Ernst Kossak
Humoresken
Ernst Kossak

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Die Geschichte meines Hundes.

Mehrmals hatte ich in Gegenwart eines Freundes, der einen allerliebsten englischen Wachtelhund besaß, die Eigenschaften dieses liebenswürdigen Thierchens gelobt und die Gesellschaft eines so munteren Geschöpfes als ein beneidenswerthes Attribut einsamer Stunden gerühmt. Ich war so oft auf dieses Kapitel zurückgekommen, daß der gefällige Mann mir bei der nächsten Familienbereicherung seines Lieblings einen Sprößling der Propaganda versprach, nur mußte ich mich verpflichten, auf das Exemplar nicht eher Ansprüche zu erheben, als bis die Elemente der Erziehung ihm beigebracht wären, da der Freund, ein gewiegter Hundekenner und Verehrer, den Ruf der Species nicht leichtsinnig durch ein schlecht erzogenes Familienglied auf das Spiel setzen wollte. Wie es in den allzu weiten Mauern von Berlin zu geschehen pflegt, kam mir über dem mehrmonatlichen Drange der Geschäfte der Freund aus dem Gesichte und der versprochene Hund aus 194 dem Gedächtnisse. Ich schaffte mir indeß einen Kanarienvogel an, verlor ihn aber durch einen unerwarteten Tod, da er aus Eifersucht gegen einen benachbarten berühmten Schläger, nach Art ehrgeiziger Sänger, seine Stimme so übermäßig anstrengte, daß er in Folge eines Lungenschlages mitten im Engagement verstarb. Kaum hatte ich mich von dem Kummer über seinen Verlust einigermaßen erholt, als an einem Morgen an meine Thür geklopft wurde und der Bediente meines Freundes mir ein zierliches Billet überbrachte, aus dessen Zeilen ich ersah, daß der Inhalt des anbeifolgenden Deckelkorbes, der älteste vierbeinige Sohn einer jungen und schönen Mutter, von jetzt an mein Eigenthum sei. »Er ist so wohl erzogen, daß Sie an ihm nur Freude erleben werden,« schrieb der Freund, und er mußte es wissen, wenn Hunde-Pädagogik und Physiognomik durch Studien und Leben erlernt werden können.

Zunächst befreite ich den Gefangenen aus seinem Kerker, beschenkte den Transportführer reichlich und beobachtete mein lebendiges Eigenthum mit großem Interesse. Der Kleine hörte auf den Namen »Dandy« und machte durch elegante Haltung und niedliche Gestalt seinem Namen alle Ehre. Eine Schaale Milch, mit der ich ihn gastlich bewirthete, genoß er mit vollendetem Anstande und sah sich dann in meinem Zimmer um. Gern gestattete ich ihm diese Freiheit, da ich inzwischen meine Arbeiten fortsetzen wollte. Nach zehn Minuten unterbrach mich aber der Gefährte meiner Zukunft durch ein Geräusch, das fast so klang, 195 als ob Jemand sich Mühe gäbe, ein Papier zusammenzuballen und zu verzehren.

Da ich wohl in Romanen und wahren Geschichten gelesen hatte, daß Verbrecher und Spione wichtige Papiere, die sie nicht in andere Hände fallen lassen wollten, verschlungen hatten, aber Dandy gar keine Beweggründe zu einem solchen immerhin unangenehmen Verfahren zutraute, so gab ich weiter nicht Acht auf ihn, bis mich endlich sein Röcheln beunruhigte. Ich sprang auf und kam gerade noch zur rechten Zeit, um ihm ein kleines Manuscript aus dem Halse zu ziehen, das ich so eben mit vielem Fleiße vollendet, aber ohne an meinen neuen wohlerzogenen Gefährten zu denken, auf dem Stuhle hatte liegen lassen. Es befand sich nicht in dem Zustande, um einer Redaction und Druckerei von gutem Geschmack zugesendet zu werden und mußte sofort zu einem, mit der Wiederherstellung defecter Schreibereien vertrauten Copisten wandern. Um ähnlichen Unannehmlichkeiten vorzubeugen, begann ich die jahrelange Ordnung oder Unordnung meines Studierzimmers umzugestalten und alle Bücher, Landkarten, Papiere und Zeitungen so aufzustellen, daß sie für Dandy vollkommen unzugänglich wurden. Zwar kam mir diese Reform hart an, allein zu einigen Opfern an Bequemlichkeit konnte ich mich wohl meinem kleinen Gesellschafter zu Liebe verstehen. Auch muß ich Dandy nachrühmen, daß er mir bei diesem Geschäfte nach Kräften half und sich viele Mühe gab, auf den Schreibtisch zu springen und dem Tintenfasse eine ganz 196 veränderte Stelle (vielleicht unter dem Tische) zu geben.

