Ernst Kossak
Humoresken
Ernst Kossak

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Von den Störungen.

Nicht von denen der Planeten unter einander ist die Rede, sondern von denen der Menschen, und noch genauer bezeichnet: von den Störungen, welche ein arbeitslustiger, aber unglücklicher Schriftsteller zu erleiden hat. Schriftsteller und Vogelsteller spannen ihre Netze nach Vögeln und Gedanken aus und lauern in der Stille auf Beute; Lärm und täppische Gesellen bringen sie als ihre Erbfeinde um manchen hüpfenden Gewinn. Unter allen Mannigfaltigkeiten des Lebens wüßte ich keine größere, als die: Geld auszugeben und gestört zu werden. Sieht die Mehrzahl der Menschen sich gegen die erste Versuchung hinlänglich durch Geldmangel geschützt, so überliefert die ewig gerechte Natur doch am Morgen jeder Creatur vierundzwanzig gleichgemessene Stunden zu beliebigem Gebrauch, und es gehört zu den interessantesten Beobachtungen, die verschiedenen Mittel und Wege zu verfolgen, welche die Menschen anwenden, um dieses 122 Kapital sich selbst und Andern zu verkümmern. Geld haben heißt: Zeit haben, denn Geld arbeitet; aber wer aus Zeit erst Geld machen soll, muß ein Geizhals mit Stunden und Minuten sein. Man kann ein Kapital an Geld ausleihen und gute Zinsen bekommen; aber Zeitkapital einmal fortgegeben, ist für immer verloren.

Schon oft habe ich darüber nachgedacht, welche Mittel es gegen die Zeiträuber giebt, wie ich zum Unterschiede von den Tagedieben, die sich selbst bestehlen, diejenigen nennen will, welche andere Leute um ihre Zeit bringen; aber ich bin zu keinem Resultate gelangt. Der Schriftsteller ist dem Zeiträuber gegenüber recht- und schutzlos.

Du bist an einem Morgen mit dem besten Humor von der Welt aufgestanden, das kalte Wasser, der wahre Wein für die Seele, hat deinen Kopf wunderbar erfrischt, du gehst frisch und lustig an die Arbeit und hast kaum zehn Zeilen geschrieben, da wird dir gemeldet, daß ein Herr dich zu sprechen verlange.

»Um halb acht Uhr Morgens? – ich bin nicht zu sprechen.«

»Er sagt, er müsse Sie sprechen, es wäre eine wichtige Angelegenheit.«

»So laßt ihn herein.«

Ein ältlicher Herr tritt ein, er trägt einen Paletot, der so aussieht, als ob er früher eine schwarze Tuchweste gewesen ist, hat um den Hals ein Schnupftuch in einer Art geschlungen, als ob man ihn eben auf einem Erhängungsversuch betroffen und abgeschnitten hätte, und duftet schon nach dem zweiten Frühstück, das er aus 123 Spiritualismus vor dem ersten genommen zu haben scheint. Der ältliche Herr giebt sich als einen mißvergnügten Pensionair dieses oder jenes Regierungsinstitutes zu erkennen, hat seine Gedanken in der Muße zu Papier gebracht und wünscht sie einer Zeitung einverleibt. Um seinen Worten den gehörigen Nachdruck zu verleihen, zieht er aus der Tasche des Paletots ein Manuscript, das wie ein vielgebrauchtes Schwert durch häufiges »vom Leder ziehen« ganz blank geworden ist. Dieses Manuscript überreicht er dir, indem er eine gewisse Erhabenheit über seine Physiognomie zu verbreiten sucht, wahrscheinlich weil er damit die Ueberzeugungskraft seines Werkes zu unterstützen gedenkt.

