Ernst Kossak
Humoresken
Ernst Kossak

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Ein Rest Mittelalter.

Einst, als ich vertieft in das Studium der berliner Zeitungen saß, stürzte athemlos ein glaubwürdiger Unter-Tertianer ins Zimmer und brachte die Depesche, die Currende am Friedrich-Werderschen Gymnasium sei aufgehoben!

Hätte dieser Zeuge mir die Nachricht von der Aufhebung der Verfassung gebracht, und wäre ich ganz Kreuzzeitungsmann, mein frohes Erstaunen wäre nicht geringer gewesen, als es bei der Aufhebung eines Instituts sein mußte, das mich seit meinem siebzehnjährigen Aufenthalt in Berlin hartnäckig verfolgt hat.

Welche furchtbare Zeiten stehen uns bevor, was für ein rothsocialer Dämon hat die Menschheit ergriffen, daß sie die Hand legt an die ehrwürdigen Institutionen des Mittelalters, daß sie die Freude mehrerer Jahrhunderte abschafft – die Currende ist nicht mehr . . .

Aber der Leser fragt: Was ist die Currende? warum diesen Aufstand um die Currende? War 119 die Currende eine inländische Behörde oder Corporation, ein weltliches oder ein geistliches Institut, ein ritterlicher Orden?

Mit den letzten Fragen hat der Leser so ziemlich das Richtige getroffen; die Currende hatte etwas von einem geistlichen ritterlichen Orden!

Sie bestand aus armen Schülern, welche unter der Leitung eines »musikalischen Abtes«, den sie Praefectus chori zu nennen liebte, eine Art von singendem Bettelmönchsorden in einer Klostertracht bilden durfte, die in einem alten schäbigen Mantel und einem dreieckigen Hute bestand. Für gewöhnlich rückte diese Clerisei an jedem Sonnabend frühe, bei gutem oder schlechtem Wetter, in ihrem Ornat aus und begab sich, 15 bis 20 Mann stark, welche das Vorrecht besaßen, die Schulstunden zu versäumen, vor die Wohnungen der Wohlthäter der Currende, die sie durch ihr Gebrüll geistlicher Gesänge aus dem Schlafe schreckte oder bei der Arbeit störte.

Ausnahmezustände bildete die Advents- und Weihnachtszeit, so wie die Woche vor hohen Festtagen, in welcher Zeit sich die Currende für permanent auf der Straße erklärte, musikalische Executionen über Berlin verhängte und ganze Stadtviertel mit Blechbüchsen beschoß, welche den Händen der Knaben anvertraut waren, die sich durch Abreißen der Wohnungsklingeln die Achtung der Currende und den Schrecken der Bevölkerung zugezogen hatten.

In der Front vom Gesang der Currende, im Rücken von den Bettelbüchsenschützen angegriffen, streckte die geänstigte Bevölkerung ihre 120 Vier- und Achtgroschenstücke, die gestörten Gelehrten fluchten, die Kranken ächzten auf ihren Betten, die kleinen Kinder versteckten sich weinend hinter die Kleider ihrer Mütter und nur ein reisender Franzose – wie das Magazin des Auslandes einmal berichtete, – pries den Gesang der Currendeknaben als »Engelsstimmen.«

Das Jahr 1848 machte der Currende ein Ende, aber als ächtes Gespenst des Mittelalters fand sie keine Ruhe im Grabe; wir müßten uns sehr täuschen, wenn nicht die Novembermänner außer Krone und Hermelin auch die schwärzlich vergilbten Mäntel und Filze der Currende gerettet hätten. Genug die Currende war wieder da – sie solfeggirte abermals mit ihren Engelsstimmen.

Motiviren wir unsere Freude, so besteht sie außer der Befriedigung, die alle und somit auch unsere musikalischen Ohren in dem Verstummen dieses gegen den guten Geschmack erhobenen Kriegsgeheules finden, in der Genugthuung, der Papiermühle die alten Mäntel, den Filzfabriken die Dreimaster, den drei Morgenstunden des Sonnabends, etwa 20 talentvolle Schüler wiedergegeben zu sehen. Rechnen wir noch dazu, daß diese armen Paria's in der Achtung ihrer muthwilligen Mitschüler wiederhergestellt sind und ihre Dürftigkeit nicht mehr »bemänteln« dürfen, so votiren wir dem freisinnigen Reformmann, der die Currende begrub, den Dank der Menschenfreunde aller Zeiten! 121

 


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