Das Geschäft raubte mir den Rest des Vormittags und versetzte mich schließlich nicht in die beste Stimmung, doch fühlte ich mich wesentlich erleichtert, als Dandy bei Tisch alle Speisen verschmähte und nur am gebratenen Fleische Wohlgefallen fand. Die Beruhigung lag darin, daß die Besorgung seines Küchenzettels der Hausfrau augenscheinlich in Zukunft keine Sorgen machen und unser neuer Tischgefährte täglich mit einem Beefsteak, einem Cotelett oder Täubchen leicht zufriedengestellt sein würde. Nachmittags mußte ich zunächst an die pflichtmäßige Beschaffung eines Maulkorbes denken, wenn ich nicht mit den betreffenden Behörden in einen schmerzlichen Conflict gerathen wollte. Dandy wurde daher mit einem interimistischen Halsbande bekleidet, an dieses eine Schnur befestigt, und er als ein heftig Widerstrebender, nicht ohne ein Geleite unterhaltungsbedürftiger Straßenjungen, zu einem Gürtler geführt. Der Maulkorb war zwar leicht ausgewählt, allein sehr schwer angelegt. In der Erziehung Dandy's war dieser Punkt nicht vorgesehen worden, er huldigte der Theorie einer ungezügelten Freiheit und war durch nichts zu bewegen, sein edles Haupt unter die gesetzlich vorgeschriebenen, aber ihm schmachvoll dünkenden Fesseln zu beugen. Rücksichtslos biß er in jugendlicher Begeisterung um sich und mußte an der Schnur nach Hause zurückgeführt werden, während ich den Maulkorb in der Tasche trug. Da noch einige Straßenjungen, die uns begleitet 197 und an Dandy's Widerstandsversuchen gegen die Schnur großes Wohlgefallen gefunden hatten, draußen warteten, überfiel mich eine grenzenlose Schaam über das Betragen des neuen Hausgenossen und ich nahm mir vor, nicht eher mit ihm auszugehen, als bis Dandy sich gewöhnt hätte, ruhig an dem Faden der Ariadne durch das Labyrinth der Berliner Straßen einherzuwandeln. Aber alle meine Bestrebungen blieben fruchtlos. Sobald die Schnur durch den Ring seines Halsbandes gezogen wurde, zog er so heftig daran, daß sie straff angespannt, einen erkennbaren musikalischen Ton von sich gab. Ich begann deshalb umfassende Studien mit dem Maulkorbe, und versuchte ihn Dandy anzuschmeicheln, indem ich ihn mit Zucker köderte. Nach vielen vergeblichen Anstrengungen, unter denen meine schriftstellerischen Arbeiten entsetzlich litten, gelang es mir endlich, ihm das Zwangsinstrument anzulegen, aber er machte so bange und qualvolle Bewegungen, es abzustreifen, daß mich Gewissensbisse ergriffen und ich in allem Ernste fürchtete, feierlich vor die Vehme des Thierquälervereines geladen zu werden. Nebenbei entwickelte der ›wohlerzogene‹ kleine Hund so unangenehme Angewohnheiten, daß ich als sein Vorgesetzter mit dem ganzen Hausstande auf einen gespannten Fuß gerieth und selbst Drohungen des Dienstmädchens gelassen einstecken mußte. Die Freuden, die mir Dandy bereitete, waren in der That nur gering. Seine Erziehung mußte aber unter allen Umständen vollendet werden, und nachdem ich ihn nothdürftig daran gewöhnt hatte, den 198 Maulkorb zu dulden, kaufte ich für schweres Geld ein versiegeltes Buch mit Geheimmitteln und probirte alle Recepte durch, welche die Magie der Jäger als wirksam vorschreibt, um sich die Anhänglichkeit eines Hundes zu sichern. In Dandy's Seele lebte entweder kein Element der Rechtschaffenheit und Treue oder der Verfasser des Buches war ein Lügner; kein Einziges der Mittel schlug an und Dandy entwickelte