»Ich glaube, daß dieser Artikel sich für Ihr Feuilleton eignet.«

Du wirfst einen Blick in das Manuscript und entdeckst, daß es die sociale Frage behandelt und zwar vorschlägt, bei der Ausdehnung und Wichtigkeit, welche der Wallfischfang für einige Küstenstriche und Inseln Nordamerika's gewonnen habe, auch das gesammte deutsche Proletariat auf den Wallfischfang auszuschicken und abzurichten. Zugleich fällt dir das Manuscript, theils aus Schreck, theils durch seine eigene Schwere, zu Boden, du bückst dich, um es aufzuheben, und entdeckst, daß der mißvergnügte Pensionär seine Stiefeln nicht abgewischt, sondern auf deinen neuen Teppich ein heilloses Emblem seiner Stiefeln abgedrückt hat. Dich überfällt eine unsägliche Wuth über das verstümmelte Weihnachtsgeschenk.

124 »Mein Herr, ich glaube nicht, daß es so viele Wallfische auf Erden giebt, um alle ihre Jäger zu beschäftigen.«

»Alles auf das Haar genau berechnet,« erwiedert gönnerhaft und mitleidig lächelnd der Schmutzstiefel. »Sie werden Seite dreiundachtzig auf dem einundzwanzigsten Bogen die detaillirte Berechnung finden.«

»Aber die Schiffe, die Einwilligung der Regierung, der gute Wille der Leute?« rufst du, wie der Ertrinkende nach einem Strohhalm, so nach einer Ausrede haschend.

»Drucken Sie die Schrift ab, mein Herr, und Sie werden die Regierung und das Proletariat gewonnen haben.«

»Und die Schiffe –?«

»Bauen wir mit Concerterträgen, und ich hoffe dann, daß gerade Sie uns durch Ihre Empfehlung sehr nützlich sein können; ich selbst habe mehrere Gedichte über den Gegenstand verfaßt, welche zwischen den Musikstücken declamirt werden sollen, ich habe Ihnen einige mitgebracht und glaube, daß wir, sobald der Aufsatz abgedruckt ist, sogleich, um die Theilnahme nicht erkalten zu lassen, mit einigen vorgehen müssen.«

Sprachlos vor Wuth bleibt dir nichts übrig, als, um deine Zeit und deinen Teppich zu retten, das Manuscript da zu behalten, dich nach der Wohnung des Pensionärs zu erkundigen und ihm schriftliche Antwort zu versprechen.

»Bitte sehr,« sagt der unselige Mann, »ich spreche schon selber wieder vor.« Damit complimentirst du ihn zur Thür hinaus.

125 Jetzt gilt es, die Gedanken wieder zusammen zu raffen. Du athmest einige Male tief auf, liesest dein Geschriebenes wieder durch – es ist wieder Jemand an der Thür? »Ein Herr mit einer Mappe und Rolle muß Sie sprechen.« »Ich bin nur Nachmittags zwischen drei und vier Uhr zu sprechen« – aber der Herr mit Mappe und Rolle hat sich durch die offene Thür auf den Corridor gedrängt und lugt schon durch die Thür, so freundlich lächelnd, daß er maulschellirt oder hereingelassen werden muß.

Der Herr nähert sich deinem Schreibtisch, rückt ungenirt, jedoch behutsam das Schreibzeug bei Seite, bindet die Mappe auf und enthüllt deinen Blicken eine Lithographie der Enthüllungsfeierlichkeit des Friedrichs-Denkmales. »Was sagen Sie dazu? – sie ist von Cornelius selber.«

»Von Cornelius? Das ist nicht wahr,« platzt es dir heraus.

»Entschuldigen Sie, nicht von Cornelius selber, sondern nach seiner Angabe, von einem Schüler; das Exemplar kostet zwei Thaler und hat schon den Beifall so vieler Herrschaften gefunden, daß ich nicht bezweifle, ich werde auch bei Ihnen eins absetzen.«

Bisher warst du der Meinung, der Mann wünsche sein Blatt nur öffentlich empfohlen zu sehen, seit er jedoch noch auf deinen eigenen Beutel speculirt hat, packst du die Mappe an ein Ende und den Mann an einen Arm und enthüllst ihm mit soviel Bonhommie, als dir noch übrig geblieben ist, daß eine Treppe höher ein 126 hyperpatriotischer Obristlieutenant wohnt, der gewiß das Bild kaufen werde.

