Ernst Kratzmann
Die neue Erde
Ernst Kratzmann

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Geheim unter Tag glost ein dunkler Brand. Kein leises Rauchfähnlein schwelt davon auf an die Sonne. Die davon wissen, schweigen. So treiben die Herren ihr Gewaltspiel fort, ohne Sorge, wüster mit jedem Tag.

Wir sind unterwegs, Giers Hammer und ich. Es kann lang nimmer währen, dann flammt der Brand hoch. Es weht eine Sturmfahne herauf am Himmel der Zeit. Der Luther ist in Worms gestanden, vor Kaiser und Reich. Allein gegen Rom und den Spanier auf dem deutschen Thron. Wir sahen ihn einziehen in Worms, den jungen Herrn, mit dem müden, gleichgiltigen Gesicht, in dem die Unterlippe herabhing, als sei er eingeschlafen vor lauter Überdruß und träger Weil. Wir sahen ihn, als er aus dem Bischofshof ging, nach dem Verhör Dr. Martini. Um ihn drängte sich das Geschwürm der spanischen Schranzen, gebläht von Dünkel und Hochfahrt. Ich hätt' sie niederschlagen mögen, 238 allesamt, mit Dreschflegeln, die Gecken, die über uns deutsche Barbaren höhnten.

An einem Sommerabend, in später Dämmerung, kamen die Bauern vom Odenwald zusamm. Auf geheimen Pfaden schlichen sie durch den Forst.

Rings lag das Schweigen des Abends über den Hügeln, die sich gelind zur Matte senkten, auf der eine alte Eiche allein aufragte gegen den blassen Himmel. Darunter standen wir, zusammen mit dem Herrn Wendel Hipler, dem Geheimen, Großen, von dem alle Bewegung ihren Ursprung nahm.

So still war es rings, daß wir das verlorene Rauschen eines Quells hörten, der in Waldtiefen verborgen seinen Gang nahm. Und auch die Männer, die mehr und immer mehr sich auf der Waldwiese um den Baum sammelten, bangend und erwartend, was wir ihnen zu künden hätten, auch sie harrten schweigend ohne Laut, so daß über der Matte nur das große Lauschen der Nacht war, das sich wie ein unhörbares Atmen zum Himmel aufhob, an dem nun ein Stern nach dem andern zartfunkelnd hervortrat.

Da winkte uns Herr Wendel und wir schritten hinaus, aus dem Dunkel der Eiche weg, mitten auf den Plan, die Bauern gaben uns Raum.

Giers stieß das Schwert vor sich in den Boden ein, hielt die Hände über seinem Knauf wie zum Gebet.

»Bauern,« sagt' er, »euer Gut ist Herrengut worden. Acker und Vieh ist euern Herren eigen. Ihr selber dazu – unfrei und Knecht wie der Ochs im Joch. So hat euch der Bund geladen hieher in der Nacht, die noch euer ist, da der Tag längst den Herren gehört. Wir geben euch die Güter zu Lehen, die dem Bund eigen sind, daß ihr dran wieder zu Freien werdet. Unsre Güter liegen auf dem Mond, Bauern. Da sind einmal Äcker und Weinberg' auf der Fehlhald – wer will sie zu Lehen?«

Der Stoffel Zimmermann trat vor, ein wild blickender Mann: »Ich!« rief er, und sein Schrei war voll Hohn und Wut. Er kniete vor Giers, der tat mit dem Schwert einen Schlag auf 239 seine Schulter. »So bist du Lehnsherr auf der Fehlhald! Gib sie als Erbe deinen Kindern und Enkeln, wann sie nicht früher verreckt sind unter Herrenfaust! . . . Da ist das feste Schloß auf dem Hungerberg, mit Dürrwald und Leerbach. Wer wills?«

»Ich!« schrie der Kilian Röder und empfing das Lehen.

Und weiter vergab Giers den Bettelrain, die Distelfelder zu Nirgendsheim, und jedesmal trat ein Bauer heran und kniete vor Giers, der ihm das Schwert auf die Schulter schlug. Immer wilder wurden die Rufe, immer heißer wallte die Wut auf unter den Bauern, da sie Giers also mit Hohn und bitterm Spott aufreizte, der ihre Not und den quälenden Hunger traf.

»All die Güter liegen auf dem Mond! Wollt ihr sie herunterholen auf unsere Erd, Bauern, daß sie im Odenwald liegen, im Spessert, im Taubergrund?«

»Ja!« schrien die Bauern, alle jetzt mit einem einzigen Schrei. Schwerter und Messer blitzten auf im fahlen Nachtschein.

»Und wollt ihr, daß diese Güter euch Korn tragen, das Vieh nähren und Wein geben? Korn und Vieh – das euch soll eigen sein, nimmer den Herrn?«

»Ja! Ja!« gellte der Bauernschrei.

Da sprang ich vor und hob das Blatt mit den Artikeln, die Herr Wendel Hipler gemacht mit dem Herrn Keller Weigand.

