und da er bisher die Arzeneien größtenteils selbst bereitete, wie es bei Ärzten kleiner Landstädte hier Brauch ist, so würde er dieses Geschäft jetzt gerne einem Kollaborator überlassen. Notabene, er wünscht ausdrücklich einen Deutschen dafür. Vielleicht führt er denn auch noch deutsche Küche. Genug, ich notierte mir's gleichfalls für Sie, Herr Poll.

Dankschuldigst anerkannt, erwiderte der Gelockte, aber mit einem langen Gesichte und bedächtigem Griff in seine Rocktasche, fragte er gedehnt: Bei Pittsburg, Herr Rektor, sagten Sie so?

In der Gegend von Pittsburg, ja!

Der Apotheker hatte eine Druckschrift aus der zerrissenen Rocktasche zutage gewickelt und schlug jetzt mit der Hand, daß es klatschte, in das entfaltete Papier. Richtig! Pittsburg, im Mai, da steht es! oh ich Schlemihl! rief er bestürzt.

Alles blickte auf ihn und seine Papiere, umdrängte ihn und forschte.

Das ist ja im Narrenland! dieses Pittsburg, brach Poll mit erhobener Stimme los. Und die Gruppe voll gespannter, neugieriger Gesichter anredend, fuhr er fort: Stellen Sie sich vor, meine Herren, ich promeniere heute am Nordfluß, weiß Gott, woran ich dachte, da kommt ein Bengel mit einem Austräger-Portefeuille auf mich zu und schenkt mir dieses Traktätlein. Man kennt die Ware, die sich einem so auf den Straßen an den Hals wirft; indes, ich denke: du übst dich im Englischen, und müßig wie ich bin, las ich den bedruckten Lumpen. Aber da hört doch alles auf. Ich übersetze nicht so fließend, Sie bemühen sich wohl, Herr Rektor!

Benthal empfing das Blatt, überflog die erste Seite und fragte gleichgültig: Hm! der Verein will das neue Jerusalem aufbauen und beschreibt den Tempel wie eine Art Blockhaus. Was weiter?

Die zweite Seite, wenn ich bitten darf, wo er das Kostüm der Gläubigen vorschreibt.

Benthal wendete um und las vom Blatte weg deutsch:

Das Kleid, welches vollkommen dem Innern des heiligen Menschen und seiner reinsten Umgebung entspricht, soll beschaffen sein, wie folgt: die Hosen dürfen nicht zu weit und nicht zu eng sein, – die Unterhosen verbinde man so mit den Hosen, daß sie frei darin hängen und mit denselben angezogen werden. Jeder wählt sich die Farbe seiner Kleidung nach der Art des Schmutzes seiner Arbeit; zu den Zeiten aber, wo man keine schmutzende Beschäftigung hat, soll man tragen Hosen von glänzendem Hellgelb, einen schneeweißen Rock und einen glänzend gelben oder goldenen Gürtel. Ein goldener Hut von glänzend hellgelber Farbe ist der beste. Er soll da, wo er am Kopfe anliegt, kleine Luftlöcher haben, welche durch lose Einfassung mit den edelsten Perlen und Steinen, so edel als man sie kaufen kann, verdeckt werden sollen. Die weiblichen Personen, welche von Natur lange Haupthaare tragen, sollen diese zu dem einzig richtigen Zwecke derselben, ihren Hals damit zu erwärmen, benützen, und sie auf passende Weise gebunden um den Hals herumwinden. Die männlichen Personen, denen zur Beihilfe ihrer kürzeren Haupthaare auch Barte gegeben sind, sollen diese nicht hinwegrasieren, denn der Bart ist ein Hauptbestandteil des männlichen Körpers nach Gottes allmächtigem Willen, und durch wiederholtes Abrasieren desselben verwachsen die Wurzeln dermaßen, daß sie das Gesicht sehr verderben, und es kann auch das Abschneiden des Bartes nur von sehr naturwidrigen Folgen sein. Die im Amte stehenden Lehrer und Ältesten des Volkes sollen auf weißen Pferden reiten, denn die Pflichten ihres Amtes machen sie zur unmittelbarsten Umsicht im hellen Geiste aller Erkenntnisse verbindlich; weshalb sich dieses Amt hierbei auch durch die Helle äußern muß. Die Richter sollen auf Pferden von lebhafter braunroter Farbe reiten; denn aus ihrem Amte soll der Eifer einer feurigen Energie sprechen. Die Kassenverwalter sollen auf schwarzen Pferden reiten, so wie die unmittelbarste Äußerung ihres Amtes sich mit den Bedürfnissen beschäftigt, welche gleich einer Schattenseite des Lebens sich verändern und verschwinden. – Die Bewohner unsrer heiligen Stadt mögen nicht heiraten; denn welcher edle Christ wird bezweifeln, daß Gott vermag, dem Abraham Kinder aus Steinen zu erwecken.«

Hier legte Benthal die Flugschrift lächelnd aus der Hand, und das schallende Gelächter der ganzen Gaststube begleitete ihren Abgang. – Sie haben gut lachen, meine Herren, sagte Poll, selbst lachend, aber ich armer Schächer! Dort riskiere ich den Magen und hier das Gehirn. Adieu, – »Pittsburg im Mai!« Sie sehen, Herr Rektor, ich muß leider noch einmal verzichten.

O schade! hieß es, ich möcht' ihn sehen im gelblackierten Hut –

Und im schneeweißen Rock –

Und wie er Kinder aus Staincher zieht, sagte der Frankfurter Gärtner.

Das Gelächter fing von neuem an.

Machen wir all unsre Tollhäuser auf, rief der Bäcker aus Altenburg; wenn in Amerika die Narren frei herumlaufen, warum sperrt man sie ein in Europa?