Nun ist der Mann fort und du schreibst eine halbe Stunde lang weiter. Der Briefträger bringt drei Briefe. Sie sind frankirt, enthalten eine Einladung zu einer Sonntagsmatinée mit nur eigenen Arbeiten eines jungen Componisten, den Drohbrief eines poetischen Jünglings, daß er in den nächsten Tagen selber kommen werde, und die anonyme Zuschrift einer ästhetischen Dame, welche sich über kritische unbillige Behandlung eines Sängers beschwert, dessen Talent sie am besten beurtheilen könne, da er in ihren Wochenthee's und zwar ihre eigenen Lieder singe.

Diese Störung hat glückliche zehn Minuten gedauert und es wird in demselben Augenblicke, als du wieder rasch zu schreiben beginnst, so heftig hinten an der Klingel gerissen, daß du es in deinem Arbeitszimmer hörst. Der Klingler ist der Junge aus der Druckerei, der die erste Hälfte des Manuscriptes abholen will.

Wer nicht das Selbstvertrauen und die Strafgerichtsphysiognomieen dieser Jungen gesehen hat, weiß nicht, was tragisches Pathos ist.

Da ihnen wohl bekannt ist, welche nothwendige Mittelglieder sie in der Tagesliteratur sind, welche Berechtigung in ihrem entschiedenen Auftreten liegt, da sie zu oft Ohrenzeugen der Klagen müßiger Setzer, der Reclamationen des Zeitungscomptoirs über versäumte Posten, der Drucker über verspätetes Umbrechen des Blattes gewesen sind, kann man ihnen die entschiedene Verachtung, welche sie gegen die Schriftsteller an den Tag 127 legen, im Grunde nicht verübeln. Daran gewöhnt, ihrerseits pünktlich und rasch zu sein, durch Zweigroschenstücke in wichtigen Momenten belohnt und angefeuert, oder durch Katzenköpfe im Uebertretungsfalle bestraft, fordern sie, daß die Manuscripte bei ihrem Erscheinen unfehlbar fertig seien.

Schmutzstiefel, Bildermappe, Matinée, Versjüngling und beleidigte Damen haben dich leider dein Pensum nicht fertig machen lassen, du nöthigst also den jungen Herrn aus der Druckerei zum Niedersitzen am warmen Ofen und schellst, damit ihm ein Butterbrod und ein Apfel gebracht wird und er von anderweitigem Unfug mit Händen und Füßen abgehalten werde. Dann fährst du wie ein Tieger über Papier und Feder her. Der Junge verzehrt unterdessen den Apfel. Beinahe bist du mit dem nöthigen Manuscript fertig, da steht der Junge auf, nestelt an seiner Jacke und sagt: »ich habe auch noch einen Zettel abzugeben.« Der Zettel kommt von einem Genossen und Mitredacteur: »Lieber Freund, messen Sie nicht mir, sondern Ihrem gestrigen abendlichen Ausbleiben bei, wenn trotz der Revision des Blattes in Ihrem heutigen Artikel ein sinnentstellender und lächerlicher Druckfehler stehen geblieben ist. Richten Sie sich übrigens zu morgen auf recht viel Manuscript ein, die wiener Post ist ausgeblieben und die Kammer fällt aus.« Zwei unangenehme Ueberraschungen, obgleich es einem norddeutschen Journalisten nichts Neues ist, wenn die wiener Post ausbleibt und die Kammer ausfällt.

128 Der Druckfehler verstimmt dein Gemüth und lähmt die gute Wendung, die du eben dem letzten Satze geben wolltest, aber das Papier wird dir fast naß unter den Händen weggerissen und der Junge läuft mit dem halben Artikel davon.