»So hört die zwölf Artikel der ehrlichen, freien Bauernschaft, hört an und schwört drauf, daß ihr zu ihnen wollt stehen und fallen, bis sie erfüllt sein!«

Ich braucht zum Lesen kein Licht, ich konnte sie hersagen zu jeder Stund. Und es war ein jedlicher Artikel und Forderung erhärtet mit einem Spruch aus der Schrift. Ich kündet' das Begehr, daß jedliche Gemein sollt selber ihren Pfarrer dürfen wählen und absetzen, wenn er sich ungebührlich hielt; daß wir den großen, aber nimmer den ungerechten kleinen Zehent geben wollten; und daß man den Bauern nimmer für einen Eigenmann sollt nehmen, angesehen daß uns Christ der Herr alle erlöst und freigekauft hat; und daß die Bauern wieder wie ehdem wollten 240 Gewalt haben, Wild, Geflügel und Fisch zu fangen, die Gemeinweid, die doch allen gehört, fürs Vieh zu nützen, Holz zu schlagen für eigne Notdurft; daß man die zahllosen harten Dienst' und Fronen sollt abtun, die von den Herren waren erdichtet und einer nach dem andern den Bauern aufgejocht worden ohne Recht; daß die Bauern den Todfall nicht mehr geben sollten, dies übelste Unrecht: wann einer starb, nahm der Herr der hilflosen Witwe das beste Rind, das beste Pferd. Das war der Todfall!

Wie wenig und armselig wars, was der Bauer begehrte – wie kümmerlich arm gegen das wildwuchernde Unrecht, das man ihm antat jeden Tag.

Da ich zuend war mit den Artikeln, hoben sie alle die Schwurhand zum Sternhimmel auf, der über uns war, der selbig, der auf vieltausend Unrecht niedersah seit vieltausend Jahr . . . Und traten in den Bund, ein jeder, und gaben den Pfennig.

Dann schlichen sie davon, tauchten in Nacht und Wald, die Halde lag einsam still wie eh und je. Wir drei standen unter dem funkelnden Himmel, schweigend, eine lange Zeit, bis Mitternacht. Dann wandten wir uns bergab, dem Tal zu. Ober uns gingen die Lichtsterne den ewigen Gang. Und auf den Waldpfaden wanderten sie nun, in Dörfern und einsamen Höfen harrten sie dumpf, die von den Sternen droben einen irren Abglanz in der Seele trugen, der ihnen die Sehnsucht nach Menschtum wachrief. Wir hatten ihn entzündet. Nun, im Dunkel der Nacht, das wie Schicksalsgrauen über uns lag, stand die Frage vor uns, schwer wie ein Stein aus Berg und Kluft: ists an der Zeit? Zu früh nicht? Zu spät nicht?

Dem Giers gingen die Gedanken einen andern Weg. Mit einmal sagt' er, jäh ins Dunkel hinein:

»Daß Ihr die Artikel also habt mit der alten Judenschrift aufgeputzt und alles Recht, das einem Jedlichen zukommt als einem Menschen, erst gelten laßt, weils beim Moses steht und beim Jesaias und Paulus – das verdrießt mich jeden Tag, Herr Hipler! Nehmts nicht für ungut . . .« 241

Nach einem Schweigen, in dem das Schnauben und Stampfen der Pferde auf dem steinigten Pfad einziger Laut war, sprach Herr Wendel:

»Mußt der Zeit achten, Giers, die über uns ist . . . Was nicht in der Schrift steht, gilt nicht. Der Luther hat die Bibel verdeutscht, liest sie ein jeder, bis ins letzte Dorf . . . Ein ander Gesetz haben wir nicht, das über dem ganzen Reich stünd . . .«

Unwillig knurrte der Giers dawider: »Der Luther! Der Luther! . . . Wie er ist aufgestanden zu Wittenberg, mit dem Eisenhammer hat an die Domtür geschlagen wie sein Vater und Vorvater ans Erz im tauben Gestein, drin im Berg – da haben wir alle, sonderlich der Urs und ich, den Mann in ihm gesehen, der die Freiheit bringen wird, die Freiheit von Rom und – Jerusalem . . . Jetzt sagt mir, Herr Wendel, was ists nun anders um seine Lehr, als um die alte Pfaffenlitanei? Immer die Schrift, und wieder die tote Schrift, das Buch! . . .«

»Der Luther eint alle Herzen auf einen Schlag! Kommt uns mehr zupaß als ein Feldhauptmann, sei er der Frundsberg oder der Jörg Truchseß.«

»Ist aber im Grund doch wieder die alte Lehr! Die macht uns nit selig. Ist eine Knechtslehr! Kein Männerwort . . . Wir haben aus tieferen Quellen getrunken, die aus deutschem Gefels aufspringen, erdstark und kalt . . .«

Herr Wendel, mit der ruhigen, besonnenen Stimm, die ich niemals laut und nie von Zorn bebend gehört, immer bedachtsam und klug beherrscht:

»Was der Luther will – mag sein, daß es der nämlich Fremdglauben ist, wie ihn die Rompfaffen lehren seit bald. 1500 Jahr . . . Aber daß einmal einer ist aufgestanden wider Rom und den Kaiser – daß er ihnen hat Trutz geboten mit steiler Stirn – einer allein für sich, ein Mann gegen die ganze Welt – und daß sie nicht die Hand gegen ihn gewagt haben: das ist das Große an ihm, das bleiben wird, dafür sind wir ihm Dank schuldig. Daß er uns Deutsche wieder das Aufrechtstehen 242 gelehrt hat, das wir vergessen haben seit vielhundert Jahr und Tag; das ist das Ewige an ihm . . . das Deutsche . . . Das andere ist zeitlich, wird mit der Zeit vergehn und sich wandeln. Das kümmert uns nit . . .«

Wir stiegen schweigend weiter bergab, bis eine schmale Waldstraße herdämmerte aus dem Dunkel der Tannen. Herr Wendel hub wieder an:

»Warum seid ihr dem Luther nun gram worden, beide? Da er vor sieben Jahr in Wittenberg ans Domtor schlug, ging eure Rede anders! He?«

Ein Holzkreuz stand an der Straße, schief und verfallen schon stak es im Erdreich. Der Leib Christi hing dran, verkrampft und zermartert. Ihm zu Seiten, auf kleinen Brettlein, stand die Mutter und der Jünger, blickten händeringend, voll Leid, zu dem Sterbenden auf.