Meine Herren, sagte Benthal, es ist uns Deutschen mit Recht eine Erquickung, daß wir an solchen Zerrbildern unsre eigne Kultur fühlen lernen. Dieser plumpe Prophet hier will geistige Tendenzen verfolgen und verwickelt sich dabei in Unter- und Oberhosen! Das ist echt amerikanisch. Freilich ist er zugleich auch praktisch wie ein Amerikaner. Was z.B. das Hängenlassen der Unter- in den Oberhosen betrifft, so steht wohl niemand unter uns, der als Lehrling oder Geselle in ungeheizten Kammern schlief und dieses Dogma nicht am Abend befolgt hätte zur großen Fördernis seiner Morgentoilette. Hierin sind wir wohl naturwüchsige Gläubige des neuen Jerusalems. Auch die Wahl unsrer Farben zugunsten der schmutzenden Berufsarbeiten, wie er sagt, ist, wenn nicht appetitlich, doch nützlich erinnert. Dabei läßt sich zugleich einsehen, warum unsere Bösewichter von Präsidenten, unsre Kieselherzen von Finanziers, kurz das ganze feine, also lasterhafte Europa mit Vorliebe Schwarz trägt. Es ist die offizielle Farbe des neuen Jerusalems für sehr schmutzige Beschäftigungen.

Ein donnerndes Bravo der Auswanderer krönte diesen radikalen Scherz.

Benthal fuhr fort: Gemach, meine Herren! Fremde Narrheit belachen ist der Zucker des Lebens, heilsame Nutzanwendung davon das Salz. Was wollen Sie? dieser Prophet da, wie Sie sehen, hat ganz gute Verstandesmaximen; komisch wird er nur dadurch, daß er den Verstand in die falsche Beleuchtung der Religiosität stellt. Aber macht es der deutsche Rationalismus anders? Den gemeinen Verstand schiebt er an die Stelle der alten wundertätigen Heiligtümer und ist so naiv, die alte religiöse Begeisterung für denselben in Anspruch zu nehmen. Und nun das Bart-Dogma! Ist es nicht eine von den acht Seligkeiten des »Vater Jahn« und haben wir – wenigstens bis zur Juli-Revolution, – »Vater Jahn« nicht mit Andacht seine Borsten-Religion predigen lassen? Ach, meine Herren, die Narrenleine ist gleich der Linie des Äquators, sie läuft um die ganze Erde herum. Daß also ein Gescheiter in Kleindeutschland verhungern soll, weil um Pittsburg herum Narren sitzen, das scheint mir eine Logik, die vielmehr eine Verwandtschaft als einen Gegensatz mit den Pittsburgern beurkunden dürfte.

Bei dieser Pointe hatte der Lockige seinerseits eine kleine, freundschaftliche Lache zu bestehen; aber die Zärtlichkeit für sein Gehirn war damit niedergeschlagen. Er zauderte nun nicht mehr, das Offert anzunehmen. Die Gesellschaft unterhielt sich noch eine Weile damit, ihn als Mitglied des neuen Jerusalems zu parodieren, während Benthal den ernsteren Wink anbrachte, seiner Landsleute zu gedenken, wenn er selbst reüssierte, – was die Spötter doch auch wieder gerne hörten.

Benthal fuhr hierauf in seinen Mitteilungen fort: Die hiesigen Verhältnisse des Tuchmachergewerks – ist Herr Sorau nicht hier? – leider! er versäumt nichts; seine Profession ist gleich Null hier: das gröbste Fabrikat ausgenommen, ist alles Import.

Er glaubte sich auf die Teppichweberei einzuschießen, sagte der Bäcker Sallmann, den Abwesenden vertretend; wir hörten zu Hause, daß der Teppich hier allgemeine Mode sei, – bis in die Bauernhütte herab.

Benthal antwortete: Das hat seine Richtigkeit, wie wir sehen; nur webt sich der Farmer von selbsterzeugter Wolle seine Hausteppiche selbst in den müßigen Wintertagen. Was aber die feinere städtische Ware betrifft, so engagiert man an den großen powerlooms oder Dampfwebstühlen ausschließlich Leute vom Fach, die gut eingearbeitet sind, nicht Praktikanten. Überdies versteht Herr Sorau kein Wort englisch. Sagen Sie ihm also, es ist ein Glücksspiel wie Pharao, wenn er länger auf Verdienst in seinem Metier wartet.

Was soll er machen? fragte Sallmann achselzuckend.

Zigarren, antwortete Benthal hingeworfen.

Damit sind wir abgefahren, rief augenblicklich eine gute Anzahl von Stimmen.

Ich will Ihnen auch erzählen, wie es zuging, antwortete Benthal. Sie nahmen die nächstbeste Zeitung zur Hand und suchten und fanden darin Annoncen, nach welchen, wie es hieß, »unter den solidesten Bedingungen« Lehrlinge angenommen wurden. Ist es so?

Ja! ja!

Die Bedingungen waren: vier Wochen Lehrzeit und zehn bis sechzehn Dollar Lehrgeld bei eigener Beköstigung. Waren das Ihre Bedingungen?

Ja! ja!

Sie gingen auf dieselben ein. Nach der ersten Woche waren Sie fähig, die ordinärste Penny-Zigarre zu fertigen. Dabei blieb's aber auch die drei folgenden Wochen. Ihr sogenannter Meister verharrte bei der Penny-Sorte. Sie aber kannten als Neulinge weder den geringen Tabak noch den geringen Preis, Sie kannten die schlechte Rentabilität dieser Sorte nicht, wußten also auch nicht, was das ganze Manöver mit Ihnen zu bedeuten hatte. Es bedeutete aber dieses: Ihr sogenannter Meister hatte auf drei Wochen einen Arbeiter, den er nicht bezahlte, von dem er umgekehrt bezahlt wurde. Als Sie dann selbständig zu arbeiten anfingen, merkten Sie erst, auf welch geringer Stufe Ihrer Ausbildung Sie standen. Die Penny-Sorte hatte zwar Ihrem sogenannten Meister rentiert, der ja Lohn sparte und Lohn empfing; Sie dagegen verdienten nicht das Salz dabei. Für die feinere Arbeit, die besser bezahlt wird, hätten Sie einer neuen Lehrzeit bedurft. Dazu fehlte aber jetzt: Mut, Geduld, Geld! So gaben Sie das Zigarrenmachen auf. Ist es so?

Ja! ja! war die einstimmige Antwort der Obigen.