Wie eine Locomotive, die sich auf den ersten Stationen aufgehalten, stürzt jetzt die Feder unaufhaltsam vorwärts, um die im hastigen Satze vorauseilende Zeitung wieder einzuholen!

Schon wieder die Klingel? – Hundegebell – befreundetes Kratzen und confidentielles Winseln an der Thür? Es naht ein Freund, ein unwiderstehlicher Freund, und bringt seinen unausstehlichen Hund und eine fremde Sängerin mit. Der Freund weiß, daß die Sprechstunde von drei bis vier ist, aber er vertraut auf die Stimme der Freundschaft wie auf die seines Magens, denn er speist pünktlich um drei Uhr. Die fremde Sängerin ist nun da, eine alte italienische Wachtel, scharf an der Ecke hinter Mannheim zu Hause. In allen Sätteln gerecht, weiß sie, wie man mit Leuten umgehen muß, welche die Schnüre an dem theatralischen Lob- und Tadelsack in Händen halten. Sie schleudert auf euch einen langen, stumm bewundernden Blick, also so – dies ist der Mann – nein zu viel – groß – sehr groß – bewundernswürdig – diese Feder! Ihr verbeugt euch, sucht wüthend und qualvoll das Gespräch in Fluß zu bringen, aber nein; sie läßt nicht los, sie erzählt euch vielmehr, daß sie etwas Herrliches von euch über eine Künstlerin gelesen, die seitdem ihre Stimme verloren habe, und ihr entdeckt, daß jene Herrlichkeit von einem 129 Burschen herrührt, mit dem ihr nichts in der Welt gemein haben mögt. Mit rascher Taktik benutzt ihr diese Entdeckung und parirt durch einen tüchtigen Vorhieb die ferneren Maulangriffe der Italienerin aus Mannheim. Jetzt mischt sich der Freund und der Hund in's Gespräch. Der Freund erklärt die Absicht der Sängerin, ein großes Concert mit Unterstützung vieler hiesigen Hofpianisten und anderer Janisten zu geben, und der Hund richtet sich mit seinen undelicaten Pfoten auf dem Sopha ein. Ihr durchfliegt in diesem Augenblicke das Verzeichniß aller corrosiven und narkotischen Gifte, deren man sich gegen Vierfüßler zu bedienen pflegt, und empfindet eine plötzliche rasende Leidenschaft für Blausäure.

Das Gespräch schreitet jetzt unaufhaltsam vorwärts; es ist glücklich über die Ouvertüre hinaus zu der ersten Arie der Sängerin gekommen. Man fordert euren Rath, ihr sollt vorschlagen, man will euch dadurch die Hände binden, euch verantwortlich machen für den Erfolg und ihr hört es draußen auf dem nahen Kirchthurm zwölf Uhr schlagen! Ihr willigt in Alles, in das Baßposaunensolo, in das Trio der drei Pickelflöten, in sechs Lieder von Gumbert am Clavier – da fährt der Hund auf – er bellt – sollte Rettung nahen? – ja, es ist die Druckerei, die wieder ihren jugendlichen Emissär nach dem restirenden Manuscript gesandt hat. Der Junge setzt sich im Corridor nieder, ihr laßt mit tiefer Symbolik die Stubenthür offen, denn dies Pentagramma soll euren Eindringlingen keine Pein machen und der Junge wird wirklich euer Retter. 130 Zuerst lockt er den Hund an sich – der zweite Theil des Convertprogrammes hat soeben begonnen – er tätschelt ihn – ein Bissen soll ihn erst vertraulich machen, daß seine Kunst viel Künste übersteigt – er streichelt ihn geheimnißvoll und magnetisch – plötzlich, grade bei den spanischen Liedern am Clavier, prallt der Hund mit einem Todesschrei zurück – dieser verrätherische Bube hat ihm einen überaus heimtückischen Kniff in den Schwanz beigebracht. Der Freund springt auf, er erinnert sich plötzlich, daß sie noch die Runde zu machen, er nimmt unter den einen Arm den gekränkten Hund, unter den andern die Sängerin und trennt sich von euch auf baldiges – baldiges Wiedersehen.

