Ernst Kossak
Humoresken
Ernst Kossak

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Der achtzehnte März.

(Noch ein Mißverständniß.)

Es war am Nachmittag des 18. März 1851. Herr v. Quaselwitz hatte bei Schott gespeist. Herr v. Q. speiste bei Schott nie unter einem Thaler, weil er dieses zu hausmannsköstlich fand; am 18. März hatte Herr v. Q. zu zwei Thalern gespeist und befand sich in einer patriotischen Stimmung. Er beschloß hinaus zu gehen auf den Kirchhof im Friedrichshain, nicht um zu weinen an den Gräbern und Kränze hinauszutragen zu den Denkmälern; Herr v. Q. wollte mit Blicken zerschmettern die Rotten der Demokraten, wollte sehen Polen, Juden, Franzosen und Literaten, wollte dies irregeleitete Volk, wenn möglich auf bessere Wege bringen, von der Landsbergerstraße und dem Alexanderplatz. Herr v. Q. war seines Zeichens einer der furchtbarsten Reactionaire, drei seiner Neffen dienten in der Garde, ein vierter hatte von einer reichen constitutionellen Bourgeoise einen Korb erhalten; Herr 116 v. Q. war für die Ordnung, aber nicht für die Gemeindeordnung; er liebte die Gerichte, zumal die Patrimonialgerichte, aber er haßte die Geschwornengerichte und die kalt gewordenen Gerichte; auch liebte er die Ruhe, zumal die Nachmittagsruhe. Am 18. März verzichtete er darauf, um mit Blicken etwas Pöbel zu zerschmettern. Herr v. Q. kam vor das Landsberger Thor; hier stand er still, sah die Schaaren der Wallfahrer, wüthete mit Blicken und zerschmetterte. Da faßte ihn ein Arm; es war eines Constablers Arm.

»Rasch gehen, immer vorwärts – hier darf Niemand stehen bleiben.«

Erstaunt blickt sich Herr v. Q. um. Er vorwärts – hier? auf diesen Kirchhof zu?!

»Ich werde nicht vorwärts gehen!« donnerte er den blauen Mann des Gesetzes an.

»Sie werden mit mir kommen!« blitzte der Constabler ihm entgegen. Was weiter? Herr v. Q. war nicht im Stande sein Inneres dem Manne verständlich zu machen. Ach, des Menschen zarteste heiligste Empfindungen verhallen oft unverstanden und erst wenn wir eingesperrt sind, überzeugen wir uns, daß wir hätten sollen weder empfinden noch reden. In Zeit von fünf Minuten war Herr v. Q. auf der Constablerwache. Der Mann, der zu zwei Thalern bei Schott gespeist hatte, saß mit einigen Schreiern und Steinwürflingen auf einer Bank. Furchtbarer Schicksalswechsel! entsetzliches Verhängniß des 18. März. – Der Leser der Kreuzzeitung und der Buchstabirer des Urwählers auf einer Pritsche!

Die Geschichte schweigt über des Mannes 117 innere Leiden. Seinen Vertheidigungsversuchen wird Schweigen auferlegt; zum ersten Male muß er an sich erleben, welche Consequenzen erblühen aus der Unverantwortlichkeit. Man weiß, daß Menschen, die zum Tode verurtheilt waren, in einer Nacht graues Haar erhalten haben, man wird erfahren, daß auch im Innern des Menschen in wenigen Stunden eine jener Revolutionen vorgehen kann, welche für immer über Individuen und Staaten entscheiden. Als nach sechs bis acht Stunden und unsäglichen Mühen, vom Molkenmarkt aus, Herr v. Q. seine Freiheit wieder erhielt, war jene namenlose Umwandlung in seinen politischen Ueberzeugungen vor sich gegangen.

Herr v. Q war am 18. März conservativ-constitutionell! 118

 


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