Benthal fuhr fort: Ich habe mich speziell über diese Verhältnisse belehren lassen, weil ich annehmen muß, daß viele von Ihnen davon fortwährend werden Gebrauch machen wollen. Ich bedauere nur, daß Sie die Beute von Betrügern geworden sind, eh' ich das Vergnügen hatte, Sie zu besuchen. Die Richtschnur, sich vor zukünftigem Schaden zu bewahren, ist im wesentlichen diese: Der Lehrling akkordiert ein Lehrgeld von zehn Dollar auf unbestimmte Zeit, d. h. bis er die Fabrikation sämtlicher Zigarrensorten gut und tüchtig gelernt hat. Zugleich läßt er sich jedes selbstgefertigte, brauchbare Stück Zigarre bezahlen, und zwar zu dem üblichen Preis. Das ist das einzig reelle Verfahren. Meister, welche andere Bedingungen stellen, sind Schwindler; Sie finden aber auch auf diese noch der Ehrlichen genug. Ich notierte mir eine Reihe derselben zu Ihrem beliebigen Gebrauch.

Benthal gab eine Anzahl von Zetteln hintan zur großen Befriedigung vieler, welche mit Eifer darnach griffen. Nur hin und wieder sah man eine Hand unschlüssig zucken – unschlüssig zwischen dem Drange der Not und einem sehr bemerkbaren bürgerlichen Meisterstolz, der noch schnell zu überrechnen schien, ob seine Kasse verhalten würde, auch ohne dieses dargebotene Auskunftsmittel. Hin und wieder hörte man aber auch den halb unterdrückten Seufzer eines Armen, der traurig die verteilten Adressen an sich vorübergehen ließ, weil seine Umstände bereits so schlimm waren, daß sie ihm einen Aufwand von zehn Dollar Lehrgeld nicht mehr erlaubten. Personen dieser beiden Farben waren es, welche den Rektor jetzt mit Fragen anlagen, was ihm Entscheidendes über ihre betreffenden Berufszweige etwa bekannt geworden. Benthal beschied sie, so gut er's vermochte, ermangelndenfalls machte er sich Noten und versprach möglichste Auskunft für das nächstemal. Daneben gab es aber auch welche, die sich selbst weder in diese noch in jene der bezeichneten Schicksalskategorien zu rangieren wußten und offenbar noch keinerlei Mittel zwischen sich und der neuen Welt gefunden hatten. So z. B. gestand der Schneider aus Württemberg unverhohlen, daß er sich in totaler Konfusion über sein Geschäft befinde. Agenten, Briefe von Auswanderern, kurz alles hätte zu Hause übereingestimmt, nichts sei sicherer und lohnender hier als die Schneiderei. Nun laufe er aber wochenlang ohne einen Stich in New York herum. Auch Landsleute am Hafen hätten ihm jede Hoffnung –

Nichts von den Landsleuten am Hafen! fiel Benthal lebhaft dazwischen, die Rasse kennen wir! Das sind aller Welt Landsleute. Schotte, Holländer, Deutscher, Franzose, – jeder ist ihr Bruder, jeden duzen sie in seiner Muttersprache und verderben ihn ohne eine Spur von Gewissen. Wer ihnen traut, hat immer den schlechtesten Stand hier, sein Gewerbe ist immer das elendste, es sei, was es sei. Bis auf die letzte Ader saugen sie ihm den Mut aus der Seele und füllen sie dafür mit Whisky-Begeisterung und Arrak-Moral. Sie schleppen ihn von Schenke zu Schenke, halten ihn frei, vermitteln ihm alles und jedes, lassen ihm keinen selbständigen Schritt zu, nur durch ihre Brille darf der »Landsmann« die neue Welt sehen. Endlich haben Sie ihn für jeden Preis, schleppen den »glücklich Placierten« in seine Sklaverei, und wenn es je möglich ist, einen Menschen lebendigen Leibs zu vierteilen, so ist ein solches Opfer geviertelt. Ein Viertel bekommt der Zubringer, ein Viertel der Herbergswirt, ein Viertel der Arbeitgeber und nur das letzte Viertel seines Verdiensts er, der Arbeiter selbst. Davon mag er vegetieren, bis ihm der letzte gesunde Tropfen ausgepreßt ist, bis er hingeht, Lump mit den Lumpen, und den neuen Landsmann verdirbt, wie er selbst verderbt wurde. Wahrlich, vergebens jubelt der arme Auswanderer, der Pest und dem Ekel des Zwischendecks zu entfliehen: sowie er den Fuß ans Land setzt, verwandelt sich ihm das Schiffsungeziefer in Loafers, Runners und Rowdies, und Fleisch und das Mark in den Knochen verschwindet unter den Freßzangen dieser Brut. Ich beschwöre Sie, meine Herren, würdigen Sie diese Hafenlandsmannschaft Ihres Umganges nicht! Von dem Augenblicke an, als ich das Treiben dort kennenlernte, hielt ich es für meine heilige Pflicht, mein Glas Bier in Ihrer Mitte zu trinken, um das Wenige, aber mindestens Wahre und Wohlgemeinte Ihnen mitzuteilen, was meine Zeit mir von hiesiger Ortskunde einzusammeln erlaubt.

Eine Stimme rief aus der Mitte der übrigen: Ist stets dankbar anerkannt worden, Herr Rektor, und wir alle wünschen, Sie machten uns endlich die Freude, und ließen sich eine regelmäßige Gratifikation für Ihre Bemühungen gefallen. Es wäre nicht mehr als in der Ordnung.