Herr Hipler hielt an. »Hie bleib ich bis an den Tag. Da wollen die Freunde mich treffen . . .«

Eine Weile wars still um uns. Zu Seiten der schmalen Straße starrte das Tannicht schwarz. Über den Himmel aber war schon ein erstes, kaum merkliches Dämmern geflogen. Es war sehr kalt geworden. Wir setzten uns auf einen Baumstamm, der neben der Straße hingestürzt lag, hielten die müden Pferde am Zügel.

»Ihr müßt wissen, Herr Wendel«, fing ich an, seiner Frage Bescheid zu tun, »daß wir beide, als der Luther so plötzlich verschwunden war, damals nach dem Wormser Tag, und alle seine Freund verzweifelt waren und einen Streich der Römlinge fürchteten, daß wir damals beide gegen Sachsen hinaufritten und ihm nachforschten. Bis wir im Thüringer Wald einem Gerede auf die Spur kamen, daß der Luther noch wohl lebe und auf der Wartburg sitze, halb ein Gefangener, halb ein Gast. Daß ihn der Herr von Berlepsch auf Befehl des Kurfürsten dorthin gebracht, zum Schein mit rauher Gewalt, daß aber der gute Friedrich selbst nicht wissen wolle, auf welchem Schloß der Luther sei, damit er getrost vor dem Kaiser sagen konnt: ich weiß nichts drum . . . 243 Denn er ist ein edler, frommer Herr allzeit gewesen, der gute Fürst! Wollte Gott, es wären der Herren mehre so wie er ist! . . . So streiften wir denn um die Wartburg, ob wir wohl irgendwo einen Zipfel von dem Luther seiner Mönchskutt' erspähten. Aber wir bekamen sie nicht vor die Augen. Es war ein früher Sommer, der Wald rings stand in hellem, freudigem Grün, durch die zarten Blätter spielte goldig das liebe Sonnlicht, es war warm und doch noch nicht sommerheiß. Und uns war so wohl und gut und so froh im Gemüt wie seit langem nicht.

So gingen wir durch den Wald, hatten ganz vergessen, wen wir suchten, was wir gewollt. Freuten uns bloß des gesegneten Tags. Bis wir auf einmal, einem kleinen Bächlein entlang streifend, eine Stimme hörten, laut tönend und feierlich, wie wenn ein Pfaff von der Kanzel redet. Wir horchten auf und blickten einer den andern an, schlichen weiter hindann und sahen plötzlich vor uns, an der Quelle sitzend, einen Junker im Jagdkleid. Er hatte die Armbrust und den Spieß neben sich auf dem Moos liegen, den Hut dabei. Er selbst saß auf einem Stein, hatte ein wildbärtig Gesicht – das kam uns halb fremd, halb bekannt vor. Auf den Knien hielt er ein Buch und ein Bündel Schreibblätter. Und jetzt, nachdem er lang sinnend ins Grün geblickt, senkte er wieder das Aug aufs Buch und begann zu lesen – in fremden, absonderlichen Lauten . . . Und wars auch schon bald ein Menschenalter her, seit ich auf den hohen Schulen gesessen und von andern Scholaren in der Burß die fremde Sprach gehört – ich kannte sie wieder untrüglich: es war Hebräisch, was der vor uns las. Ich hatte die Sprache nie leiden mögen, sie klang mir widerlich und abscheulich, mochte auch zehnmal die heilige Schrift darin geschrieben sein.

Der Junker da vor uns las hebräisch – dann formte er auf deutsch einige Sätz – wir wußten, wen wir gefunden hatten! Aber seht nun, Herr Wendel: während wir noch lauschend standen, verwundert und beglückt, daß wir den Luther endlich entdeckt – erging es uns seltsam: rings war der holde Sommertag, die 244 Vögel sangen so froh und schuldlos rein, der Himmel war lichtblau und es zogen weiße, runde Wolken gemächlich über ihn hin wie stille, weiße Vögel, und der Quell sprang und plätscherte lustig über Stein und Wurzel hin wie ein fröhlich spielendes Kind – und Hummeln und Bienen summten und ein paar weiße und gelbe Falter schwankten durchs Gezweig und alles war Sonne und Mai und Glück, und die jungen Buchenblätter spreiteten sich weich und flaumig in der linden Luft – und indes las der dort mit dröhnender Stimme die fremden abscheulich gurgelnden Worte und dann dazu das Deutsch, ewig von einem zornrollenden, dräuenden Herrn Zebaoth und von Zion und David und Jeruscholaïm – seht, ich kanns Euch nicht sagen, wie uns mit einmal das alles so fremd war, so fremd, so tausendmal fremd, feind und tausendmal feind! Was ging uns der wildferne, wildfremde Zebaoth mit seiner gurgelnden, röchelnden Sprache an, was scherte uns hier im Thüringer Wald Zion und David und Schelaumo – zum Teufel mit all dem gottverfluchten fremden Götzenwust!

So standen wir, und mit jedem Wort, das der Junker dort am Quell las, wurde uns wirrer und seltsamer zumut. Und wir sahen mit einmal, beide, daß wir ja längst, seit vielen Jahren schon nimmer, keine Christen mehr waren! Daß wir ja längst nimmer gebetet, in den Worten der Kirche nimmer gebetet, in keine Predigt und Meß mehr gegangen, nimmer zum Abendmahl. Und daß wir doch fromm gewesen, viel an Gott gedacht, auch oft zu ihm gebetet, aber nicht so wie der dort, der David, nein, ganz anders, ohne Worte zumeist, oft nur mit einem Seufzen, einem bittenden Blick zum Himmel, oft in heimlicher Zwiesprach am Abend, bevor wir entschliefen.