Die Schreiberei tobt jetzt weiter, aber ihr müßt euren Entwurf umgestalten, die Zeit drängt und der Schluß muß eine andere Wendung erhalten. Ihr seid verstimmt, mißvergnügt, doch könnt ihr die verfehlte Arbeit nicht zurückhalten.

Ihr eilt in die Druckerei, durchfliegt dreißig bis vierzig Zeitungen, ärgert euch über den Druckfehler, der wirklich in finsterer unsinniger Majestät im Blatte prangt und kehrt zum Mittagsessen zurück. Man meldet, daß in eurer Abwesenheit ein ältlicher, wichtig thuender Herr da gewesen sei, aber nicht habe bewegt werden können, seinen Namen zu nennen. Ihr grübelt, während ihr die Suppe eßt, wer der ältliche Herr gewesen sein könne? Sollte es wieder der Bekämpfer des H. in der deutschen Sprache gewesen sein, der seit zehn Jahren die Redactionen belagert und ihnen vorrechnet, wie viel Zeilen 131 Satz- und Druckkosten sie jährlich durch Ausmerzung des H. profitiren würden? Der Mann heißt leider nicht Harsdörfer, wie jener alte Pedant, um ihm dieselbe bekannte schlagende Replik mit Bezug auf seinen eigenen Namen entgegenzusetzen. – Oder sollte es der Erfinder der wohlriechenden Stiefelwichse, oder der Verfasser der siebenunddreißig vergleichenden Artikel zwischen der preußischen und nordamerikanischen Verfassung gewesen sein? War es vielleicht ein Vater von Wunderkindern, oder gar ein auf eigene Hand reisendes Wunderkind reiferen Alters? –

Jetzt wird euer Leibgericht aufgetragen – es klingelt – wer da?

»Der talentvolle Judenknabe aus Odessa.«

»Nach drei Uhr.«

»Er hat schon selber gesagt, er werde nach drei Uhr wiederkommen.«

Der talentvolle Judenknabe weiß, zu welcher Zeit er sich selber importiren darf, aber er muß sich im Klingeln üben und da er grade vorüberging, dachte er: du klingelst einmal, hältst die Erinnerung an deine interessante Persönlichkeit warm und meldest zugleich deinen zwei Stunden später berechneten Besuch an.

Glücklicherweise tritt während des Essens keine fernere Störung ein, man darf sich sogar erfrechen, ein wenig über die inneren Angelegenheiten des Hauses und der Familie zu sprechen, aber die Stunden fliegen und es ist drei Uhr. Trotz des Corridors und einer Doppelthür macht sich das Abkratzen von zwei dickbesohlten Stiefeln hörbar; so kratzt nur der alte Student aus 132 Heidelberg die Beine ab! Der alte Student aus Heidelberg hat einmal ein Empfehlungsschreiben von werther Hand gebracht und sündigt seitdem durch seine Gegenwart noch auf diesen längst abgelaufenen Ablaßzettel.

Mit süddeutscher Gemüthlichkeit betritt der alte Student das Zimmer und kündigt an, daß er gekommen sei »ä bissel zu plaudern.«

Wenn ein vielbeschäftigter Mensch eine Sprechstunde hat, so ist diese für das Geschäft da, vernünftige Leute benutzen sie mit Discretion, man verständigt sich rasch und freundlich, man macht keine unnützen Worte, aber es giebt langweilige Kanaillen, zu denen einmal freundlich sein, sie nie wieder loswerden heißt. Sie erzählen euch stets dieselben alten Geschichten wieder, fragen euch aus, rauchen unaufgefordert eure guten Cigarren und beklagen sich, daß ihr sie nie zum Mittagessen einladet. Die Welt mag durch diese Selbstschätzung des Menschen erhalten werden, aber der Einzelne geht daran zu Grunde und verhungert zuletzt. Unstreitig ist die furchtbarste Eigenschaft des alten Studenten, daß er seine Rede stets mit der entsetzlich höhnischen Redensart einleitet: »Ich weiß, daß Sie wenig Zeit haben, ich will Sie auch nicht aufhalten, aber ich möchte Sie gern wieder einmal sehen.« Spricht's und brennt sich eine Cigarre an, während seinem Wirthe das Feuer auf den Nägeln brennt.