Benthal antwortete hurtig: Ich bitte das ruhen zu lassen, ich habe es ebensooft gewünscht. Sie wissen, daß ich kein Verdienst daraus mache, im grünen Baum einzukehren und mich mit Ihnen zu unterhalten, ob von Wind und Wetter oder von Geschäften: 's ist immer Zeitvertreib. Das müßte noch ganz andere Maßstäbe annehmen, wenn es des Lohnes wert sein sollte. Ein Berichterstatter müßte seinen Beruf daraus machen, – was sag' ich, einer? Ein ganzes Komitee wäre nicht zu viel. Wahrscheinlich erleben wir auch die Gründung eines solchen; es müssen erst ein paar tausend unsers Volks zugrunde gehen in den Händen der Hafenauskünftler. Das ist auch in der Ordnung! – Und abspringend von dem patriotischen Sarkasmus fuhr er fort: Ihr Gewerbe, Herr Eckerlein, hat goldenen Boden in New York, seien Sie ganz ruhig darüber. Die Sache ist einfach die: Sie haben die sogenannte »gute Zeit« ungefähr um Ostern herum auf der See zugebracht; nicht wahr? Herbst und Frühling ist aber auch hier die gute Zeit für die Schneider und Winter und Sommer die schlechte. Indes ist auch die schlechte keineswegs brotlos in New York. Es florieren da die sogenannten South-Shops, die großen Kleiderfabriken, welche ganze Schiffsladungen ihrer Ware nach dem Süden absetzen. Sie können denken, wie für die Schafhirten Virginiens oder für die Neger der Reis- und Zuckerplantagen genäht wird. So bekommen Sie denn auch für ein Beinkleid fünfundzwanzig Cent, eine Näherin gar nur achtzehn, während in der eleganten New Yorker Saison der Lohn ein, sogar anderthalb Dollar ist. Diese Lohnersparnis macht natürlich den enormen Vorteil der South-Shops aus, während der Schneider selbst doch auch wieder Vorteil davon hat: den Vorteil einer stets offenen Versorgungsanstalt in seinen schlimmsten Tagen. Ich rate Ihnen also, Herr Eckerlein, nehmen Sie bis zum Herbst mit so einem South-Shop vorlieb.

Der Württemberger antwortete: Ei, Herr Rektor, ich frug schon herum bei einigen, aber man schlug mir überall fixes Engagement vor, und da bat ich mir doch Bedenkzeit aus.

Benthal lächelte: Die Rackers! wie sie nur ein deutsches Gesicht sehen, versuchen sie gleich die Prellerei. Fixes Engagement in einem South-Shop! Ein teures Linsengericht in einer hungrigen Stunde! Überhaupt, meine Herren, betrachten Sie das so ziemlich als Regel: wer Ihnen gar zu prompt festen Kontrakt anbietet, der spekuliert auf Ihre Landesunkenntnis, auf Ihre augenblickliche Not, und will Sie zum weißen Sklaven machen. Nein, Herr Eckerlein, nichts von solchen Engagements! Fahren Sie nur fort in den South-Shops Arbeit zu suchen; aber lassen Sie sich merken, daß Sie die Verhältnisse kennen, daß Sie noch Subsistenzmittel haben, ziehen Sie ein patentes Röckchen an, auch wenn's geborgt wäre, – und man wird Sie gerne annehmen, ohne daß Sie dem Teufel für die magre Saison Ihre fette verschreiben. Probieren Sie's nur so.

Mir scheint, ich bin in dem gleichen Falle mit Herrn Eckerlein, hörte man die schwere Stimme eines Westfalen, die zu der schwäbischen Mundart des Württembergers so markig kontrastierte, daß alles fast erschrocken aufblickte.

Sie sind? fragte Benthal.

In Deutschland war ich Tapezierer, antwortete der Westfale, was ich hier bin, weiß Gott, ich nicht. Mein Bruder, der als Zimmermaler im bischöflichen Schlosse zu Münster Brot hatte, wurde abgedankt, weil er sich die Protestantin nicht ausreden ließ, da man ihm ein katholisch' Küchenmädchen zugedacht hatte. Indem er sich nun wegen der Auswanderung erkundigte, hieß es einstimmig: für Zimmermaler wär's nichts, man hätte nur Tapeten drüben. Hollah, dacht' ich, denn ich stand schon zuvor sprungfertig, der Eimer, der nicht Wasser hält, mißt doch Hafer; das ist eine Hacke auf deinen Stiel. Ich geh' also voraus auf meine Profession, da sie die bessere ist, und sollte mich umtun, wie der zu Hause nachzubugsieren wäre: aber was find' ich? wollte Gott, ich sah' selbst wieder die Lippe fließen, statt North- und East-River! Die Tapezierer, oder wie man's hier heißt, die Paperhangers, haben nur drei Monat' im Jahre: April, Mai, Juni; – das war just die Zeit meiner Überfahrt. Ich mußte also frischweg neun Monate warten – Bagatell! in neun Monaten wird sonst zwei aus eins; ich aber wurde Null. Daß dich der Schwed'! dacht' ich, sollte denn die Papierleimerei das ganze Geschäft hier sein? Matratzen haben Sie doch! So frag' ich nach Polstererarbeit. Die macht der Möbelschreiner, hieß es. Auch nicht übel! Ich geh' nun zum Möbelschreiner. Ob ich anstreichen und malen könnte! Mich trifft der Donner! Anstreichen und malen! ich mal' euch was! Am Ende fragt das Beest, ob der Tapezierer ein Glockengießer ist! Aber so geht's hier; Herr Bertling hat recht, wahre Rattenkönige von Handwerk findet man hier. Das eine Fach ist oft auseinandergeschlagen, daß man die Scherben in zehnerlei andern Branchen suchen muß, und umgekehrt mengseln sie Handwerker zusammen – es ist toll! Ich möcht' hier in keiner Bataille blessiert werden: ein Yankee-Chirurg ist imstande und setzt mir den Fußknöchel ins Schulterblatt.

Geht mir's anders? hub ein Glaser an; aber Benthal unterbrach ihn: Mit Erlaubnis, Herr Thalhofer ist nicht zu Ende.

Der Westfale fuhr fort: Was meinen Sie nun, Herr Rektor, soll ich meinen letzten Penny in die Zigarrenmacherschule tragen?

Ist es der letzte? fragte Benthal.

Der allerletzte; und wenn der deutsche Kaiser sein Pöstchen einforderte –

Das sind freilich keine Umstände für einen Lehrkursus, erwiderte Benthal; mit Schulden anzufangen ist überall verdrießlich, doppelt in Auswandererslage, wo vielmehr stets ein paar Dollar Reisegeld übrig sein sollten für den Fall eines Unterkommens im Innern. Ich will Ihnen dieses sagen: In Williamsburg weiß ich zwei deutsche Doktoren, welche Pappschachteln machen; ihr Absatz ist bereits so gut, daß auch ein dritter Arbeit fände. Fahren Sie einmal hinüber. Der Tapezierer sagte bedenklich: Aber, Herr Rektor, werden sich die Doktoren einen simplen Handwerksmann auch gefallen lassen?