Uns war, als fielen wir aus Wolkenhöhen sausend hinab durch Nebel und Lüfte, stürzten und stürzten immer tiefer, bis wir – nicht in der Hölle, nicht mit zerschmetterten Gliedern auf einem Felsen liegen blieben – nein, bis wir wie glückliche Kinder, von einem qualvollen Traum befreit, mitten im hellgrünen Thüringer Wald wieder zu klaren Sinnen kamen und wußten, daß wir längst 245 keine Christen mehr waren und daß wir mit dem dort, um den wir noch vor Tagen gebangt, den wir beglückt als den Mann der Befreiung verehrt, daß wir mit dem dort nicht das mindest mehr gemein hatten als mit irgend einem Römling . . . Wir hörten ihn sein Hebräisch kauderwelschen, ließen es mißtönig in unseren Ohren klingen wie ein heilsames Medikament, das ein guter Arzt uns zur rechten Zeit gereicht . . . Dann schlichen wir leise davon, ohne daß der Junker am Quell uns bemerkt, so war er seinen Davidspsalmen verfallen . . . Wir hatten genug gehört!

Seht, Herr Wendel, seither mögen wir zwei nicht mehr viel vom Luther halten.«

Es war langsam Tag geworden unter meiner Red'. Herr Hipler sah seltsam, wie staunend umher, sah über sich den lichten Morgenhimmel, in den sich die Frühnebel zerfließend hoben, sah einen weißen Schwaden den Waldweg entlang kriechen wie ein träges Gewürm. Er hörte das erste Vogelsingen im Wald. Er sah, wie auf Gräsern und Disteln, auf Glockenblumen und rotem Fingerhut die Tautropfen blitzten. Und um die Martergestalten am Holzkreuz hatte eine Spinne ein großes Netz gewoben, auch da drin hingen als funkelnde Edelsteine tausend und tausend winzige Perlen von Tau . . . Er sah wie träumend um sich, strich mit der Hand über die Stirn, blickte dann her zu uns und wollte was sagen, tat den Mund schon auf und bracht' doch kein Wort auf die Zung' . . . Bis er endlich, in seiner stillen, fein bedachtsamen Art, ins Klare gekommen. Er wies nach dem Kreuz: »Wollt ihrs zerschlagen, das dort?«

Giers hob abwehrend die Hand: »Da sei Gott vor – ist ein guts Werkstück! Die heilig Kunst ist unser treuester Weiser zu Gott!«

»Seht ihr! Und was für euch die Kunst, das ist für die andern der alt Glauben! . . . Ihr zwei seid uns allen voraus – um ein paar hundert Jahr! Hüt't euch – die allzu weit voranstürmen im Streit – – fallen zuerst! Stehen auf einmal allein – mitten im Feind!« 246

»Mag sein«, sagte Giers Hammer, und sein Blick war stark wie der Morgen rings, »mag sein! Aber wenn keiner voranstürmt, bleiben die andern zeitlebens dahint, kommen nie weiter!«

Herr Wendel streckt' uns die Hand hin, die schmale, zarte Herrenhand, die den Schreibkiel gewohnt war. »Gott geb euch Gnad«, sagt' er. »Von uns habt Dank . . .«

Die Straße her kam Huftritt, die Pferde hoben die Köpfe und wieherten auf.

»Und den Luther laßt mir gewähren«, flüstert' er hastig. »Der geht soweit, als es der Zeit dient . . . Darin liegt sein Recht auf die Zeit. Die Stufen, die Viele steigen sollen, müssen eine nach der andern kommen – darf kein Sprung drin sein, klafterweit . . .«

Um die Wendung der Straße kamen die Freunde heran. Wir stiegen zu Roß und ritten in den Morgen hinein . . . Die ausgewogenen Worte des Herrn Wendel Hipler gaben uns den Gleichmut, seine Herrlichkeit dankbar zu empfangen, die ihrer Vergänglichkeit zu Trotz fester gegründet stand als all das, was wir ewig zu nennen pflegen.

 

Das muß ich mir täglich neu sagen, wenn ich auf die Felder hinausgehe: daß wirklich jeder solche Morgen, und sei er auch flüchtig wie der Tau, den er über die Gräser hinbreitet, in der ewigen Wiederkehr seiner Schönheit mehr Bestand hat als alles Menschenwerk, an das wir uns voll Angst und Sorgen klammern, und das, wenn es zerfällt, für immer gewesen ist. Ich muß es mir und den andern laut sagen, denn der Wahnsinn lodert mit jedem Tag höher auf. Die Welt um uns bricht zusammen. In der Nacht stehe ich manchmal und spähe pochenden Herzens nach Nord, nach West und Ost – ob nicht von allen Seiten schon die Flammenwände heranbrausen, unserm Sein das letzte Ende zu setzen . . .

Nun gilt eine Billion Mark so viel wie früher, vor einem Jahr, eine Mark wert war . . . 247

Eine Billion . . . eine astronomische Zahl, von der man sich gar keine Vorstellung mehr machen kann . . . Ich rechne ein wenig: legte ich eine Billion wirklicher Markstücke lückenlos aneinander, es käme eine Strecke heraus gleich dem 550fachen Umfang der Erde . . . Und es ist eine solche Billion Mark ein schmutziger, zerknitterter Fetzen Papiers, von der Größe einer Straßenbahnkarte. Soweit sind wir gekommen. Dabei ist kein Ende abzusehen. Warum soll morgen die Goldmark nicht zehn, hundert Billionen gelten?