Nun kommt Israel aus Odessa.

Was will Israel? Geld will Israel. Am schwarzen Meere ließ ihn musikalischer Ehrgeiz 133 nicht schlummern und er kam nach Berlin und will Geld, um Musik zu studiren.

Geld will er? von einem Schriftsteller? – Nein, aber der Schriftsteller soll für ihn betteln gehen, auf den blauen Dunst hin, und Odessa ist hartnäckig und läßt sich nicht durch Wind und Wetter abschrecken.

Eben will Israel von Odessa seine gewöhnliche Standrede beginnen, als die Thür aufgerissen wird, ein junger beliebter Componist hereinstürzt, der die liebenswürdigste aller Angewohnheiten besitzt, nur von sich selber zu reden, euch in die Arme schließt und freudig sagt: »Endlich habe ich Sie, nun will ich aber auch recht lange hier bleiben.« Jetzt geht es los; wo er gestern gewesen ist, wo vorgestern und wo vorvorgestern; wohin er morgen gehen wird, wohin übermorgen und überübermorgen; was er componirt hat und was er componiren wird; was er dir jetzt gleich vorsingen wird und was erst am Abend.

Das junge Odessa, das noch immer an der Thür steht, faßt Muth, rückt näher und hat offenbar den Plan, sein Niederlassungsrecht in Anspruch zu nehmen, das alte Heidelberg wird urplötzlich sicher, zieht einen Stuhl an das Sopha, legt ein Bein herauf und stippt die Asche der Cigarre an dem Rande eines sauberen Schreibzeuges ab, auf das ihr den Werth eines treuen Handwerksgeräthes legt.

Aber das Maß ist zum Ueberlaufen voll. Ihr knöpft den Rock zu, räuspert euch wie Cicero und sprecht: »Meine Herren, da ich sehe, daß Sie 134 alle Drei sehr wenig Zeit haben, so wäre es von mir eine Gewissenlosigkeit, Sie dieses kostbaren Artikels zu berauben!«

»Ich will Sie nicht länger aufhalten!«

»Da ich noch beinahe einen viertel Druckbogen für zwei auswärtige Zeitungen zu absolviren habe und der Abgang der schlesischen Post sowohl als der rheinischen unerbittlich und gesetzlich feststeht, so kann ich es vor meinem Ehrgefühl nicht verantworten, Sie länger zu bitten, Ihre dringenden Geschäfte um meinetwillen aufzuschieben, und bin bereit, Ihnen eine oder mehrere Droschken zu holen, denn es ist besser, daß Sie sofort in Droschken auf Ihre Kosten abfahren, als daß ich einen Nachboten extra nach dem eine halbe Meile weit entfernten Bahnhofe schicke. Brennen Sie sich gefälligst frische Cigarren an, während meine Studirlampe gebracht wird und wärmen Sie Ihre Paletots an jener heißen Stelle am Ofen.«

Odessa, Heidelberg und Berlin sehen einander verdutzt an, merken aber die Wahrheit der Verzweiflung und greifen nach den Hüten. Ihr aber gebt strenge Anweisung, daß ihr nicht zu Hause seid, schließt die Thür des Arbeitszimmers nach dem Corridor fest ab und schraubt die Lampe höher, nachdem ihr die Wettervorhänge und Gardinen herabgelassen habt.

So wird der Tag eines armen Scribenten verhunzt. 135

 


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