Benthal schrieb ihm die Adresse auf und hielt den Einwand kaum der Mühe wert, mit Gemurmel darauf zu antworten: Ich hoffe, die Herren haben begriffen, daß sie in New York sind, und nicht in Schilda; – worauf er sogleich fortfuhr: Was wollten Sie sagen, Herr Loßbert?

Der Glaser antwortete: Neues gar nichts, Herr Rektor, gar nichts. Ich bin eben dran, wie wir Deutschen alle. Der Goldarbeiter soll Uhrmacher sein, der Tuchmacher Teppichdampfweber, der Tapezierer Möbelschreiner, der Möbelschreiner Anstreicher – nur was der Glaser hier sein soll, könnt ich noch nicht loskriegen. Aber daß er nichts ist, soviel weiß ich bereits. Auch ich tappe im Finstern herum nach einem Zipfel meines Handwerks und kann ihn nirgends erwischen.

Suchen Sie ihn beim Bautischler, antwortete Benthal.

Aber wenn auch dem Bautischler Arbeit fehlt? fragte der pfälzische Schreiner.

So hat sie der Zimmermann, war Benthals Antwort.

Und wenn der Zimmermann feiert? erhob sich ein tiefbrauner Kopf mit dem länglich-scharfen Profil des Oberfranken.

Was! der Zimmermann feiert? rief Benthal; hier, wo jede Sommerstunde ein Haus ausbrütet, jeder Tag der Geburtstag einer Straße ist? Nicht möglich!

Dann lüg' ich, sagte der Franke kurz.

Benthal hielt einen Augenblick inne, hierauf erwiderte er: Sie mögen recht haben. New York liegt an der Front von Amerika, es hat den stärksten Anprall der Einwanderung auszuhalten. Ich gebe die Lokalkonkurrenz zu. Aber, ist New York die Union? Wo bleibt das weltgroße Hinterland? Gibt's nicht für tausende von Ackern jahraus, jahrein Fenzen zu machen, ist Pennsylvanien nicht bedeckt mit Sägemühlen, die alles beschäftigen, was seine Holzaxt führt?

Reisegeld! rief der Zimmermann, und das Wort traf in seiner baren Bestimmtheit so schlagend die einfache Situation vieler andern, daß man es augenblicklich nachhallen hörte: Reisegeld! ja, Reisegeld!

Reisegeld ist immer zu haben, antwortete Benthal; wer es so entschieden sucht, wie ich es hier äußern höre, der findet es am Hafenkrahn, bei den Eisenbahnen, beim Kanalgraben, im Arsenal auf Brooklyn, mit der Handkarre, mit der Schaufel – wo und wie Sie wollen! Ich wüßte keine Sorte öffentlicher Arbeiten, welche nicht Taglöhner beschäftigte, soviel sich deren melden.

Das Wort Taglöhner machte einen aufregenden Eindruck auf die deutschen Handwerker. Einige fuhren wild durcheinander, andere scharrten mit den Füßen, manche schrien laut auf und schickten sich zum Weinen an bei der Nennung eines Wortes, das ohne alle Illusion eine desperate Lage bezeichnete. Ein Schmerzensausruf nach Deutschland erscholl, und einer nahm dem andern das Wort der Rückkehr vom Munde.

Benthal ließ all diese Äußerungen eine Zeitlang ruhig gewähren, dann ergriff er wieder das Wort und sagte, als ob es nichts Besonderes wäre: Was die Rückkehr nach Deutschland betrifft, so habe ich eine Notiz darüber, welche von den Schiffsreedern, wie es scheint, in tiefstes Dunkel gehüllt wird, denn es wäre sonst befremdend, daß sie nicht allgemeiner benutzt wird. Es besteht nämlich ein Gesetz, welches jeden Schiffseigentümer verpflichtet, den Auswanderer, der binnen Jahr und Tag keinen Erwerb hier gefunden, an den Hafenplatz, von dem er gekommen, wieder zurückzuführen, und zwar unentgeltlich. Diejenigen nun, welche im äußersten Falle –

Hier wurden die Worte des Sprechers unhörbar, denn die ganze Versammlung war wie elektrisiert bei dieser Mitteilung. Alles sprang von den Stühlen auf, als sollte es stehenden Fußes nach Deutschland zurückgehen. Der Zustand jedes einzelnen schien mit einem Male kopfüber gestürzt, jede Sachlage in ihr Gegenteil verwandelt, jeder gefaßte Entschluß unhaltbar, und nur der eine Gedanke lebensfähig: Rückkehr nach Deutschland. Wie ein ausfliegender Bienenschwarm entstand plötzlich eine äußerst lebhafte, ja tumultuarische Debatte in der Gaststube, und ihr Inhalt war – wenn in dem allgemeinen Durcheinander überhaupt sich ein Inhalt verfolgen ließ – daß jeder dem andern zu beweisen suchte, sein Erwerb sei unzulänglich, war es nie anders und werde es nie anders sein; kurz, er sei im vollsten Rechte, jenes Gesetz zu seinen Gunsten in Anspruch zu nehmen. Dazwischen wurde mit glühenden Farben das Leben in Deutschland geschildert, es stellte sich sonnenklar heraus, daß man zu Hause das Beste verlassen und das Schlimmste dafür eingetauscht, man könne nicht schnell genug den Fehler gutmachen; ja, die hitzigsten Köpfe ließen sogar den Vorwurf hören, daß Benthal diese Nachricht all seinen übrigen nicht gleich vorausgeschickt, sie sei ja mehr wert als das ganze Amerika.

Benthal versuchte ein paarmal zu Worte zu kommen, aber vergebens: er wurde der Aufregung nicht mächtig. Mit schwülem Aufatmen griff er sich an die Stirne, tat einen Zug aus seinem Glase und sah über das ordnungslose Element dahin mit einem Blicke, der halb dem verachtenden, halb dem erbarmenden Mitleid angehörte. Endlich gewann das Erbarmen die Oberhand, er sprang auf und griff mit folgender Ansprache mutig an sein Steuer.