Wir glaubten 1918, den Krieg beendigt und verloren zu haben. Schaudernd sehen wir es jetzt: der Krieg hat 1918 erst begonnen und nun – ja, nun ist die wahre Niederlage da, der wirkliche völlige Zusammenbruch!

Ich fahre nicht mehr nach der Stadt. Dort sind der Wahnwitz und alle Laster entfesselt. Ich will nur mehr unsere Felder sehen. Die reine Klarheit der Heide. Wir rüsten uns langsam zur Ernte. Das Korn steht herrlich wie noch nie, ein Trost der Erde. Die Schafherde ist mächtig angewachsen, die Ballen mit Wolle häufen sich im Schuppen. Die Kühe haben uns Kälber geworfen. Sogar die kleinen Obstbäumchen, die Dr. Mertens vor zwei Jahren gepflanzt, haben geblüht und ein paar Äpfel angesetzt. Überall im Reich der Erde ist Segen – nur in der Menschenwelt tobt Wahnsinn und ruchloser Haß. Der Wucher ist toll geworden in seiner Gier. Wie sollen wir sie überstehen, diese Zeit!

 

Als ich neulich auf Ulenhöh war, habe ich Gertrud zuerst nicht gesehen; sie war bei den Kindern. Beim Abendessen erschien sie dann, schweigsam und dunkel wie immer. Der Oberst begegnet ihr, der Mutter seiner Enkel, mit zarter Rücksicht, die sie mit stillem Dank hinnimmt.

Aber es ist etwas Seltsames um diese junge Frau. Ich fühle mich in ihrer Gegenwart immer irgendwie befangen. Als ich bei Tisch einmal zufällig zu ihr hinsah, begegnete ich ihrem ruhig, fast kühl abwägenden, beobachtenden Blick, in dem es doch gleichzeitig 248 wie von dunkel verhaltener Glut brennt. Es lag eine so offene, eindeutige Frage darin, als hätten die Lippen sie gesprochen. Ich altmodischer Mensch, der Sitten der heutigen Jugend noch immer nicht gewohnt, empfand beinahe Scham darüber. Ich sah eine leise Röte über Gertruds Stirn ziehen – aber es war nur Zorn, Ärger darüber, daß ich die Frage ihrer Augen nicht verstehen wollte.

Als mich nach Tisch der Oberst in sein Arbeitszimmer bat und wir bei einer Zigarre von der bevorstehenden Ernte sprachen, kam Gertrud mit dem Tee zu uns herein. »Vater – der Großknecht läßt dich noch für einen Augenblick bitten«, sagte sie und setzte sich mir gegenüber. Kaum war der Oberst aus dem Zimmer, als mich wieder der Blick traf wie vorhin bei Tisch.

»Ich beneide euch alle«, stieß sie fast zornig hervor. »Ihr redet fortwährend von Arbeit und Ernte! Es ist schön, von Ernte sprechen zu dürfen . . . Ich . . . ich muß hier nutzlos und zwecklos sitzen – mein Leben . . . versitzen . . . in der Ödnis . . .«

In ihrer Stimme zitterte es wie von kaum verhaltenen Tränen der Wut. »Und kein Mensch will mich verstehen . . .«

Sie hatte alle Beherrschung verloren. Ich wehrte mühsam ab: »Sie haben doch Ihre Kinder –«

»Das habe ich erwartet! Das echte Männerwort! Die Kinder! Und glauben Sie vielleicht, daß mit den Kindern mein Leben schon abgeschlossen sein soll? Erfüllt sein soll? . . . Ich bin achtundzwanzig Jahre alt . . .! Bin ich nur mehr dazu da, um den andern – zuzusehen –?!«

Ich war herzlich froh, daß sich im Nebenraum die Schritte des Obersten hören ließen. Gertrud erhob sich: »Nun – ich überlasse Sie jetzt Ihrer Ernte und – der Philosophie!« sagte sie spöttisch und ging aus dem Zimmer, eben als der Oberst eintrat. »Du gehst, Gertrud?« fragte er. »Willst du nicht eine Weile noch bei uns sitzen?«

»Danke, Vater – die Kinder wollen heute nicht recht einschlafen, ich muß noch einmal nach ihnen sehen . . .« In ihrer 249 Stimme zitterte ein geheimer Unterton von Haß und Hohn, daß ich ehrlich erschrak. Ich erhob mich und reichte ihr die Hand. Kühl ruhte jetzt wieder ihr Blick auf mir – es lag fast Verachtung darin.

Ich war an diesem Abend etwas zerstreut und empfahl mich früher als sonst. Dabei habe ich das unangenehme Gefühl, als sähe es der Oberst gar nicht ungern, wenn ich Gertrud zur Frau nehmen wollte . . .

Ich ging auf weiten Wegen nachhause und hatte tausend Gedanken zu Begleitern, die am Ende alle nur aus einem Grund herkamen. Um das Grab im Wald schlug ich einen großen Bogen. Ich habe mit Hein Lünemann geredet, der damals aus dem Moorgraben stieg und seine Pfeife rauchte; aber dem, der dort unter den Granitblöcken auf der Waldlichtung ruht, wollte ich in dieser Nacht nicht begegnen . . . Ich weiß ganz genau, daß das »Unsinn« ist, daß ich dem Toten gegenüber kein schlechtes Gewissen habe – im Gegenteil! Und doch vermochte ich es nicht, an der Stelle vorüberzugehen, an der seine Asche, dies materielle Nichts, ein paar Handvoll mineralischer Salze, unter den Granitblöcken ruht . . .