zu mir nicht mehr Zuneigung, wie zu jedem Andern, d. h. gar keine. In meiner Seele stiegen finstere Gedanken auf; ich fürchtete, daß der übelgeartete Hund erst in reiferen Jahren die Feinheiten der Erziehung sich aneignen und ich darüber den besten Theil meines Lebens verlieren und ein schmachbedeckter Greis werden würde. In dieser Verstimmung ging ich mit dem Plan zur Bildung eines Vereins gegen Menschenquälerei durch Hunde um und doch bezahlte ich, so groß ist die Consequenz der Schwäche und des Eigensinnes im menschlichen Herzen, ohne Widerrede die Steuer für die Marke, als Dandy in das goldene Buch der Hunde von Berlin geschrieben wurde und das Recht erwarb, unangefochten durch die Straßen zu wallen. Der Undankbare, den ich durch einen beträchtlichen Vorrath von Zucker in meinen Rocktaschen endlich daran gewöhnt hatte, in meiner Nähe zu bleiben, belohnte meine Fürsorge aber gleich beim zweiten Ausgange sehr schlecht. Nachdem ich so oft hinter ihm dreingepfiffen, daß ich ein Fabrikat der Maschinenbauanstalt für Locomotiven von Borsig hätte sein müssen, um vor Schwindsucht bewahrt zu bleiben, nahm er den Augenblick 199 meines Gespräches mit einem Freunde wahr, um eine mir unbekannte Sache in der Nähe eines Kellers anziehend zu finden und zu verschwinden. Heute, wo ich über unser gegenseitiges Verhältniß ruhiger denke, nehme ich nur an, daß Neugier und Jugend ihn verleitet haben, einem verbotenen, aber gebratenen Bissen zu folgen und daß er in einen Hinterhalt fiel. Wenigstens sah mir der Mann, der ihn auf mein öffentlich abgelegtes Versprechen, zwei Thaler für Dandy's Auffindung zu zahlen, wiederbrachte, ganz so aus, als ob er von der Entfremdung kleiner Hunde lebte, ja unter Umständen sogar sie an wißbegierige Mediciner zu Vivisectionen und Vergiftungsproben verkaufte. Dieses Ereigniß und die peinliche dramatische Spannung, in der ich mehrere Tage gelebt hatte, verbitterten mir den Hund ganz und gar, und ich setzte mich an mein Pult, um dem freigebigen Freunde sein Danaergeschenk zurückzuerstatten, als mir von Seiten des Küchendepartements, wohin Dandy seit seiner letzten Abwesenheit verbannt worden war, gemeldet wurde, daß mit Dandy etwas sei, er habe keinen Appetit, verschmähe selbst Chesterkäse und sträube ohne Grund die Haare. Die Kunde war wie ein Lauffeuer durch den ganzen Flügel des Hauses geeilt und hatte alle Köchinnen in Schrecken versetzt. Auch ich träumte zuerst von Wasserscheu, allein ein schnell herbeigerufener Hundekundiger, seines Zeichens ein Hufschmied, stellte die Diagnose der Staupe und machte sich anheischig, den Kranken binnen kurzer Zeit wieder herzustellen. Die kurze Geschichte meines Hundes und der mit 200 ihm genossenen Freuden würde höchst unbefriedigend schließen, wenn ich nicht hinznfügte, daß ich nach glänzend gelungener Kur dem Arzte als Honorar den Patienten selber schenkte und so Veranlassung wurde, daß er jetzt Schooßhund einer vornehmen Dame ist, die seine zahlreichen schlechten Eigenschaften auf seinen früheren Umgang mit solchen Leuten, wie Schriftsteller sind, schiebt, ihn übrigens aber mehr, wie ihren Mann liebt. Ich für meinen Theil zog aber aus der verunglückten Grille die Lehre, daß es unter allen Umständen sicherer sei, die einsamen Stunden des Lebens dem Umgange mit Menschen, statt mit Hunden zu widmen. 201

 


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