Meine Herren, rief er, da Sie sämtlich nach Deutschland zurückkehren, so erlauben Sie mir ein Wort des Abschiedes, denn wir sehen uns in diesem Falle wahrscheinlich zum letzten Male heute. Nach diesen Worten wiederholte er einen Zug aus seinem Glase, aber wenn je eine Kunstpause wirkte, so tat es diese. Es wurde plötzlich stille, man sah sich mit langen Gesichtern an, einige fingen zu lachen an. Diesen Moment ergriff Benthal, er setzte sein Glas ab und lächelte mit. Dann fuhr er fort: Ich muß notwendig lächeln, wenn ich mir vorstelle, wie Sie selbst nach fünf oder zehn Jahren an diesen Augenblick zurückdenken werden. Sie führen dann Ihre großen Firmen auf dem Bowery, haben Häuser oder ganze Straßen gebaut, befahren durch Ihre Aktien den obern See oder den mexikanischen Meerbusen, sind Schul- und Kirchenvorstände, Stadträte, vielleicht Deputierte und Gouverneure geworden, – denn das ist die Karriere des Deutschen: mit der Träne im Auge fängt er an, und mit der Million endet er. Seiner weinerlichen und verschlissenen Gestalt läuft heute der Straßenjunge nach mit dem Spottrufe: »ein Dutchman!« und nach zehn Jahren komplimentiert sich derselbe Straßenjunge mit einer Kandidatenliste durch Ihren Klub, und spricht: »Die Deutschen sind die besten Bürger Amerikas. Wir empfehlen Ihrer einsichtsvollen und patriotischen Wahl – usw.« Tun Sie mir den Gefallen, meine Herren, denken Sie an den grünen Baum zurück und an den Rector magnificus, der Ihnen das wörtlich so vorhergesagt hat. Ist es möglich, werden Sie ausrufen, wußten wir nicht selbst, daß aller Anfang schwer ist, und braucht uns jemand den gemeinsten aller Gemeinplätze in Erinnerung zu bringen? Ja, es ist natürlich, so verkehrt es auch zu sein scheint: Reiten und Schwimmen lernen Tausende von selbst, aber Gehen und Stehen lernt jeder Mensch unter Anleitung.

Möchten Sie das Glück, wovon ich spreche, in Tagen und Stunden erreichen! wer wünschte es aufrichtiger als ich? Aber wie schnell ist auch eine Handvoll Jahre herum! Der Lehrling sieht sich als Geselle, der Soldat als ausgedient, der Gefangene in der Freiheit – Jahre sind kurz, wenn das Ziel feststeht, das dahinter liegt; ohne dieses wird auch ein Tag zur unerträglichen Last. Glauben Sie an Ihr Glück, und es wird sich erfüllen. Was macht den Yankee groß? Daß er keinen Moment zu fixieren, sondern jeden zu überbieten strebt. Anders der Deutsche. Er liebt das Beharren, alles, auch das Schlechteste, wird ihm zum Ruhepunkte. Fragen Sie sich selbst, wie Sie dahin kamen, dieses kleindeutsche Kartenhaus festzuhalten? Ihre anfängliche Absicht war es nicht. Man wollte nur vorläufig beisammen bleiben, bis jeder seinen Weg gefunden hätte, aber dieses »vorläufig« wurde zur Gewohnheit. Man fand zwar seinen Weg nicht, aber doch einen winzig schmalen Pfad, und der Deutsche ist ja genügsam. Auf diesem Pfad geht's nun dahin mit zerrissenen Kleidern und wunden Füßen: wer sein trocken Brot verdient, hört schon zu streben auf, ja er teilt noch mit dem andern, der es nicht verdient und der nun gleichfalls zu streben aufhört im gewohnheitsmäßigen Genüsse dieser Pension. »Bruder, ich verlaß' dich nicht«, heißt es; aber es sollte heißen: »Bruder, wir verlassen uns selbst alle beide.«

Das geht uns an, murmelte der Schriftsetzer dem Frankfurter Gärtner zu.

Benthal faßte die beiden ins Auge, schwieg einen Augenblick, dann sagte er: Ich nenne keinen Namen, aber ich verleugne auch nicht, wer sich selbst nennt. Allerdings, das geht Sie an, meine Herren. Herr Henning, metteur-en-page, absolvierter Gymnasiast, ein Mann, der nötigenfalls irgendeinen halblateinischen Humbuger von seinem Katheder jagen könnte, zieht den Ruhm der Bescheidenheit allen übrigen Erdengütern vor. Er findet sein Geschäft überfüllt am hiesigen Platze, feiert und hat die Selbstverleugnung – Wassereimer zu schöpfen in dankbarer Erwiderung der Verdienste, welche Herr Birk die Großmut hat, sich um Herrn Henning zu erwerben. Nun ist zwar Ziehbrunnenarbeit nicht die heilsamste Leibesübung für einen Menschen, welcher im letzten Stadium der Phthisis pulmonalis geboren zu sein den Anspruch macht, auch wird die Nützlichkeit dieser Beschäftigung nach einigen der heißesten Sommerwochen zu Ende gegangen sein: indes bescheide ich mich gerne, vorwitziger zu sein, als mir ziemt. Der Deutsche ist ja so unendlich reich an Hilfsmitteln – sicher ist das, was nach dem Ziehbrunnen kommt, noch immer origineller als meine dürftige Phantasie. Hat sich doch ein deutscher Offizier dem Glöckner an der Trinitatis-Kirche als Aushelfer für die Vergünstigung assoziiert, daß er die Sperlinge auf dem Trinitatis-Turm schießen darf. Von diesen Sperlingen lebt er!

Der Schriftsetzer brummte: Was kann denn er dafür, daß auf dem Trinitatisturm nicht Truthühner nisten!