Es sind Gewalten über der Erde, Gewalten, die einzig in unserm Geist wurzeln und trotzdem, nein, eben deshalb wirksamer sind als Sturm und Gewitter, Sonnenkraft und Gezeiten des Meeres. Denn diese Gewalten haben das Antlitz der Erde gestaltet und unsere Welt dazu. Und ich fühle es, fast leiblich fühle ich es, wie nun im Reich dieser Geistgewaltigen eine furchtbare Spannung sich vorbereitet, wie alles auf eine gewaltsame Entladung hindrängt. Es liegt ein Geschehen vor uns – es rückt herauf über die Kimme des Morgenrots, und jeden Tag kann das Gewitter losbrechen, das eine neue Ordnung der Dinge schafft – uns zu Leid, uns zu lieb, wer kann es raten! Meine Nächte und Tage sind voll der Gesichte. Ich bin mit Giers Hammer unterwegs auf allen Straßen des Reichs, aber die Not, die wir finden, ist nicht mehr die Not des großen Bauernkrieges, 250 es ist die Not unseres Tages, unseres Zusammenbruchs. Ich sehe zum Leuchterengel in meiner Stube auf, ob er sich nicht schon von der Wand lösen will, jetzt, in diesem Augenblick vorstoßen will in den Raum, mit der Fackel über seinem Haupt, wie damals Giers Hammer auf seinem letzten Weg zu neuen Ufern einer neuen Welt. Es ist die Rastlosigkeit eines großen Aufbruchs in mir, die Unrast des Morgenrots.

Ich ging durch Moor und Bruch, durch Kiefern und Erlenwald. Ich sah im ungewissen Nachtschein die Höfe von Rothkopf und Hannemann liegen, das Häuschen Kleebinders und Müllers, oben auf der Höh den Eichhof. Eine fiebernde Unruhe war in der Nacht. Hasso wollte immer wieder losfahren, ins Dunkel hinein, er zitterte am ganzen Leib. Die Rückenhaare starrten ihm gesträubt. Ständig mußte ich ihn mahnen, bei Fuß zu bleiben. Er witterte etwas in der Nacht. Den Fuchs aus dem Kiefernwald? Oder Menschen? Oder einen – von drüben? Wer sollte, außer mir, unterwegs sein um diese Stunde, in der Ödnis der Heide? Wer weiß es . . . Die Sommernacht war schwül. Am Himmel zuckte ein fernes Licht, fahl. Sterne stürzten durchs Dunkel. Überall war Raunen und Flüstern. Auf den Grashalmen und den Spitzen der Machandelbäume zuckten huschende Flammen. Es war eine Nacht wie damals, als das Nordlicht am Himmel aufbrannte und Giers Hammer mit der blutigen Stirn an meinem Weg stand. In solchen Nächten gehen die Liebenden über die Felder und die Mädchen neigen sich dem Begehren ihres Bluts, liegen auf der Ackerscholle in den Armen des Mannes, machen sie fruchtbar, indem sie selber empfangen. Mir geht das Blut heiß, schwer wallend durch den fiebernden Leib. Aber ist jetzt die Zeit der Liebe?

Die erste Dämmerung stieg hoch, Nebelschwaden deckten den Grund. Schwarz starrte das Moorwasser aus den Gräben herauf. Ich fand mich mühsam zurecht. Ich stand auf meinem Grund.

Im Osten brannte es rot auf wie Blut. Die Nebel hoben sich mählig. Da sah ich sie aus dem grauen Gewese heraus langsam 251 sich lösen, näher und näher kommen: Giers Hammer schritt an meinem Feld vorbei mit seinen – mit unsern Bauern . . . Sie hatten die Sensen zu Spießen geschmiedet, die Spitzen nach vor, die Schneiden schartig gebrochen wie Sägen. Manch eine war rot. Sie gingen schweigend, in dumpfer Entschlossenheit.

»Bist mir treulos worden, Gesell?« rief Giers Hammer mir zu, über den Graben, den er mir damals mit den Bauern vollenden geholfen.

Da ließ ich den Acker und die Not meines Tages und ging mit ihm und unsrer Schar, in die Entscheidung hinein . . .

 

Hoho, der Bauer steht auf, der Tanz hebt an. Das Maß ist voll. Von Blut und Tränen das Maß – wenn das überfließt, brennt der Zorn Gottes auf in wildem Schwall. Und der Engel, der vor ihm hält, ganz gerüstet in Eisen und Gold, reißt das Flammschwert aus dem Gurt und schlägt nieder damit. Dann ist Jammer und Tod auf Erden, Jammer und Not für die Menschen, die's nicht besser gewollt.

Aus Tod und Tränen gebiert sich ein neues Gesetz der menschlichen Dinge. Ein anderes Wesen von Mensch zu Mensch.

Warum hat Gott vor jedes neue Wollen und Müssen das Unmaß des Leides gestellt? Weil nur das aus Blut und Tod Geborene wahrhaft errungen ist und Bestand hat, nur das aus Jammer und Leid Gewordene – Stufe ist. Denn alles, was uns Menschen geschenkt wird, was Gottes Händen lässig entfallen ist, vergeuden wir achtlos, weil wir um seinen Wert nicht wissen.

Der Bauer steht auf, der Tanz hebt an. Vom Odenwald die Rotten strömen zuhauf. Die vom Taubergrund, vom Schwarzwald und Spessart stehn in wilder Wehr.