Herr Birk selbst – fuhr Benthal fort – kam aus der Frankfurter Gemarkung, aus der Hochschule des deutschen Gemüsebaus, und wird mit Schrecken inne, daß die Gemüseschüssel keine Rolle spielt zwischen den Fleischbergen der hiesigen Tafel. Mit Not findet Herr Birk noch ein Stückchen Sand, das ihm einer der wenigen und schlechten Gärtner hier in einen höchst pfiffigen Pacht gibt – so lange natürlich, bis der Grund verbessert und die Frankfurter Gartenkunst vom Yankee abgemerkt ist. Herr Birk hat sich nicht mit Unrecht die Frage eigen gemacht, was der Zweck dieses Daseins ist? Desungeachtet hat Herr Birk ausgesorgt auf diesem Sandparadiese – es liegt ja in Kleindeutschland! Freilich hat Herr Birk gehört, daß in Cincinnati eine gewinnreiche Blumenkultur floriert, daß ferner Cincinnati ein Hauptsitz der Deutschen ist und also ohne Zweifel auch guten Gemüsekonsum hat: aber – hier bedrängt uns eine andere Verlegenheit – Reisegeld! Das ist der Punkt, »der Unglück läßt zu hohen Jahren kommen«, wie Hamlet sagt. Zwar trete ich mit dem Rat hervor, Reisegeld im nächstbesten Taglohn zu verdienen – das heißt jedoch die große Alarmkanone abprotzen! Der deutsche Handwerksstolz ist empört bei dem Gedanken des Taglöhners, das deutsche Handwerk fürchtet an seiner Ehre zu freveln, wenn es Steine klopft oder die Schiffswinde dreht.

Meine Herren! wir alle hatten einen Hügel, von dem unsre Eltern, Geschwister und Freunde zum letzten Male ihre Taschentücher schwenkten; auch wir knüpften die unsrigen an die Wanderstöcke, das wehmutsvolle Geflatter ging hin und her, wir glaubten nicht, daß es ein Ende nehmen könne. Als es aber doch zu Ende war, da rafften wir uns mannhaft empor, und nun hieß es tapfer: Deutschland ade! Wir versprachen uns, als neue Menschen die neue Welt zu betreten. Wie, meine Herren, halten wir so Wort? Wehen die verweinten Taschentücher noch einmal? Wo bleibt der herzhafte Abschiedsruf: Deutschland ade? Ha, sind wir Auswanderer, die nicht ausgewandert sind? Das verhüte Gott, meine Herren, denn dann wären wir die unglücklichste Bastardgattung von allen Gattungen des Tierreichs.

Verstehen Sie mich recht, meine Herren. Sie haben keinen jener falschen Propheten vor sich, welche den perfiden Gemeinplatz ausbreiten, der Deutsche müsse sich möglichst schnell yankeesieren, um sein Glück zu machen. Nichts weniger. Ich beschwöre Sie sogar: schärfen und schleifen Sie alle Spitzen Ihrer Nationalität wie ein chirurgisches Besteck und zerfleischen Sie jeden damit, der Ihnen zu nahe tritt. Ihren deutschen Tief sinn stemmen Sie entgegen der routinierten Flachheit, Ihr deutsches Gemüt der höflichen Herzenskälte, Ihre deutsche Religion dem trocknen Sektenkram, Ihr deutsches Persönlichkeitsgefühl dem herdemäßigen Parteitreiben, Ihr deutsches Gewissen dem Humbug und Yankeetrick, Ihre deutsche Sprache dem Mißlaut und der Gedankenarmut, Ihr deutsches Weinglas der Mäßigkeitsheuchelei, Ihre deutsche Sonntagslust dem Sonntagsmuckertum Amerikas. Das alles halten Sie fest; und hätten Sie bei Neufundland oder zu Sandy Hook bis zum letzten Faden Schiffbruch gelitten, Ihre deutsche Sitte müßten Sie doch gerettet haben, oder ich wünschte, Sie wären mit zugrunde gegangen. Aber eins werfen Sie über Bord, wie die ausgediente Matratze eines Zwischendeckbettes – die deutsche Handwerkspedanterie. Sie könnten den Amerikanern ebensogut Ihre Fleißzettel aus der Schule vorzeigen, als daß Sie versessen sind auf das Handwerk, worin Sie Ihr »Meisterstück« gemacht. Die europäische Zunft war nur eine Schule des Handwerks; die Schule ist durchgemacht und nun fallen die Zünfte in Europa selbst, um wieviel mehr in Amerika. Wissen Sie, was hier Ihr Handwerk ist? Jedes Werk Ihrer Hand. Die Sache hat hier ihren ursprünglichen Wortbegriff. Finden Sie Ihr Handwerk im gewohnten europäischen Stile hier – gut; wo nicht, ergreifen Sie das verwandte und vom verwandten wieder das verwandte, und durchlaufen Sie den ganzen Kreis wie eine Windrose, bis Sie den Punkt gefunden haben, auf dem schön Wetter wird. So kommt der Amerikaner fort; das nennt er »sein Leben machen«. Nur kein Leben auf halbe Diät! Überlassen Sie das den Kranken und Alten. Hier ist man jung und gesund und verwandelt sich zehnmal des Tags, unternimmt alles und verzweifelt an nichts. Das erste Laster in Amerika ist die Zufriedenheit. Beharren Sie in keinem Zustande, der Sie nicht ganz befriedigt. Hüten Sie sich überhaupt vor dem deutschen Triebe des Beharrens. Warum erschreckte Sie das Wort Taglöhner so außerordentlich? Weil Sie es mit deutschem Ohre hörten, weil Sie sich unwillkürlich ein Beharren in der Tagelöhnerei dachten. Behüte der Himmel! Taglöhnern Sie ein paar Wochen, bis einige Dollars erspart sind zu der nächstbesten Unternehmung, sparen Sie bei dieser ein größeres Sümmchen zu einer noch vorteilhafteren Geschäftsart, und fahren Sie so fort in diesem Staffelbau, es wird schneller gehen, als Sie denken. Vielleicht ebenso schnell, als ob Sie nach Deutschland zurückkehrten und sich in die alten ausgefahrenen Geleise wieder einkarreten. Abgesehen, daß Ihre Ansprüche auf jene gesetzliche Retourfahrt lange nicht so liquid sein dürften, als Sie sich vorzustellen scheinen. Wer aber ein wirkliches Recht daran hat, der mache es geltend – zum Scheine wenigstens –, denn der Erfolg wird dieser sein: der Schiffsmakler wird versuchen, Ihnen ein paar Dollars Abstandsgeld zu bieten, die nehmen Sie an, nachdem Sie so viel als möglich gesteigert haben, und nun haben Sie Reisegeld! Gehen Sie damit nach Pennsylvanien oder Ohio, und ich will »damned dutch« sein, wenn Sie dort die Arbeit nicht finden, die Ihnen hier versagt. Das ist der Gebrauch, den Sie von jener Mitteilung machen können. Ich wollte, Sie hätten dieselbe, anstatt teutonischen Rückwärts-Chorus anzustimmen, gleich selbst in diesem Sinne aufgefaßt; es wäre ein hübsches Zeichen gewesen, daß Sie vom amerikanischen Geiste bereits ein paar Tropfen Taufwasser empfangen. –