Aus Waldnacht und Fels lohen Flammen auf: Klöster und Burgen sind Fackeln auf Bauernstraß'. Da kehrten sie ein im Kloster zu Noggenburg und leerten es aus bis auf den nackten 252 Stein. Der Jerg Ebner war ihr Hauptmann. Der legte des Abts Meßkleider an, funkelnd von Gold und Gestein, zog die Handschuhe über die groben Bauernfäust' und nahm den silbernen Stab zur Hand. So stand er am Altar und hielt seine Predigt. Alle Sünden und Laster der Pfaffen zählte er auf, plärrend und leiernd wie eine Litanei, und die Bauern gröhlten den Kehrreim dazu. Sie waren längst trunken vom Klosterwein.

»Wer ist aller Laster Anfang und End?«

»Der Mönch!«

»Wer hat ein Schlund so tief wie das Meer?«

»Der Mönch!«

»Wer ist herrschwütig wie zehn Herren zusamm?«

»Der Mönch!«

So ging die Litanei, bis die Flammen aufschlugen zum Dach und das Poltern und Krachen der Balken die wilde Messe jäh zerbrach. Den Holzbildern der Heiligen schlugen die Bauern die Köpfe ab, sägten sie mitten entzwei und warfen die Scheite ins Feuer. Zornbebend sahen wir auf das wüste Werk. Was halfs, daß wir wild dawiderschrien – »schänd't nicht die heilige Kunst – ist wahrhaftiger Gottsdienst, wahrhaftiger als Pfaffenmeß und fremde Bibellehr –« sie brüllten uns an als Papisten und Mönchsknecht'.

Giers zitterte, bleich vor Zorn: »Einer wie wir steht immer allein, ein Feindhaufen links, einer rechts . . . Den Pfaffentrug wollen wir abtun, den Götzendienst – und sie zerschlagen die schönen Werk', das einzig, drum es sich lohnt, daß einer ein Mensch ist . . . Sie können nicht scheiden die heilige Kunst von dem, was das Bild vorstellt . . . Sie nehmen immer das Außen fürs Innen . . .«

Neben uns stand der Sebastian Frank, damals ein ganz junger Mann noch – er hat später in Unstete und viel Leid gelebt – sah mit uns auf das wilde Toben der Bauern hin und sagte gelassen – wie ich ihn denn niemals anders gesehn –:

»Wunderts dich? Es ist dem Menschen grimmste Lust, die 253 selbstgeschaffenen Götter zu stürzen. Die selben Heiligen, vor denen sie einmal auf wunden Knien geflennt, müssen jetzt ins Feuer wandern – die kleinen Menschen dünken sich Herr über die Wundertäter . . . Und glaubst, Herren und Pfaffen wären zu den Blutsaugern worden, die sie heut sind, wären die Menschen nicht hündisch vor ihnen gekrochen im Staub? Jetzt stürzen sie die vom Thron, die sie selbst darauf erhöht haben . . . Gib acht – danach werden sie neue Götzen erheben . . . Die Welt muß einen Papst haben, und sollt' sie ihn stehlen!«

»So glaubst du nicht«, fragt ich dawider, »daß je eine Zeit wird kommen, da sie das Innerlichst', das wir kennen, den Gottglauben, nicht mehr ins Äußere kehren werden?«

Der Frank sah starr ins Feuer, darin die schönen Holzbilder zu Rauch verprasselten. Sein schmaler Mund war bitter und hart:

»Wann die Zeit für den vierten Glauben kommt . . . eher nit. Der Glauben, in dem nicht Predigt, Zeremonie, Sakrament, kein tötender Buchstab der Schrift mehr gilt, vielmehr nur das Historienbuch, das Gott in ein jeden von uns schreibt. Denn was Gott mit einem jeden Menschen vollbringt und ins Werk setzt, das ist dem sein ureigen Bibel, der lebendige Glaub, eingegossen von Schicksal und Leben, gelehrt selber von Gott, nicht von außen aufgeredet und aufgedrängt, nicht aus Büchern gelesen und gelehrt . . .«

»Und wann wird das sein –?« fragt ich voll brennender Begier.

»Wann? . . . War immer schon und wird immer sein. Bei ein paar Wenigen. Denn alle sind wir Gottes fähig und göttlicher Art, das Licht ist in der Laterne unseres Herzens angezünd't. Das Wort ist in uns, das Bild Gottes in uns . . . Aber die Vielen wollens nicht sehen . . .«

Indes der Frank das sprach, gleichmütig gelassen, als kümmere ihn das wilde Treiben ringsum nicht, tobten die Bauern, von allem Ungeist besessen, daß der Widerhall ihres Lärmens von 254 den Hügeln zurücksprang. Sie schlugen die goldenen Kelche und Teller, auf denen bei der Messe die Hostie liegt, mit Beilen zu Klumpen, brachen die Edelsteine daraus. Die Juden, die immerzu hinter unsern Zügen herschlichen, kamen heran und sackten das Gold ein für einen Pfifferling.

»Ists nicht ein Fastnachtsspiel vor Gott, der tolle Bauernschwank?« höhnte der Bastian Frank. »Anders kann ichs nicht nehmen. Denn wers mit Ernst ansieht, dem wäre nicht Wunder, wenn ihm das Herz zerbreche vor Weinen. Sieht mans wie der alte Demokrit nur spaßhaft an, so möcht man vor Lachen zerknallen . . .«

»Bastian – du bist klug«, sagte Giers Hammer. »Du denkst über Gott und Glauben wie wir zwei und wie jeder Biedermann . . . Aber hüt' deine Reden! Wer die hört vom gemeinen Volk, ist verloren!«

Frank lächelte – wahrhaftig, ich sah ihn das erstemal lächeln, voll Mitleid und Hohn, wie ein König lächelt über ein Kind, das ihm sein hölzernes Schwert will schenken für den Krieg. »Hat kein Not, Giers, – hörten sie's zehnmal, faßts keiner!«

Damit ging er langsam davon, gleichmütig und starr das Gesicht, als wär ihm innerlich die Seel versteint, verbrannt.

»Erst sagt einer zu allem Ja; dann sagt er zu allem Nein; auf der dritten Stufe – Urs, ist er da wie der Frank?«

»Ich glaubs nicht ganz, Giers. Sieh – der Frank ist so groß innerlich, daß wir alle, wir zwei, der Luther, der Münzer, der Herr Wendel, der Herr Weigand – daß wir Bettler sind vor dem Schatz seiner Erkenntnis . . . Der Frank steht schon im nächsten Jahrtausend . . . Aber weißt, wo's ihm fehlt?«

»Wo –?« fragte der Giers und legt' mir die Hand auf den Arm.

»An der Tat! Er ist nur Geist . . . Und siehst – darin ist ihm der Luther voraus, der sonst ein Zwerg ist gegen den Frank . . . Der Luther ist nur Tat, stürmische Tat!«

Giers ließ meinen Arm los, er schmerzt' mich von seinem 255 Griff. »Du hast recht, Urs«, sagte er leis. Und nach einer Weil': »Weißt du, warum uns Gott hat geschaffen? – Ich nimmer . . .«

»Es sind unsre besten Stunden, Giers, da wir das fragen . . .«

Die Bauern hatten inzwischen sich voll und toll gesoffen, sie lagen mit Weibern schamlos am Boden, sie schliefen schnarchend im Garten, im Refektorium und Kreuzgang. Die Posten, die wir ausgestellt, gegen Überfall, waren fort – betrunken, mit Dirnen in einer Zell' auch sie. Wären jetzt ein paar Herren mit einem Dutzend herzhafter Knecht' gewesen – sie hätten das ganze Rudel – es mochten an die tausend sein – abgewürgt, wie man den Drosseln die Hälse umdreht, wenn sie im Netz stecken.

Da merkt' ich zum erstenmal, daß unser Kampf in die Irre ging – so oder so, ob uns Sieg oder Untergang ward. Ja vielleicht eher noch, wenn wir die Toren zu Herren machten . . . Mir kroch das Grauen ins Blut.

Am Abend schritt der Sebastian Frank aus dem Lager, ein leichtes Bündel am Rücken. Er gab uns die Hand.

»Was bleibst nicht bei uns, Bastian?«

»Bei euch kann ich nichts Neues mehr lernen . . . Euer Kapitel in meinem Historienbuch hab ich gelesen. Nun bin ich der Begierde voll nach dem nächsten . . .«

Damit nickt' er uns zu und ging fort in den sinkenden Abend hinein.

»Sein Herz ist versteint vom Jammer der Zeit . . .« sagt' ich.

Wir hielten Wacht bis an den Tag. Es war ein Glück, daß von den Herren keiner den Mut fand zu einem Überfall. Wir fluchten grimmig über das leidige Bauernvolk – sein erster Schritt auf dem Weg zur Freiheit war Schande und Schmach.

Aber am Morgen gingen die Trommeln, die Fahnen flogen hochauf, und wir zogen davon mit den Bauern und halfen Schlösser berennen und die Raubnester räumen, und wir vergaßen darüber die dunklen Gedanken. Wir ritten von Tal zu 256 Tal und überall standen die Bauern auf am ersten Frühlingstag, brachen Burgen und Klöster. Aber es war nirgends Sinn und Verstand in all dem wüsten Lärm. Ein jeder Haufen tat, was ihm gefiel, ein paar Faß Wein und ein Weiher voll fetter Karpfen war Ursach genug, daß sie drum liegen blieben, den leeren Wanst zu stillen. Sie hatten all ihre Lebzeit gefastet – nun man die Fasten schrieb, wollten sie fressen und saufen, toll und voll. So war kein einiger Wille über dem Ganzen, was wir uns auch drum mühten und sorgten.

Den Herren fuhr die kalte Furcht ins Gebein, da rings im Land, in jedem Weiler und Dorf der Aufruhr losbrach, ein tobendes Meer. Sie waren gelähmt vor Angst. Aber dann fingen sie an und schrieben Briefe und schickten Boten von Stadt zu Stadt, und langsam zogen sie Heere zuhauf und gingen den Bauern zu Leib. Sie hatten die Eisenreiter und das viele Geschütz. Und die zu Ulm und Nürnberg, die Kaufherren, hatten das Geld. Wir wußten drum, der Giers und ich, denn wir waren rastlos unterwegs, und sahen, was in Franken und Schwaben geschah, im Schwarzwald und in Bamberg und Thüringen, wir wußtens und noch ein paar, der Keller Weigand und der Wendel Hipler, die Großen, die seit Jahren die Fäden gesponnen – was halfs! Wir mühten uns ab über Menschenkraft, aber es war alles umsonst. Die Bauern hörten uns nicht, sie lachten unsrer Reden und Warnung, nannten uns feige Hasen. Es war kein Ordnung und Kriegszucht in den Haufen, tat jeder, was ihm gefiel. Die erfahrenen Hauptleut', die wir in Dienst genommen für schweren Sold, schmissen uns ihr Amt hin und gingen davon, nannten die Bauern ein zuchtloses Pack.

Da ritten wir auf Befehl des Herrn Kellers Weigand zum Herrn Florian Geyer aufs Schloß.

 


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