Und nun, meine Herren, lassen Sie mich noch einmal Abschied nehmen. Nächste Woche finde ich vielleicht manchen von Ihnen nicht mehr hier, aber nicht weil er nach Deutschland zurückkehrte, sondern weil er nach Taglohn aus ist – wenn ich mir's schmeicheln darf. Wer es immer sei, der sich zu diesem Anfang entschließen wird – er sei beglückwünscht! Und wer es nicht tut, der störe mindestens den andern nicht. Der Amerikaner achtet jede Arbeit, denn keine ist ihm ein Dienst. Diener und Dienstherr speisen an demselben Tische, und jeder spuckt genau in dieselbe Distanz vor sich aus – ein äußerer Gradmesser ihres inneren Selbstgefühls. Nur der Deutsche ist's, der seinen Landsmann mißachtet oder der sich selbst erniedrigt und verknechtet fühlt und kaum zum Tageslicht aufzublicken wagt, wenn ihn jemand mit der Schaufel in der Hand betritt, der ihn mit der Feder hinterm Ohr gekannt hat. Fluch diesem Unsinn! Fluch dieser Handwerksehre, welche Menschenschande ist! Ich speiste einst, meine Herren, bei einem Bankier in Deutschland. Es war mitten im Januar und wir hatten frische Erdbeeren und Pfirsiche zum Dessert. Aber draußen auf der Galerie weinte das kleine Töchterchen des Hauses und fragte mich im Vorbeigehen, ob ich ihr keine Brotrindchen zustecken könnte. Nach drei Tagen war der Bankier tot, und seine Leute begruben ihn schnell, damit die Giftflecke an der Leiche nicht zum Vorschein kämen. Das war deutsche Handwerksehre! – Mein Mr. Mockingbird hat mit einer Viertelmillion in Tran falliert und streift sich lustig die Hemdärmel auf, um rechts ein Bushel Zwiebel zu messen und links ein Rudel Schulrangen zu Paaren zu treiben – der Anfang zu einer neuen Viertelmillion. Und ich, der Rector magnificus, wie Sie sagen, helfe ihm Zwiebel messen und Schulkinder kämmen, da ich doch jede Professorenstelle am Harvard-College versehen könnte, – nur daß ich sie noch nicht habe. Das ist amerikanische Handwerksehre! Nichts ist so gering hier, womit man nicht anfängt, aber nichts so hoch, womit man nicht enden wollte. Der Deutsche macht's umgekehrt. Es ekelt ihm vor der seichten Stelle, wo Frösche laichen, er wagt sich aber auch nicht hinaus, wo Silberflotten segeln. Er kennt kein Fortschreiten von einem zum andern, sondern ein hübsches Beharren in der Mitte. Meine Herren, das taugt nichts, und wär' es nicht schon so spät, ich würd' es eine Million Mal wiederholen: es taugt nichts! Diese freie Beweglichkeit, diese entschlossene Tatkraft, diese vollkommene Herrschaft über sich in allem äußern Handeln müssen Sie von Amerika lernen. Fürchten Sie deshalb nicht gleich, im Yankeetum aufgehen zu müssen. Sie können dem Yankee tausend deutsche Tugenden dafür zurückgeben und ihn ebensogut in unserm Volkstum aufgehen lassen. Das ist ja der Plan, den die Vorsehung mit der deutschen Einwanderung nach Amerika im Schilde führt. Die zwei reichsten Völker der Erde sollen ihr Kapital auf einen Satz einlegen, ein Produkt soll entstehen, welches der beste Jahrgang im Weinberge der Menschheit wird. Der Amerikaner hält seine Hand über Meer und Erde, jede Muskel an ihm ist ein Königreich wert – er ist der Gott der Materie. Dafür hat er sich auch das Geistige vom Halse geschafft und Kunst, Wissenschaft und Religion in einer blechernen Formelbüchse getrocknet zum hastigsten Verzehr mittelst einer Kanne Teewasser. Der Deutsche kommt aus dem Lande der Waldvögel, der Dichter, der Universitäten, der Dome – er ist selbst ein lebendiger Dom, ein immerwährender Gottesdienst der Begeisterung. Aber er blieb auch unvollendet, dieser Dom, die Erde ließ ihn im Stiche, weil er ihr gradeswegs gegen Himmel davonlief. Wohlan, der rührige Yankee ist ganz der Mann dazu, diesen himmlischen Stummel auszumauern. Lassen Sie seine Winden und Hebel spielen an sich, aber während er nur »Maschinenarbeit in Akkord« zu machen glaubt, schlage das Wunderweben des Doms zu den farbigen Spitzbogenfenstern heraus, und Orgelton und Glockenklang und flammende Kerzen und beseeltes Bildwerk werfe den Zunder eines höheren Lebens in sein Herz, daß er vom Gerüst herabkomme, ausgebaut in seinem Innern wie Sie im Äußern. – Ja, meine Herren, halten Sie Ihre Nationalität fest: Sie sind es dem Lande schuldig; aber fügen Sie ihr vom Yankeetum das brauchbarste Stück ein: Sie sind es sich selbst schuldig. – Gute Nacht, meine Herren, ich empfehle mich Ihnen. –

Kleindeutschland saß noch lange um seine Lichter herum, als Benthal mit einem raschen Verschwinden zur Türe hinaus war. Vor der Türe aber fühlte er eine Hand auf seiner Schulter und eine klangvolle Männerstimme sprach: Ich danke Ihnen für diese deutsche – Tat!


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